Prof. Dr. Martin Schulz von der Bundesvereinigung Deutsche Apothekerverbände (ABDA) stellte auf der Jahrespressekonferenz der Deutschen Diabetesgesellschaft Risiken und Lieferschwierigkeiten bei unsachgemäßer Verwendung von Medikamenten in den Fokus.
Patient*innen können nicht sicher versorgt werden
Die enorme Nachfrage bei der "Abnehmspritze" führt in der Praxis dazu, dass Patient*innen, denen die Spritze verordnet wurde, nicht sicher versorgt werden können.
Dazu führe auch der "Medienhype“ so Schulz: Die Berichterstattung über GLP-1-Rezeptoragonisten wie Dulaglutid, Liraglutid und besonders Semaglutid als Abnehmspritze sei quasi täglich seit Beginn 2022 zu lesen und führe zu einer enormen Nachfrage, die noch nicht einmal ein Pharmariese bedienen konnte.
Diese Arzneimittel seien kein Wundermedikament, sondern eine Möglichkeit, in eine Änderung der Lebensgewohnheiten einzusteigen. Dies müsse aber in ein Gesamkonzept eingebettet sein und sei als alleinige Maßnahme nicht sinnvoll: "Man kann nicht weitermachen wie bisher", so Schulz.
Die erhöhte Nachfrage führt zu Versorgungsengpässen für Patient*innen, die das Medikament benötigen. Und sie führt auch zum Gebrauch außerhalb der Zulassung. In der Praxis seien auch gefälschte Rezepte im Umlauf, Privatrezepte bei GKV-Versicherten oder die Rezeptierung enormer Mengen des Medikaments.
Letztendlich seien auch gefälschte Pens (umettiketierte Insulinpens) von Ozempic® aufgetaucht – auch in Deutschland. Mit erheblichen Risiken für potenzielle Anwender*innen (https://www.bfarm.de/SharedDocs/Arzneimittelzulassung/Arzneimittelfaelschungen/DE/2023/Ozempic.html).
Seither sind Apotheken aufgefordert, bei Wareneingang jede Packung von Ozempic® auf eine mögliche Fälschung hin zu prüfen. Hierzu ist die Umverpackung zu öffnen und die Primärverpackung, das heißt der Pen, visuell auf Fälschungsmerkmale zu untersuchen. Ein „Aufwand“ im Sinne des Patientenschutzes.
Der Beirat nach §52b AMG hat schon vor knapp einem Jahr an die indikationsgerechte Anwendung der GLP-1 Rezeptoragonisten zur Gewährleistung der bedarfsgerechten Versorgung von Patienten mit Typ-2-Diabetes erinnert:
- Die verordnete Menge soll den Bedarf für drei Monate nicht übersteigen.
- Kein Off-label-Use (Verordnungen auf Privatrezepten nur mit konkreter Angabe einer zugelassenen Indikation).
- Keine Abgabe auf Arztausweis.
Konsequenzen dieses nicht bestimmungsgemäßen Gebrauchs sind, dass Menschen mit Diabetes, die auf diese Medikamente gut eingestellt sind, nicht sicher versorgt werden können. Gegebenenfalls sind sogar Umstellungen notwendig bzw. Menschen mit Diabetes können trotz Indikation bis auf Weiteres nicht neu auf diese Medikamente eingestellt werden.
Lieferengpässe von Arzneimitteln
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) definiert Lieferengpässe von Arzneimitteln als „eine über voraussichtlich 2 Wochen hinausgehende Unterbrechung einer Auslieferung im üblichen Umfang oder eine deutlich vermehrte Nachfrage, der nicht angemessen nachgekommen werden kann“.
Relevante Lieferengpässe bei Arzneimiteln beschäftigen uns seit mehr als 10 Jahren. Aus einem kleinen Expertenkreis wurde 2020 ein regelmäßig tagender Beirat nach § 52b Absatz 3b Arzneimitelgesetz (AMG) mit sehr vielen Beteiligten. Die Aufgaben und Kompetenzen dieses Beirats wurden mit stetigen Ergänzungen im § 52b AMG kontinuierlich erweitert.
Auf seiner Homepage stellt das BfArM eine Liste von aktuellen Lieferengpässen von konkreten Präparaten (keine Wirkstoffe) zur Verfügung. Die Daten werden von den meldenden pharmazeutischen Unternehmen eingegeben (Selbstverpflichtung zur Meldung von Lieferengpässen für versorgungsrelevante Arzneimitel).
Per Stand 12.2.2024 waren dort 475 Meldungen zu einzelnen Präparaten aufgeführt.
Diese Listung bedeutet aber nicht, dass diese Arzneimitel ggf. nicht doch aktuell beim Großhandel oder in der Apotheke verfügbar wären. Umgekehrt sind viele Arzneimitel trotz Nicht-Listung von den Apotheken nicht bestellbar.
Bei jeder Verordnung prüft die Apotheke die regionale Verfügbarkeit und hat dabei einen erheblichen zeitlichen und bürokratischen Aufwand, um letztendlich die Patient*innen effektiv, sicher und unter Einhaltung zahlreicher Wirtschaftlichkeitsgebote und unter Androhung von Null-Retaxationen durch die Krankenkassen zu versorgen.
Gründe für Lieferengpässe sind vielfältig, z.B.:
- Ausfall eines marktbedeutenden (Wirkstoff-)Herstellers
- Preisdruck
- Rezepturänderungen
- Produktionsprobleme
- relevante Störungen globaler Lieferketen
- unerwartet relevant erhöhter Bedarf bzw. Nachfrage, z.B. Fieber-/Antibiotikasäfte, GLP-1 Rezeptoragonisten
Getriggert werden diese vor allem durch fehlende Diversifizierung, Oligo-/Monopolbildungen, u.a. durch Exklusivverträge im Rabattvertragsmarkt oder wenige (Lohn-)Hersteller von Wirk- oder Hilfsstoffen und („sozialen“) „Medienhype“.
Nicht zu vergessen: In konkreter Abwägung der Versorgungssituation bleiben notwendigenfalls qualitätsgeminderte Arzneimittel im Markt und werden nicht, wie üblich, zurückgerufen oder es werden Chargen trotz fehlender Spezifikation freigegeben. Um Engpasssituationen entgegenzuwirken, wird zunehmend Ware aus dem Ausland in Deutschland in den Verkehr gebracht, in fremdsprachiger Aufmachung https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Arzneimittelinformationen/Lieferengpaesse/Massnahmen-des-BfArM/_node.html
Hier ist eine besondere Informations- und Beratungsleistung des pharmazeutischen Personals in Apotheken gefordert, um das sensible Vertrauen der Patienten in ihre Medikation nicht zu gefährden.
Quelle: Jahrespressekonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft/22.2.2024/Ni