von Celine Chiu
Inhalt
Der Begriff Kälte bezieht sich in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) auf die Relation von Yin und Yang im Körper. Dabei steht das Yang, wie schon im Beitrag von G. Huemer beschrieben, für Aktivität, Wärme, Rötung und Trockenheit, während das Yin für Ruhe, Kälte, Blässe und Feuchtigkeit steht [1]. Kommt es zum Überwiegen von Yin im Verhältnis zum Yang, z.B. bei Yang-Mangel, resultiert daraus ein Kälte-Muster mit pathologischer Kälte und Feuchtigkeit.
In der TCM gibt es verschiedene Arten von Kältekrankheiten, die sich in unterschiedlichen Symptomen präsentieren. Kälte kann durch äußere Einflüsse, aber auch bei Fehlen innerer Wärme entstehen. Vor allem äußert sich Kälte in einem „Kältegefühl“ generalisiert oder lokal. Zu den Kälte-Zeichen gehören in der TCM z. B. blasse Haut, langsamer Puls, heller Urin, wenig Durst, Müdigkeit oder Erschöpfung [2].
Klassische TCM-Kälte-Symptome
Kälte kann als äußere Kälte und als innere Kälte auftreten. Bei äußerer Kälte handelt es sich um ein Eindringen des pathogenen Faktors Kälte in den Körper. Diese wird häufig durch den pathogenen Faktor Wind in den Körper getragen und äußert sich in Wind-Kälte-Symptomen. Dazu gehören eine Abneigung gegen Kälte, Niesen, Husten, laufende Nase mit weißem, wässrigem Schleim, Fieber, kein Schweiß, kein Durst. Äußere Kälte kann ebenfalls direkt die Organe befallen, wie z. B. Magen und Darm, was durch übermäßigen Konsum kalter Nahrung verursacht wird. Dies äußert sich durch Schmerz und Kältegefühl im Magen-Darm-Bereich, Erbrechen, Diarrhö und eine Linderung der Beschwerden durch lokale Wärme.
Innere Kälte kann durch Fülle- oder Leere-Erkrankung entstehen. Bei innerer Fülle-Kälte handelt es sich ursprünglich um äußere Kälte, die tief in die Organe eingedrungen ist. Bei innerer Leere-Kälte liegt der Ursprung im Yang-Mangel, in der Regel von Milz, Lunge oder Niere [2].
Wind-Kälte wird in der westlichen Medizin häufig als „Erkältung“ verstanden.
Wind-Kälte
Wind-Kälte wird in der westlichen Medizin häufig als grippaler Infekt verstanden, im Volksmund als „Erkältung“ bezeichnet. Es handelt sich dabei um das Eindringen von Kälte durch Wind als Transportmittel in die äußere Körperebene. Vor allem äußert sich dies in der Abneigung gegen Kälte und Wind. Außerdem kann es zu Frösteln, laufender Nase und Fieber kommen [2].
Therapie
Akupunktur und Moxibustion
Bei anfänglichen Wind-Kälte-Symptomen sollten vor allem Wind ausleitende Punkte genutzt werden, wie z. B. Gb 20, 21 Bl 10 und LG 14. Zur Stärkung des Immunsystems kann Ma 36 ergänzt werden. Zur Besserung der Körperkonstitution kann unter anderem Le 3, Ni 3 oder 6 verwendet werden. Bei Kälte-Symptomatik kann zusätzlich Moxibustion zum Einsatz kommen, bspw. an KG 6 oder Ma 36. Bei führender Wind-Symptomatik kann ebenfalls ein Schröpfkopf in der zervikalen Region, insbesondere auf LG 14 und Gb 21, lindernd wirken [3].
Zusammenfassung
In der Traditionellen Chinesischen Medizin gibt es unterschiedliche Arten von Kältekrankheiten. Sie entstehen entweder durch äußere Einflüsse oder durch das Fehlen innerer Wärme. Behandelt werden Kältekrankheiten mit Akupunktur, Moxibustion und Diätetik.
Das "Wesen" von Fülle und Kälte in der TCM
Fülle-Krankheiten zeigen sich in einem Überschuss. Das heißt, dass bspw. ein pathogener Faktor wie Kälte oder Hitze im Überschuss im Patienten vorhanden ist. Druck kann der Patient nicht ertragen, er hat das Gefühl, er würde „platzen“. Therapeutisch erfolgt ein ableitendes Nadeln zur Entlastung.
Leere-Krankheiten hingegen präsentieren sich z. B. im Mangel von Grundsubstanzen. Bei einer Qi-Leere ist der Patient schwach und antriebslos. Leichter Druck tut meist gut. Therapeutisch erfolgt ein auffüllendes Regime etwa durch Diätetik und Arzneimitteltherapie. Auch kann ein vorsichtiges und tonisierendes Nadeln die Leere auffüllen.
Diätetik
Bei Kälteerkrankung sind vor allem wärmende Speisen fördernd, zum Beispiel Suppen mit Ingwer und roten Datteln. Allein das lange Kochen bringt Wärme in die Speisen. Weiterhin können Zimt, Zwiebeln und Lauch bei der Zubereitung von warmen Speisen ergänzt werden [4], [5], [6].
Fülle-Kälte
Fülle-Kälte ist bedingt durch ein tieferes Eindringen äußerer Kälte bis in die Schicht der inneren Organe oder durch übermäßigen Konsum von energetisch kalten Nahrungsmitteln wie Salat oder Eis. Bei Wind-Kälte handelt es sich eher um eine Erkrankung auf Leitbahnebene, während bei Fülle-Kälte bereits ein tieferes Eindringen bis in die Schicht der inneren Organe erfolgt ist. Symptome einer Fülle-Kälte sind Kältegefühl, kalte Extremitäten, kein Durst, blasses Gesicht, Bauchschmerzen, die durch Druck schlimmer werden, weicher und heller Stuhl, starker, straffer Puls und eine blasse Zunge mit dickem, weißem Belag [2].
Fallbericht: Patientin mit Wind-Kälte
Eine Patientin, 50 Jahre alt, hatte sich beim Wandern unter windigen Witterungsbedingungen bei 10°C Außentemperatur eine „Erkältung“ geholt. Symptome waren dabei eine laufende Nase mit klarem Sekret, Kopfschmerzen, Schüttelfrost, Gliederschmerzen, kein Fieber, kein Husten. Sie stellte sich am 1. Tag nach Symptombeginn vor, sodass zügig eine Therapie eingeleitet werden konnte. Medikamente wurden bisher nicht eingenommen.
Diagnose nach TCM war eine akute Wind-Kälte-Erkrankung. Zum Austreiben des Windes wurde Gb 20, 21 genadelt. Daraufhin kam es bereits zügig zu einer Erleichterung der Kopfschmerzen. Anschließend wurde Ma 36 und KG 6 genadelt, um das Immunsystem zu stärken. Gegen den Schnupfen wurde Di 20 und als Fernpunkt Di 4 beidseits akupunktiert. Di 4 wirkt in diesem Rahmen auch zur Ausleitung des pathogenen Faktors Wind. Bereits am nächsten Tag waren die Beschwerden der Patientin deutlich besser, sodass keine weitere Nadelung notwendig war. Sie erhielt eine Moxa-Zigarrette, welche sie zu Hause selbstständig auf Ma 36 mit der „Vogelpickmethode“ (langsames Annähern und Entfernen der Zigarre auf Ma 36) anhalten sollte. Im Anschluss waren die Symptome deutlich rückläufig, genesen war die Patientin nach 2 Tagen.
Therapie
Bei Eindringen von Kälte in die inneren Organe ist es notwendig, sie durch Wärme zu verdrängen. Wie oben erwähnt können hierfür wärmende Speisen und Getränke, z. B. Ingwer, Zwiebeln oder Zimt, eingesetzt werden [4]. Bei der Akupunktur und Moxibustion ist es wichtig, stärkende Punkte zu nutzen. Bei einem Befall von Magen und Milz sollte beispielsweise durch Ma 36, Mi 6, KG 6 die Magen-Milz-Region gestärkt werden. Ergänzend kann diese durch Moxibustion erwärmt werden. Hilfreich ist es, bei innerer Kälte auch einen Moxibustionskasten zu verwenden, um eine größere Fläche abdecken zu können [3].
Leere-Kälte
Leere Kälte ist gekennzeichnet durch einen Mangel an Yang im Körper. Symptome sind vor allem Kältegefühl, kalte Extremitäten, ein blasses Gesicht, fehlendes Durstgefühl, weicher Stuhl, heller Harn, schwacher und tiefer Puls und dünner, weißer Zungenbelag. Ursächlich für einen Yang-Mangel können übermäßige körperliche Aktivität, unangemessene Ernährung und Lebensweise, die das Nieren-Yang schwächen, oder innere Kälte sein, die das Yang schädigt [2]. Abgesehen von den bereits beschriebenen allgemeinen Symptomen der Leere-Kälte können die Symptome abhängig vom Manifestationsort variieren. Besonders häufig von Leere-Kälte betroffen sind die Organe Lunge, Milz, Magen und Niere.
Therapie
Das Therapieprinzip der Leere-Kälte ist das Wärmen der betroffenen Organe. Wenn bspw. Magen und Milz betroffen sind, können durch die Akupunktur von Ma 36, KG 6, 12, Bl 20 und Bl 21 die beiden Funktionskreise gestärkt werden. Mittels Moxibustion, ggf. zur Verstärkung über eine Scheibe Ingwer auf KG 6, lässt sich die Wärme besonders gut in die Magenregion einführen [2].
Arzneitherapie
Zur Stärkung der Mitte kann das Astragalus-Dekokt, Huangqi jianzhong tang, angewandt werden. Als kleines Dekokt, welches die Mitte stärkt, eignet sich Xiao jianzhong tang [5].
Nieren-Yang-Mangel
Die am weitesten fortgeschrittene Leere-Kälte-Symptomatik zeigt der Nieren-Yang-Mangel. Typische Symptome sind Schmerzen und Kälte in der Lumbalregion, Kälte an den Knien, Schwindelgefühle, Tinnitus, Müdigkeit, klarer Harn, Nykturie, Impotenz und verminderte Libido. Ursache für einen Nieren-Yang-Mangel ist häufig die chronische Ausprägung eines Milz-Yang-Mangels. Zusätzlich kann übermäßige körperliche und sexuelle Aktivität einen Nieren-Yang-Mangel auslösen. Die Ernährung spielt ätiologisch ebenfalls eine Rolle. Und zwar löst übermäßiger Verzehr von kalten und rohen Speisen einen Milz- und Nieren-Yang-Mangel aus [2], [4].
Therapie
Therapieprinzip ist bei Nieren-Yang-Mangel die Stärkung und Erwärmung der Niere. Dazu können Akupunkturpunkte wie Bl 23, LG 4, kG 4, KG 6, Ni 3, Ni 7 und Bl 52 tonisierend genadelt werden. Ni 7 eignet sich insbesondere, um das Nieren-Yang zu stärken. Bl 52 stärkt vor allem die Willenskraft als psychischer Aspekt der Niere. Auch Moxibustion sollte vor allem auf Bl 23 und LG 4 verwendet werden [2], [3].
Arzneitherapie
In der chinesischen Arzneitherapie haben sich 2 Pillen bewährt [2] [5]:
Yougui wan, die Pille, die die Rechte (Niere) wiederherstellt
Jingui shenqi wan, die Nieren-Qi-Pille aus dem Golden Cabinet
Diätetik
Die Ernährungstherapie dient vor allem dazu, das Yang und Qi zu stärken. Durch das Stärken des Milz-Qi kann ebenfalls das Nieren-Qi gestärkt werden. Es sollten also besonders warme und durchgekochte Speisen aufgenommen werden. Auch sollten die Speisen eine wärmende Qualität mit sich bringen. Hierfür eignen sich z. B. rotes Fleisch, Ingwer oder Zimt [4], [6].
Autorin
Celine Chiu
Assistenzärztin Kinder- und Jugendmedizin und Tutorin der DÄGfA seit 2017
[1] Huemer G. Hitze in der TCM.. Zeitschrift für Komplementärmedizin 2017; 09 (01) 24-27
[2] Maciocia G. Grundlagen der chinesischen Medizin.. München: Elsevier; 2008
[3] Deadman P, Al-Khafaji M, Baker K. Handbuch der Akupunktur. 3. Aufl.. Kötzting Wald: Systemische Medizin; 2012
[4] Liu G. Discussion of cold damage (Shang Han Lun): Commentaries and clinical applications.. London: Singing Dragon; 2015
[5] Kastner J. Propädeutik der chinesischen Diätetik.. Stuttgart: Thieme; 2013
[6] Siedentopp U, Hecker H-U. Chinesische Diätetik.. Dt Ztschr f Akup 2004; 47: 3
[7] Schmidt MWG. Der Klassiker des Gelben Kaisers zur Inneren Medizin.. Berlin: Viademica; 1998