von Andrea Gündling
Menschen mit Demenz leben in eigenen Wirklichkeitsbereichen. Sie haben ein Anrecht darauf, dass ihre Gefühle und Grundbedürfnisse respektiert werden. Nach dem Konzept der „Validation“ von Naomi Feil bedeutet das, die Realität und Lebenswelt, in der sich der Demenzkranke befindet, wertzuschätzen. Gleichzeitig ergibt sich daraus aber auch eine ethisch-moralische Verpflichtung gegenüber den Betroffenen, beispielsweise, wenn diese nicht mehr in ausreichendem Maße für ihre Ernährung sorgen können. Strategien wie die Ernährungsbiografie oder gemeinsame Mahlzeiten in angenehmer Atmosphäre, helfen dabei, eine adäquate Nährstoffzufuhr sicherstellen und Menschen mit Demenz vor Mangelernährung zu schützen. Zudem sollten ihren Vorlieben und veränderte Ess- und Trinkgewohnheiten (z. B. nächtliches Hungergefühl) berücksichtigt werden.
Inhalt
Der personen-zentrierte Ansatz
Auswirkungen auf Ess- und Trinkverhalten
Häufigkeit von Demenz
Demenzerkrankungen zählen zu den schwerwiegenden psychischen Erkrankungen. Demenz tritt mit zunehmendem Lebensalter immer häufiger auf und ist die am meisten gestellte Diagnose der psychischen Erkrankungen bei den über 60-Jährigen [9]. Die Prävalenz steigt von 1 % bei den 65- bis 69-Jährigen auf mehr als 40 % bei den über 90-Jährigen [3]. Zurzeit leben in Deutschland etwa 1–1,2 Mio. Demenzkranke. Infolge steigender Lebenserwartung der Bevölkerung ist mit einem zunehmenden Anteil Demenzkranker zu rechnen.
Die Alzheimer-Krankheit
Etwa 60–65 % der betroffenen Demenzpatienten leiden an einer Demenz des Alzheimer-Typs. Die Alzheimer-Krankheit zählt zu den primären Demenzen, bei denen die Nervenzellen des Gehirns irreversibel zerstört werden. Der Erkrankungsprozess verläuft allmählich und schleichend [5].
Therapie der Demenzerkrankung
Da eine Heilung der primären Demenzerkrankung nicht möglich ist, richten sich therapeutische Interventionen auf die Stabilisierung oder Verzögerung der Progredienz. Demenz-Patienten entwickeln im Verlauf ihrer Erkrankung auch eine Reihe von Begleiterkrankungen, die eine Folge der fortschreitenden Hirnveränderungen sind. Dazu gehören z. B. agitiertes Verhalten, Depressionen, Schlafstörungen, Unruhe, Angstzustände, Aggressivität und Wahnvorstellungen. Diese Begleiterkrankungen bedürfen ebenso der Behandlung wie die eigentliche Demenz. Auch die zur Verfügung stehenden chemischen Medikamente wie Neuroleptika oder Antidementiva haben erhebliche Nebenwirkungen, die wiederum zu Schlafstörungen, Nervosität, Müdigkeit usw. führen können.
Lebenswelt der Betroffenen
Die vorherrschende medizinische Betrachtungsweise von Demenz, als organisch bedingte psychische Erkrankung, reduziert betroffene Menschen auf Symptome oder Verhaltensweisen. Hinter der Diagnose Demenz verschwindet der Mensch mit allem, was ihn ausmacht: seinen individuellen und vielfältigen Lebenserfahrungen. Diese Denkweise wird den Erkrankten als Personen in eigener Lebenswelt nicht gerecht.
Der Philosoph und Mathematiker Edmund Husserl prägte 1917 den Begriff der Lebenswelt. Er bezeichnete damit eine Welt, in der der Mensch ganz selbstverständlich im Kritiklosen lebt. Wesentlich ist, dass jede Wahrnehmung in Bezug auf persönliche Erfahrungen beurteilt wird. Deshalb ist Wahrnehmung auch immer von der individuellen Persönlichkeit, Sozialisation und Kulturzugehörigkeit der Person abhängig [11].
Der Soziologe Alfred Schütz, der ein Schüler von Husserl war, analysierte weitergehend, dass die Lebenswelt durch „mannigfache Wirklichkeiten“ erfahrbar ist. Diese sind z. B. Schlaf und Traum, therapeutische Erfahrungen, Phantasiewelten (Spiel, Kunst, Tagtraum), Reizentzug, Hypnose oder Erfahrungen bei hirnorganischen Veränderungen. Schütz konnte beobachten, dass diese Wirklichkeitsbereiche eine eigene Welt darstellen mit spezifischem Zeit- und Raumerleben, individuellem Aufmerksamkeitsfokus und Erkenntnisstil (Logik und Wahrheit), die den Alltag völlig vergessen lassen können [12].
Gerade Menschen mit Demenz leben in eigenen Wirklichkeitsbereichen. Mit Abnahme kognitiver Fähigkeiten, Denk- und Sprachvermögen ziehen sie sich in eine Welt zurück, in der Erlebnisse und Dinge eine andere Bedeutung erhalten. Demzufolge sind die Betroffenen nur schwer zugänglich. Dennoch bedeutet eine Demenzerkrankung nicht das Ende der Erlebnisfähigkeit und Kommunikation. Auch wenn der Mensch mit Demenz Gedanken und Wünsche nicht mehr verbal äußern kann, bleibt der Ausdruck von Gefühlen und gibt somit Hinweise auf die Befindlichkeit. Der individuelle, emotionale Ausdruck erfolgt oft unbewusst und ist nicht immer deutlich zu erkennen. Dazu gehören insbesondere die Mimik (z. B. Angst, Traurigkeit, Freude), die Gestik, die Körperhaltung oder herausfordernde Verhaltensweisen wie Schreien, motorische Unruhe oder Widerstand gegen die Pflege. Deshalb sind Menschen mit Demenz abhängig von Bezugspersonen wie z. B. Angehörigen und Pflegenden, die ihre Bedürfnisse erkennen und befriedigen. Über den Blickkontakt erhält man diesbezüglich wichtige Hinweise, denn Augen verraten viel über aktuelle Befindlichkeiten wie Wachheit oder Stimmung. Für Bezugspersonen ist die sensible Wahrnehmung ein wesentlicher Schlüssel zum Zugang zu Menschen mit Demenz. Denn „Emotionen sind für die Qualität unseres Lebens von ausschlaggebender Bedeutung“ [8].
Menschen mit Demenz verfügen ebenfalls über eine sensible Wahrnehmung für die Stimmung ihrer Bezugspersonen und nehmen die Qualität von Berührungen und Äußerungen sehr genau wahr. Sie haben ein feines Gespür dafür, ob die Haltung oder der Tonfall ihres Gegenübers bevormundend, entmündigend oder partnerschaftlich ist. Eine sanfte, tröstende Stimme und liebevolle Berührungen der Bezugsperson unterstützen die Interaktionen mit dem Erkrankten [2].
Auch Menschen mit Demenz haben ein Recht auf individuelle Lebensgestaltung. Sie haben ein Anrecht darauf, dass ihre Gefühle und Verhaltensweisen akzeptiert werden. Grenzen findet ihr Verhalten da, wo ihre Tätigkeiten andere Menschen einschränken oder schädigen. Es ist ein Grundbedürfnis eines jeden Menschen, anerkannt und in seiner Einzigartigkeit angenommen zu werden. Menschen, die in ihrem Alltag von Hilfe und Unterstützung abhängig sind, benötigen ganz besonders die positive Wertschätzung durch andere Personen [7].
Der personen-zentrierte Ansatz
Der englische Sozialpsychologe und Psychogerontologe Tom Kitwood entwickelte in den Jahren von 1987−1995 einen neuen Ansatz zum Umgang mit dementen Menschen. Dieser „personen-zentrierte Ansatz“ richtet den Fokus primär auf den Betroffenen und nicht auf die Erkrankung. Kitwood beschreibt vier Empfindungszustände, die mit Wohlbefinden und „Person sein“ einhergehen. Dazu gehören das Gefühl von Sicherheit sowie das Gefühl etwas wert zu sein, etwas zu tun und dazuzugehören. Demnach ist „Person sein“ und Wohlbefinden mehr als die Fähigkeit, denken zu können. Daraus lässt sich schließen, dass sich Menschen mit Demenz, die diese Empfindungszustände erfahren, ebenfalls wohlfühlen können. Des Weiteren geht Kitwood davon aus, dass sich die Grundbedürfnisse von Demenzerkrankten nicht wesentlich von den Grundbedürfnissen der Personen ohne Demenz unterscheiden. Dies sind Bedürfnisse nach Trost, Identität, Bindung, Einbeziehung und Beschäftigung [10].
Bei Menschen mit Demenz besteht ein verstärktes Bedürfnis nach Trost. Bedingt durch stetige Verlustgefühle wie Verlust an sozialen Beziehungen, Verlust von Fähigkeiten oder Verlust von Kontrolle. Trost erfährt der Mensch mit Demenz in Anerkennung seines Leidens und der empathischen Wahrnehmung seiner Situation. Auch liebevoll angerichtete Speisen sowie ein schön gedeckter Tisch können eine tröstende, wertschätzende Atmosphäre vermitteln.
Identität bedeutet, eine Geschichte zu haben, zu wissen, wer man ist. Identität wird auch von anderen verliehen und in Beziehungen entwickelt. Menschen mit Demenz benötigen die Unterstützung des sozialen Umfelds, um ihr Bedürfnis nach Identität leben zu können. Dies kann durch Maßnahmen wie z. B. individuelle Ess- und Trinkgewohnheiten, biografische Arbeit oder Erinnerungspflege geschehen.
Primäre Bindungen geben Sicherheit. Sie bilden geradezu ein Sicherheitsnetz für Menschen jeden Alters. Unsicherheiten sowie nicht einschätzbare Situationen sind ständige Begleiter von Menschen mit Demenz. Deshalb wächst ihr Bedürfnis nach Sicherheit und Bindung. Das heißt auch, Kontinuität in der Pflegebeziehung zu gewährleisten. So sollte während des Essens und Trinkens möglichst die gleiche Person anwesend sein und Unterstützung bieten.
Einbeziehung bedeutet, mit den eigenen Fähigkeiten und Kräften auf individuelle Weise in den Lebensprozess eingebunden zu sein. Sie kann gemeinsam oder alleine stattfinden und steigert das Selbstwertgefühl. Gesellige Anlässe, bei denen gegessen und getrunken wird, stärken dieses Gefühl.
Neben dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit wollen Menschen mit Demenz auch eine Beschäftigung haben – das Gefühl, etwas Nützliches tun zu können. Einfache Tätigkeiten wie z. B. Handtücher zusammenlegen, Blumen einpflanzen oder das Einbinden in den Prozess der Essenszubereitung vermitteln Normalität, bringen Abwechslung und Struktur in den Tag. Fehlt die Beschäftigung, lassen nicht nur die entsprechenden Fähigkeiten nach, die Menschen verlieren auch ihre Selbstachtung.
Validation
Der personen-zentrierte Ansatz von Kitwood hat seine Wurzeln in der „Validation“ nach Naomi Feil. Die amerikanische Sozialarbeiterin entwickelte in den 1960er-Jahren ein therapeutisches Kommunikationskonzept für den Umgang und das Verständnis mit dementen Menschen. „Validation“ bedeutet, „etwas für gültig erklären“, also die Realität und Lebenswelt, in der sich der Demenzkranke befindet, wertzuschätzen [13]. Andererseits haben wir trotz Anerkennung der eigenen Lebenswelt auch eine ethisch-moralische Verpflichtung gegenüber Menschen mit Demenz. Wenn sie z. B. mit Fortschreiten der Erkrankung das Ernährungsverhalten ändern oder sogar die Nahrung komplett verweigern.
Diese Verpflichtung lässt sich von der ethischen Grundannahme von Artikel 1 des Grundgesetzes (GG) ableiten: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Dazu gehört das Recht auf Leben (Art. 2 GG), das die Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse einschließt, also auch die Nahrung. Denn ein guter Ernährungszustand ist für den Erhalt der Selbstständigkeit und die Verhinderung weiterer Erkrankungen unverzichtbar. An Demenz erkrankte Menschen verlieren im Laufe der Zeit die Fähigkeit, sich um ihre Ernährung zu kümmern und verkennen die mit der Unterversorgung verbundenen Gefahren.
Sichtbare Hinweise auf Mangelernährung können zu weit gewordene Kleidung, eingefallene Wangen oder ein abnehmender Oberarm- oder Wadenumfang sein. Zur genauen Feststellung einer Mangelernährung gibt es außerdem evaluierte Tests, die in regelmäßigen Abständen durchzuführen sind. Das Mini Nutritional Assessment (MNA) ist das wichtigste Screeningverfahren in der Geriatrie zur Erfassung des Ernährungszustands. Es ist ein einfaches Instrument, bestehend aus einem Fragebogen mit 18 Items zu verschiedenen Bereichen der Ernährung, wie Anthropometrie, Mobilität, Medikamente, Essgewohnheiten und subjektivem Befinden.
Auswirkungen auf Ess- und Trinkverhalten
An Demenz Erkrankte leben im Augenblick. Das, was sie gegenwärtig wahrnehmen und fühlen, ist für sie entscheidend. Es kommt zur Verwechslung von Tag- und Nachtzeiten. Betroffene irren häufig nachts umher und schlafen wiederum zu den Essenszeiten. Aufgrund dieser Unregelmäßigkeiten verändern sich auch ihre Vorlieben. So haben sie zum Beispiel morgens Appetit auf Mittagessen und umgekehrt. Die sprachliche Verständigung kann sich auf wenige Worte oder kurze Sätze beschränken. Betroffene finden nicht das richtige Wort und gebrauchen Ersatzwörter oder Umschreibungen, wie zum Beispiel „braunes Wasser“ anstatt Kaffee. Da ihnen die richtigen Worte fehlen, ist es den Erkrankten oft nicht möglich zu sagen, dass und worauf sie Hunger haben. [1].
Aufgrund nachlassender Sinneswahrnehmungen verändert sich im Laufe der Zeit, bei den meisten Menschen mit Demenz, die Sensibilität gegenüber Aroma- und Geschmacksstoffen. Sie bevorzugen eher stark süße oder würzige Speisen [14].
Ein unzureichender Zustand des Zahnapparates schränkt die Kaufähigkeit ein. Die damit verbundene Atrophie der Speicheldrüsen verändert die Empfindung für feste Speisen im Mund und lässt Gerichte „wie Sand“ schmecken. Dies verstärkt wiederum die Vorliebe für weiche und zuckerhaltige Speisen. Als Folge kann Vitaminmangel entstehen. Ein Mangel an B-Vitaminen führt zu Appetitlosigkeit, Übelkeit oder Antriebslosigkeit. Vitamin-C-Mangel beeinträchtigt den Zustand des Zahnfleisches und der Zähne, was den Teufelskreis schließt.
Auch das Durstgefühl ist schwächer. Die Erkrankten benötigen weniger Flüssigkeit, um das geringe Durstgefühl zu stillen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt eine Flüssigkeitszufuhr von mindesten 1,5 l pro Tag [1].
Ernährungsstrategien bei Demenz
Das Bedürfnis nach Nahrung ist ein existenzielles Grundbedürfnis. Eine ausgewogene Ernährung dient nicht nur dem Erhalt der Körperfunktionen, sie fördert auch soziale sowie psychische Funktionen und trägt somit zum Wohlbefinden bei.
Generell gelten für Menschen mit Demenz die gleichen Ernährungsempfehlungen wie für andere Senioren. Als Orientierung dienen die zehn Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Die Schwierigkeit besteht allerdings darin, den erforderlichen Energie- und Nährstoffbedarf in einer ausreichenden Essensmenge unterzubringen, die dem Demenzkranken schmeckt bzw. seine Wünsche berücksichtigt. Ein weiterer Aspekt der Versorgung ergibt sich aus der besonderen Situation der Demenzerkrankung. In der Regel sind Betroffene leicht ablenkbar. Ihre Konzentration und Fähigkeiten reichen nicht aus, um eine normale Mahlzeit einzunehmen. Eine begonnene Mahlzeit wird abgebrochen und vergessen. Durch den ständigen Bewegungsdrang erhöht sich zudem der Energiebedarf. Auch banale Aktivitäten wie Wischen, Aufstehen, Hinsetzen oder Verschieben des Mobiliars steigern den Energieverbrauch. Deshalb benötigen Menschen mit Demenz bis zu 3500 kcal am Tag. Der durchschnittliche Bedarf für alte Menschen ohne erhöhte Aktivität liegt dagegen bei rund 1800 kcal.
Um den Organismus regelmäßig mit Nährstoffen zu versorgen, empfiehlt es sich, fünf bis sechs kleine Mahlzeiten über den Tag verteilt anzubieten. Zudem ist es unerlässlich, noch vorhandene Ressourcen und Sinnesbereiche gezielt anzuregen und zu fördern, um Selbständigkeit und soziale Integration möglichst lange zu erhalten.
Atmosphäre bei den Mahlzeiten
Zur Sicherstellung des Wohlbefindens von demenzkranken Menschen, sollte sich die Umgebung an die Bedürfnisse des Betroffenen anpassen, da dieser nicht mehr in der Lage ist, sich an seine Umgebung anzupassen. Das gilt für jede Art der Unterbringung, ob zu Hause, im Pflegeheim oder in Wohngemeinschaften. Sowohl die Raum- als auch die Tischgestaltung nehmen Einfluss auf das Essverhalten der Betroffenen. Die Atmosphäre sollte ruhig und entspannt sein, damit der Betroffene sich geborgen fühlt. Ein sicheres soziales Umfeld, das die vereinfachten Fähigkeiten und das unvollständige Verhalten toleriert, fördern die Lust am Essen und Trinken. Auf ablenkende Reize, wie Radio oder Fernsehen, sollte während der Mahlzeiten verzichtet werden.
Eine Fortführung des gewohnten Alltags mit möglichst wenigen Einschränkungen erleichtert die Ernährung. Dazu zählen vertraute Alltagsgegenstände wie Geschirr und Besteck und keine Schnabelbecher oder Kunststoffgeschirr.
Gemeinsames Essen und Trinken in der Gruppe fördert nicht nur den Appetit, demente Menschen essen oftmals besser, wenn sie dies bei anderen beobachten können. Das Essen in der Gruppe ist deshalb ein wichtiger Beitrag zur Selbständigkeit.
Essbiografie
Im hohen Alter werden oftmals die Wünsche nach dem Essen wieder wach, welches man als Kind mochte. Aus diesem Grund ist es wichtig, bei den Vorlieben und Essensgewohnheiten auch solche zu kennen, die in der Familie gepflegt wurden. Wenn der Betroffene selbst keine Auskunft mehr geben kann, können Angehörige und enge Bezugspersonen hierzu befragt werden. In diesem Zusammenhang helfen beispielsweise folgende biografische Angaben, zu klären,
ob der Betroffene früher in der Stadt oder auf dem Land gelebt hat.
in welcher Region er lebte.
ob er selbst eine Hungersnot erlebt hat.
welche Größe seine Ursprungsfamilie hatte (Groß- oder Kleinfamilie).
was in der Kindheit gern gegessen und getrunken wurde.
welche Atmosphäre bei Tisch herrschte (Wurde während des Essens gesprochen, Radio gehört oder gab es Tischgebete?).
wie die Anzahl und Verteilung der Mahlzeiten war.
was es zu besonderen Anlässen z. B. an Sonn- und Feiertagen zu essen gab.
Mit Essen und Trinken kann man Gefühle ansprechen und eine Verbindung zum früheren Leben herstellen.
Speisenauswahl
Wie bereits erwähnt, bevorzugen Menschen mit Demenz häufig süße Speisen. Deshalb sollte sich die Auswahl an Speisen und Getränken eher nach den Vorlieben als an den Empfehlungen einer vollwertigen, ausgewogenen Ernährung ausrichten. Auf Verbote sollte man verzichten. Grundsätzlich sollten Betroffene in die Lebensmittelauswahl einbezogen werden. Es dürfen also auch herzhafte Gerichte gesüßt werden, um dadurch die Nahrungsaufnahme sicherzustellen und einer Mangel- und Fehlernährung entgegenzuwirken. Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages. Die Betroffenen sind in der Regel hungrig. Außerdem sind sie ausgeruht und können sich besser konzentrieren als im Tagesverlauf. Deshalb darf das Frühstück ruhig reichhaltig sein und über das übliche Angebot hinausgehen. Auch beim Mittagessen sollte es eine Auswahlmöglichkeit geben. Wenn demente Menschen die Speisen sehen, fällt ihnen die Auswahl in der Regel leichter und selbst Ausgesuchtes wird eher gegessen. Abends sind die Betroffenen oft so erschöpft, dass ein Abendessen mit Brot und Aufschnitt schwierig ist. Aufmerksamkeit erhalten dagegen kleine Besonderheiten wie eine Suppe oder eine Trinkmahlzeit.
Da an Demenz Erkrankte oft eine Tag-Nacht-Umkehr haben, sollte auch nachts die Möglichkeit bestehen, etwas zu essen. Nächtliche Unruhe ist oft auf Hungergefühle zurückzuführen, die die Betroffenen aber nicht direkt äußern können.
Wenn Demenzpatienten ihre Mahlzeiten nicht mehr mit Besteck zu sich nehmen können oder wollen, sollte man auf Fingerfood umsteigen. Mit den Fingern zu greifen und zu essen regt die Sinne an (durch das Betasten der Speisen) und hilft, die motorischen Fähigkeiten so lange wie möglich zu erhalten. Außerdem ermöglicht Fingerfood den Betroffenen, ihre Mahlzeit im eigenen Tempo zu sich zu nehmen.
Demenzkranke mit motorischer Unruhe sowie großem Bewegungsdrang sind häufig nicht in der Lage, für die Dauer einer Mahlzeit am Tisch zu sitzen. Dadurch können sie ihren erhöhten Energiebedarf trotz Hunger und Appetit meistens nicht ausreichend decken. Um während der Mahlzeit nicht sitzen bleiben zu müssen, bietet „Eat by walking“ (bestehend aus Fingerfood) die Möglichkeit, während des Umherlaufens zu essen [6].
Anregung über die Sinne
Beeinträchtigungen der Sinnesorgane sind alterstypische Erscheinungen, die auch Menschen mit Demenz äußerst belasten. Über die Sinne beschreiben wir häufig unsere Empfindungen, unseren Gemütszustand und unser Tun. Die Sinne verbinden den Menschen mit allen Lebensbereichen. Der Mensch interagiert mit allen Sinnen. Verschlechterungen der Sinneswahrnehmung können zu erheblichen Verlusten der Lebensqualität bis hin zu Gefährdungen im Alltag führen [1].
Schmecken: Durch Veränderungen im Gehirn verändert sich die Wahrnehmung der vier Geschmacksqualitäten sauer, süß, salzig und bitter. Häufig wird nur noch süß erkannt und alles andere schmeckt fade und eintönig. Um den Geschmackssinn zu unterstützen, sollten besonders aus der Vergangenheit beliebte frische Kräuter und Gewürze zum Einsatz kommen. Gleichzeitig sollte darauf geachtet werden, dass die Speisen nicht übermäßig gesalzen sind, da durch eine hohe Salzzufuhr Bluthochdruck und Herzinsuffizienz begünstigt werden. Sehr scharfe Gewürze werden von den Betroffenen meistens abgelehnt.
Fühlen: Die Abnahme der Sinne Hören, Sehen und Schmecken führt dazu, dass Nahrungsmittel immer schlechter wahrgenommen und identifiziert werden können. Über Finger und Mund lassen sich jedoch Konsistenz, Temperatur und Haptik der Speisen erfahren. Die tastenden und forschenden Hände beginnen zu begreifen und erfassen Zusammenhänge.
Sehen: Durch die altersbedingte Abnahme der Sehfähigkeit wird es für Betroffene immer schwerer, Lebensmittel als solche zu erkennen und voneinander zu unterscheiden. Trotzdem lädt eine schön angerichtete Mahlzeit zum Essen ein. Besonders wichtig ist, darauf zu achten, dass die einzelnen Speisen auf dem Teller gut voneinander zu unterscheiden sind. Durch Kontraste und intensive Farben, wie z. B. farbintensives Gemüse und farbiges Geschirr, das sich von der Tischdecke abhebt, lässt sich das Sehen unterstützen.
Riechen: Aromen und Gerüche, die positive Gefühle wecken, können dem Betroffenen Wohlbefinden vermitteln und somit die Nahrungsaufnahme erleichtern – auch wenn selbstständiges Essen nicht mehr möglich ist. Beispielsweise kann der Geruch nach Gebratenem das baldige Mittagessen ankündigen [4].
Hören: Geräusche, die an spezielle Situationen geknüpft sind, können dem Demenzkranken helfen, sich zu orientieren. Beispielsweise werden Geräusche wie Klappern von Geschirr und Besteck in der Küche mit Mahlzeiten verbunden. Dadurch erhält der Betroffenen das Signal, dass Essenszeit ist und sein Appetit wird angeregt.
Interessenkonflikte
Die Autorin erklärt, dass keine wirtschaftlichen oder persönlichen Verbindungen bestehen.
Literatur
Die Literaturliste finden Sie hier.
Autorin
Andrea Gündling
Gesundheitswissenschaftlerin und Heilpraktikerin mit eigener Praxis mit den Schwerpunkten Prävention, Ernährungstherapie und Entspannungsverfahren.