
von Bianca Peters
Inhalt
Beispiel: Muskeltaping bei Lendenwirbelsäulenschmerzen
Das Taping wurde in den 1970er-Jahren vom japanischen Chiropraktiker Dr. Kenzo Kase entwickelt. Erst im Laufe der Jahre wurde diese Therapiemethode mehr und mehr in Europa und auch Deutschland bekannt. Anfänglich kam diese überwiegend im Sportbereich zum Einsatz, um Sportler vor Verletzungen zu schützen oder belastete Gelenkstrukturen zu stabilisieren. Mittlerweile wird das Tapen z.B. in der Osteopathie, Physiotherapie, Ergotherapie und anderen Therapierichtungen eingesetzt.
Begriff des Tapings
Taping ist eine Behandlungsmethode, die mithilfe elastischer Bänder bzw. Tapes durchgeführt wird. Elastische Tapes können in unterschiedlichen Farben erworben werden und weisen eine identische Dehnbarkeit von bis zu 130 % auf. Somit gibt es keine „stark“ oder „weniger stark“ dehnbaren Tapes.
Tapes können grundsätzlich in elastische und klassische Tapes unterteilt werden. Die elastischen Tapes werden sehr häufig eingesetzt, da sie durch ihre Elastizität und Flexibilität vielfältig nutzbar sind. Zu den Einsatzbereichen zählen unterschiedliche Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparats, neurologische oder organische Erkrankungen wie die Hemiparese, die Uterussenkung oder eine Divertikulose.
Die elastischen Tapes werden je nach Einsatzbereich in unterschiedlicher Form und Länge zugeschnitten:
- Bei einem von der Taperolle zugeschnittenen Streifen wird von einem I-Tape gesprochen.
- Wird dieser Streifen in der Mitte geteilt, handelt es sich um ein Y-Tape.
- Wird der Streifen gedrittelt oder geviertelt, so wird von einem Fächertape gesprochen.
- Eine Sonderform der Tapes stellt das sog. „Gittertape“ dar. Dieses ist nicht elastisch und hat sich v. a. bei der Behandlung von Narben, Schmerz- und Triggerpunkten, Tenderpoints oder Akupunkturpunkten bewährt.
Durch elastische Tapes werden Reize auf die Haut übertragen, die unterschiedliche Wirkungen auf die Durchblutung, den Lymphtransport, die Muskulatur, das Fasziengewebe und die Hautschichten zeigen. Durch die
Elastizität des Tapes kann dieses ohne Spannung bzw. Zug, mit wenig Zug oder mit maximalem Zug auf die Haut appliziert werden. Das Vorgehen ist dabei vom jeweiligen Behandlungsschwerpunkt abhängig. Werden Tapes ohne Zug appliziert, wirken sie „massierend“ und entspannend auf das Gewebe; werden Tapes mit maximalem Zug geklebt, haben sie eine stabilisierende Wirkung auf das Gewebe bzw. auf Gelenke.
Klassische Tapes sind nicht elastisch und werden hauptsächlich dazu verwendet, Gelenke vor Verletzungen wie Prellungen oder Überdehnungen zu schützen. Diese werden überwiegend präventiv im Sportsektor oder als Akutmaßnahme bei Verletzungen von kleinen, mittleren und großen Gelenken eingesetzt.
Einsatzmöglichkeiten
Das Tapen kann sehr gut bei Erkrankungen des gesamten Bewegungsapparats angewendet werden, z.B. bei Störungen des Kapsel-Band-Apparats, der Sehnen und Gelenke, der Muskulatur und der Faszien. Im Bereich der Akupunktur und Schmerzbehandlung können Tapes auf Triggerpunkte, Tenderpoints (z. B. bei Fibromyalgie) oder ausgewählte Akupunkturpunkte appliziert werden.
Wird die energetische Wirkung der Meridiane (Leitbahnen) berücksichtigt, können Tapes dabei helfen, diese Wirkung zu verstärken. Hierzu ist es wichtig, den Verlauf der einzelnen Leitbahnen zu kennen.
Bei der Narbenbehandlung ist die Anwendung von Tapes hilfreich, um verhärtetes Gewebe zu erweichen. Auch nach kleineren und größeren Operationen, Unfällen und anderen Traumata hat sich das Tapen bewährt, um den Lymphabfluss zu verbessern und damit die Heilung zu unterstützen.
Das Tapen kann ohne größere Hilfsmittel vom Behandler umgesetzt werden. Zudem ist es leicht erlernbar, an unterschiedlichen Körperarealen sowie bei verschiedensten Erkrankungen begleitend zu anderen Behandlungen einsetzbar und kann unabhängig von den örtlichen Gegebenheiten appliziert werden. Auch Patient*innen mit empfindlicher Haut oder einer möglichen Pflasterallergie tolerieren das Tape überwiegend ohne sichtbare Reizungen.
Cave: Vor der Anwendung des Tapes sollte jede Erkrankung genau diagnostiziert werden. Häufig werden Tapes begleitend zur eigentlichen ärztlichen Versorgung bzw. zu heilpraktischen Therapien appliziert. Ein Kreuzbandriss sollte beispielsweise niemals allein durch das Anlegen eines Tapes behandelt werden.
Kontraindikationen
Absolute Kontraindikationen sind:
- unklare Schmerzen
- länger anhaltende Schmerzen
- starker Sonnenbrand
- Entzündungen der Haut
- Verbrennungen der Haut
- Strahlendermatitis
- allergisches Kontaktekzem
- Urtikaria (Nesselsucht)
- auffällige Muttermale
- maligne Tumoren, z. B. Basaliom, Spinaliom, Melanom
- offene bzw. nicht verheilte Wunden und Narben
- eitrige Prozesse
- Thrombose
- Thrombophlebitis
- infektiöse Hauterkrankungen: durch Bakterien, durch Viren, durch Mykosen, durch Milben
Relative Kontraindikationen:
- Pflasterallergie
- leichter Sonnenbrand
- Schwangerschaft (keine Applikation von Tapes im Bereich der Genitalzone am Rücken)
- benigne Tumoren, z. B. Nävi (Leberflecken), Fibrom
- Psoriasis
- Neurodermitis
- Akne
- Fieber
- Blutgerinnungsstörungen
- Wundheilungsstörungen
- Gefäßpathologien, z. B. Besenreiser, Arteriosklerose, Varizen, Morbus Raynaud
- Medikamenteneinnahme, z. B. Antikoagulanzien
Cave: Zu absoluten Kontraindikationen zählen unklare und länger andauernde Schmerzen. Diese sollten unverzüglich vom Arzt abgeklärt werden.
Taping bei Lendenwirbelsäulenschmerzen
Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) werden auch als LWS-Syndrom bezeichnet. Es werden das lokale, das pseudoradikuläre und das radikuläre LWS-Syndrom unterschieden:
- Beim lokalen LWS-Syndrom werden die Schmerzen als dumpf und lokal bis hin zu gürtelförmig in die Flanken ausstrahlend beschrieben. Es besteht ein tastbarer Hartspann der Rückenmuskulatur.
- Das pseudoradikuläre Syndrom äußert sich in diffusen Schmerzen im Bereich der LWS, der Leiste, dem Gesäß und den unteren Extremitäten. Lähmungen, Nervenschmerzen oder Parästhesien sind nicht festzustellen.
- Beim radikulären Syndrom handelt es sich um eine Protrusion (Vorwölbung der Bandscheibe) oder einen Prolaps (Bandscheibenvorfall) der Bandscheibe. Hierdurch kommt es zu einem massiven Reiz auf die Nervenwurzel.
Die Symptome sind starke Ruhe-, Bewegungs- und Belastungsschmerzen, Parästhesien im LWS-Bereich und in den Beinen, Nervenschmerzen, Reflexausfälle und Lähmungen.
Cave: Bei unklaren akuten LWS-Beschwerden mit Parästhesien im Bereich des Schambereichs und einer Stuhl- und Harninkontinenz (Reithosenanästhesie, Cauda-equina-Syndrom) ist der Patient unverzüglich in ein Krankenhaus zu überweisen.
Ursachen aus Sicht der Schulmedizin:
- Überlastung
- Fehlhaltungen, z. B. am Arbeitsplatz
- Bandscheibenvorfälle
- Traumata und Frakturen der LWS
- Skoliose
- entzündliche Erkrankungen wie rheumatoide Arthritis
- Bewegungseinschränkungen: Flexion und Extension; Lateralflexion; Rotation
Direkt betroffene Muskeln:
- M. iliocostalis lumborum (Extension, Lateralflexion)
- M. longissimus thoracis (Extension, Lateralflexion)
- Mm. intertransversarii mediales und laterales lumborum (Stabilisierung der LWS, Extension, Lateralflexion)
- M. interspinales lumborum (Extension)
- M. multifidus (Extension, Lateralflexion, Rotation)
Indirekt betroffene Muskeln:
- M. quadratus lumborum (Lateralflexion)
- M. iliopsoas (Lateralflexion, Aufrichten des Rumpfes)
- Mm. obliquus internus und externus abdominis (Flexion, Lateralflexion, Rotation)
- M. transversus abdominis (Rotation)
- M. rectus abdominis (Flexion)
Taping Muskeltechnik (detonisierend)
Beschrieben wird die Anlage eines Tapes im Verlauf des M. erector spinae (medialer und lateraler Trakt), des M. quadratus lumborum bzw. des M. iliopsoas zur Behandlung von Schmerzen im LWS-Bereich.
Im Vergleich zu den anderen Bauchmuskeln tendiert der M. iliopsoas zu Verkürzung. Deshalb erfolgt hier eine detonisierende Anlage.
Praxistipp
Die Tapes werden anhand des Befunds und der Bewegungseinschränkungen des Patienten appliziert. Nicht alle aufgeführten Tapes müssen dabei gleichzeitig zur Anwendung kommen.
Tapeapplikation:
M. erector spinae (medialer und lateraler Trakt):
- Es werden 2 gleich lange, blaue I-Tapes (gemessen von der Crista iliaca bis zum 1. LWK) zugeschnitten.
- Die Basis des 1. Tapes wird ohne Zug neben der Wirbelsäule in Höhe der Crista iliaca appliziert.
- Die gesamte Wirbelsäule des Patienten wird in eine schmerzfreie Flexion gebracht.
- Dann wird das Tape ohne Zug bis auf Höhe des 1. LWK auf die Haut geklebt.
- Das 2. Tape wird in derselben Weise auf der gegenüberliegenden Körperseite appliziert.
Praxistipp
In der Praxis hat es sich bewährt, das Tape von kaudal nach kranial zu applizieren, um eine Detonisierung zu erreichen. Durch den langen Verlauf des M. erector spinae ist es bei globalen Beschwerden der LWS sinnvoll, das Tape über den 1. LWK hinaus bis zum 10.–12. BWK zu applizieren. Zudem kann das Tape auch als Y-Tape angelegt werden. In diesem Falle werden der linke Zügel links entlang der Wirbelsäule und der rechte Zügel rechts entlang der Wirbelsäule geführt. Die Basis befindet sich dann unterhalb des 5. LWK.
M. quadratus lumborum:
- Es werden 2 gleich lange, blaue I-Tapes (gemessen von der 12. Rippe bis zur Crista iliaca) zugeschnitten.
- Die Basis des 1. Tapes wird ohne Zug auf Höhe der 12. Rippe appliziert
- Der Thorax des Patienten wird in die Lateralflexion gebracht.
- Dann wird das Tape ohne Zug in Richtung der Crista iliaca auf die Haut geklebt.
- Das 2. Tape wird in derselben Weise auf der gegenüberliegenden Körperseite appliziert.
M. iliopsoas:
- Es werden 2 gleich lange, blaue Y-Tapes (gemessen vom Trochanter minor bis zum 1. bzw. 2. LWK) zugeschnitten.
- Die Basis des Tapes wird ohne Zug auf dem Trochanter minor appliziert.
- Das Hüftgelenk des Patienten wird in eine Extension und Innenrotation gebracht.
- Der 1. Zügel des Tapes wird ohne Zug über die Leiste auf Höhe der Querfortsätze des 1. Und 2. LWK (ventral), der 2. Zügel des Tapes auf Höhe der Querfortsätze des 3. und 4. LWK (ventral) auf die Haut geklebt.
- Das 2. Tape wird in derselben Weise auf der gegenüberliegenden Körperseite appliziert.
Taping Muskeltechnik (tonisierend)
Beschrieben wird die Anlage eines Tapes im Verlauf des M. obliquus internus abdominis, des M. obliquus externus abdominis, des M. transversus abdominis bzw. des M. rectus abdominis zur Behandlung von Schmerzen im LWS-Bereich. Diese Muskeln sind indirekt betroffen und werden tonisierend behandelt. Da der M. obliquus externus abdominis und M. rectus abdominis in ihrem Verlauf abwärts gerichtet sind, erfolgt keine Applikation vom Ursprung zum Ansatz, obwohl es sich um eine tonisierende Applikation handelt.
In der Praxis hat es sich bewährt, die Tapes vom Ansatz zum Ursprung zu kleben, um eine zusätzliche Stimulation des Muskels nach kranial zu erreichen.
Praxistipp
Die Tapes werden anhand des Befunds und der Bewegungseinschränkungen des Patienten appliziert. Nicht alle aufgeführten Tapes müssen dabei gleichzeitig zur Anwendung kommen.
Tapeapplikation
M. obliquus internus abdominis:
- Es werden 2 gleich lange, rote I-Tapes (gemessen von der Crista iliaca bis zum Xiphoid) zugeschnitten.
- Die Basis des 1. Tapes wird ohne Zug auf der Crista iliaca appliziert.
- Der Thorax des Patienten wird in Lateralflexion und Außenrotation gebracht.
- Dann wird das 1. Tape mit halbem Zug (etwa 50 %) in Richtung der oberen Linea alba auf Höhe des Xiphoids auf die Haut geklebt.
- Das 2. Tape wird in derselben Weise auf der gegenüberliegenden Körperseite appliziert.
M. obliquus externus abdominis:
- Es werden 2 gleich lange, rote I-Tapes (gemessen von der Rektusscheide bis zur 11. bzw. 12. Rippe) zugeschnitten.
- Die Basis des 1. Tapes wird ohne Zug auf Höhe des vorderen Blattes der Rektusscheide appliziert.
- Der Thorax des Patienten wird in eine Lateralflexion und Außenrotation gebracht, die Hüfte bewegt sich in die entgegengesetzte Richtung.
- Dann wird das 1. Tape mit halbem Zug (etwa 50 %) in Richtung der 11. bzw. 12. Rippe auf die Haut geklebt.
- Das 2. Tape wird in derselben Weise auf der gegenüberliegenden Körperseite appliziert.
Praxistipp
Statt des I-Tapes kann auch ein Fächertape mit insgesamt 4 Zügeln zugeschnitten werden. Hierbei wird der 1. Zügel in Richtung der 5. und 6. Rippe, der 2. Zügel in Richtung der 7. und 8. Rippe, der 3. Zügel in Richtung 9. und 10. Rippe und der letzte Zügel in Richtung 11. und 12. Rippe appliziert.
M. transversus abdominis:
- Es werden 2 gleich lange, rote I-Tapes (gemessen von der 11. bzw. 12. Rippe bis zur Linea alba) zugeschnitten.
- Die Basis des 1. Tapes wird ohne Zug auf Höhe der 11. bzw. 12. Rippe appliziert.
- Der Thorax des Patienten wird in eine Außenrotation gebracht, die Hüfte bewegt sich in die entgegengesetzte Richtung.
- Dann wird das 1. Tape mit halbem Zug (etwa 50 %) in Richtung der Linea alba auf die Haut geklebt.
- Das 2. Tape wird in derselben Weise auf der gegenüberliegenden Körperseite appliziert.
M. rectus abdominis:
- Es werden 2 gleich lange, rote I-Tapes (gemessen von der 5. bzw. 7. Rippe bis kurz vor das Schambein bzw. die Schambehaarung) zugeschnitten.
- Die Basis des 1. Tapes wird ohne Zug auf Höhe des Schambeins appliziert.
- Die Wirbelsäule des Patienten wird in eine Hyperextension gebracht. Der Patient wird aufgefordert, tief in den Bauch einzuatmen.
- Dann wird das 1. Tape mit halbem Zug (etwa 50 %) in Richtung der 5.–7. Rippe auf die Haut geklebt.
- Das 2. Tape wird in derselben Weise auf der gegenüberliegenden Körperseite appliziert.
Zusammenfassung
Schmerzen der LWS stellen eine Herausforderung dar. Behandlungsbedürftige Bereiche können mithilfe der Palpation und dem Kibler-Falten-Test ausfindig gemacht werden. Die weitreichenden Wirkungen muskulärer Störungen können auf den Verlauf des M. iliocostalis lumborum und des M. longissimus thoracis zurückgeführt werden. Der Muskelansatz des M. iliocostalis lumborum befindet sich u. a. an der 6.–12. Rippe, der Muskelansatz des M. longissimus thoracis u. a. an der 2.–12. Rippe.
Für Behandlungen der LWS ist es somit sinnvoll, dass Tape parallel zur Wirbelsäule über den 1. LWK hinaus zu applizieren. Zudem kann zusätzlich ein Segment-Tape sinnvoll sein, um Erkrankungen und Schmerzen in diesem Bereich optimal zu behandeln.
Das klassische Muskeltaping kann sinnvoll durch Meridiantaping und weitere unterstützende naturheilkundliche Maßnahmen wie Phytotherapie, Schröpfen, Neuraltherapie oder manuelle Therapie ergänzt werden.
Autorin
Bianca Peters
Ergotherapeutin und Heilpraktikerin
Die Schwerpunkte in ihrer Praxis sind Darmgesundheit, Akupunktur, Phytotherapie, Schröpfen und Taping.