Sie sind Psychologe und Meditations-Experte. Wann haben Sie begonnen, sich mit Meditation zu beschäftigen?
Meine ersten Berührungspunkte hatte ich in meiner Gymnasialzeit. Ich las Bücher über Zen und Yoga und machte dann meine eigenen Erfahrungen mit Meditation. Und ich war überrascht, welche Phänomene auftreten, wenn man sich in den Atem und in den Körper versenkt. Auf dem Gymnasium hatten wir eine AG, in der ein Lehrer mit uns meditierte. Ich entschied mich dann, Psychologie zu studieren und mehr darüber herauszufinden.
Lässt sich Meditation kurz und knackig definieren?
Eine allgemein akzeptierte, kurze Definition gibt es nicht. Aus meiner heutigen Perspektive und nach viel Forschung würde ich sagen: Meditation ist ein Training in Selbstregulation.
Die Selbstregulation bezieht sich auf das vegetative Nervensystem (Entspannung), auf die Aufmerksamkeit (Konzentration), auf die Emotionen (Emotionsregulation) und auf die Einstellung von Bewusstseinszuständen. Das bedeutet: Man kann durch Meditation lernen, den eigenen Bewusstseinszustand zu reflektieren und zu verändern.
Man begegnet sehr vielen unterschiedlichen Begriffen für Meditationsformen. Gibt es einen gemeinsamen Kern?
Meditationsformen sind äußerst vielfältig. Peter Sedlmeier und Karin Matko von der Uni Chemnitz haben versucht, sie systematisch zu ordnen. Sie haben unter dem Oberbegriff Meditation 7 Gruppen vorgeschlagen:
- meditative Bewegungsübungen, wie Tai Chi, Qigong, Hatha Yoga;
- körperorientierte Techniken, z.B. Atemachtsamkeit oder Body Scan;
- Achtsamkeitsübungen ohne bestimmtes Objekt, d.h. offen sein gegenüber Empfindungen, Gefühlen, Gedanken, die auftauchen, ohne sich damit weiter zu beschäftigen;
- kontemplative Techniken, die sich mit bestimmten Fragen auseinandersetzen, z.B. Wer bin ich?
- Techniken, die auf die emotionale Ebene abzielen, wie Mitgefühlsmeditation, liebevolle Güte, Dankbarkeitsmeditation;
- Techniken mit visuellen Objekten und
- Mantra-Meditation.
Diese Gruppen unterscheiden sich in der Stärke der Aktivierung bzw. Beruhigung sowie der Körperaktivierung, Körperfokussierung oder sie sind eher abstrakt.
Als gemeinsamen Kern benötigen sie die Aufmerksamkeit, um auf ein Objekt zu fokussieren oder den Fokus offen zu halten oder, bei den kontemplativen Techniken, Dinge zu hinterfragen.
Die Forschung weist immer mehr gesundheitsförderliche Effekte nach. Wie wirkt sich Meditation bei regelmäßiger Praxis aus?
Auf der körperlichen Ebene zeigt sich eine Entspannungsreaktion. Sie ist messbar mit Parametern wie Muskelspannung, Atemfrequenz, Herzfrequenz, Blutdruck, Hautleitfähigkeit oder der EEG-Aktivität.
Meditation hilft bei der Stressbewältigung, die sich körperlich, emotional und kognitiv zeigt. Durch Meditation können Verhaltens-, Denk- und Gefühlsmuster erkannt, reflektiert und verändert werden. Aus diesem Grund wird Meditation inzwischen bei vielen Erkrankungen eingesetzt.
Gut untersucht sind auch Verbesserungen der mentalen Fitness, der geistigen Leistungsfähigkeit und der Aufmerksamkeitssteuerung. Im Wechselspiel von Konzentration und Abdriften wird die Dynamik von Hirnnetzwerken gesteuert. Bei regelmäßig Meditierenden hat man festgestellt, dass bestimmte Signaturen einer Aktivierung im Gehirn erkennbar und langfristig strukturelle Veränderungen nachweisbar sind.
Wie stellt man Veränderungen durch Meditieren im Gehirn fest?
Hauptsächlich mit Bildgebung, wie der Magnetresonanztomographie (MRT). Man erhält im MRT strukturelle Aufnahmen der Hirnanatomie in hoher Auflösung. Zudem gibt es viele funktionelle Studien, die zeigen, dass z.B. bei Mantra-Meditation, fokussierter Aufmerksamkeit oder bei emotionalen Meditationen bestimmte Areale im Gehirn aktiviert oder deaktiviert werden.
Beim Fokussieren beispielsweise werden Hirnregionen wie das Default-Mode-Netzwerk (Ruhezustandsnetzwerk) heruntergefahren, die mit Tagträumen, Abdriften, Gedankenwandern assoziiert sind. Wenn es um Emotionen geht, zeigen sich v.a. Aktivierungen in somatischen Repräsentationen, weil wir unsere Gefühle im Körper spüren.
Welche strukturellen Veränderungen haben sich gezeigt?
Bei erfahrenen Meditierenden haben die MRT-Aufnahmen im Vergleich zu Kontrollpersonen Unterschiede gezeigt: In den bei der Meditation aktivierten Hirnregionen ist mehr graue und teilweise auch mehr weiße Substanz bei den Meditierenden zu sehen. Das wird auf das regelmäßige Training zurückgeführt.
Aus Querschnittsstudien kann man natürlich keinen Kausalzusammenhang schließen. Aber auch in Studien über einen Zeitraum von 8 Wochen hat man schon Veränderungen gesehen.
Bei welchen Erkrankungen wird Meditation klinisch eingesetzt?
Sie wird häufig bei psychischen Erkrankungen eingesetzt, z.B. bei Angststörungen, Stresserkrankungen, Depression, Suchterkrankungen oder Essstörungen. Für so gut wie alle psychischen Störungen gibt es spezielle Programme.
Aber auch bei körperlichen Erkrankungen gibt es sehr viele Anwendungen und spezielle Programme, z.B. bei Schmerzen, Hauterkrankungen, kardiovaskulären Erkrankungen und Krebs bis hin zu Parkinson.
Die klinischen Anwendungen sind sehr vielfältig. Manche Programme sind inzwischen gut etabliert, z.B. die Mindfulness-Based Cognitive Therapy zur Rückfallprophylaxe bei Depression. Oder die Dialektisch-Behaviorale Therapie bei Borderline-Störungen, die inzwischen als Goldstandard gilt und auch meditative Elemente beinhaltet.
Meditation verlangsamt das Altern. Wie hat man das nachgewiesen?
In Demenzstudien setzt man das aufgrund von MRT-Bildern geschätzte Hirnalter als prognostischen Marker für das Demenzrisiko ein. Das Verfahren kann man auch auf Meditierende anwenden. In einer Untersuchung wurde das geschätzte Hirnalter von 50-jährigen Meditierenden ermittelt. Sie wurden demnach auf 42,5 Jahre geschätzt. Also deutlich jünger als sie sind. In eigenen Untersuchungen konnten wir ebenfalls feststellen, dass die Gehirne von Meditierenden insbesondere ab 50 als jünger geschätzt werden.
Sehr wahrscheinlich spielen auch andere Faktoren eine Rolle, weil sich Meditierende oft in weiteren Aspekten von Kontroll-Personen unterscheiden: Sie ernähren sich häufig vegetarisch, sind sozial eingebunden in Meditationsgemeinschaften, praktizieren Stressreduktion usw. Diese Faktoren spielen natürlich auch eine Rolle für die Hirnalterung.
Worauf lässt sich das zurückführen?
In der Forschung werden diese positiven Effekte auf das Altern v.a. auf die Stressreduktion zurückgeführt. Wir wissen: Stress lässt das Gehirn altern und ein hoher Cortisol-Spiegel führt auf Dauer zum Hirnabbau im Hippocampus und im präfrontalen Cortex. Umgekehrt schließt man daraus, dass Stressreduktion protektiv auf das Gehirn wirkt und über diesen Mechanismus zu einem verlängerten Leben führen kann.
Ein zweiter Aspekt ist, dass Meditation die Verkürzung der Telomere als Marker für den Alterungsprozess verlangsamt. Auch dazu gibt es einige Studien.
Man kann die Uhr nicht zurückdrehen, aber sie durch regelmäßiges Meditieren offenbar ein bisschen langsamer laufen lassen.
Dr. Ulrich Ott
Ulrich Ott studierte Psychologie. Er absolvierte Weiterbildungen u.a. zum Yogalehrer sowie in rational-emotiver Therapie und kognitiver Verhaltenstherapie. Er promovierte mit einer Arbeit zum Thema "Merkmale der 40 Hz-Aktivität im EEG während Ruhe, Kopfrechnen und Meditation“.
Aktuell ist er an der Justus-Liebig-Universität Gießen tätig und leitet am Bender Institute of Neuroimaging die Arbeitsgruppe "Veränderte Bewusstseinszustände – Meditationsforschung“.
Spielt es eine Rolle, in welcher Form man meditiert?
Das lässt sich aus der Forschung noch nicht ableiten. Es gibt ein weites Spektrum. Bestimmte Verfahren haben sich aber bewährt.
Es sind Kombinationspräparate. Zum Beispiel die Mindfulness Based Stress Reduction (MBSR) ist hochgradig standardisiert und wird deshalb gern in der Forschung eingesetzt. MBSR beinhaltet Atem-Achtsamkeitsmeditation, Body Scan, sanfte Yoga-Übungen, psychoedukative Elemente, achtsam essen und kommunizieren, Umgang mit negativen und positiven Emotionen usw. Es ist noch relativ unklar, welches der Elemente wie genau wirkt, und ob es bei allen Teilnehmern dasselbe ist.
Körperbetonte Techniken wie Atemachtsamkeit oder Body Scan gehören zu den beliebtesten Meditationsformen. Man sollte sich einfach ausprobieren und die Wirkung am eigenen Leib oder im eigenen Geist spüren. Und sich daran orientieren, was einem Spaß macht oder am besten liegt. Dann bleibt man dran.
Muss man bestimmte Voraussetzungen mitbringen?
Die Voraussetzungen sind natürlich Motivation, Zeit und das nötige Know-how. Es empfiehlt sich, die Technik unter kompetenter Anleitung zu erlernen.
Gibt es Situationen oder Erkrankungen, bei denen man nicht meditieren sollte?
In bestimmten Situationen sollte man aufpassen, insbesondere, wenn man eine gewisse psychische Labilität mitbringt. Dann kann Meditation noch weiter destabilisieren.
Für posttraumatische Belastungsstörungen hat die Forschung ein erhöhtes Risiko für die Reaktivierung von Traumata gezeigt. Wenn man meditiert, sollte man es in einem Umfeld tun, in dem solche Situationen aufgefangen werden können, d.h. mit potenzieller therapeutischer Begleitung.
Auch bei akuter Angst, Panik oder Depression sollte man nicht beginnen zu meditieren. Es fehlen dann die Voraussetzungen und man spürt die Angst oder Panik dann noch viel mehr. In sehr seltenen Fällen erleben Menschen Panikattacken in der Meditation.
Aber gerade bei Ängsten und Depression kann Meditation sehr helfen. Man sollte sie aber in den symptomfreien Phasen erlernen. Für Depression gibt es ein spezielles Programm zur Rückfallprophylaxe – die Mindfulness Based Cognitive Therapy, mit nachgewiesener guter Wirksamkeit: Vor allem bei Menschen mit mehreren Depressions-Episoden kann die Rückfallquote um bis zu 50 % reduziert werden, was enorm ist auch im Vergleich zur Medikamentenwirkung.
Wenn man eine Vorgeschichte in dieser Hinsicht mitbringt, sollte man sich beraten lassen, bevor man mit dem Meditieren anfängt.
Was empfehlen Sie, um mit dem Meditieren zu starten?
Ein guter Einstieg ist, sich über die Krankenkassen zu informieren. Dort gibt es hohe Anforderungen an die Qualität der Kurse. Bei vielen werden die Kosten zumindest teilweise erstattet. Und es gibt vielfältige Angebote.
Eine gute Anlaufstelle ist auch der MBSR-Verband. Die Qualitätsstandards sind auch dort hoch. Es gibt inzwischen über 1000 Lehrende in ganz Deutschland.
Bei YouTube findet man auch sehr viel zu Meditation. Würden Sie solche Angebote für den Anfang empfehlen?
Man findet dort alles Mögliche, aber eben auch sehr schwierige oder fortgeschrittene Meditationen. Das kann manche Menschen aus der Bahn werfen. So ist jedenfalls unsere Erfahrung.
Wie oft sollte man meditieren?
Diese Frage wird immer wieder gestellt. Anders als bei Medikamenten, von denen man eine tägliche Dosis einnimmt, um eine Wirkung zu erzielen, ist das beim Meditieren individuell sehr unterschiedlich. Und es hängt davon ab, was man erreichen möchte.
Um lediglich den Stresspegel zu senken, genügen 15 Minuten am Tag, morgens oder abends oder zwischendurch. Dann kann man eine einfache Atemachtsamkeitsmeditation praktizieren und sich vegetativ herunterfahren.
Möchte man tiefer einsteigen und regelmäßig praktizieren, wären 20 bis 30 Minuten täglich empfehlenswert.
Wenn man aber in die spirituelle Erfahrung gehen möchte, sind es eher Stunden. Das sollte man in einem geeigneten Umfeld mit kompetenter Begleitung, z.B. in einem Meditationszentrum, tun.
Welche Argumente würden Sie anführen, um jemanden für eine Meditationspraxis zu begeistern?
Es sind inzwischen so viele Studien und Metaanalysen erschienen, dass man an der positiven Wirkung der Meditation eigentlich nicht mehr zweifeln kann. Ich verweise am liebsten auf Prof. Peter Sedlmeier von der TU Chemnitz. Er hat Metaanalysen zur Wirksamkeit von Meditation in einer gut lesbaren Form publiziert [1]. Sein Buch ist eigentlich immer meine Empfehlung für alle, die vielleicht skeptisch sind.
Zunächst sollte man ausprobieren, was einem gefällt. Man kann z.B. mit körperbetonten Formen wie Yoga, Tai-Chi oder Qigong starten oder mit Techniken, die sich auf den Atem konzentrieren. Man kann Pausen im Alltag, z.B. im Wartezimmer, sehr gut für eine kurze Meditation nutzen.
Wichtig ist das Üben im Alltag. Es geht darum zur Ruhe zu kommen, die innere Mitte zu finden und das im Leben zu praktizieren.
Das ist vielleicht eine Definition der Meditation: Es geht darum, zu sich zu kommen und bei sich zu bleiben.
Das Interview führte Anke Niklas.
Literatur
[1] Peter Sedlmeier. Die Kraft der Meditation. Was die Wissenschaft darüber weiß. Rowohlt: 2016