
von Jens Christoph Türp
Zusammenfassung
Die unter dem Begriff „Bruxismus“ zusammengefassten Parafunktionen Zähneknirschen und Kieferpressen sind so alt wie die Menschheit. In der Bevölkerung sind sie weit verbreitet. Einerseits dienen diese Unterkieferaktivitäten dem Stressabbau, andererseits können sie die Zahnhartsubstanzen schädigen und zu Verspannungen und Schmerzen im Bereich der Kaumuskeln und Kiefergelenke führen.
Mittels Anamnese, klinischer Untersuchung und radiologischer Befunde erfolgt eine relativ sichere Diagnosestellung. Therapeutisch empfehlenswert sind Selbstbeobachtung, Muskelentspannung und Tragen einer oralen Schiene während des Schlafs, je nach Fall angereichert durch Eigenmassage und professionelle Physiotherapie.
Der Unterkiefer ist der einzige bewegliche Schädelknochen. Die Bewegungen erfolgen in den Kiefergelenken – den freiesten Gelenken des menschlichen Körpers – durch die koordinierte Arbeit von 7 paarigen Muskeln: M. temporalis, M. masseter, M. pterygoideus medialis, M. pterygoideus lateralis, M. digastricus venter anterior, M. mylohyoideus und M. geniohyoideus. Das neuromuskuläre Zusammenspiel erlaubt Öffnungs-, Schließ-, Vorschub-, Rückschub- sowie Seitwärtsbewegungen des Unterkiefers relativ zum Oberkiefer. Mit diesem steht der Unterkiefer über die Zähne oder Zahnanaloga, wie Brückenzwischenglieder, Prothesenzähne oder implantatgestützter Zahnersatz, bzw. mit den über sie vermittelten Okklusionskontakten in einer funktionellen Beziehung. Unter dem Begriff „Okklusion“ versteht man in der Zahnmedizin jeden Kontakt zwischen den Zähnen (oder Zahnanaloga) des Ober- und Unterkiefers.
Funktion und Parafunktion
Wichtige Kieferfunktionen sind Kauen, Sprechen und Schlucken. Von diesen werden sogenannte Parafunktionen unterschieden, welche in zahnbezogene/dentale (Kieferpressen, Zähneknirschen) und nichtdentale (z. B. Zungenpressen, Lippenbeißen, Wangensaugen) eingeteilt werden können.
Terminologie
Während bereits in der Bibel über Zähneknirschen und Kieferpressen berichtet wurde [1], stammt die erste Erwähnung in einer wissenschaftlichen Zeitschrift aus dem Jahre 1902: Der in Wien tätige ungarische Zahnarzt Moritz Károlyi sprach von „krampfhaften Contractionen der Masseteren im Schlafe“ [2].
Fünf Jahre später führten die französischen Zahnmediziner Marie und Pietkiewicz den Begriff „Bruxomanie“ ein. Sie verstanden darunter „la manie du grincement de dents que l’on rencontre chez un certain nombre de malade présentant des lésions ou des altérations définitives ou passagères du système nerveux central“ (z. Dt: „die Manie des Zähneknirschens, die bei einer Reihe von Patienten mit dauerhaften oder vorübergehenden Läsionen oder Veränderungen des zentralen Nervensystems auftritt“) [3].
1931 schließlich schlug der US-amerikanische Psychiater Bertrand Frohman den Ausdruck „Bruxismus“ vor: „Bruxism is defined as occlusal stress during sleep“ (z. Dt: „Bruxismus wird definiert als okklusaler Stress während des Schlafs“) [4]. Zwischenzeitlich waren weitere Begriffe wie „Károlyi-Effekt“, „Károlyi-Phänomen“ und „Leermastikation“ verbreitet.
Definition
Unter „Bruxismus“ versteht man alle im Schlaf- oder Wachzustand auftretenden okklusalen Parafunktionen, die mit anhaltender oder rhythmischer Kiefermuskelaktivität einhergehen. Man unterscheidet Schlaf- von Wachbruxismus: Sowohl im Schlaf als auch im Wachzustand werden Kieferpressen und Zähneknirschen beobachtet. Über die Häufigkeit des Auftretens beider Aktivitäten am Tag oder in der Nacht gibt es bislang keine gesicherte Datenlage.
Im Jahr 2013 wurde von einer internationalen Expertenkommission vorgeschlagen, diese Definition zu erweitern. Demnach handele es sich beim Bruxismus um „eine repetitive Kiefermuskelaktivität, die durch Pressen oder Knirschen der Zähne und/oder Fixierung oder Vorschieben des Unterkiefers ohne Zahnkontakte gekennzeichnet ist“ [5]. Der Sinn und die Notwendigkeit dieser Definitionsänderung unter gleichzeitiger Beibehaltung des über Generationen etablierten Begriffs „Bruxismus“ erschließen sich nicht, zumal es sich bei den inhaltlichen Erweiterungen um nichtdentale Parafunktionen handelt. Es wäre daher zielführender gewesen, einen neuen Terminus vorzuschlagen, der sowohl den traditionellen (zahnbezogenen) Bruxismus als auch die beiden neu aufgenommenen (klinisch selten vorkommenden) Parafunktionen beinhaltet.
Klinische Wertung
In der wissenschaftlich orientierten Fachliteratur herrscht heute Einigkeit darüber, dass es sich beim Bruxismus nicht um ein peripheres (okklusales oder anatomisch-morphologisches), sondern um ein zentralnervöses Phänomen handelt. Im Gegensatz zu früheren Auffassungen wird Bruxismus gegenwärtig weniger als Störung oder Dysfunktion, sondern zunehmend als Ausdruck bestimmter physiologischer und verhaltensbiologischer Prozesse interpretiert. Und dem Bruxismus werden sogar positive Aspekte zugeschrieben: Haltungs- und Stabilitätskontrolle (Kieferpressen beim Heben schwerer Lasten), Offenhalten der Atemwege (Zähneknirschen im Schlaf) sowie Stressbewältigung. Der Wiener Psychotherapeut Reginald Földy schrieb 1994: „Aber auch in den vollrunden Schlafzimmern braver Bürger geht die ‚Schlacht‘ weiter: Immer mehr Leute knirschen mit den Zähnen im Schlaf – die Organsprachlichkeit für nicht ausgelebte, ohnmächtige Aggression“ [6]. Die mit einer solchen Formulierung verbundene negative Konnotation relativierte der Zahnmediziner Rudolf Slavicek aus Wien: „Chronische Presser und Knirscher benützen ihr Kauorgan als Stressventil. Das Kauorgan wird in diesen Fällen als Werkzeug zum Stressabbau gebraucht und nicht, wie es immer wieder postuliert wird, missbraucht“ [7].
Epidemiologie
Bruxismus ist in der Bevölkerung weit verbreitet. In einer epidemiologischen Studie an erwachsenen Niederländern (n = 1209) berichteten 5,0 % über Wach- bzw. 16,5 % über Schlafbruxismus [8]. Da dem Großteil der Patienten nicht bewusst ist, ob bzw. dass sie pressen oder knirschen, kann man davon ausgehen, dass der wahre, unbekannte Prozentsatz der diese Parafunktionen ausführenden Menschen deutlich höher liegt. Geht man von einem geschätzten Anteil von 8 % stark ausgeprägter und damit behandlungsbedürftiger Bruxismusformen aus, so läge beispielsweise in Berlin (Einwohnerzahl rund 3,7 Millionen, davon ca. 3,1 Millionen 18 Jahre oder älter) ein Therapiebedarf bei rund 250 000 Personen vor. Man kann davon ausgehen, dass die meisten von ihnen keine entsprechende Behandlung erfahren.
Risikofaktoren für Bruxismus
In den vergangenen wenigen Jahrzehnten sind viele bruxismusbezogene Risikofaktoren identifiziert worden [9], [10], [11]. Der absolut am häufigsten vorkommende Risikofaktor ist emotionaler Stress, was in der gegenwärtigen Covid-19-Pandemie besonders auffällt [13]. Die höchste Odds Ratio hat demgegenüber die soziale Phobie [ Tab. 1]. Bis dato kaum als quantifizierbarer Risikofaktor zu fassen ist eine genetische Disposition der Betroffenen im Sinne einer Übererregbarkeit zentraler motorischer Neuronen.
Tab. 1 Risikofaktoren für Wach- und Schlafbruxismus bei Erwachsenen

OR: Odds Ratio, KI: 95 %-Konfidenzintervall
Risiko
Unter einem Risiko versteht man die „Wahrscheinlichkeit, dass sich bei Menschen, die bestimmten Faktoren (Risikofaktoren) ausgesetzt sind, später eine bestimmte Krankheit häufiger entwickelt als bei vergleichbaren Menschen, die diesen Faktoren nicht ausgesetzt sind“ [12]. Zur Quantifizierung eines Risikos bieten sich verschiedene Effektmaße an (z. B. relatives Risiko), von denen in der Fachliteratur oft das Chancenverhältnis (Odds Ratio) verwendet wird.
Risikofaktoren bei Bruxismus
Bruxismus kann seinerseits als Risikofaktor für ein im Vergleich zu nicht bruxenden Menschen häufigeres Auftreten definierter unerwünschter Ereignisse wirken. Dazu zählen vor allem die unter dem Oberbegriff „Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD)“ zusammengefassten Funktionsstörungen: Schmerzen im Bereich der Kaumuskeln und/oder Kiefergelenke (sog. myoarthropathische Schmerzen), eingeschränkte Unterkieferbeweglichkeit (de facto eingeschränkte Kieferöffnung) bzw. die oft mit Kiefergelenkknacken einhergehende Vorverlagerung der Zwischengelenkscheibe (Discus articularis) des Kiefergelenks. Die Tatsache, dass manche „Bruxierer“ myoarthropathische Beschwerden entwickeln, andere hingegen z. B. nur einen Zuwachs an Muskelmasse, insbesondere der Massetermuskeln (Hypertrophie), erfahren – da isometrische Kontraktionen wie beim Kieferpressen ein effektives Training für Muskelzuwachs sind –, weist auf eine genetische Disposition für das Entstehen von Muskelschmerzen hin.
Diagnostik
Die Diagnostik erfolgt durch Anamnese und klinische Befundung. Sie wird komplettiert durch eine Panoramaschichtaufnahme (Orthopantomogramm), eine zweidimensionale Röntgenaufnahme des Ober- und Unterkiefers, einschließlich der Kiefergelenke. Die aus diesen Quellen erhaltenen Befunde erlauben eine relativ sichere Diagnosestellung.
Die für eine vollständige Diagnostik bisweilen geforderten polysomnographischen Daten (Schlaflabor) sind von einem klinischen Aspekt aus gesehen realitätsfremd. Sie entsprechen in etwa der Forderung, für die Verurteilung (Diagnosestellung) eines Gesetzesbrechers (Patient) seien neben Zeugenaussagen (Anamnese) und Indizien (klinische Befunde) zusätzlich Filmaufnahmen der Tat (Polysomnographie) erforderlich. Für Forschungszwecke können Schlaflaborstudien hingegen sehr nützlich sein.
Die typischen Befunde sind in [Tab. 2] zusammengefasst. Da der Großteil der Patienten die Frage „Knirschen oder pressen Sie am Tag oder im Schlaf mit Ihren Zähnen?“ verneint oder diesbezüglich unschlüssig ist, kommt der klinischen Befundung in den meisten Fällen der mit Abstand größte Stellenwert zu – ganz im Gegensatz zur Diagnostik myoarthropathischer Schmerzen, wo die Patientenangaben im Vordergrund stehen. Selten lassen sich alle Befunde gleichzeitig nachweisen, aber je mehr angetroffen werden, desto eindeutiger wird die diagnostische Einschätzung.
Tab. 2 Typische anamnestische, klinische und bildgebende Befunde für Bruxismus bei Erwachsenen

S3-Leitlinie
Empfehlungen aus der S3-Leitlinie "Diagnostik und Behandlung von Bruxismus" der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (AMF) [16]
- Anwendungen zur Selbstbeobachtung, ggf. unterstützt durch moderne Technologien, können zur Diagnostik des Wachbruxismus verwendet werden.
- Patienten mit Wachbruxismus sollten zu Wahrnehmungs- und/oder Achtsamkeits- und/oder Entspannungstechniken zum Selbstmanagement angeleitet werden.
- Progressive Muskelentspannung kann zur Behandlung des Bruxismus eingesetzt werden.
- Eine biofeedbackunterstützte kognitive Verhaltenstherapie kann zur Schmerzreduktion eingesetzt werden.
- Im Rahmen der zahnärztlichen Behandlung von Schlafbruxismus können Schienen zum Schutz der Zähne im Schlaf eingegliedert werden, um durch die Unterbrechung der Zahn-zu-Zahn-Kontakte zuverlässig vor übermäßiger Attrition zu schützen.
- Für die Behandlung von CMD-Symptomen, die möglicherweise durch Bruxismus getriggert werden, kann eine Verordnungskombination aus manueller Therapie und ergänzendem Heilmittel, wie zum Beispiel Kälte- oder Wärmeanwendung, erwogen werden.
- Die Injektion von Botulinumtoxin bei Erwachsenen in die Kaumuskulatur kann als Behandlungsmaßnahme erwogen werden. Hierbei sind der „Off-Label-Use“ und berufsrechtliche Vorgaben zu beachten.
Ein obligatorisches morphologisches Zeichen für Zähneknirschen sind abgeschliffene (attritierte) Frontzähne. Der Anatom Hermann Welcker (1822–1897, Professur für Anatomie an der Universität Halle/Saale) prägte dafür den Begriff „Dens dentem terit“ (z. Dt.: „Der Zahn schleift den Zahn“): „Zeigt ein Zahn die Abschleifung seiner Kauhöcker, so muss derjenige oder es müssen diejenigen Zähne des anderen Kiefers, gegen welche jeder Zahn auftrifft, entsprechende Abschleifungen zeigen“ [14]. In ausgeprägten Fällen nehmen die ursprünglich spitzen Eckzähne immer mehr die Schaufelform der Schneidezähne an und bei zahngeführtem Unterkiefervor- oder -seitschub bis Kante-Kante-Kontakt der Frontzähne erkennt man ein spaltfreies, Schlüssel-Schloss-ähnliches Aufeinanderliegen der abgeschliffenen Schneidekanten bzw. früheren Eckzahnspitzen.
Behandlung
Der Internist Adolf von Strümpell (1853–1927, ab 1910 ordentlicher Professor für Innere Medizin an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig) wies 1922 darauf hin, dass bei einer medizinisch indizierten Therapie die vorhandenen Behandlungsmittel in der Regel in 4 Qualitätsstufen hierarchisiert werden können: notwendige, nützliche, unnötige und schädliche [15]. Es liegt auf der Hand, dass notwendige Therapien die erste Wahl darstellen. Je nach Fall können sie mit nützlichen Maßnahmen angereichert werden.
Die bei Bruxismus notwendige Behandlung („der Kuchen“) kann mit dem Kürzel „SMS“ abgekürzt werden:
- Selbstbeobachtung
- Muskelentspannung
- Schiene
Nützlich („die Sahne“) können darüber hinaus Eigenmassage der Masseter-Kiefergelenk-Region sowie professionelle Physiotherapie sein. Die genannten Maßnahmen werden durch eine aktuelle S3-Leitlinie wissenschaftlich gut gestützt [16].
Selbstbeobachtung
Die meisten Patienten wissen nicht, dass sie pressen oder knirschen. Zur Überprüfung, ob sie diese Parafunktion während des Wachzustands ausführen, hat es sich bewährt, den Patienten farbige Aufkleber mitzugeben, die sie einige Tage lang auf Stellen kleben sollen, auf die sie im Tagesverlauf hin und wieder schauen. Wenn die Patienten einen solchen Aufkleber erblicken, sollen sie sich fragen, ob sich ihre Zähne in diesem Moment berühren. Vorteilhaft ist es, wenn die Kiefer im Alltag möglichst entspannt sind und die Zähne nicht aufeinanderbeißen. Bemerken die Patienten hingegen feste Zahnkontakte, so ist es empfehlenswert, ein Kaugummi in den Mund zu tun. Sofern man dieses kaut, werden die Zähne kaum in Kontakt kommen. Falls man die Masse nicht kaut, wird die Zunge unbewusst mit ihr spielen. Dafür benötigt die Mundhöhle Platz. Den verschafft sie sich, indem der Unterkiefer gesenkt wird. Dadurch vergrößert sich der Abstand der Kiefer und damit der Zahnreihen voneinander: Das angestrebte Ziel „kein Zahnkontakt“ ist erreicht.
Muskelentspannung
Der mit einem „Wildpferd“ vergleichbare Bruxismus lässt sich nicht zu einem „Ponyreitpferd“ umwandeln. Aber durch regelmäßige Durchführung eines Entspannungsverfahrens, wie eine Kombination aus progressiver Muskelentspannung, autogenem Training und Alexander-Technik, lässt es sich erreichen, dass die Intensität und Häufigkeit des Bruxismus vermindert werden. Daher empfehlen wir den Patienten, z. B. bei einem klinischen Psychologen eine entsprechende Technik zu erlernen.
Orale Schiene
Der Goldstandard aller oralen Schienen ist die sog. Stabilisierungsschiene (Michigan-Schiene) [17]. Aufgrund des Kieferwachstums und der Feineinstellung der Okklusion ist diese allerdings nicht vor dem 16. Lebensjahr indiziert. Stattdessen wird in solchen Fällen eine weiche Schiene hergestellt.
Eine Michigan-Schiene wird nach Alginatabformungen beider Kiefer und einer Kieferrelationsbestimmung (dreidimensionale Zuordnung des Unterkiefers relativ zum Oberkiefer) – alternativ digital mit Hilfe eines Intraoralscanners [18] – im zahntechnischen Labor aus dem bewährten Prothesenkunststoff Polymethylmethacrylat hergestellt. Eine Oberkieferschiene ist zu bevorzugen, weil sie u. a. eine höhere Stabilität und mehr Platz für die Zunge bietet als eine Unterkieferschiene. Die Michigan-Schiene überdeckt alle Zähne, weist eine glatte Oberfläche ohne Mulden auf und hat im Eckzahnbereich Rampen. Auf diesen gleiten bei schienengeführten Unterkieferbewegungen die Unterkiefereckzähne bei Überschreiten eines Bewegungsumfangs von ca. 2 mm nach vorne oder zu Seite (sog. „Freiheit in der Zentrik“) unter Entkopplung aller anderen unteren Zähne.
Das Tragen der Schiene während des Nachtschlafs schützt die Zähne vor weiterem Abrieb und entlastet Kiefermuskeln und Kiefergelenke. Die Schiene ist daher auch bei Kaumuskel- und Kiefergelenkschmerzen indiziert. Korrekt hergestellt und angepasst ist sie angenehm zu tragen und wird von den Patienten geschätzt. Schienen müssen regelmäßig, in der Regel in halbjährlichem Abstand, kontrolliert werden. Meist finden sich dann auf der Schienenoberfläche Gebrauchsspuren, z. B. Furchen bedingt durch Zähneknirschen und Vertiefungen als Folge von Kieferpressen, teilweise auch andere Kontaktverhältnisse der unteren Zähne auf der Schienenoberfläche, sodass die Schiene entsprechend nachgeschliffen und poliert wird. Bei unzureichendem schmerztherapeutischen Erfolg mit einer konventionellen Schiene und bei Verdacht, dass der Patient überwiegend presst, kann die Michigan-Schiene mit einem planen Frontplateau versehen werden [19].
Selbstmassage
Bei Verspannungen oder Schmerzen der Kaumuskulatur, vor allem der Massetermuskeln, empfiehlt sich 3- bis 4-mal täglich eine Eigenmassage [20]. Dazu werden die Ellenbogengelenke auf einer Tischoberfläche abgestützt. Der Unterkiefer ist – der Schwerkraft unterworfen – entspannt, die Zähne sind außer Kontakt. Mit den Handwurzelknochen werden die Muskeln mit kreisförmigen Bewegungen massiert. Die Massagewirkung und Therapietreue werden unterstützt durch die Applikation einer geeigneten Creme auf die Hautoberfläche in der Masseter-Kiefergelenk-Region.
Physiotherapie
Indikationen der Physiotherapie in Zusammenhang mit Bruxismus sind starke Verspannungen und/oder (Überlastungs-)Schmerzen der Kaumuskulatur. Was Letztere betrifft, so kann durch physiotherapeutische Behandlungen in vielen Fällen eine merkbare Schmerzverringerung und eine Verbesserung der Unterkieferfunktion erreicht werden. Neben der im Einzelfall angewandten Technik kommt der Fürsorge durch den Therapeuten eine große Bedeutung zu.
Fazit
Bruxismus ist weniger „schlimm“ als sein Ruf. Es sollte aber möglichst frühzeitig dafür Sorge getragen werden, dass die beteiligten anatomischen Strukturen, vor allem Kaumuskulatur, Kiefergelenke und Zahnhalteapparat, nicht überlastet bzw. Zahnschmelz und Dentin nicht geschädigt werden.
Autor
Prof. Dr. med. dent. Jens Christoph Türp
Zahnarzt
Er erlangte nach seiner Habilitation einen Master of Science „Komplementäre, psychosoziale und integrative Gesundheitswissenschaften“ sowie einen Master of Arts in Medizinethik.
Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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2 Karolyi M. Beobachtungen über Pyorrhoea alveolaris und Caries dentium. Öster Ung Vierteljahrsschr Zahnheilkd 1902; 18: 520-526
3 Marie MM, Pietkiewicz M. La bruxomanie. Rev Stomatol 1907; 14: 107-116
4 Frohman BS. The application of psychotherapy to dental problems. Dent Cosmos 1931; 73: 1117-1122
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6 Földy R, Organon I. Das Gehege der Zähne. Die Waffe – der Odem – die Nahrung – das Wort. Z Stomatol 1994; 06: 3-5
7 Slavicek R, Sato S. Bruxismus als Stressbewältigungsfunktion des Kauorgans. Wien Med Wochenschr 2004; 154: 584-589
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12 Fletcher RH, Fletcher SW. Klinische Epidemiologie. Grundlagen und Anwendung. 2. Aufl. Bern: Hans Huber; 2007: 109
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