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Für die Phytotherapie von Angststörungen werden in der traditionellen europäischen Medizin vorrangig Drogen zur Reduktion von Stress, Unruhezuständen, Schlaflosigkeit und Erregungszuständen eingesetzt. Damit beschränken sich die therapeutischen Optionen vor allem auf Lavendel bzw. Lavendelöl [1]. Für die Suche nach neuen Arzneidrogen lohnt sich ein Blick nach Mittel- und Südamerika, wo es lange vor der lateineuropäischen Entdeckung des Kontinents medizinische Behandlungsverfahren auf der Basis von pflanzlichen Drogen gab, die bis heute traditionell genutzt werden und Eingang in internationale Behandlungsleitlinien gefunden haben, ohne dass die europäische Phytotherapie dies bisher aktiv nutzt. Dazu gehört auch die bis heute in Mexiko traditionell genutzte Arzneipflanze Galphimia glauca Cav. oder Kleiner Goldregen [2].
Verbreitung und Botanik
Galphimia glauca Cav. aus der Familie der Malpighiaceae ist ein kleiner 0,5–1 m hoher, immergrüner Strauch, der von Mexiko bis Guatemala verbreitet ist und sich durch seine gelben, meist zu 4–6 in einer Traube stehenden Blüten mit einem Durchmesser von ca. 1,5–2 cm auszeichnet. Daraus entwickeln sich unscheinbare, ovale, grüne, ca. 1–1,5 cm große Früchte. Die Blätter sind hellgrün, länglich, einfach gegenständig und 2–4,5 cm lang. Die jungen Zweige sind in der Regel rötlich gefärbt und bilden mit dem fast über das ganze Jahr blühenden Busch eine attraktive, trockenresistente dichte Barriere, die heute in Gärten und Parks auch kultiviert wird [3].
Die Bezeichnung Galphimia ist ein Anagramm des Namens Malpighia, einer Pflanzengattung, die ebenfalls in Südamerika vorkommt und entfernte Ähnlichkeiten aufweist. „Glauca“ (=grün-blau) bezieht sich auf die Farbe der Blätter [4]. Die Pflanze ist in Europa unter dem Synonym Thryallis glauca (Poir.) Kuntze bekannt, der Gattungsname Thryallis ist griechischen Ursprungs (deutsch=„Docht aus der Pflanze“) und weist auf die mögliche Verwendung der Blätter zur Herstellung von Dochten hin [5].
Historie
G. glauca ist endemisch in Mexiko. Die frühesten Informationen finden sich im „Libellus de Medicinalibus Indorum Herbis“ (auch als Codex de la Cruz-Badiano bezeichnet) aus dem Jahr 1552, der die damals verfügbaren und ins Lateinische übersetzten Informationen über die aztekische Medizin zusammenfasst. Die Azteken bezeichneten diese Pflanze als „Totoncapatli“, ein Name, der sich aus „totonqui“=heiß und „patli“=Medizin zusammensetzt. Heutzutage ist die Pflanze auch unter den Namen „calderona amarilla“, „flor estrella“ und anderen bekannt [6].
Neben seiner Verwendung für die Behandlung von Störungen des zentralen Nervensystems [7] wurden die Blätter und Stängel auch bei Asthma, Allergien, Durchfall, Gastroenteritis und Malaria eingesetzt [8].
Die heutigen Hauptanwendungsgebiete der Blattdroge beziehen sich hauptsächlich auf ihre beruhigenden und sedierenden Eigenschaften. Historische Aufzeichnungen zeigen, dass die Pflanze während der Bürgerkriege in Mexiko verwendet wurde, wobei ein Infus aus Blättern und Stängeln an Soldaten verabreicht wurde, die unter Angstzuständen litten. In der traditionellen mexikanischen Medizin wird G. glauca zur Behandlung von „nervios“ verwendet, einem volkstümlichen Begriff für eine Krankheit, deren Symptome eng mit denen von Depressionen und Angstzuständen verwandt sind [6]. Erst seit Anfang der 1990er-Jahre gibt es wissenschaftliche Publikationen zu phytochemischen und pharmakologischen Untersuchungen der Droge in internationalen Zeitschriften.
Phytochemie
Als Droge werden die Blätter und Stängel genutzt, die ein breites Spektrum phenolischer Inhaltsstoffe, wie Gallussäure, Gallussäureester, Tetragalloylchinasäure und Ellagsäure aufweisen, daneben auch Flavonoide wie Quercetin. Vor allem aber zeichnet sich die Droge durch interessante Triterpene aus, wie die Galphimine A bis H, die zu den Nor-seco-Triterpenen gehören und über einen auffälligen 7-gliedrigen Lactonring verfügen ([Abb. 1]). Weitere terpenoide Verbindungen sind die Galphine A, B, und C neben Galphimidin [6].
Pharmakologische Untersuchungen
Antiallergische Effekte
Anfang der 1990er-Jahre wurden tierexperimentelle Untersuchungen mit einem methanolischen Pflanzenextrakt an Meerschweinchen (320 mg/kg KG) bezüglich der antiallergischen Wirkung durchgeführt, die eine signifikante Hemmung der durch Allergene oder durch den Plättchenaktivierenden Faktor induzierten akuten Bronchialreaktion zeigten. Dabei wurde die Wirksamkeit auf die enthaltenen phenolischen Verbindungen zurückgeführt, Galphimine wurden nicht detektiert [9].
Anxiolytische und sedative Effekte
Pharmakologische Untersuchungen mit methanolischen Extrakten aus der Blattdroge zeigten sedative Eigenschaften im Tierversuch. Als verantwortlicher Inhaltsstoff wurde Galphimin B identifiziert [10]. Weitere Experimente wiesen nach, dass dieses Triterpen die synaptische Aktivität dopaminerger Neuronen im ventralen tegmentalen Bereich (VTA) über einen nicht-GABAergen Mechanismus veränderte [11]. Standardisierte Drogenextrakte induzierten im Tierversuch weder eine Lebertoxizität noch genotoxische Effekte [12]. Ausgehend davon wurden v. a. in Mexiko klinische Studien mit auf Galphimin B-standardisierten Extrakten durchgeführt. 2007 wurden die therapeutische Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit im Vergleich mit Lorazepam bei Patienten mit generalisierter Angststörung untersucht. In einer kontrollierten, randomisierten, doppelblinden klinischen Studie wurden 152 Patienten mit einem durchschnittlichen Lebensalter von 37,8 Jahren und einer seit ca. 4,1 Jahren bestehenden generalisierten Angststörung einbezogen. Die Versuchsgruppe erhielt 4 Wochen lang zweimal täglich Galphimia-Extrakt in Kapseln, standardisiert auf 0,348 mg Galphimin B. Die Kontrollgruppe erhielt Lorazepam (1 mg) unter den gleichen Bedingungen. Ab der ersten Woche der Behandlung zeigte der Galphimia-Extrakt eine signifikante angstlösende Wirkung, vergleichbar mit Lorazepam. Die Behandlung wurde als sicher eingeschätzt. Bezüglich der Nebenwirkungen zeigte der Galphimia-Extrakt eine bessere Verträglichkeit als Lorazepam, v. a. eine deutlich geringere tageszeitliche Sedierung [13].
Auch in einer zweiten, analog durchgeführten klinischen Studie wurde die stärkere Wirksamkeit des Galphimia-Spezialextraktes (standardisiert auf 0,175 mg Galphimin B pro Kapsel) bei einer generalisierten Angststörung im Vergleich zu 0,5 mg Lorazepam pro Kapsel [14] bestätigt. Eine dritte Studie wurde 2019 publiziert, die den Galphimia-Spezialextrakt (standardisiert auf 0,374 mg Galphimin B pro Dosis) im Vergleich mit Alprazolam (1 mg pro Dosis) über 10 Wochen an 167 Patienten mit generalisierter Angststörung untersuchte. Die Wirksamkeit unterschied sich nicht von der aus den vorangegangenen Studien [15]. Auch eine Pilotstudie zum Einsatz des Galphimia-Spezialextraktes bei 34 jungen Erwachsenen über 10 Wochen mit diagnostizierten sozialen Angststörungen erbrachte einen Wirksamkeitsnachweis. Dabei war der pflanzliche Extrakt ähnlich wirksam wie eine Behandlung mit Sertralin (50 mg pro Dosis) [16].
Die WFSBP (The World Federation of Societies of Biological Psychiatry) bewertete den therapeutischen Einsatz von Zubereitungen aus G. glauca zur Behandlung von generalisierten Angststörungen als relevant und evidenzbasiert [17]. Bisher wird diese Droge fast ausschließlich in Südamerika als Nahrungsergänzungsmittel genutzt. In Europa ist kein Phytotherapeutikum mit geprüfter Qualität erhältlich [18].
Weitere biologische Aktivitäten
Die Wirkung verschieden polarer Extrakte aus G. glauca wurde gegenüber unterschiedlichen Mikroorganismen untersucht, wie z. B. Aspergillus niger, Trichophyton mentagrophytes, Trichophyton rubrum und Candida albicans. G. glauca zeigte eine schwache Hemmung gegenüber allen untersuchten mikrobiellen Pilzen. Der Effekt wurde auf die enthaltenen Flavonoide und Terpene zurückgeführt [19].
Methanolische Extrakte aus G. glauca reduzierten im Tierversuch die durch Tetradecanoylphorbolacetat induzierten Ödeme am Mausohr [20]. Als relevante entzündungshemmende Inhaltsstoffe wurden Galphimin A und Galphimin E identifiziert [21].
Die gleichen Extrakte vermittelten auch eine spasmolytische Wirkung am Meerschweinchen-Ileum, wobei sich nach Fraktionierung der Extrakte zeigte, dass Galphimin F viermal stärker wirksam war als Galphimin B [22].
Homöopathische Verwendung
Im deutschen Homöopathischen Arzneibuch (HAB) ist die Pflanze unter der Bezeichnung Thryallis glauca (Synonym: Galphimia glauca) monografiert. Genutzt werden die getrockneten Blätter und Blütenstände zur Herstellung einer Urtinktur nach Vorschrift 4a, die in verschiedenen Homöopathika verwendet wird. Laut Gelber Liste sind 58 homöopathische Präparate im Handel. Entsprechende Zubereitungen (v. a. D3 bis D6) werden gegen allergische Beschwerden wie Heuschnupfen, allergisches Asthma oder Neurodermitis eingesetzt. Bezüglich der Nutzung bei allergischer Rhinitis (Pollinose) existieren zwei klinische Studien [23] [24], die auch unter Verweis auf die antiallergische Aktivität [9] durchgeführt wurden.
Toxizität
Neben den klinischen Studien mit Blattextrakten, die keine relevante Toxizität im Studienzeitraum erkennen ließen, wurden weitere toxikologische Untersuchungen an verschiedenen Testsystemen durchgeführt. Alle Ergebnisse zeigten, dass die Droge und daraus hergestellte Extrakte in keinem biologischen Untersuchungssystem eine auffällige Toxizität aufwiesen. Auch eine genotoxische Analyse ergab, dass die bewerteten Pflanzenextrakte keine genotoxischen Wirkungen hatten [6].
Die Autoren schlussfolgerten, dass die Verwendung von Galphimia-glauca-Extrakten nur ein sehr geringes Risiko für Toxizität und Genotoxizität birgt und im Einklang mit den Sicherheitsrichtlinien für Phytopharmaka steht [6].
Fazit
Ausgehend von der verfügbaren wissenschaftlichen Literatur und den klinischen Studien zum phytotherapeutischen Einsatz von Galphimia glauca als Sedativum und Anxiolytikum steht hier eine Arzneipflanze mit therapeutischem Potenzial zur Verfügung, die es wert wäre, auch in Europa in die Therapie eingeführt zu werden.
Autor
Prof. Dr. Dr. h. c. Matthias F. Melzig
Pharmazeut
Professor an der Freien Universität Berlin
Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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