GesundheitsentwicklungJüngere Generation wird früher und öfter krank als ältere

Bessere Lebensbedingungen, medizinischer Fortschritt, Wissen zu gesunder Lebensweise: Davon profitiert offenbar v.a. die ältere Generation.

Oma mit Enkel an der Hand beim Parkspaziergang
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Der Gesundheitszustand der heutigen älteren Generation hat sich deutlich verbessert.

Eine Forschergruppe der Medizinsoziologie untersucht die Gesundheitsentwicklung in der Bevölkerung und kommt zu überraschenden Ergebnissen: Von den Verbesserungen der Lebensbedingungen, den Fortschritten in der Medizin und dem allgemeinen Wissen um eine gesunde Lebensweise profitiert vor allem die ältere Generation. Die jüngeren Jahrgänge werden wieder früher und häufiger krank. Daraus ergeben sich Herausforderungen für das Gesundheitssystem, die Wirtschaft und jeden einzelnen Menschen.

Wer heute in Rente geht, hat statistisch gesehen weitaus mehr Lebensjahre vor sich als seine Großeltern. Die ältere Generation profitiert von den verbesserten Lebensbedingungen nach dem zweiten Weltkrieg: weniger schwere körperliche Arbeit, bessere Ernährung, gute medizinische Versorgung und mehr Gesundheitsbewusstsein.

„Bereits Anfang der 1980er-Jahre stellte der amerikanische Mediziner James Fries die These auf, dass aufgrund der insgesamt besseren Lebensumstände die Erkrankungsraten sinken und das Auftreten von Krankheiten und Behinderungen sich nach hinten in spätere Lebensphasen verschiebt“, erklärt der Medizinsoziologe Prof. Siegfried Geyer von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Von dieser positiven Perspektive ausgehend untersuchten Geyer und seine Arbeitsgruppe, wie sich der Gesundheitszustand unterschiedlicher Altersgruppen in der Bevölkerung entwickelte.

Hintergrund

Morbidität bezeichnet die Beeinträchtigung eines Individuums oder einer Bevölkerungsgruppe durch Krankheit.

Morbiditätskompression

Krankheiten oder Behinderung treten insgesamt seltener oder im Lebensverlauf später auf. Ist das der Fall, wird gesunde Lebenszeit gewonnen. 

Morbiditätsexpansion

Erkrankung oder Behinderung treten insgesamt häufiger oder im Laufe des Lebens früher auf. Gesunde Lebenszeit geht verloren. Die Menschen leben mehr Lebensjahre mit Beeinträchtigungen und Behandlungsbedürftigkeit.

Für die Übersichtsarbeit werteten die Forschenden nationale und internationale Studien aus und stellten eigene Recherchen an. Außerdem nutzten sie Daten der AOK Niedersachsen, die eine breite Sozialstruktur abbilden. „Wir haben uns den Zeitraum von 2005 bis 2019 angeschaut und zu verschiedenen Zeitpunkten Kohorten gleichen Alters miteinander verglichen“, so Geyer.

Das Ergebnis: Der sich früher über Jahre verbessernde Gesundheitszustand der Älteren setzt sich bei den später geborenen Generationen nicht fort. Diese Entwicklung findet sich beispielsweise auch in den USA.

Ältere: Bessere Gesundheit und längeres Leben

Der Gesundheitszustand der heutigen älteren Generation, der bis in die 1950er- und 1960er-Jahren Geborenen, hat sich deutlich verbessert:

  • Alle Arten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen nahmen ab oder verschoben sich in ein höheres Lebensalter.
  • Das gleiche gilt für Schlaganfälle und Lungenkrebs, primär bei Männern.
  • Parallel zum Rückgang des Nikotinkonsums verringerte sich von 2006 bis 2017 die Lungenkrebsrate bei Männern um 31 Prozent.
  • Demenzielle Erkrankungen treten in der Altersgruppe seltener oder später auf.

Für die genannten Erkrankungen fand bei dieser Generation also eine deutliche Morbiditätskompression statt.

„Es gibt bildungs- und einkommensabhängige Unterschiede, aber insgesamt hat die ältere Generation deutlich an Gesundheit gewonnen“, betont Geyer.

Jüngere: Schon früh Adipositas und Diabetes Typ 2

Zu den Erkrankungen, deren Rate über alle Altersgruppen hinweg stieg, gehört Diabetes mellitus Typ 2. Hier stellten die Wissenschaftler*innen also eine Morbiditätsexpansion fest. Besorgniserregend ist, dass die Erkrankung immer häufiger schon im frühen Erwachsenenalter auftritt.

„Das ist mit einer verlängerten Erkrankungsdauer und einem erhöhten Risiko für Komorbiditäten verbunden, das heißt, dem zusätzlichen Auftreten von Begleiterkrankungen“, stellt Geyer fest. Das zeige sich bereits in den Altersgruppen der 18- bis 45-Jährigen. Alarmierend ist auch die Entwicklung von starkem Übergewicht in jungen Lebensjahren.

So hat sich der Anteil adipöser Menschen im Alter zwischen 25 und 55 Jahren im Zeitraum von 2004 bis 2020 fast verdoppelt. Er stieg von 12,7 auf 23,4 Prozent an. Adipositas begünstigt wiederum Erkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall und Fettleber.

Herausforderungen für Sozialsystem, Gesundheitsbranche und Wirtschaft

„Die These der Morbiditätskompression von James Fries hat sich in unserer Untersuchung nur für die heute ältere Generation bestätigt. Sie ist wesentlich gesünder als die Generation ihrer Eltern und Großeltern. Diese positive Entwicklung setzt sich aber bei den später Geborenen nicht fort“, fasst Geyer zusammen.

Bei der jüngeren Generation sei eine Morbiditätsexpansion festzustellen. Der schlechtere Gesundheitszustand gehe zudem einher mit einer demografischen Verkleinerung der Gruppe jüngerer Menschen. Dies könne enorme Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme und die Wirtschaft haben. „Die Krankheitsfälle werden zukünftig zunehmen und die Gesundheitskosten steigen“, befürchtet der Medizinsoziologe.

Um dem entgegenzuwirken, müssten die Arbeitsbedingungen einzelner Berufsgruppen stärker ins Blickfeld rücken. Früher galten hauptsächlich körperliche Belastungen und Schadstoffexpositionen als Gesundheitsrisiko. Heute hingegen ergeben sich Risiken aus überwiegend sitzender Tätigkeit: „Wir bewegen uns zu wenig. Es bedarf dringend präventiver Maßnahmen am Arbeitsplatz.“ Und auch bei der Ernährung läuft vieles falsch: Durch die veränderte Lebensweise ist der notwendige Kalorienbedarf über die Jahre stetig gesunken - der tatsächliche Kalorienverbrauch aber ständig gestiegen.

Quelle: Medizinische Hochschule Hannover

Literatur

Geyer S, Eberhard S. Kompression und Expansion der Morbidität. Ein Vergleich von Kohorten gleichen Alters zu verschiedenen Zeitpunkten. Dtsch Arztebl Int 2022; 119: 810-5; doi: 10.3238/arztebl.m2022.0324