ErnährungswissenschaftErnährung von Kindern im Vorschulalter

Die Prävention von Kinderübergewicht ist vor allem im Vorschulalter erfolgversprechend. Als Orientierung kann das Präventionskonzept der Optimierten Mischkost dienen.

Kind beißt in eine belgische Waffel, die mit Schokoladensoße überzogen ist.
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Das Präventionskonzept der Optimierten Mischkost ist auch für Eltern und Betreuer geeignet.

von Mathilde Kersting, Susanne Voss

Inhalt 

Entwicklung und Ernährung im Vorschulalter

Epidemiologische Daten

Die Optimierte Mischkost

Ernährung in der Kindertagesbetreuung

Entwicklung und Ernährung im Vorschulalter

In den ersten Lebensjahren eines Menschen entwickeln sich die Essfähigkeiten und Essfertigkeiten vom reflexhaften Saugen und Schlucken in den ersten Lebensmonaten über die Breifütterung und das beginnende Selberfüttern mit Fingerfood im zweiten Lebenshalbjahr zur zunehmenden Teilnahme am Familientisch im 2. und 3. Lebensjahr [1]. Mit fortschreitender körperlicher und sozialer Entwicklung im Kindesalter entwickelt sich auch die Ernährung in einem Kontinuum. Vorschulkinder im Alter von 3–6 Jahren sind bereits weitgehend selbstständig beim Essen und benötigen weniger Aufsicht [2]. Sie interessieren sich für das soziale Umfeld, für andere Kinder und Personen, die an der Mahlzeit teilnehmen. Sie orientieren sich am Vorbild der Erwachsenen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sollte die Familie eine gesunde Ernährung vorleben. Da die Aufmerksamkeitsspannen in diesem Entwicklungsstadium noch gering sind, fällt es den Kindern oft schwer, so lange am Esstisch sitzen zu bleiben, bis die Mahlzeit beendet ist.

[Abb. 1] zeigt die Einordnung der Ernährung im Vorschulalter in das Ernährungskontinuum des gesamten Wachstumsverlaufs.

Ebenso wie die sensomotorische Entwicklung ist auch das Ernährungsverhalten durch große Unterschiede von Kind zu Kind gekennzeichnet. Auch intraindividuell scheinen Kinder oft erratisch beim Essen, mit großen Schwankungen in ihrem Verzehr von Mahlzeit zu Mahlzeit. Diese werden im Tagesverlauf in der Regel ausgeglichen. Studien deuten an, dass Kinder noch bis etwa in das Vorschulalter hinein ihre Nahrungsaufnahme entsprechend ihrem Energiebedarf kontrollieren, das heißt, dass sie von einer Mahlzeit mit hoher Energiedichte weniger essen als von einer Mahlzeit mit niedriger Energiedichte [3]. Diese Fähigkeit sollte unterstützt werden, indem Kindern keine großen Portionen aufgegeben und die Kinder nicht zum Aufessen gedrängt werden.

Epidemiologische Daten

Der Kinder- und Jugendgesundheitssurvey KiGGS liefert umfangreiche Daten zur Gesundheit und zum Gesundheitsverhalten und enthält inzwischen auch Wiederholungsuntersuchungen, die Trends in den letzten etwa 10 Jahren aufzeigen können. Dabei zeigt sich, dass die Ernährungsgewohnheiten mit zunehmendem Alter ungünstiger werden und dass sich Mädchen schon früh gesünder ernähren als Jungen. Jüngere Kinder trinken seltener gezuckerte Erfrischungsgetränke als die älteren Jahrgänge [4]. In allen Altersgruppen ist der Verzehr von Trinkwasser in den letzten 10 Jahren deutlich angestiegen, bei Obst und Gemüse ist ein Anstieg nur bei den jüngeren Altersgruppen zu verzeichnen [5]. Die positiven Entwicklungen bei den jüngeren Kindern sollten weiter gefördert werden, auch um Übergewichtsrisiken gering zu halten.

Denn seit 10 Jahren ist der Anteil übergewichtiger Kinder im Vorschulalter deutlich geringer als in den höheren Altersgruppen [6]. Allerdings sind auch jüngere Kinder mit niedrigem Sozialstatus etwa 4-mal häufiger übergewichtig oder adipös als Kinder mit hohem Sozialstatus. Auch beim Ernährungsverhalten zeigt sich ein sozialer Gradient. Die bisherigen Konzepte der Ernährungsaufklärung waren offensichtlich noch nicht ausreichend diversifiziert.

Merke

Der Sozialstatus steht in Deutschland nach wie vor in Zusammenhang mit dem Ernährungsverhalten und dem Anteil übergewichtiger oder adipöser Kinder.

Die Optimierte Mischkost

Mit dem Konzept der Optimierten Mischkost für Kinder und Jugendliche werden die aktuellen Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr in lebensmittel- und mahlzeitenbasierte Empfehlungen umgesetzt, damit sie für die Bevölkerung verständlich werden [7]. Zusätzlich wird die langfristige Prävention weit verbreiteter Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Krankheiten und Typ-2-Diabetes beachtet. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist die Vermeidung von Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter.

Lebensmittel

Die Kernbotschaften der Optimierten Mischkost werden in 3 Regeln für die Lebensmittelauswahl zusammengefasst [Abb. 2]. Die empfohlenen Proportionen der Lebensmittel gelten für alle Altersgruppen von 1–18 Jahren, lediglich die Lebensmittelmengen ändern sich in Abhängigkeit vom Energiebedarf.

Wasser ist der wichtigste Nährstoff und das wichtigste Lebensmittel. Je jünger die Kinder sind, umso höher ist ihr Flüssigkeitsbedarf pro kg Körpergewicht [8].

Anhaltswerte für altersgemäße tägliche Lebensmittelmengen im Vorschulalter sind etwa:

  • 230 g Gemüse/Rohkost, 210 g Obst

  • 130 g Brot/Getreideflocken, mindestens zur Hälfte als Vollkorn

  • 120 g Kartoffeln/Reis/Nudeln

  • 350 g Milch(produkte)

  • wöchentlich 3–4x Fleisch/Wurst (35 g/Tag), 1x Fisch (70 g/Woche), 2 Eier

  • 10 % des Energiebedarfs (ca. 130 kcal/Tag) in Form von Süßigkeiten, Knabbereien, Limonade

Zusätzliche Nährstoffe oder Nahrungsergänzungsmittel sind dabei überflüssig. Zur Sicherung der in Deutschland noch nicht befriedigenden Jodversorgung im Kindesalter ist die Verwendung von Jodsalz im Haushalt und bei der Lebensmittelherstellung (Zutatenverzeichnis) erforderlich.

Mahlzeiten

Im Vorschulalter entwickeln Kinder ein Verständnis für die typischen Mahlzeitenmuster [ Abb. 3 ] und Mahlzeitenrhythmen in ihrem soziokulturellen Umfeld („mittags gibt es warmes Essen“) [2].

Merke

Mit 3 Hauptmahlzeiten und 2 Zwischenmahlzeiten am Tag lässt sich die Optimierte Mischkost praxisnah umsetzen [Abb. 3].

Der empfohlene reichliche Verzehr von Getränken und pflanzlichen Lebensmitteln wird erleichtert, wenn möglichst in jeder Mahlzeit Rohkost, Gemüse oder Obst (hohe Nährstoffdichte, geringe Energiedichte) enthalten sind und Wasser oder ungesüßter Tee als Getränk bereitstehen.

Gemeinsame Mahlzeiten in der Familie sind wichtig für die kindliche Entwicklung. Sie erleichtern außerdem die Umsetzung einer gesunden Ernährung [9]. Auch wenn es im heutigen Familienalltag oft schwierig ist, sollten Eltern versuchen, mindestens einmal am Tag eine Familienmahlzeit in entspannter Atmosphäre einzurichten.

Ernährung in der Kindertagesbetreuung

In Deutschland nehmen heute 93 % der 3- bis 6-jährigen Kinder an einer Kindertagesbetreuung teil, weit überwiegend in einer Tageseinrichtung (Kita), seltener in einer Kindertagespflege [10]. Fast alle Kitas bieten eine Verpflegung an, mit regionalen Unterschieden, beispielsweise einem Mittagessen in 99 % der Kitas in Ostdeutschland und 64 % in Westdeutschland [11].

Das Konzept der Optimierten Mischkost lässt sich in der Familie und in der außerfamiliären Betreuung gleichermaßen umsetzen. In der Kita kann beispielsweise nach Rezepten der Optimierten Mischkost gekocht werden. Im sogenannten „Frühstücks-Zweimal-Eins“ können die Mahlzeiten in der Familie und der Kita je nach den individuellen Gewohnheiten aufeinander abgestimmt werden: Für Kinder, die morgens noch keinen Appetit auf ein Frühstück haben oder in der Kita ein Frühstück erhalten, ist eine kleine Mahlzeit ausreichend; für diese Kinder fällt das 2. Frühstück größer aus.

Kitas können durch ihre pädagogisch-didaktischen Möglichkeiten auch effektiv dazu beitragen, Kinder an Wasser als Regelgetränk zu gewöhnen. Erlebnisorientierte didaktische Materialien zur Trinkförderung in der Kita stehen im Internet kostenlos zum Download zur Verfügung [12].

Merke

In Kitas werden Kinder unabhängig von ihrem soziokulturellen Hintergrund niederschwellig mit der Ernährungs- und Gesundheitsförderung erreicht.

Kernaussagen

  • Im Vorschulalter bieten sich weitreichende Möglichkeiten, Kindern eine gesunde und präventive Ernährung schmackhaft zu machen.

  • Orientierung für Familien und die Kindertagesbetreuung bietet das wissenschaftlich begründete, praktisch ausgedrückte Konzept der Optimierten Mischkost.

  • Zusätzliche Nährstoffe oder Nahrungsergänzungsmittel werden dabei nicht benötigt.

  • Familienmahlzeiten und ergänzende Angebote in der Tagesbetreuung können die frühe Gewöhnung an eine gesunde Ernährung erleichtern.

Weitere Angebote

Beratungstelefon Kinderernährung

Zu Fragen der Kinderernährung bietet das Forschungsdepartment Kinderernährung (FKE) der Universitätskinderklinik Bochum für Eltern, Multiplikatoren und andere Interessierte eine kostenlose Beratung an (montags von 9:00 – 13:00 Uhr; Telefonnummer 0234/509–2649).

Schriften

Praktische Informationen zur ‚Optimierten Mischkost‘ und weiteren Themen finden sich in der Schriftenreihe des FKE. Die Broschüren können zum Selbstkostenpreis bestellt werden (www.fke-bo.de).

Prof. Dr. troph. Mathilde Kersting
Ernährungswissenschaftlerin
Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Präventive Empfehlungen für die Kinderernährung, Machbarkeit und Wirksamkeit von Ernährungsempfehlungen in der Praxis.


Dr. oec. troph. Susanne Voss
Studium der Ernährungs- und Haushaltswissenschaft 
Freiberuflichkeit in der Ernährungsberatung und -therapie.
Ihre Schwerpunkte sind: Präventive Empfehlungen für die Kinderernährung und Trinkförderung.

Interessenkonflikt: Die Autorinnen geben an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

[1] Largo R. Wachstum und Entwicklung. In: Lentze M, Schaub J, Schulte F. et al., Hrsg. Pädiatrie Grundlagen und Praxis. Heidelberg, Berlin: Springer Verlag; 2007: 8-62

[2] American Academy of Pediatrics. Feeding the child. In: Pediatric nutrition handbook. Ithaca, Illinois (USA): American Academy of Pediatrics; 2009: 145-173

[3] Hetherington MM, Blundell-Birtil P, Caton SJ. et al. Understanding the science of portion control and the art of downsizing. Proc Nutr Soc 2018; 77: 347-355

[4] Mensink GBM, Schienkiewitz A, Rabenberg M. et al. Konsum zuckerhaltiger Erfrischungsgetränke bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Querschnittergebnisse aus KiGGS Welle 2 und Trends. J Health Monitor 2018; 3: 32-39

[5] Krug SS, Finger DH, Lange C. et al. Sport- und Ernährungsverhalten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Querschnittergebnisse aus KiGGS Welle 2 und Trends. J Health Monitor 2018; 3: 3-22

[6] Schienkiewitz A, Brettschneider AK, Damerow S. et al. Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter in Deutschland – Querschnittergebnisse aus KiGGS Welle 2 und Trends. J Health Monitor 2018; 3 (01) 16-23 DOI: 10.17886/RKI-GBE-2018–005.2.

[7] Kersting M, Kalhoff H, Lücke T. Von Nährstoffen zu Lebensmitteln und Mahlzeiten: das Konzept der Optimierten Mischkost für Kinder und Jugendliche in Deutschland. Aktuel Ernahrungsmed 2017; 42: 304-315

[8] Kalhoff H, Hilbig A, Libuda L. Trinken – was und wieviel? Physiologie und Praxis vom Neugeborenen bis zum Jugendlichen. Kinder- und Jugendmed 2015; 15: 7-12

[9] Dallacker M, Hertwig R, Mata J. The frequency of family meals and nutritional health in children. A meta-analysis. Obesity Rev 2018; 19: 638-655

[10] Statistisches Bundesamt. Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe. Kinder und tätige Personen in Tageseinrichtungen und öffentlich geförderter Kindertagespflege am 01.03.2019https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Soziales/Kindertagesbetreuung/_inhalt.html Stand: 22.04.2020

[11Nationales Qualitätszentrum für Ernährung in Kita und Schulehttps://www.nqz.de/kita/zahlen-fakten/ Stand: 22.04.2020

[12flissu Wasser trinken > auf geht’s. Bei Kindern die Lust auf Trinkwasser und die Freude am Bewegen wecken. Handreichung für Kitaswww.flissu-fke.de Stand: 22.04.2020

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