Prof. Andrea Maier forscht an der National University of Singapore daran, wie das biologische Alter besser messbar wird. Und untersucht Methoden, wie es sich herabsetzen ließe. „Es geht darum, dass typische Alterskrankheiten zukünftig erst deutlich später auftreten als bisher“, sagt Maier. „Wir könnten durch frühzeitige Interventionen die Vulnerabilität der alternden Gesellschaft deutlich beeinflussen.“ Zudem sei die Vorbeugung schwerer altersbedingter Krankheiten aufgrund der Produktivitätssteigerung in einem früheren Lebensabschnitt sehr kosteneffektiv, selbst wenn die nötigen Investitionen viel früher im Leben getätigt werden müssten.
Frau Maier, was kann bei der Behandlung älterer Menschen verbessert werden?
Bei allen Errungenschaften reicht es meiner Meinung nach nicht mehr aus, erst zu reagieren, wenn jemand bereits erkrankt ist. Die gesamte Gesundheitsvorsorge muss viel früher ansetzen, um den Bedürfnissen einer alternden Gesellschaft gerecht zu werden.
Wann sorgen die Menschen am besten für ein langes und gesundes Leben vor?
Wir wissen, dass das chronologisch fortschreitende Alter der größte Risikofaktor für den Ausbruch von Krankheiten ist – die Funktion der Körpersysteme nimmt ab dem 30. Lebensjahr erheblich ab. Es ist also nicht verkehrt, sich schon in der sogenannten Rush Hour des Lebens Gedanken über die Gesundheit im Alter zu machen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
Wie können wir denn in vergleichsweise jungen Jahren die Gesundheit im Alter beeinflussen?
Hier spielt die mittlerweile viel zitierte Resilienz eine entscheidende Rolle – also in diesem Fall die physische Widerstandskraft, um die Herausforderungen des Lebens mit möglichst wenigen Beeinträchtigungen zu meistern. Resilienz stärkt die Fähigkeit, mit täglichen Stressoren umzugehen. Diese können auf molekularer, zellulärer und organischer Ebene liegen, aber auch auf sozialer Ebene oder einen Bezug zur Umwelt haben. Eine bessere Belastbarkeit führt also zu einem geringeren biologischen Alter, was mit einem geringeren Risiko für altersbedingte Erkrankungen einhergeht. Die Resilienz ist der Schlüssel zu einem langen gesunden Leben. Wir sollten uns also nicht erst mit dem Thema Resilienz beschäftigen, wenn außergewöhnliche Ereignisse oder schwierige Lebenssituationen eintreten.
Nur wie sorgen wir dafür, die eigene Belastbarkeit aktiv zu stärken?
Das ist tatsächlich eine Frage des individuellen Lebensstils – der ist entscheidend. Jeder Mensch benötigt ausreichend Schlaf. Zudem ist eine hohe Schlafqualität wichtig. Daneben sind regelmäßige Bewegung und eine dauerhaft ausgewogene Ernährung von größter Bedeutung. Zudem sollte jeder auch auf ein gutes soziales Netzwerk achten. Es ist wichtig, Freunde zu haben. Alles das führt im besten Fall zu weniger altersbedingten Krankheiten und zu einem längeren gesunden Leben.
Welche Rolle spielt dann noch die medizinische Versorgung?
Bisher denken die meisten Menschen bei der medizinischen Versorgung an altersbedingte Vorsorgeuntersuchungen oder die Therapie von Krankheiten durch Medikamente. In Zukunft müssen wir uns in der Medizin noch viel mehr damit beschäftigen, die Diagnostik des biologischen Alters zu verbessern. Zum Beispiel durch noch bessere epigenetische und metabolische Maßnahmen. Zusammen mit geroprotektiven Interventionen bilden wir so die Eckpfeiler einer Langlebigkeitsmedizin, die sich den Herausforderungen einer alternden Gesellschaft stellt.
Was meinen Sie mit geroprotektiven Interventionen genau?
Geroprotektoren umfassen hochgradig personalisierte Änderungen des eigenen Lebensstils, auch passende Nahrungsergänzungsmittel sowie im Bedarfsfall Medikamente gehören für mich dazu. Wichtig ist, dass sämtliche Hilfsmittel auf der Grundlage der epigenetischen, molekularen und klinischen Fingerabdrücke der individuellen Person ausgewählt werden. Die Wirksamkeit verschiedener Interventionen wird zunehmend am Menschen getestet. Darüber hinaus sind geroprotektive Interventionen leicht verfügbar, um das biologische Alter zu senken und damit altersbedingten Krankheiten vorzubeugen und die Gesundheitsspanne zu erhöhen.
Wie können Menschen dabei am ehesten ganz auf zusätzliche Medikamente verzichten?
Dies ist noch nicht wirklich gut erforscht und ein Feld, an dem dringend gearbeitet werden sollte. Am wichtigsten ist es aktuell, der altersbedingten Erkrankung und damit der Medikamenteneinnahme vorzubeugen. Ich bin aber zuversichtlich, dass sich auch dieses Gebiet stark entwickeln wird. Auch bei der Diagnostik des biologischen Alters standen wir einmal bei Null und haben mittlerweile viele Erkenntnisse über unsere biologische Uhr gewonnen. Insgesamt sind wir in den vergangenen Jahren große Schritte vorangekommen. Diese Feststellungen müssen jetzt fortlaufend validiert werden.
Wie können Gerontologen und Geriater von diesen Erkenntnissen profitieren?
Die Langlebigkeitsmedizin sollte Teil des breiteren Gesundheitssystems sein, nicht nur zugeschnitten auf die Altersmedizin und Alternsforschung. Diagnostik und Eingriffe in den biologischen Alterungsprozess sollten in den nächsten fünf bis zehn Jahren zur Regelversorgung gehören.
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Geriatrie
Professorin Andrea Maier
Professorin Andrea Maier ist Co-Direktorin des Centre for Healthy Longevity der National University Health System an der National University of Singapore. Sie hält dort eine Professur für Medizin, Gesundes Altern und Demenzforschung. Darüber hinaus hält die Biogerontologin, Internistin, Geriaterin und Spezialistin für internationale Gesundheitspolitik eine Professur für Gerontologie an der Vrije Universiteit Amsterdam.
In ihrer Keynote beim Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) und der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG) vom 12.-15.9.2022 in Frankfurt am Main wird Maier ihre Vision von einer Langlebigkeitsmedizin vorstellen, u.a. welche Auswirkungen die Resilienz in jungen Lebensjahren auf den Alterungsprozess hat.