
Neben den allgemein empfohlenen Standardimpfungen sollten MS-Erkrankte auch mit Impfungen speziell für Menschen mit einem geschwächten Immunsystem versorgt sein.
Impfungen gehören zu den effektivsten Maßnahmen zum Schutz vor schweren Infektionen. Ist die Grunderkrankung immunvermittelt, wie bei Multipler Sklerose (MS), und schwächt deren Behandlung das Immunsystem, gewinnt der Impfschutz noch einmal an Bedeutung.
Die Behandlungsrichtlinien für chronisch-entzündliche Erkrankungen empfehlen, zeitlich abgestimmt mit den Behandlungszyklen und den jeweiligen Therapien, die vollständige Immunisierung auch gegen seltenere Infektionserkrankungen.
Erweiterter Impfschutz bei MS empfohlen
Eine Studie des Uniklinikums Jena hat untersucht, wie diese Empfehlungen bei Patient*innen mit Multipler Sklerose umgesetzt werden. Die Erkrankung ist eine autoimmun bedingte chronische Entzündung, die das zentrale Nervensystem erfasst und oft in Schüben verläuft.
In Deutschland sind etwa 250.000 Menschen an MS erkrankt. Sie werden in der Regel in spezialisierten MS-Zentren oder neurologischen Praxen behandelt. Dafür stehen je nach Erkrankungsphase über 20 verschiedene Therapien und Wirkstoffe zur Verfügung, die unterschiedlich stark in das Immunsystem eingreifen.
Neben den allgemein empfohlenen Standardimpfungen sollten MS-Erkrankte auch mit Impfungen speziell für Menschen mit einem geschwächten Immunsystem versorgt sein. Die Immunisierung sollte möglichst vor der Einleitung einer Immuntherapie erfolgen.
Beobachtungsstudie in MS-Behandlungszentren
Die Beobachtungsstudie erfasste in 6 spezialisierten MS-Behandlungszentren in unterschiedlichen Regionen in Deutschland den Impfstatus von knapp 400 Patient*innen sowie deren Informationsstand und Einstellung zum Impfen. Befragt wurden auch die behandelnden Hausärzt*innen, die die Impfungen durchführen.
Ergebnisse
- Im Ergebnis hatten MS-Erkrankte nur gut die Hälfte der empfohlenen Standardimpfungen.
- In einer altersangepassten gesunden Vergleichsgruppe lag die Impfrate sogar leicht höher.
- Weniger als jeder fünfte MS-Erkrankte war ausreichend gegen Gürtelrose, Grippe oder andere Atemwegserkrankungen geimpft. Das galt auch für MS-Patienten mit hochwirksamen immunsupprimierenden Medikamenten.
- Bezüglich ihrer Einstellung zum Impfen unterschieden sich die Gruppen nicht, nur wenige zeigten eine skeptische Haltung.
Hausärzt*innen haben Bedenken
Anders sah es bei den 109 an der Studie teilnehmenden Hausarztpraxen aus: 82 Prozent gaben an, dass sie wegen möglicher Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen mit Medikamenten Bedenken haben, ihre MS-Patienten zu impfen. Diese Unsicherheit ist nachvollziehbar, da jede Hausarztpraxis im Durchschnitt nur weniger als 10 MS-Patienten betreut.
„Wir hören sowohl von Hausärzt*innen als auch von Patient*innen immer wieder Befürchtungen, dass Impfungen Schübe auslösen oder den Verlauf der MS verschlechtern könnten“, so der Studienleiter PD Dr. Florian Rakers. „Dafür gibt es keinerlei Belege. Dass Infektionen die MS negativ beeinflussen können, ist dagegen gesichert.“
Der Neurologe schlägt deshalb vor, einige MS-Behandlungszentren als spezialisierten Impfzentren zu etablieren. Das könne dazu beitragen, dass Patient*innen die leitliniengerechte Versorgung erhalten.
Quelle: Universitätsklinikum Jena