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Sport hat positive Auswirkungen auf die Muskulatur, den Metabolismus, die kognitiven Fähigkeiten und deren Erhalt.
Auf einen Blick
Neue präklinische Modelle und Humanstudien unterstreichen die große Bedeutung des essenziellen Spurenelements Selen und der davon abhängigen Selenoproteine, besonders für die muskuloskeletale Entwicklung, Regeneration nach Belastung, Energiebereitstellung und die positiven gesundheitlichen Wirkungen von Sport. Hierbei kommt der Expression des Selentransporters SELENOP eine Schlüsselstellung zu; ein Selen- und SELENOP-Mangel ist ein Risikofaktor für geringe Leistungsfähigkeit, fehlende positive Effekte von Sport und verzögerte Regeneration nach hoher Belastung. Allerdings darf keine übermäßige Zufuhr erfolgen, um Toxizität zu vermeiden und optimale Trainingseffekte zu erzielen.
Die positiven Effekte moderaten Sports auf den Metabolismus werden zunehmend besser verstanden. Generell kann der Muskel als endokrines Organ wirken und neben den klassischen Zytokinen auch sog. Myokine freisetzen, die andere Organe wie Fett, Leber das Immunsystem und das zentrale Nervensystem erreichen und dort funktionserhaltende und gesundheitsfördernde Effekte vermitteln [1] [2]. Dennoch ist intensiver Sport auch immer mit Stress, Inflammation und entsprechenden Gegenregulationen assoziiert, abhängig von der Dauer, dem Belastungsgrad und der Fitness. Im Nachgang müssen der Körper und die Muskulatur regenerieren, das Immunsystem fährt zurück und der Stoffwechsel ermöglicht wieder anabole Reaktionen, was verschiedenen Alterungsprozessen entgegenwirken kann. Sowohl für die positiven Gesundheitsaspekte von Sport auf die Organfunktionen als auch für die Regeneration und Funktionserhaltung ist eine ausreichende Versorgung mit Mikronährstoffen essenziell. Eine Reihe neuer Modellsysteme und klinischer Studien unterstreicht die zentrale Bedeutung des essenziellen Spurenelementes Selen und der davon abhängigen Selenoproteine für diese gewünschten Effekte.
Je nach Intensität und Trainingszustand bewirkt eine intensive Bewegung Mikroverletzungen, die zur Aktivierung des Immunsystems führen. Hierbei wird das Ausmaß der Zytokinfreisetzung abhängig von einem Selenoprotein des endoplasmatischen Retikulums reguliert, dem Selenoprotein S (SELENOS) [3]. Erreichen proinflammatorische Zytokine die Leber, so wird der Metabolismus von Makro- und Mikronährstoffen in Hepatozyten angepasst. Für den Selenstatus steht hierbei die negative Regulation der Selenfreisetzung über der Reduktion der Synthese des Selentransporters SELENOP als negativ Akut-Phase-Protein im Vordergrund, was zu einem Sinken der Selenkonzentration im Blut führt [4].
Merke
SELENOP versorgt den gesamten Organismus mit Selen, insbesondere das Gehirn, die Nieren, aber auch das Immunsystem, die Knochen und die Muskulatur, also die beim Sport besonders relevanten Gewebe und Organe.
In einer eleganten Studie mit einem Modellorganismus für SELENOP-Mangel konnte der gerichtete Transport von Selen über SELENOP ins zentrale Nervensystem als essenziell für die durch Sport verbesserte Neurogenese und die Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten gezeigt werden. Ein SELENOP-Mangel bewirkte ein komplettes Ausbleiben dieser neuroprotektiven Effekte von Sport [5]. Ähnliche Zusammenhänge zeigten sich auch in der Klinik, z. B. auf den Verlust der kognitiven Leistungsparameter von hospitalisierten Patienten bei SELENOP-Mangel [6]. Der überlebensrelevante Abbau oxidierter Lipide in den Neuronen dürfte der relevante zugrundeliegende Mechanismus sein, da die Aktivität der protektiven Selenoproteine der Glutathion Peroxidase-Familie (GPX) essenziell ist, um den neuronalen Zelltod durch die sog. Ferroptose zu verhindern [7]. Über den gleichen Mechanismus werden auch Muskelzellen und deren Mitochondrien geschützt; ein genetischer Defekt, der zu Selenoproteinmangel führt, ist entsprechend mit einem Verlust glatter Muskulatur der Gefäße assoziiert und prädisponiert z. B. für Aortenschäden und Aneurismen [8].
Zentrale Rolle bei der Regeneration
Neben dem Schutz vor oxidationsinduziertem Zelltod und Gewebeverlust zeigt eine kürzlich veröffentliche Studie nun auch eine zentrale Rolle von Selen bei der Muskelregeneration, also den anabolen Erholungsprozessen nach einer Sport-induzierten Noxe [9]. Hierfür müssen gewebsständige Makrophagen des Muskels die oxidativen Schäden beseitigen, um die Entzündung zu beenden und eine Regeneration zu ermöglichen. Dieser Prozess läuft in jungen Organismen deutlich besser und schneller ab als in älteren, wobei die Qualität der Stammzellnische entscheidend ist. Für deren Unterstützung der Stammzellaktivierung und damit die Geschwindigkeit der Regeneration, also die jugendliche Antwort des Muskels, erwies sich wiederum das Selentransportprotein SELENOP als entscheidender Faktor, der eine ausreichende lokale Versorgung mit dem essenziellen Spurenelement sicherstellt [9]. Dieser nun identifizierte Mechanismus unterstreicht die hohe Bedeutung der richtigen Ernährung und Versorgung mit Spurenelementen für den Erfolg von Sport auf die Muskulatur und das Erreichen und Verbessern des persönlichen Leistungsniveaus.
Entsprechend verbreitet, beliebt und auch relevant sind Supplementationen mit Spurenelementen und Vitaminen, nicht nur bei Hobbysportlern und Profis, sondern auch in anderen Bereichen höchster körperlicher und psychischer Belastung. Schon lange gibt es hierzu detaillierte Studien zu Extremsituationen, von Elitesoldaten, Polarforschern oder Astronauten bis zu Bergsteigern, die allesamt dem höheren Bedarf bei außergewöhnlicher Belastung durch gezielte Supplementationen begegnen [10].
Balance zwischen Zufuhr und Bedarf erforderlich
Entsprechend sind gerade Sportler oft sehr ernährungsbewusst und kennen die Bedeutung von Mikronährstoffen genau. Mitunter werden deshalb ungewöhnlich hohe Mengen von u. a. auch selenhaltigen Supplementen genommen, insbesondere wenn es als Bestandteil von Kombinationspräparaten neben anderen Spurenelementen und Vitaminen begleitend vorliegt. Die Gefahr einer Übersupplementation bis hin zu negativen Gesundheitsauswirkungen oder gar Selenvergiftungen (Selenosen) kann deshalb gegeben sein [11]. Überdies zeigten auch gezielte Untersuchungen der Auswirkungen von Sport auf z. B. die Insulinsensitivität, dass eine überhöhte Zufuhr antioxidativer Vitamine wie Vitamin C oder Vitamin E hier den gesundheitsfördernden Aspekt von Sport verringern kann [12]. Dass dieser Effekt auch nach einer übermäßigen Einnahme von Selensupplementen auftreten kann, ist derzeit nicht auszuschließen [13]. Insofern, wie so oft im Leben, bedarf es einer guten Balance an Zufuhr und Bedarf, um den optimalen Trainingseffekt auf die muskuloskeletale und metabolische Gesundheit zu erzielen.
Hintergrund
Die Sonderstellung von Selen unter den Mikronährstoffen wird in diesem Zusammenhang durch die intensive molekularbiologische und physiologische Charakterisierung von seltenen Genmutationen zentraler Komponenten der Selenbiologie unterstrichen. Mutationen im Gen SECISBP2, welches den Einbau der Aminosäure Selenocystein in die Selenoproteine entscheidend unterstützt, führen zu einer Fehlregulation der Schilddrüsenhormonachse, der Insulinsensitivität und der Knochen- und Muskelentwicklung [14]. Innerhalb der Muskulatur erwies sich das Selenoprotein N (SELENON) als essentieller Bestandteil der Myozyten; eine Mutation im SELENON Gen ist mit schweren Erkrankungen assoziiert und bewirkt einen Phänotyp angeborener Muskeldystrophie mit Wirbelsäulensteifigkeit und restriktivem Atmungssyndrom [15].
Auch Symptome der chronischen Fatigue mit fehlender Körperkraft und langen Phasen der Erschöpfung nach geringfügiger körperlicher Belastung (Post-Exertional Malaise, PEM) werden mit einem gestörten Selentransport in die Muskulatur in Verbindung gebracht. Hier scheint der Selenmangel im Gewebe eine lokale Hypothyreose zu verursachen, die entsprechend zu einer mangelhaften Aktivierung der Mitochondrien führt [16]. Als Energieproduzenten können Mitochondrien eine Quelle reaktiver Sauerstoffspezies darstellen, deren Schadenspotenzial durch die Selenoproteine der GPX- und Thioredoxin-Reduktase (TXNRD)-Familien begrenzt wird [17]
Diese Beispiele zeigen, welche Funktionen einzelne Selenoproteine für das endokrine und muskuloskeletale System, die ATP-Gewinnung und Leistungsfähigkeit übernehmen und unterstreichen damit auch die Bedeutung der Ernährung für die positiven Gesundheitseffekte von Sport auf den Stoffwechsel, die Muskulatur und den Gesamtorganismus.
Diskussion
Zusammenfassend zeigen die verfügbaren Studien, dass eine ausreichende Versorgung mit Selen eine Voraussetzung für eine optimale Leistungsentfaltung ist, ein Mehrbedarf durch eine starke Belastung generiert wird und bestimmte Selenoproteine für die Regeneration und die anabolen Trainingseffekte essenziell sind. Eine potenzielle Übersupplementation, gerade durch die Kombination mehrerer Präparate mit Mineralien und Vitaminen in schwer kalkulierbarer Gesamtmenge und mit potenziell interferierenden Wirkungen, sollte vermieden werden. Die vielseitige Ernährung mit ausreichenden Proteinquellen kann den Mehrbedarf an Mineralien im Freizeitsport unterstützen, reicht aber oft schon ohne sportbedingten Mehrbedarf im Fall von Selen nicht aus [18]. Chronische Erkrankungen, Infektionen, einseitige Ernährung, ungünstige genetische Voraussetzungen oder andere individuelle Charakteristika können den persönlichen Bedarf noch weiter erhöhen.
Ausbleibender Trainingserfolg, Symptome von Leistungsabfall, verzögerte Regeneration oder andere muskuloskeletale Probleme, die trotz vielseitiger Ernährung und maßvoller sportlicher Aktivität auftreten, gerade im Nachgang einer Verletzung, Infektion oder anderen Noxen, könnten auf einen relevanten Mangel oder Transportdefekt hindeuten. Sicherheit kann dann nur die Laboranalytik liefern, um eine angemessene personalisierte Versorgung zu ermöglichen. Diese Empfehlung gilt aber nicht nur für Selen, sondern auch für andere kritische Spurenelemente, die in unserer üblichen Ernährung oft nicht ausreichend vorliegen, wie z. B. Eisen, Jod und Zink. Auch hier macht die Dosis das Gift oder verbessert die metabolische Gesundheit und sportliche Leistungsfähigkeit, je nach Balance von Bedarf und Zufuhr.
Autor
Prof. Dr. Lutz Schomburg
ist stellvertretender Direktor des Instituts für Experimentelle Endokrinologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin. Nach dem Studium der Biochemie in Hannover promovierte er am Max-Planck-Institut für Experimentelle Endokrinologie und arbeitete dann als Wissenschaftler an der Harvard University, Boston, und der Julius-Maximilians-Universität, Würzburg. Seit 20 Jahren forscht er mit seinem Team in Berlin an der Bedeutung der Ernährung für Endokrinopathien, insb. am Einfluss von Spurenelementen auf Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse. 2017 gründete er die Firma selenOmed GmbH, die sich auf die Selendiagnostik spezialisiert hat.
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