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Jeder 10. Bewohner eines Pflegeheims ab 65 Jahren gilt als stark mangelernährt – so das Ergebnis der ErnSTES-Studie, einer Multicenterstudie zur Ernährung älterer Menschen in stationären Einrichtungen [1]. Lediglich ⅓ der Bewohner befindet sich laut dieser Studie in einem unauffälligen Ernährungszustand, während über 50% der Senioren als mangelernährt und 11% sogar als manifest mangelernährt eingestuft wurden. Als mögliche Ursachen werden diskutiert:
- chronische Resorptionsstörungen
- Kau- und Schluckstörungen
- eine verminderte Durst-, Geruchs- und Geschmackswahrnehmung
- Mundtrockenheit durch verminderte Speichelsekretion
- Appetitlosigkeit
- kognitive und mentale Störungen
- chronische Erkrankungen
- Arzneimitteleinflüsse
- soziale Situation, Stichwort „Altersarmut“
Infolge der schlechten Ernährungssituation älterer Menschen liegt die Zufuhr vieler Vitamine und Mineralstoffe unterhalb der DGE/ÖGE-Referenzwerte, also der Empfehlungen der Ernährungsfachgesellschaften aus Deutschland und Österreich [2]. Dies bestätigen auch verschiedene aktuelle Untersuchungen zum Ernährungs- und Biofaktorenstatus bei Senioren [3] [4] [5].
Biofaktorenmangel bei Senioren – was zu beachten ist
Ein Biofaktorenmangel kann neben anderen Ursachen auch mit verschiedenen Erkrankungen in Verbindung stehen. Dazu zählen Hypertonie, Herzinsuffizienz und Herzrhythmusstörungen, neurodegenerative Erkrankungen wie Demenz, Polyneuropathie und Parkinson sowie Typ-2-Diabetes, Osteoporose, Frailty-Syndrom, Erkrankungen des Immunsystems oder Depressionen. Ein Mangel einzelner Biofaktoren wird zudem in Zusammenhang mit der Entstehung verschiedener Krebserkrankungen diskutiert [6].
Bei Verdacht auf einen Biofaktorenmangel sollte dieser durch Anamnese und Nachweis der Mangelsymptomatik geprüft und labordiagnostisch bestätigt werden. Bei einem nachgewiesenen Mangel empfiehlt sich statt einer pauschalen Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln der gezielte Einsatz einzelner Biofaktoren, die als zugelassene Arzneimittel den Mangel ausgleichen und die gesamte Therapie sinnvoll ergänzen.
Einnahme von Arzneimitteln als Risikofaktor für Biofaktorenmangel [7] [8] [9]
Laut Statistiken nehmen Rentner rund 6, Pflegeheimbewohner über 9 verschiedene Arzneimittel ein. Für jedes zusätzliche Arzneimittel steigt das Risiko für Pflegeheimeinweisung und Tod um knapp 9% [10]. Zahlreiche Arzneimittel können zusätzlich zu ihren Nebenwirkungen auch die Resorption von Biofaktoren vermindern und/oder deren Ausscheidung erhöhen (Tab. 1).
Erhöhtes Risiko für Vitamin-B12-Mangel bei Senioren
Rund ⅓ der Menschen über 65 Jahre sind von einem Vitamin-B12-Mangel betroffen, bei den über 85-Jährigen sind es sogar bis zu 40% [11].
Als mögliche Ursachen werden diskutiert [12]:
- Helicobacter-pylori-Infektion
- intestinale Erkrankungen wie Morbus Crohn
- Antikörper gegen Intrinsic- oder Parietal-Zellen
- Ileum-Resektion
- eine bakterielle Überwucherung des Darms
- Arzneimitteleinnahme, z. B. Protonenpumpenhemmer [13], Metformin [14] oder Duodopa-Pumpe [15]
Wie sich ein Vitamin-B12-Mangel zeigt
Die Symptome eines Vitamin-B12-Mangels reichen von hämatologischen Störungen im Sinne einer megaloblastären Anämie bis hin zu neurologischen und psychiatrischen Beschwerden. Neurologisch macht sich ein Vitamin-B12-Mangel als funikuläre Myelose bemerkbar – einer Degeneration des Hinterstranges und des Seitenstranges mit Leitungsstörungen der Nervenbahnen und einer Polyneuropathie [16]. Durch Schädigung zentraler Nervenbahnen kann es zu zerebralen Störungen kommen, die sich mit Verwirrtheit, Stupor, Gedächtniseinbußen und Psychosen manifestieren [17]. Es ist bspw. gut dokumentiert, dass ein latenter Vitamin-B12-Mangel bei älteren Menschen mit einer sinkenden geistigen Leistungsfähigkeit und signifikant geringeren Gedächtnisleistungen verknüpft ist und zu den häufigsten behandelbaren Ursachen einer Demenz zählt [18]. Zudem gibt es Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Vitamin-B12-Mangel und einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz [19]. Auch konnte bei etwa 30% depressiver Patienten – und insb. bei Senioren – ein Vitamin-B12-Mangel diagnostiziert werden [20].
Genaue Hinweise zur Erkennung, Diagnose und Behandlung eines Vitamin-B12-Mangels gibt die im März dieses Jahres veröffentlichte NICE-Leitlinie.
Hier sind die wichtigsten Empfehlungen [21]:
- Symptome und Anzeichen eines Vitamin-B12-Mangels können variieren und sind oft nicht eindeutig als Vitamin-B12-Mangel erkennbar.
- Ein Vitamin-B12-Mangel ist nach einer totalen Gastrektomie oder einer vollständigen terminalen ilealen Resektion sehr wahrscheinlich.
- Die Diagnose eines Vitamin-B12-Mangels kann nicht automatisch ausgeschlossen werden, wenn die Patienten keine megaloblastäre Anämie haben.
- Es ist gut dokumentiert, dass neurologische Symptome eines Vitamin-B12-Mangels bereits vor den Blutbildveränderungen oder ganz ohne diese auftreten können.
- Ein Vitamin-B12-Mangel kann mit psychischen Beschwerden einhergehen, einschließlich Symptomen von Depression, Angst oder Psychose.
Vitamin-B12-Mangel ausgleichen [22] [23]
parenteral: 1000 µg s. c. oder i. m.
- 1 Woche täglich, dann
- 1 Monat wöchentlich, dann
- meist lebenslang alle 1–3 Monate in Abhängigkeit von Kontrollen der Serumspiegel
oral: 1 Tablette 1000 µg
- 1 Monat 1(–2) Tabletten/d, dann
- meist lebenslang 1 Tablette/d (bis 1 Tablette/Woche) in Abhängigkeit von Kontrollen der Serumspiegel
Der Ausgleich des Vitamin-B12-Mangels ist durch die Verfügbarkeit einer hochdosierten oralen Form erleichtert worden, die eine vom Intrinsic Factor unabhängige Aufnahme durch passive Diffusion im gesamten Dünndarm ermöglicht und von den meisten Patienten einer parenteralen Supplementierung vorgezogen wird. Eine orale Supplementierung kann auch bei einer Spritzenphobie oder als Erhaltungstherapie nach parenteraler Behandlung erfolgen.
Bei Senioren auf den Vitamin-D3-Status achten
Schon längst geht es bei Vitamin D3 nicht mehr nur um dessen Bedeutung in der Osteoporoseprävention. In den letzten Jahren konnten weitere positive Vitamin-D3-Effekte gezeigt werden – bspw. bei Krebs [24] [25] [26], kardiovaskulären Erkrankungen [27], Atemwegsinfektionen [28], Asthma [29] oder Autoimmunerkrankungen [30]. Voraussetzung für einen Nutzen ist allerdings laut aktueller Studienlage ein nachgewiesener Vitamin-D3-Mangel. Dies konnte z. B. bei der viel diskutierten VITAL-Studie gezeigt werden. Hier hatten zu Studienbeginn lediglich 12,7% der Probanden einen Vitamin-D3-Mangel. Erwartungsgemäß waren die präventiven Effekte einer Vitamin-D3-Supplementation im Hinblick auf Krebs oder kardiovaskuläre Erkrankungen nicht signifikant. Bei der Bewertung der Ergebnisse der VITAL-Studie [31] [32] ist also zu berücksichtigen, dass über 85% der Studienteilnehmer zu Beginn überhaupt keinen Vitamin-D3-Mangel aufwiesen. Auch in der überwiegenden Mehrheit weiterer randomisierter kontrollierter Vitamin-D3-Studien wurden die Populationen nicht auf Personen mit Vitamin-D3-Mangel beschränkt. Einige erlaubten sogar eine moderate Vitamin-D3-Ergänzung in Placebogruppen [33]. Insgesamt unterstreichen diese Ergebnisse daher die Notwendigkeit, nur einen „echten“ Vitamin-D3-Mangel zu behandeln [34].
Sollte sich der Verdacht auf einen Vitamin-D3-Mangel bestätigen, werden zur Supplementierung meist Tagesdosen zwischen 1000 und 4000 I. E. Vitamin D3 oral empfohlen. Bei Resorptionsstörungen oder adipösen Patienten und um einen Vitamin-D3-Mangel möglichst rasch zu beheben, können anfangs bis zu 6000 I. E. supplementiert werden [35].
Außerdem ist an die Synergie mit Magnesium zu denken. Magnesium wird als Kofaktor für die Bindung von Vitamin D3 an Transportproteine im Blut benötigt und ist an der enzymatischen Umwandlung der Vitamin-D-Vorstufe Calcidiol (=25-Hydroxy-Vitamin D3) in die biologisch aktive Form Calcitriol (=1,25-Dihydroxy-Vitamin D3) beteiligt. Vitamin D3 unterstützt die intestinale Magnesiumresorption.
Welche Rolle Magnesium im Alter spielt
Ein Magnesiummangel kann nicht nur zu unspezifischen Symptomen wie Erschöpfung, Nervosität oder Schlafstörungen führen. Auch im Hinblick auf die Volkskrankheiten Diabetes, Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist auf eine gute Magnesiumversorgung zu achten [36].
Diabetes mellitus
Der Biofaktor ist am Glukosestoffwechsel beteiligt. Eine erniedrigte Magnesiumserumkonzentration kann zu einer Insulinresistenz und einer schlechten glykämischen Kontrolle führen. Durch die verstärkte osmotische Diurese – bei nicht optimaler metabolischer Kontrolle – kommt es zu renalen Magnesiumverlusten. Diese können wiederum den Magnesiummangel und die Stoffwechsellage weiter verschlechtern und zu einem Circulus vitiosus führen.
Studien zeigen, dass sich eine Magnesiumsupplementierung positiv auf den Glukosestoffwechsel auswirkt [37]. Eine orale Supplementation kann die Insulinsensitivität und die Qualität der Diabeteseinstellung verbessern und zudem in der Prävention diabetischer Folgeerkrankungen hilfreich sein [38] [39].
Hypertonie und Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Beobachtungsstudien zeigen einen inversen Zusammenhang zwischen Magnesiumstatus und Hypertonie [40] oder Herzinsuffizienz [41]. In Interventionsstudien und Metaanalysen konnte nachgewiesen werden, dass sich eine Magnesiumsupplementierung positiv auf den Verlauf der genannten Erkrankungen auswirken kann [42] [43] [44] [45]. Eine blutdrucksenkende Wirkung ist ab einer Tagesdosis von etwa 300 mg oral supplementiertem Magnesium über einen Zeitraum von einem Monat zu erwarten. Bei Patienten mit schwerem Magnesiummangelsyndrom kann im Einzelfall die Dosierung auch höher liegen [46] [47].
Ein Magnesiummangel kann zudem Herzrhythmusstörungen verursachen [48]. Vor einer Therapie mit Antiarrhythmika empfiehlt sich die Untersuchung auf einen potenziellen Magnesiummangel und sein gezielter Ausgleich [49] [50]. Der Ausgleich eines Magnesiummangels in Prävention und Behandlung von Herzrhythmusstörungen haben verschiedene Fachgesellschaften in ihre Leitlinien integriert [51]. Je nach Symptomatik und Schwere des Magnesiummangels wird dieser parenteral oder oral ausgeglichen.
Klinische Symptomatik eines Magnesiummangels
Erste Anzeichen und Symptome eines Magnesiummangels können vielfältig sein (Tab. 2).
Magnesiummangel ausgleichen
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) empfiehlt zur Kompensation eines Magnesiummangels eine max. Tagesdosis von 250 mg Magnesium in Form von Supplementen. Die Tagesdosis sollte auf mind. 2 Portionen aufgeteilt werden, um die Verträglichkeit zu erhöhen [54] [55]. Aufgrund der osmotischen Wirkung im Intestinum kann eine übermäßige Magnesiumzufuhr zu Diarrhöen führen. Gesunde Menschen sollten sich daher an die vom BfR vorgegebene Tageshöchstmenge und Darreichung halten. Bei den o. g. Erkrankungen sind jedoch meist höhere Dosierungen, teils bis in den Grammbereich zu empfehlen, um die gewünschte Serumkonzentration von mindestens 0,85 mmol/l zu erreichen.
Biofaktorenmangel bei Senioren – Fazit für die Praxis
Senioren können bedingt durch Fehlernährung, Krankheiten, soziale und kognitive Faktoren oder Arzneimitteleinflüsse einen Vitamin- und Mineralstoffmangel aufweisen. Daher sollte gerade bei dieser Patientengruppe auf eine optimale Biofaktorenversorgung geachtet werden. Am Beispiel der Vitamine B12 und D3 sowie Magnesium wird empfohlen, potenzielle Mangelzustände gezielt nachzuweisen und bei vorliegendem Mangel auszugleichen. So kann mangelbedingten Krankheiten älterer Menschen vorgebeugt bzw. deren Entwicklung positiv beeinflusst werden.
Autoren
Dr. rer. nat. Daniela Birkelbach
arbeitet nach Beendigung ihres Studiums der Chemie mit anschließender Dissertation als Heilpraktikerin in eigener Praxis sowie als Referentin und Autorin im Bereich Biofaktoren.
Die Gesellschaft für Biofaktoren e. V. (GfB) ist ein gemeinnütziger Verein, der das Ziel verfolgt, die wissenschaftlichen Grundlagen der Therapie und Prophylaxe mit Biofaktoren zu fördern.
Weitere Informationen: www.gf-biofaktoren.de
Prof. Dr. med. Klaus Kisters
ist Facharzt am Medizinischen Versorgungszentrum Praxisklinik und Dialysezentrum Herne. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten zählen u. a. Innere Medizin, Nephrologie und klinische Geriatrie.
Prof. Dr. med. Hans-Georg Classen
war von 1976–2001 Leiter des FG „Pharmakologie und Toxikologie der Ernährung“ an der Uni Hohenheim, 2000 Ehrenpräsident der Gesellschaft für Magnesium-Forschung und seit 1994 Vorsitzender der Gesellschaft für Biofaktoren e. V.
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