Aufmerksamkeitsdefizit-/HyperaktivitätsstörungADHS: Welche Rolle spielt die Ernährung?

Was wir essen beeinflusst kognitive Funktionen, Emotionen und Verhalten. Bei ADHS kann eine günstige Ernährung die Therapie unterstützen, eine ungünstige die Symptome hingegen verschlimmern.

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Tafel, darauf in bunten Buchstaben ADHS geschrieben
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Zu bestimmten Tageszeiten oder Wochentagen können ADHS-Symptome ausgeprägter sein. Hier kann die Ernährung eine mögliche Ursache sein.

ADHS: Vielfältige Auslöser

Das Zusammenwirken genetischer und nicht genetischer Faktoren beeinflusst die Entstehung von ADHS. Die Symptome zeigen eine große Bandbreite und können zu gravierenden Beeinträchtigungen im Alltag und deutlich eingeschränkter Lebensqualität führen.

In der Therapie kommen pharmakologische und nicht-pharmakologische Therapien in Betracht. Zu letzteren zählen z.B. Verhaltens- und Ergotherapie, aber auch spezielle Mikronährstoffe. Als weiterer Einflussfaktor rücken Nahrungsmittelsensitivitäten zunehmend in den Fokus. 

Nahrungsmittel als ADHS-Verstärker

Seit Längerem wird ein Zusammenhang zwischen bestimmten Nahrungsmitteln und einer Verstärkung der ADHS-Symptome diskutiert: z.B. für Milchprodukte, Eier, Tomaten oder Schokolade. Auch Lebensmittel-Zusatzstoffe stehen im Fokus der Forschung.

Die britische Food Standards Agency (FSA) hat bereits im Jahre 2007 angemerkt, dass Natriumbenzoat und weitere Azofarbstoffe die Aufmerksamkeit insbesondere von Kindern verändern können. Dabei spielt auch die verzehrte Menge eine wichtige Rolle. Die Europäische Union hat daraufhin im Jahre 2010 eine europaweite Deklarationsvorschrift von Produkten mit Azofarbstoffen erlassen. Mit dem Hinweis auf mögliche Verhaltensänderungen nach der Aufnahme der Zusatzstoffe.

Mehrere Studien haben zudem gezeigt, dass Nahrungsmittelunverträglichkeiten eine mögliche Ursache für ADHS sein können. Eine oligoantigene Diät kann demnach eine zusätzliche Therapie-Option bei ADHS sein.

Oligoantigene Diät

Mit der Ernährung können ADHS-Symptome über verschiedene Wege beeinflusst werden. Zum Beispiel:

  • durch Vermeidung von Nahrungsmitteln oder Nahrungsmittel-Bestandteilen, bei denen vermutet wird, dass sie die Symptome verstärken,
  • durch Testen auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten und die Ergänzung spezieller Nährstoffe.

Oligoantigene Diät

Die oligoantigene Diät ist eine Möglichkeit zur Erkennung individueller Unverträglichkeiten.

Über einen bestimmten Zeitraum wird nur Nahrung mit geringem allergenem Potenzial verzehrt – z.B. viele Obst- und Gemüsesorten oder glutenfreie Getreidesorten. Milchprodukte, Eier, Fisch, Nüsse, Soja, Fleischsorten und verarbeitete Lebensmittel mit Farb- oder Süßstoffen werden u.a. ausgeklammert.

So können einzelne Nahrungsmittel auf ihre individuelle Verträglichkeit geprüft werden.

Interessanterweise berichten auch Eltern von Kindern mit ADHS, dass sich die Symptome nach der Aufnahme bestimmter Lebensmitteln deutlich verstärken.

Studie: Oligoantigene Diät im Alltag

Wissenschaftler*innen der Universitätsklinik Freiburg haben in einer Studie den Zusammenhang zwischen Ernährung und Verhalten bei Kindern mit ADHS untersucht.

Aktuell wird geprüft, ob die Behandlung durch eine oligoantigene Diät im Familienalltag und ambulant möglich ist. Ziel ist, den Betroffenen individuell zugeschnittene Empfehlungen für die Ernährung an die Hand zu geben.

  • Ungünstige Nahrungsmittel werden für 4 Wochen aus dem Speiseplan eliminiert. Da während der Diät potenziell unverträgliche Nahrung und die Reaktionen darauf wegfallen, kann sich der Körper regenerieren.
  • Bleiben die Symptome unverändert, wird eine weitere Anpassung der Nahrungsauswahl vorgenommen, z.B. bei Kreuzallergien.
  • Zeigen auch diese Anpassungen keinen Erfolg, wird die Ernährung in diesem Fall als mögliches Symptom ausgeklammert.

In der Studie wurde bei einem Großteil der Kinder eine deutliche Symptombesserung bei Aufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität festgestellt. Diese Kinder wurden daraufhin nach und nach wieder mit den üblichen Nahrungsmitteln konfrontiert. Hierbei zeigte sich ein deutlicher Effekt auf das Verhalten des Kindes. Diese Informationen sind dann wegweisend für die individuell zugeschnittene Ernährungsempfehlung.

Ausgewogene Mahlzeiten

Eine Ernährung mit komplexen Kohlenhydraten (Gemüse, Obst, Vollkorn, Nüsse) und ausreichend Eiweiß scheint eine gute Grundlage für ADHS-Betroffene zu sein. Eine proteinreichere und kohlenhydratärmere Ernährung weist vermutlich Vorteile auf. Was nicht bedeutet, dass individuelle Anpassungen notwendig werden können – z.B. durch Unverträglichkeiten.     

Gluten

In aktuellen Studien wurde ein Zusammenhang zwischen ADHS und Zöliakie (Glutenunverträglichkeit) festgestellt. Hierbei ist es wichtig die Subtypen von ADHS zu betrachten, insbesondere den unaufmerksamen Typ. Möglicherweise liegt ein spezifischer ADHS-Typ vor, der auf eine glutenfreie Ernährung reagiert. Dies steht im Einklang mit früheren Studien und unterstützt das Screening von ADHS-Patienten auf Zöliakie. Es kann also sinnvoll sein, für einen Zeitraum testweise glutenfrei zu essen.

Nährstoffe

Omega 3 Fettsäuren

Aktuelle Ergebnisse deuten darauf hin, dass Omega-3-Fettsäuren die ADHS-Kernsymptome nicht verbessern, eine langfristige Nahrungsergänzung jedoch potenzielle Vorteile haben könnte. Es wird angenommen, dass Omega-3-Fettsäuren wichtig für die Funktion des Gehirns und der Nervenzellen sind. Menschen mit ADHS, die einen niedrigen Omega-3-Spiegel im Blut haben, zeigten die größte Verbesserung der kognitiven Funktionen.

Insgesamt ist die therapeutische Wirksamkeit mehrfach ungesättigter Fettsäuren hinsichtlich der ADHS-Symptome noch nicht gesichert. Weitere Forschung ist notwendig.

Probiotika

Probiotika könnten neue Strategien zur Vorbeugung bzw. Behandlung von ADHS sein. Vieles spricht dafür, dass unser Mikrobiom unser Verhalten und die psychische Gesundheit beeinflusst. Die Darm-Hirn-Achse steht deshalb auch im Hinblick auf die Entstehung von ADHS im Fokus.

In tierexperimentellen Studien zeigte sich, dass die Darmmikrobiota ein potenzielles Ziel bei der Behandlung von ADHS sein könnte. Bei Betroffenen wurden zudem im Vergleich zu Gesunden Verschiebungen des Mikrobioms beobachtet - wobei bestimmte Bakteriengruppen weniger und andere häufiger vorkommen. Es fehlen jedoch noch weitere Interventionsstudien, die den Einsatz von Mikrobiota stützen.

Mineralien

Es ist generell empfehlenswert, Kinder und Erwachsene, bei denen ADHS diagnostiziert wurde, auf Ernährungsmängel zu untersuchen. Vorläufige Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die Zufuhr von Mineralien positive Auswirkungen auf die ADHS-Symptome haben könnte.

Für die Gehirnentwicklung ist eine ausreichende Versorgung mit Mikronährstoffen wie Mineralien und Vitaminen erforderlich. Ein Mikronährstoffmangel kann zu Funktionsstörungen des präfrontalen Kortex und anderer Gehirnregionen führen. Diese spielen vermutlich eine wichtige Rolle bei der ADHS-Entstehung.

Derzeit werden Zusammenhänge zwischen den auftretenden Symptomen und dem Mikronährstoffstatus in Bezug auf Magnesium, Eisen, Zink, Kupfer und Selen erforscht. Zudem zeigte sich in Studien, dass der Gehalt an Spurenelementen- und Mineralstoffen (Haardiagnose) bei Kindern mit ADHS statistisch signifikant verringert sind – darunter v.a. die Kupfer-, Magnesium- und Manganwerte. Auch im Hinblick auf Zink, Chrom und Magnesiumspiegel scheint es Unterschiede zwischen betroffenen und gesunden Kindern zu geben.

Magnesium

Man geht davon aus, dass ADHS-Betroffene aufgrund einer geringen Zufuhr oder eines erhöhten Bedarfs an Magnesiummangel leiden. Der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Magnesiumspiegel und ADHS muss jedoch noch abgeklärt werden. Kinder, die in einer Studie Magnesium plus Vitamin D erhielten, zeigten eine deutliche Verringerung der Symptome im Hinblick auf Emotionen und Verhalten. Weitere Studien mit größeren Stichproben sind jedoch erforderlich.

Gute Nahrungsquellen für Magnesium sind u.a. Nüsse, Kerne, Bohnen, brauner Reis, grünes Gemüse, Avocado, Bananen, Papaya

Zink

Es wird vermutet, dass Zinkmangel das ADHS-Risiko erhöht - eine ausreichende Zinkversorgung könnte ADHS-Symptome verbessern. Zink reguliert u.a. den Neurotransmitter Dopamin und kann die Wirksamkeit des Wirkstoffes Methylphenidat (in ADHS-Medikamenten) erhöhen, indem es die Reaktion des Gehirns auf Dopamin verbessert. Ein geringer Gehalt dieses Minerals geht mit Unaufmerksamkeit einher. Auch hier sind weitere Studien notwendig.

Nahrungsquellen für Zink bilden z.B. Fisch, Fleisch, Meeresfrüchte, Eier, Milchprodukte, Bohnen, Vollkornprodukte und Nüssen. Allerdings ist die Bioverfügbarkeit bei pflanzlichen Quellen geringer als bei tierischen.

Eisen

In punkto Eisen hat sich gezeigt, dass Eisenmangel im Gehirn ein Biomarker für die ADHS-Entstehung bei Kindern sein könnte. Weitere Forschung ist jedoch erforderlich, um den Zusammenhang zwischen ADHS-Symptomen und Eisenmangel in bestimmten Hirnregionen beurteilen zu können.

Vitamine

Studien deuten darauf hin, dass verringerte Homocystein-, Pyridoxin-, Folsäure- und Vitamin-B12-Spiegel ein Risikofaktor für die Entstehung von ADHS sein könnten. Niedrigere Konzentrationen der Vitamine B2, B6 und B9 waren in Studien mit einer ADHS-Diagnose verbunden.

Ebenso könnte ein Vitamin-D-Mangel eine Rolle in der ADHS-Entstehung spielen, darauf deuten Studien hin. Aber auch hier bedarf es noch weiterer Nachweise.

Ernährungs-Tipps für den Alltag bei ADHS

  • Nahrungsmittel so frisch wie möglich zubereiten
  • abwechslungsreiche, vollwertige Kost

  • Kinder in die Wahl der Lebensmittel und Zubereitung einbeziehen

  • überwiegend regionales, saisonales und ökologisches Obst und Gemüse kaufen

  • ggf. glutenfreie Kohlenhydrate wie Hirse, Reis, Kartoffeln, Quinoa und Buchweizen 

  • helles Fleisch und Hülsenfrüchte 

  • ungesüßte Getränke, Wasser

Welche Lebensmittel meiden?

  • Lebensmittel & Snacks mit viel (raffiniertem) Zucker
  • künstliche Zusatzstoffe/Konservierungsstoffe (E-Nummern) 
  • Nahrungsmittel, die Allergien auslösen können (individuell abklären)
  • verarbeitete Lebensmittel
  • Fast Food

Fazit

  • Studienergebnisse legen nahe, dass eine gesunde Ernährungsweise - reich an Gemüse, Obst, Meeresfrüchten, mehrfach ungesättigten Fettsäuren, Magnesium, Zink und sekundären Pflanzenstoffen - mit einem deutlich verringerten ADHS-Risiko verbunden ist.
  • Westliche Ernährungsgewohnheiten mit großen Mengen an Süßwaren, verarbeiteten Lebensmitteln, künstlich gesüßten Erfrischungsgetränken und Junk Food sind mit einem erhöhten ADHS-Risiko verbunden.
  • Beobachtungen bei ADHS betroffenen Kindern zeigen aber auch: Kombinierte Lebensstilinterventionen können großen Einfluss haben. Neben der Ernährung spielen u.a. auch Bildschirmzeit, körperliche Aktivität und ausreichend Schlaf eine wichtige Rolle. Kinder mit ADHS zeigten in diesen Bereichen weniger gesunde Verhaltensweisen als die Kontrollgruppen.
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Johanna Zielinski ist Diplom-Ökotrophologin (Ernährungswissenschaften) und absolviert derzeit eine Weiterbildung im Bereich Psychologie. Journalistische Stationen erfolgten beim WDR sowie einem privaten Radiosender. Sie ist als Ernährungsberaterin sowie als freie Autorin und Sprecherin tätig.

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