Social MediaWie prägen soziale Medien kindliche Gehirne?

Die permanente Anwesenheit von Social Media kann der Hirnentwicklung schaden. Soziale Medien haben aber auch Stärken. Neurobiologe Prof. Martin Korte hat die Fakten. 

Mädchen mit Handy und vielen Emojis
K. Oborny/Thieme - Posed by a Model

Digitale Kontakte sollten in gesunder Balance zu persönlichen Treffen im realen Leben stehen, empfiehlt Prof. Martin Korte.

Soziale Medien verführen dazu, x-mal am Tag aufs Smartphone zu schauen. Was macht das mit dem Nachwuchs aus Sicht eines Neurbiologen?

Prof. Martin Korte: Durch die ständige Nutzung sozialer Medien werden Kinder schneller abgelenkt. Die Aufmerksamkeitsspannen werden kürzer, die Konzentration lässt rascher nach. Dies passiert aus zwei Gründen: Erstens führt der bloße Gedanke an die Handynutzung zu einer leichteren Ablenkung. Zweitens erschöpfen sich die Neuronen im Stirnlappen – einem wichtigen Teil unseres Frontalhirns – schneller, wenn sie sich ständig entscheiden müssen zwischen Nutzung oder Nicht-Nutzung des Smartphones.

Soziale Medien agieren vielfach mit kurzen Formaten wie Posts, Tweets, Shorts, Reels. Inwiefern wirkt sich das bei Kindern und Jugendlichen auf die Wahrnehmung, Gehirnentwicklung, Denken, Fühlen und Handeln oder die Fähigkeit zu sprechen und zu schreiben aus?

Durch den Konsum solcher Kurzformate nimmt die visuelle Intelligenz bei Jugendlichen zu, da sie innerhalb kürzester Zeit auf unterschiedliche Signale reagieren müssen. Was hingegen abnimmt, ist das Auge für Details und die Fähigkeit, den Überblick zu behalten. Denn vor allem im Zuge von Videoclips liegt der Fokus häufig auf den Ausschnitten einer Szene oder eines Ablaufs, nicht mehr auf den Zusammenhängen. Ständiges Kommentieren und Chatten in kürzester Form wirkt sich zudem negativ auf die Sprach- und Lesekompetenz bzw. die Entwicklung des Wortschatzes aus.

Stundenlange Bildschirmnutzung beeinflusst darüber hinaus die Fähigkeit zur Empathie. Die Gehirnareale, die spiegeln, was andere Menschen denken und fühlen, entwickeln sich bei übermäßiger Smartphone-Nutzung langsamer, bleiben möglicherweise sogar schlechter ausgeprägt.

Martin Korte ist seit 2007 Leiter des Departments für Neurobiologie der TU Braunschweig. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die zellulären Grundlagen von Lernen und Gedächtnis, u.a. die synaptische Plastizität im Hippocampus - dem Teil des Gehirns, der für die Verarbeitung von Lernprozessen und Emotionen zuständig ist. Der vielfach wissenschaftlich ausgezeichnete Neurowissenschaftler ist Autor mehrerer Bücher, darunter „Frisch im Kopf – Wie wir uns aus der digitalen Reizüberflutung befreien" erschienen bei DVA.

Heranwachsende nutzen soziale Medien vor allem auch, um mit anderen in Kontakt zu treten und sich digital auszutauschen. Die persönliche Kommunikation mit Gleichaltrigen schwindet hingegen oftmals. Welche Folgen kann das für ihre Entwicklung haben?

Fakt ist: Mithilfe sozialer Medien können Jugendliche und natürlich auch Erwachsene schnell und unkompliziert miteinander in Kontakt treten. Wichtig dabei ist, dass diese digitalen Kontakte in einer gesunden Balance zu persönlichen Treffen im realen Leben stehen. Nur dann erfahren Jugendliche, was andere Menschen denken und fühlen, und lernen, kooperativ mit ihrem Gegenüber umzugehen.

Positive soziale Interaktion kann zu einer vermehrten Ausschüttung des Glücksbotenstoffs Dopamin im Gehirn führen. Ist bekannt, ob auch bei intensiver Nutzung sozialer Medien die Dopamin-Produktion angeregt wird? Schließlich wissen wir nie, was uns erwartet, wenn wir das Smartphone anschalten.

Intensive Smartphone-Nutzung kann ebenfalls zu einer starken Ausschüttung des Neurotransmitters Dopamin führen, das ist richtig. Das gilt in besonderem Maße für soziale Medien, deren Nutzung oft mit der Erwartung auf soziale Belohnung einhergeht. Diese Dopamin-Ausschüttung kann in manchen digitalen Kontexten sogar genauso stark sein wie bei einer Drogen- oder Spielsucht.

Sind junge Menschen besonders anfällig, suchtähnliche Nutzungsmuster mit Blick auf das Smartphone zu entwickeln?

Gerade in der Pubertät sind Jugendliche sehr risikofreudig und springen stark auf Suchtmittel jeglicher Art an. Sie sind besonders leicht verführbar und werden schnell abhängig. Das gilt sowohl mit Blick auf Drogen wie Alkohol, Tabak oder Cannabis als auch hinsichtlich Smartphones und sozialer Medien. Jugendlichen fehlt noch die Selbstkontrolle, Drogen zu widerstehen. Bestimmte Gehirnfunktionen, die für die Impulskontrolle und das Planen von Handlungen zuständig sind, sind in diesem Alter noch nicht ganz ausgebildet.

Worin liegen Ihres Erachtens echte Stärken sozialer Medien für die Entwicklung von Heranwachsenden?

Mithilfe sozialer Medien können Kinder und Jugendliche schnell miteinander in Kontakt treten, sich vernetzen und unkompliziert von der Erfahrung anderer profitieren. Vielen macht die Nutzung auch einfach Spaß. Schließlich ist der Mensch im Schiller'schen Sinne nur da ganz Mensch, wo er spielt. Auch das ist ein legitimes Interesse.

Quelle: Pressekonferenz KKH/25.10.2024