HeilpflanzenporträtTausendgüldenkraut: pflanzlicher Appetitanreger

Tausendgüldenkraut kam bereits im Mittelalter zu Einsatz. Heute werden Tees und Tinkturen aus dieser Heilpflanze bei Appetitlosigkeit angewandt und um Magen-Darm-Symptome zu lindern.

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Tausendgüldenkraut in der Natur in der Nahaufnahme.
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Tausendgüldenkraut ist eine Heilpflanze, die in der Natur nur noch selten zu sehen ist.

Das Tausendgüldenkraut (Centaurium erythraea) wird auch als Fieberkraut, Bitterkraut, Erdgallenkraut, Roter Aurin, kopfiges Tausendgüldenkraut, Herba Chironiae, Herba Felis terrae, Cenatury herb. (engl.) oder Petite centaurée (franz.) bezeichnet. Centaurium erythraea gehört zur Familie der Enziangewächse (Gentianaceae). Es wächst in Europa, Nordamerika, Nordafrika und im westlichen Asien. Im Jahr 2004 wurde Tausendgüldenkraut vom Verein NHV Theophratus zur Heilpflanze des Jahres gekürt.

Geschichte und Namensgebung

„Tausend Gulden wert“ ist diese Heilpflanze schon in der Antike gewesen. In der griechischen Mythologie soll es der Sage nach dem berühmten Cheiron, einem heilkundigen Fabelwesen, halb Mensch, halb Pferd, als Heilmittel gedient haben, um eine Pfeilwunde an seinem Fuß zu kurieren. Cheiron stand laut dem Naturwissenschaftler Plinius dem Älteren (23–79 n. Chr.) Pate für die Namensgebung „Centaurium“. „Erythraea“ wurde nach der Farbe der Blütenkronen vom griechischen Wort „erythraios“ für „rötlich“ abgeleitet.

Für die lateinische Übersetzung des Centaurium wurde aus „centum“ (= hundert) und „aurum“ (= Gold) gedeutet. So ergab sich der Name „Hundertguldenkraut“. Etwa im 15. Jahrhundert wurde das Hundertguldenkraut dann zu „Tausendguldenkraut“ umbenannt – eine große Hochachtung gegenüber dieser Heilpflanze schon in dieser Zeit. Die Römer erkannten den bitteren Geschmack der Pflanze und nannten es daher auch „fel-terrae“ (= Erdgalle).

Carl Gottlob Rafn (1769–1808 n. Chr.) veröffentlichte Centaurium erythraea um 1800 n. Chr. in Danmarks og Holsteens Flora [2].

Pflanzenbeschreibung

Das echte Tausendgüldenkraut wächst meist sehr versteckt auf Wildwiesen und an Waldrändern. Es siedelt sich bevorzugt auf kalkarmen, sonnigen, halbtrockenen Böden bis zu einer Höhenlage von 1200 m an. Man erkennt es nur mit viel Glück, da es ausschließlich im Sonnenschein bei einer Temperatur von 20–22 ℃ seine Blüten öffnet und in der Dämmerung sowie bei sinkenden Temperaturen wieder schließt. Das Phänomen, wenn Blüten auf Temperaturen reagieren, wird als „Thermonastie“ bezeichnet. Wenn sie auf Lichteinfall reagieren, spricht man von „Photonastie“.

Als 2-jährige Pflanze bildet Centaurium eine grundständige Blattrosette, aus der ein vierkantiger Stängel entspringt. Die Pflanze erreicht eine Höhe von 10–50 cm. Die Laubblätter stehen kreuzständig am Stängel angeordnet. Sie sind glattrandig, länglich eiförmig bis lanzettlich geformt. Die unbehaarten Blättchen erreichen eine Länge von 7cm und sind mit Längsadern durchzogen. Zahlreiche zarte 5-zähnige, röhrig verwachsene, rosarote Blüten bilden eine flache Trugdolde.

Die Kronblättchen bilden eine Blütenkrone mit einem Durchmesser von etwa 9–11mm und sind von zartem Haarflaum überzogen. Aufgrund seiner vielen kleinen verzweigten Blütenstände wird Centaurium auch „kopfiges Tausendgüldenkraut“ genannt.

Die Blütezeit ist von Juli bis August. Die Bestäubung der Blüten übernehmen Insekten wie Bienen, Fliegen und Käfer. Die reifen Samen werden vom Wind oder durch Regenschwemme verbreitet.

Volkstümliche Verwendung

Seit den frühesten Anfängen der Pflanzenheilkunde wurde Centaurium erythraea zur Therapie von Erkrankungen der Leber und Gallenblase sowie bei Fieber eingesetzt. Die medizinische Anwendung des Tausendgüldenkrauts lässt sich bis ins 5. Jahrhundert v. Chr. zurückverfolgen.

Der Arzt Pedanius Dioskurides (54–68 n. Chr.) beschrieb es in seiner „Materia Medica“ als Purgans, Emmenagogum, Augen- und Wundheilmittel sowie als Heilmittel bei Gallen- und Nervenleiden.

Hildegard von Bingen (1098–1179 n. Chr.) empfiehlt die innerliche Anwendung von „Centaurea“ in Wein oder Wasser und äußerlich als Auflage bei Knochenbrüchen. Bei Gichterkrankungen soll der Patient Wurzeln und Blätter zur innerlichen Einnahme zu „Kucheln“ (kleinen Mehltörtchen) verarbeiten oder in Wein trinken [4].

Hieronymus Bock (1498–1554 n. Chr.) rühmt die innerliche Verwendung in Form von Tee oder Medizinalwein als ausleitendes Mittel besonders bei Leber- und Milzerkrankungen, gegen Würmer und bei Vergiftungen.

Nach Kräuterpfarrer Sebastian Kneipp (1821–1897 n. Chr.) war das Tausendgüldenkraut eine wichtige Heilpflanze bei Schnupfen und Fieber, Sodbrennen und als Blutreinigungsmittel.

Anbau und Ernte

Heutzutage ist die Pflanze in der Natur sehr selten geworden. Aus diesem Grunde steht sie nach Bundesartenschutzverordnung unter besonderem Schutz und darf nicht gesammelt werden. Also wird die Droge aus dem Anbau gewonnen, in der Regel aus Marokko, Bulgarien, Ungarn und den Balkanstaaten.

Inhaltsstoffe und deren Wirkung

Das Tausendgüldenkraut gehört zu den reinen Bitterstoffdrogen (Amara pura). Die hauptsächlichen Bitterstoffe sind Secoiridoidglykoside wie Gentiopikrosid, Swerosid und Swertiamarin. Sie wirken anregend auf die Magensaftsekretion und fördern die Ausscheidung durch alle an der Verdauung beteiligten Drüsen und Organe. Ferner wirken Bitterstoffe als Tonikum bei nervösen Erschöpfungszuständen.

Der Bitterwert der Droge liegt insgesamt bei 2000, was aussagt, dass die Verdünnung von 1 zu 2000 in Wasser immer noch als bitter geschmeckt werden kann. Die Blüten haben den höchsten Bitterwert von 12 000, die Blattachsen nur noch einen Wert von unter 1000. Außerdem finden wir in der Droge Phenolcarbonsäuren mit antibakterieller und antioxidativer Wirkung. Dazu enthält sie Flavonoide, die entzündungshemmend, antioxidativ, durchblutungsfördernd und krampflösend wirken, sowie Xanthone mit antibakteriellen, antibiotischen, antihepatotoxischen, antiallergischen und antimykotischen Eigenschaften.

Bewährte Indikationen

Centaurium erythraea ist als traditionelles pflanzliches Arzneimittel anerkannt. Die Kommission E, die European Scientific Cooperative on Phytotherapy (ESCOP) sowie das Committee on Herbal Medicinal Products (HMP) befürworten eine Anwendung bei Appetitlosigkeit und bei dyspeptischen Beschwerden. Kommission E und ESCOP führen als zusätzliche Indikation auch leichte Krämpfe im Verdauungstrakt an.

In der Erfahrungsheilkunde wird das Tausendgüldenkraut bei Appetitlosigkeit und Verdauungsschwäche eingesetzt. Blähungen und krampfartige Zustände sowie Obstipation werden gemildert. Bitterstoffe unterstützen auch auf der mentalen Ebene die Patienten. Sind diese durch ihre Lebensumstände verbittert, ernähren sie sich vielleicht aufgrund von depressiven Verstimmungszuständen zusätzlich unausgewogen, dann können Bitterstoffe die Lebensgeister und den Appetit wecken. Als appetitanregendes Arzneimittel kann es bei Anorexia nervosa, bei psychogen bedingter Unlust auf das Essen, anregend wirken.

Ein Tee aus Tausendgüldenkraut ist bei allen Ursachen das Mittel erster Wahl: 1 TL Droge aus den oberirdischen Pflanzenteilen (Centaurii herba) wird mit 1 Tasse Wasser kalt angesetzt. Unter gelegentlichem Umrühren lässt man das Kraut 6–10 Stunden ausziehen. Nun abseihen und die Flüssigkeit auf Trinktemperatur erwärmen. Ist der Teeansatz bei Therapiebeginn zu bitter für den Patienten, verdünnt man den fertigen Tee mit warmem Wasser und steigert von Einnahme zu Einnahme die Konzentration. Eine Tasse 30 Minuten vor den Hauptmahlzeiten getrunken, regt die Verdauungssäfte an.

Bei Hauterkrankungen, die auf eine mangelhafte Funktion des Verdauungstrakts zurückzuführen sind, lässt sich Centaurium auch als Bittermittel während der Darmsymbioselenkung einsetzen. Das Mikrobiom wird durch ein ausgeglichenes Milieu im Darmlumen in seiner Funktion unterstützt. Indirekt wird so auch das darmassoziierte Immunsystem moduliert. Eine überschießende oder auch mangelhafte Funktion wie bei z. B. allergischen Hauterkrankungen oder Infektanfälligkeiten in Bezug auf ein Leaky-Gut-Syndrom kann ausgeglichen werden. Fazit: Funktioniert die Schleimhaut des Darms, muss das Organ Haut nicht die Entgiftungsfunktion des Darms übernehmen. Zur Anwendung können hier Tees, Tinkturen oder Arzneiweine gute Dienste leisten.

In meiner Praxis verwende ich gern Tinkturen, z. B. Ceres Centaurium Urtinktur. Davon verordne ich 3 × 2–3 Tropfen in einem Schluck Wasser ½ Stunde vor den Hauptmahlzeiten zur Anregung des Appetits oder nach den Mahlzeiten bei dyspeptischen Beschwerden.

Gegenanzeigen, Neben- und Wechselwirkungen

Bei Magen- und Darm-Geschwüren ist Tausendgüldenkraut kontraindiziert, da es die Säurebildung und die Entzündungsprozesse anfachen kann. Auch bei einer Hyperazidität des Magens sollte auf Heilpflanzen zurückgegriffen werden, die die Magennerven beruhigen und eine vermehrte Ausschüttung von Magensäure vermindern, wie z. B. Melisse, Kamille oder Pfefferminze. In Schwangerschaft und Stillzeit sollte man nur milde Bitterstoffpräparate wie z. B. die Wegwarte (Cichorium intybus) nutzen, die sich auch in der Kinderheilkunde als Bitterstoff bewährt hat.

Darreichungsformen

Tee

Centaurii herba (getrocknete oberirdische Pflanzenteile der blühenden Pflanze) sind als Droge in der Apotheke erhältlich.

Tinkturen

Centaurium Urtinktur (Firma Ceres Heilmittel)

Fertigarzneimittel/Kombinationspräparate

  • PADMA GaLeTib (Firma PADMA Deutschland GmbH): 1–2 Kapseln vor dem Mittagessen und bei Bedarf zusätzlich 1–2 Kapseln vor dem Abendessen, am besten mit reichlich heißem Wasser einnehmen.
  • MAWOSON flüssig Kräuterauszug (Firma SonnenMoor): 25ml nach dem Frühstück und 25ml am späten Nachmittag pur oder mit etwas Wasser oder Fruchtsaft verdünnt trinken.
  • Amara-Tropfen (Firma Weleda): bei Appetitlosigkeit Erwachsene 10 Tr. ½ Stunde vor den Mahlzeiten, bei Völlegefühl 10 Tr. ½ Stunde nach den Mahlzeiten.

Martina Houben
Heilpraktikerin, Kinderkrankenschwester und Audiometrie-Assistentin

  1. Madaus G. Lehrbuch der biologischen Heilmittel. 2. Aufl.. Hildesheim: Olms; 2021
  2. Wichtl M. Teedrogen und Phytopharmaka.. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft; 2002: 75-77
  3. Bühring U. Lehrbuch Heilpflanzenkunde.. Stuttgart: Haug; 2021
  4. von Bingen H. Heilkraft der Natur „Physica“.. Freiburg: Herder; 1991: 375-377
  5. Pschyrembel W. Pschyrembel Naturheilkunde und alternative Heilverfahren. 3. Aufl.. Berlin, New York: de Gruyter; 2006
  6. Wiesenauer M. Phytopraxis. 3. Aufl.. Berlin: Springer; 2008
  7. Kalbermatten R. Wesen und Signatur der Heilpflanzen. 10. Aufl.. München: AT; 2002