von Peter Weber
Der Anstieg der Lebenserwartung ist ein globaler Trend, der gerade in den Industrieländern in den letzten Jahrzehnten sehr deutlich zulegte. Auch Deutschland ist davon nicht ausgenommen: Nach jüngsten Schätzungen des Statistischen Bundesamtes Wiesbaden wird erwartet, dass der Anteil der über 65-Jährigen von ca. 13 % in 2013 auf ca. 33 % in 2016 angestiegen sein wird [1]. Dies ist natürlich eine sehr erfreuliche Entwicklung, die aber auch mit einer Reihe von Herausforderungen einhergeht. Davon ist auch die Ernährung betroffen.
Inhalt
Ernährung im Alter – die Herausforderung
Ernährung im Alter – neue Optionen?
Personalisierung – auch in der Ernährung ein Zukunftskonzept?
Ernährung im Alter – die Herausforderung
Eine Reihe von Faktoren kann im Alter den Ernährungsstatus beeinflussen [2]: Reduzierte Absorption von Nährstoffen, verminderte Kaufähigkeit, geringer Appetit und Dehydratation, soziale Isolation und Immobilität, Multimedikation und Hospitalisierung, um nur einige Beispiele zu nennen [3]. Mit dem erhöhten Lebensalter geht leider auch häufig eine vermehrte Erkrankungsanfälligkeit in den letzten Lebensjahren einher, bedingt durch die sogenannten „Non-communicable Diseases“ (NCD), wie Herz-/Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes u.v. a. mehr. Nach Schätzungen der WHO ist eine angemessene Ernährung ein wichtiges Element, um das Risiko zu vermindern, an NCD zu erkranken [4]. Das Institute of Medicine (IOM) fasst dies so zusammen: „…Ernährung ist der Schlüssel, um ein gesundes Altern und eine gute Lebensqualität bei älteren Menschen zu erzielen…“ [5].
Im Folgenden werden am Beispiel der essenziellen Mikronährstoffe praxisrelevante Aspekte diskutiert, die in der täglichen Routine unmittelbar umgesetzt werden können, und es werden mögliche neue pharmakologische Optionen der Mikronährstoffe in der Prävention und Behandlung von NCD besprochen.
Ernährungsstatus
Gemessen an den derzeitigen Empfehlungen ist die Vitaminversorgung älterer Menschen unzureichend. Vor allem die Versorgung mit den fettlöslichen Vitaminen D und E erscheint kritisch. Auch bei den wasserlöslichen Vitaminen C und B – hier ist insbesondere Folsäure hervorzuheben – sind die über 65-Jährigen ungenügend versorgt. Die Versorgungssituation mit diesen essenziellen Mikronährstoffen scheint dabei mit zunehmend eingeschränkten Selbstversorgungsmöglichkeiten der Älteren schwieriger zu werden. Gerade nach Hospitalaufenthalten oder bei Unterbringung in einem Pflegeheim wird sie dann zu einem Problem [2]. Auch bei nachlassender mentaler Kapazität ist mit einer unzureichenden Ernährung zu rechnen. Die ESPEN (European Society for Clinical Nutrition and Metabolism) hat entsprechende Leitlinien publiziert, die bei diesen Patienten eine rechtzeitige Berücksichtigung von Nutritional Supplements empfehlen. Diese sollten allerdings einen ausgewogenen Mix der unterschiedlichen Makro- und Mikronährstoffe enthalten [6].
Empfehlung für die Praxis
In erschwerten Ernährungssituationen bei älteren Patienten sollten Sie an die Vitaminversorgung denken. Machen Sie gezielte Vorschläge zur Verbesserung der Ernährungssituation. Bei bekannter, diesbezüglicher Incompliance des Patienten sollten entsprechende Ernährungssupplemente gegeben werden.
Ernährung im Alter – neue Optionen?
Neben diesen allgemeinen Gesichtspunkten, die bei den älteren Patienten eine bedarfsgerechte Ernährung entsprechend den derzeitigen Richtlinien sicherstellen sollen, gibt es ermutigende neue Studien. Diese zeigten bei Dosen, die weitaus höher sind als die der täglichen adäquaten Zufuhr (Dietary Reference Values), einen günstigen Effekt auf den Verlauf von einigen NCD. Einige Beispiele werden nachfolgend angesprochen.
Kognitive Kapazität im Alter
Über das Nachlassen der mentalen Fähigkeiten sorgen sich viele ältere Patienten – und dies umso mehr, da akzeptierte, effektive pharmakologische Therapien fehlen. Es gibt eine Reihe von Untersuchungen, die den Effekt der Ernährung auf die kognitiven Funktionen untersucht haben. Unterschiedliche Studiendesigns sowie relativ wenige randomisierte, klinische Studien (RCT) und sehr heterogene Populationen erschweren eine klare Aussage und Empfehlung. Nach einem kürzlich erschienenen Review haben neben den mehrfach ungesättigten Fettsäuren (PUFA), die B-Vitamine sowie die Vitamine D, C und E das Potenzial, die Entwicklung oder das Fortschreiten einer Demenz zu beeinflussen [3]. In einem RCT wurde im Magnetresonanz-Imaging (MRI) gezeigt, dass die altersphysiologische Rückbildung der Gehirnmasse durch die tägliche Gabe von 20 mg Vitamin B6, 0,8 mg Folsäure und 0,5 mg Vitamin B12 über einen Zeitraum von 2 Jahren in der Verum-Gruppe signifikant langsamer war als in der Placebo-Gruppe [7]. Dieser Nutzen war besonders deutlich bei den Patienten mit einer guten PUFA-Versorgung [8]. Ein anderer RCT berichtet, dass die Gabe von 2000 mg Vitamin E pro Tag ebenfalls über 2 Jahre nicht nur von den Patienten sehr gut vertragen wurde, sondern wohl auch die Selbstständigkeit der Patienten, gemessen an der Zeit des Pflegeaufwandes, länger erhalten blieb [9].
Fettleber
Ein anderes wichtiges gesundheitspolitisches Problem ist das Übergewicht. Eine Folge davon ist die ektope Fettdeposition in der Leber, die sogenannte nichtalkoholische Fettleber (NAFLD), die bei einem Teil der Patienten durch entzündliche Prozesse fortschreitet zur nichtalkoholischen Steatohepatitis (NASH) und im Weiteren bei einigen Patienten zu einem Umbau der Leber bis hin zur Leberzirrhose führen kann. Nach einer jüngeren Publikation ist die NAFLD mittlerweile die häufigste Ursache für chronische Lebererkrankungen in der westlichen Welt. Prognosen gehen davon aus, dass die NAFLD im Jahr 2030 der häufigste Grund für eine Lebertransplantation sein wird [10]. In einer neueren RCT bei Patienten mit NASH führte die tägliche Gabe von 800 mg Vitamin E zu einer deutlichen Verbesserung der Erkrankung, gemessen u. a. an einer Reduktion der entzündlichen histologischen Parameter, die in einer Leberbiopsie beurteilt wurden [11].
Personalisierung – auch in der Ernährung ein Zukunftskonzept?
Ein anderes wichtiges Thema der modernen Medizin ist es, die Behandlung an die individuellen Bedürfnisse der Patienten anzupassen, die sog. Personalisierung. Viele Studien haben den Effekt von Vitamin E auf Ergebnisse bei kardiovaskulären Erkrankungen (CVD) untersucht. Jedoch konnten die erfolgsversprechenden vorklinischen Ergebnisse und Daten von epidemiologischen Studien nicht in RCT bestätigt werden. All diesen Untersuchungen war jedoch gemeinsam, dass sie nicht den Genotyp des Patienten berücksichtigt hatten. Der Genotyp hat jedoch folgenden Einfluss: Für den raschen Abbau von Hämoglobin, das als Fe-haltiges Molekül ein starkes Oxidans ist, ist das antioxidativ wirkende Haptoglobin (Hp) wichtig. Haptoglobin kommt in verschiedenen genetischen Varianten vor. So trägt ein Drittel der Bevölkerung etwa den Genotyp Hp 2–2. Patienten mit der Variante Hp 2–2 metabolisieren das Hämoglobin sehr viel langsamer als die Patienten mit dem „Wildtyp“‘ Hp 1–1. Damit erhöht sich für die Menschen mit der Hp-2–2-Variante der metabolische Stress. Diabetiker, die bekanntermaßen einem höheren metabolischen Stress unterliegen, haben ein 2- bis 5-fach erhöhtes CVD-Risiko, wenn sie die Mutante Hp 2–2 tragen. In der ICARE-Studie, einem RCT mit mehr als 1600 Diabetikern (alle Träger des Hp 2–2 Merkmals), konnte nun gezeigt werden, dass sich das Risiko für verschiedene CVD-Endpunkte schon nach anderthalb Jahren bei denjenigen Patienten signifikant reduzierte, die 400 mg Vitamin E pro Tag erhielten [12]. Diese Beobachtung findet weitere Bestätigung durch eine Re-Analyse der HOPE-Studie, die ohne Genotypisierung keinen Effekt von Vitamin E auf CVD-Endpunkte berichtet hatte. In einer retrospektiven Analyse der Subgruppe der Diabetiker jedoch, die das Merkmal Hp 2–2 trugen, wurden in der Gruppe mit 400 mg Vitamin E täglich signifikant weniger CVD-Ereignisse gefunden [13].
Ähnliche Beobachtungen gibt es für die homozygoten Träger des schon seit Längerem bekannten Polymorphismus (TT genotype) bei dem Gen, das für das Enzym Methylentetrahydrofolat-Reduktase (MTHFR) im Folsäuremetabolismus codiert. Auch hier deuten Daten darauf hin, dass eine individuell angepasste Vitaminbehandlung von Vorteil sein kann. Die Patienten mit dem homozogoten Polymorphismus MTHFR 677C→T haben nicht nur einen höheren systolischen und auch diastolischen Blutdruckausgangswert, die Intervention mit 1,6 mg Vitamin B, einem Cofaktor des MTHFR, reduzierte in einem RCT im Vergleich zu der Placebo-Gruppe auch signifikant den Blutdruck [14].
Empfehlung für die Praxis
Neuere Studien unterstützen in ausgewählten Fällen die Anwendung von Vitaminen zur Risikoreduktion von NCD, wie für Vitamin E und CVD sowie für die B-Vitamine B6, B12 und Folsäure für die mentale Funktion gezeigt. Diese Befunde sind vorläufig. Da jedoch gerade für das Nachlassen der mentalen Fähigkeiten keine effektive pharmakologische Behandlung etabliert ist und diese Mikronährstoffe ein sehr breites Sicherheitsprofil haben, sollten sie in das Behandlungskonzept mit einbezogen werden können. Das Gleiche gilt auch für die Vitamine E und B2, die bei Patienten mit einem bestimmten Genotyp neue Therapieoptionen im Rahmen der Personalisierung aufzeigen.
Kernaussagen
Am Beispiel der essenziellen Mikronährstoffe wurden mögliche Optionen einer ernährungsphysiologischen sowie einer pharmakologischen Behandlung zur Risikoreduktion für ausgewählte NCD illustriert. Diese Möglichkeiten sollten in der Praxis mehr Anwendung finden, um damit neben der Lebenserwartung auch die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.
Autor
Peter Weber
Ernährungswissenschaftler
Wissenschaftliche Schwerpunkte: Mikronährstoffe zur Prävention chronischer Erkrankungen, Ernährungsstatus in Risikogruppen sowie Ernährungssicherheit
Literatur
Die Literaturliste finden Sie hier.