HeilpflanzenporträtBibernelle - Tausendsassa vergangener Zeiten

Die Bibernelle war im Mittelalter als Rundum-Heilmittel beliebt. Heutzutage verwendet man sie zur Behandlung von Husten, Heiserkeit, Bronchitis und Angina.

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Bibernelle mit Blüte Nahaufnahme.
Oleh Marchak/stock.adobe.com

Pimpinella major: Wenn von der Bibernelle die Rede ist, sind meist die große Bibernelle (Pimpinella major) oder die kleine Bibernelle (Pimpinella saxifraga) gemeint.

Unauffällig und fast vergessen fristet sie heute ihr bescheidenes Dasein. Oft ist sie in Rezepten nur ein Bestandteil von vielen, ohne dass sie Furore macht: die Bibernelle.

Dabei war sie einst eine der bedeutsamen Heilpflanzen, der unsere kräuterkundigen Vorfahren Anerkennung zollten. Die Bibernelle versprach Gesundheit sowie Schutz vor Dämonen und Krankheit. Genau das, was die Menschen im Mittelalter gebraucht hatten.

Heilmittel, Hexensuppe und Liebeszauber

Bereits der griechische Arzt Hippokrates nutzte die Bibernelle medizinisch. Nach ihm geriet sie lange in Vergessenheit. Erst in mittelalterlichen Schriften taucht sie wieder auf. Zu dieser Zeit pries die breite Bevölkerung sie als Geheimmittel zur Vorbeugung gegen den Schwarzen Tod, aber auch zum Schutz vor anderen ansteckenden Krankheiten [[1]] (siehe Abschnitt: „Volksheilkundliche Anwendungen“).

Es kursierten unzählige Mischungen, in denen sie wesentlicher Bestandteil war. Dutzende überlieferte Verse und Lieder zeugen bis heute davon. Meist taucht sie in Sprüchen in Kombination mit weiteren Heilpflanzen wie Knoblauch, Engelwurz, Wacholder, Enzian, Tormentill oder Lorbeer auf.

Dem Volksglauben nach ernährten sich Waldfrauen reichlich von Bibernelle, die ihnen ihr außerordentlich hohes Alter ermöglichte. Gleichzeitig bot sie Schutz vor Zauber, Flüchen und Giften. Häufig war sie Bestandteil ihrer Hexensuppen [[9]].

Selbst die Äbtissin Hildegard von Bingen riet zu einem Biber-nellamulett, um den Träger durch seine Duftaura vor Dämonen zu behüten [[10]].

Im Jahre 1918 soll die Bibernelle wertvolle Dienste bei der Behandlung der Spanischen Grippe geleistet haben. Überlieferungen berichten, dass der Teeaufguss die Genesungsphase auf etwa zwei Wochen verkürzte [[6]].

Zu früheren Zeiten war die Bibernelle unter dem Namen Bockwurz bekannt, da sie eine große Rolle bei heidnischen Fruchtbarkeitsriten spielte. So war es etwa im Zeitalter des Mittelalters üblich, dass Jünglinge eine Bibernellwurzel heimlich in die Tasche ihres angebeteten Mädchens schmuggelten, wenn es mit dem gegenseitigen Verlieben nicht wunschgemäß verlief. Dieser Liebeszauber sollte dafür sorgen, dass die Umworbene ihm unweigerlich verfiel [[10]].

Botanik – vielfältig mit Verwechslungsgefahr

Die zu den Doldenblütlern zählende Gattung der Bibernellen (Pimpinella) überrascht mit ihrer Vielfältigkeit. Rund 150 verschiedene Arten, zu denen auch der Anis (Pimpinella anisum) gehört, sind in Eurasien und Afrika bekannt.

Wenn jedoch schlicht von der Bibernelle die Rede ist, so sind meist zwei bestimmte Arten gemeint: die große Bibernelle (Pim-pinella major) oder die kleine Bibernelle (Pimpinella saxifraga).

Merke

Doldenblütler sehen sich untereinander oft zum Verwechseln ähnlich. Innerhalb der Familie gibt es einige giftige Vertreter wie den potenziell tödlichen Gefleckten Schierling oder die Hundspetersilie. Für einen ungefährlichen Genuss sollten Laien Doldenblütler im heimischen Garten gezielt aussäen.

Während die große Bibernelle eine Höhe von bis zu einem Meter erreicht, ist ihre kleine Schwester mit immerhin etwa 15-75 cm nur unwesentlich kürzer geraten. Beiden gemeinsam ist die hellbraune, ungefähr 15 cm lange Pfahlwurzel, die an weiße Möhren oder Petersilienwurzeln erinnert.

Die Pflanzenstiele sind kantig gefurcht, und die Blattgrundform ist bemerkenswert variabel. Während die hochgelegenen eher bescheiden gesägt sind, fallen die unteren Blätter mit stärker ausgeprägten Zacken auf. Sie ähneln den Blättern des Kleinen Wiesenknopfs. Dennoch sind sie nicht miteinander verwandt und entstammen vollkommen unterschiedlichen Familien.

Zwischen Juli und September verzaubert uns die Bibernelle mit ihren weißen bis zartrosafarbenen Doldenblüten, die nach erfolgreicher Bestäubung eiförmige, dunkelbraune Früchte ausreifen.

Die Große Bibernelle mag es vom Standort her gerne etwas feuchter. So bevorzugt sie in erster Linie Feuchtwiesen oder moorige Böden und wächst dort am Fuße von Gebüschen beziehungsweise an Waldrändern.

Die Kleine Bibernelle zieht trockene, karge und zugleich sonnige Lagen vor. So trifft man sie häufig auf Magerwiesen oder auf hellen Waldlichtungen an [[1]].

Inhaltsstoffe und Wirkungen der Bibernelle

Die Bibernelle enthält insbesondere in den Wurzeln ätherisches Öl, Gerbstoffe, Harze, Cumarinderivate wie Pimpinellin, Bergapten und Umbelliferon sowie einige organische Säuren, unter anderem Zitronen-, Fumar- und Kaffeesäure [[2]]. Hauptbestandteile des ätherischen Öls sind Ester von trans-Epoxypseudoisoeugenol: in Pimpinella saxifraga mit bis zu 75% und in Pimpinella major mit bis zu 55% [[4]]. Diese sind strukturell mit Pseudoisoeugenol verwandt, welches ein charakteristischer Inhaltsstoff der Gattung Pimpinella ist. Die medizinische Wirkung dieser Substanzgruppe muss noch genauer erforscht werden.

Die Wissenschaft war sich lange Zeit unschlüssig, ob Saponine enthalten sind, bis der Apotheker Kurt Bichsel sie 1965 eindeutig nachwies [[3]]. Diese Saponine erklären auch die Wirksamkeit bei Husten- und Bronchialerkrankungen (siehe Kasten „Was sind Saponine?“).

Was sind Saponine?

Saponine sind seifenähnliche sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe. Oral eingenommen beeinflussen sie unser vegetatives Nervensystem, indem sie spezielle Nervenenden reizen, beispielsweise die des N. vagus in der Bronchial- und Magenschleimhaut. Daraufhin sondern die Schleimhäute reflexartig vermehrt Wasser ab, wodurch sich das Sekret verflüssigt. Diese Stimulation treibt ebenso das Flimmerepithel der Atemwege an, sodass der Körper zuvor zähen Schleim effektiv lösen, verflüssigen und abtransportieren kann. Saponine wirken demnach expektorierend, sekretolytisch und sekretomotorisch. Daher gehören sie zur Gruppe der Expektoranzien [[5]].

Volksheilkundliche Anwendungen der Bibernelle

Unsere kräuterkundigen Vorfahren begeisterten sich für die Bibernelle in vielerlei Hinsicht – nicht nur als Heilpflanze, sondern auch als Gewürz. Das getrocknete und gemahlene Wurzelpulver verlieh so manch kargem Bauernmahl durch seine Pfeffernote den gewissen Pep.

In der Volksheilkunde linderte die Arzneipflanze zahlreiche Krankheiten und Gebrechen. Insbesondere als Wundermittel zur Vorbeugung der Pest war sie hoch angesehen, aber auch zur Behandlung von Schmerzen, Krämpfen und Koliken. Die Teezubereitung der Wurzel war eine gern genommene Arznei bei Blähungen oder Unterleibsbeschwerden. Nicht zuletzt, weil das einheimische Wildkraut der ärmlichen Bevölkerung gut zugänglich war [[1]].

Ärzte und Heiler schworen auf die wundheilungsfördernde Wirkung. Sie zerrieben das frische Kraut im Mörser und legten es auf Hautverletzungen, Geschwüre oder Ekzeme. Derart verarztete Wunden heilten Hieronymus Bock zufolge innerhalb weniger Tage ab. Bei Frauen war das Bibernellwasser ein beliebtes Schönheitsmittel. Durch die tägliche Anwendung sollten unschöne Hautflecken beseitigt werden und das Gesicht in einem makellosen Teint erstrahlen [[7]].

Pfarrer Kneipp empfahl einen Wurzelaufguss mit Honig gesüßt zur Behandlung von Gicht und Harnwegserkrankungen wie Nieren- oder Blasensteine [[8]].

Ähnlich wie den Anis wendeten unsere Vorfahren die Bibernelle zur Milchflussförderung an, wozu sie in etwas Wasser aufgelöstes Wurzelpulver zu sich nahmen. Diese Methode praktizierten Bauern gleichermaßen bei Milchkühen, die nicht genügend Milch gaben. Sie mischten die Wurzeln unter das Futter der Tiere.

Aber mit am beliebtesten war die Heilpflanze seit jeher bei Husten, Heiserkeit, Bronchitis und Angina. Sänger und Redner schätzten sie zur raschen Behandlung einer belegten Stimme. Dazu gurgelten sie mit angewärmten Bibernellwein (100 g zerriebene, getrocknete Wurzel auf ½ l Rotwein, 4 Wochen gereift).

Anwendung in heutiger Zeit

Heute setzt man die Bibernelle in der modernen Pflanzenheilkunde bei Katarrhen der oberen Atemwege ein. Für diese Indikation bewertete die Kommission E sie positiv. Gebräuchlich ist die Wurzel als Teezubereitung pur oder in Kombination mit anderen Heilpflanzen. Eine schmackhafte Mischung ist Bibernellwurzel mit Wollblumenblüten, Anisfrüchten, Thymiankraut und Süßholzwurzel zu gleichen Teilen. Für einen Tee 1 TL in 150 ml Wasser 1 min aufkochen und 10 min bedeckt ziehen lassen, bis zu 3 × tgl. 1 Tasse.

Die Bibernelle ist sehr gut verträglich. Es sind keine Kontraindikationen, Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen bekannt.

Herkunft, Anbau und Ernte

Bibernellwurzel stammte bisher überwiegend aus Wildsammlungen in Kroatien, Slowenien sowie Serbien [[4]].

Mittlerweile produzieren sie deutsche Betriebe unter kontrolliert biologischen Anbaubedingungen mit entsprechend hoher Qualität.

Die Aussaat der Bibernelle ist ganzjährig möglich. Häufig geschieht sie zwischen März und April in feinem Sandboden, wobei die Saat der Lichtkeimer nicht mit Erde bedeckt sein sollte. Nach etwa drei bis vier Wochen beginnt die Keimung und die Pflanzen nehmen über den Sommer hinweg stetig an Größe zu. Im ersten Jahr ist die Pfahlwurzel noch zu klein für einen ausreichenden Ertrag. Daher lohnt sich die Ernte der Wurzeln meist erst Ende des zweiten Jahres.

Vielseitige Darreichungsformen

In der Pflanzenheilkunde gebräuchlich ist nur die Bibernellwur-zel. Aus ihr lassen sich Infus, Dekokt oder Mazerate herstellen. Ebenfalls verwendet werden die Tinktur (1 : 5), Extrakte sowie die Urtinktur.

Erwachsene können zur Behandlung täglich 6-12 g der Wurzeldroge als Teeaufguss oder 6-15 ml Bibernelltinktur (1 : 5) zu sich nehmen [[4]].

Da sich aus Wurzeln die Wirkstoffe wesentlich langsamer als aus Blättern herauslösen, empfiehlt sich als Zubereitungsmethode das Dekokt (Abkochung). Im Gegensatz zu einem schlichten Infus (Aufguss) köcheln die Wurzeln bei dieser Methode eine Weile im Topf mit, bevor sie ziehen, und geben so mehr ihrer kostbaren Inhaltsstoffe ab.

Fertigpräparate

Es sind einige Fertigpräparate mit Bibernelle im Handel erhältlich:

  • Cefabronchin® (Fa. Cefak): zur Schleimlösung und bei Hustenreiz, ab 12 Jahren 20 Tr. alle 2 Stunden bis zu 6 × tgl.
  • Kräutersirup Hanosan: zur Steigerung des Wohlbefindens, aber auch bewährt bei Husten, 3 × tgl. 1 TL
  • Ricola Kräuter Original: Bonbons bei Husten und Heiserkeit

  • Em-eukal® Gummidrops (Fa. Soldan): für Hals und Stimme In der Homöopathie bereitet man aus den frischen Wurzeln der großen und kleinen Bibernelle die Urtinktur zu. Sie ist unter dem Namen Pimpinella alba (Fa. DHU) als Urtinktur und in den Potenzen D1 und C1 erhältlich. Man verwendet sie bei Kopfschmerz im Nackenbereich (Spannungskopfschmerz), HWS-Syndrom, Lumbago oder bei Tinnitus [[6]].

Rezept für wärmenden Likör mit Bibernelle

Die ideale Basis für einen schmackhaften Likör mit Bibernelle bildet ein qualitativ hochwertiger Kornschnaps, der einige Zeit im Eichenfass gereift ist. Man erkennt ihn direkt an der leicht bräunlichen Farbe und an dem runden Bouquet.

Zutaten:

  • 500 ml hochwertiger Kornschnaps
  • 200 g brauner Kandiszucker
  • 2 Prisen Salz
  • 1 gehäufter TL abgeriebene Schale einer Bio-Orange
  • 2 gehäufte TL getrocknete Bibernellwurzel
  • 1 TL Anisfrüchte
  • 1 TL Kümmelfrüchte
  • 3 Messerspitzen frisch gemahlene Kardamomfrüchte
  • 2 TL Engelwurzwurzel

Zubereitung:

Man zerreibt die Wurzeln und Früchte ein wenig im Mörser, sodass sich die Aromen entfalten. Der Kardamom sollte unbedingt frisch verrieben sein. Anschließend werden alle Zutaten in ein Einmachglas gegeben. Darin reifen sie für mindestens vier Wochen. Danach gibt man den fertigen Likör durch einen Kaffeefilter und füllt ihn ab.

Etwa eine Minute nach dem Genuss entfaltet sich die angenehme Schärfe der Bibernelle im Rachen. Der Likör eignet sich sowohl bei Magen-Darm-Beschwerden als auch bei Heiserkeit. Bei Bedarf bis zu 3 × tgl. ein kleines Schnapsglas trinken.

Kulinarik – Smoothies bis Kräuterbonbons

Alle Pflanzenteile der Bibernelle sind essbar. Sie schmecken aromatisch und sind leicht scharf im Nachgeschmack.

Sie eignen sich ähnlich wie Petersilie zum Würzen von Suppen, Soßen oder als Salatzutat, insbesondere in bunten Wildkräutersalaten. Eine schmackhafte Mischung sind Bibernellblätter mit Löwenzahn, Rauke, Giersch und Kresse. Tipp: Grüne Smoothies werden mit einem Hauch Bibernelle sehr aromatisch.

Die Wurzeln der Pflanzen, die noch nicht geblüht haben, kann man im Spätsommer bis ins nächste Jahr hinein ernten und als Gemüse zubereiten. Man verwendet sie vor der Blüte, da die Wurzeln dann noch nicht holzig sind. Sie riechen würzig, aromatisch und pfeffrig. Teilweise wird der Geruch der Wurzeln aber auch als ziegenbockartig empfunden.

Beim Aufbrühen duften die Wurzeln leicht spargelartig mit einem Hauch Mandelaroma, das von den darin enthaltenen Cumarinen stammt. Trinkt man einen Schluck des Aufgusses, entfaltet sich im Rachen eine angenehme Schärfe wie bei milden Chilis.

Durch ihr komplexes Aroma ist die Bibernellwurzel wie dafür geschaffen, Kräuterliköre, Magenbitter oder Kräuterbonbons abzurunden (siehe Kasten „Rezept“).

Daniel Lorenz
ist Heilpraktiker mit Spezialisierung in Naturheilkunde. Er leitet die Salvia-Heilpflanzenschule, wo er als Dozent für Phytotherapie, Aromatherapie sowie Apitherapie tätig ist und Online-Kurse entwirft.

Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  1. Madaus G. Lehrbuch der Biologischen Heilmittel 3. Band Leipzig: Thieme; 1938
  2. Menßen HG. Phytotherapeutische Welt. Frankfurt: Pmi 1983
  3. Bichsel K. Untersuchungen über Saponin und ätherisches Öl von Radix Pimpinellae. Pimpinella maior (L.) Hudson und Pimpinella saxifraga LDiss. Nr. 3405, ETH Zürich 1965
  4. Bäumler S. Heilpflanzen Praxis heute. 1. Band München: Elsevier; 2012
  5. Bühring U. Praxis-Lehrbuch Heilpflanzenkunde: Grundlagen – Anwendung – Therapie. Stuttgart: Haug; 2014
  6. Vonarburg B. Homöotanik: Blütenreicher Sommer. 2. Band Stuttgart: Haug; 2005
  7. Bock H, Rihel J. Kreuter Buch. Straßburg: Josiam Rihel; 1565
  8. Kneipp Das große Kneippbuch. München: Kösel & Pustet; 1935
  9. Luksic A. Slavische Blätter. Luksic; 1865
  10. Achmüller A. Die Alpen-Apotheke: Hausmittel zum Selbermachen. München: Knaur Menssana; 2017