Die Entsorgung beschädigter Zellbestandteile ist unerlässlich für die Aufrechterhaltung von Geweben und Organen. Ein internationales Forschungsteam hat wesentliche Einblicke in die Regulation eines beteiligten Entsorgungssystems erzielt:
Demnach wird dieses durch Krafttraining aktiviert. Die Befunde könnten die Grundlage für neue Therapien gegen Herzversagen und Nervenerkrankungen bilden und auch zum Gelingen bemannter Weltraummissionen beitragen.
Protein BAG3 steuert Reinigungsprozesse in Zellen
Die zellulären Bestandteile von Muskeln und Nerven unterliegen ständigem Verschleiß. Bei der Entsorgung beschädigter Bestandteile spielt das Protein BAG3 eine entscheidende Rolle. Es erkennt beschädigte Komponenten und sorgt dafür, dass diese von zellulären Membranen umschlossen werden: Ein sogenanntes Autophagosom entsteht. Darin wird der zelluläre Abfall gesammelt und schließlich für ein Recycling zerkleinert.
Das Forschungsteam konnte zeigen, dass BAG3 in der Muskulatur durch Krafttraining aktiviert wird. Für die zelluläre Müllabfuhr ist dies wichtig, denn:
- Erst aktiviertes BAG3 bindet beschädigte Zellbestandteile effizient und treibt die Membranumhüllung voran.
- Ein aktives Entsorgungssystem wiederum ist unverzichtbar, um die Muskulatur langfristig zu erhalten.
„Eine Beeinträchtigung des BAG3-Systems führt zu rasch-fortschreitenden Muskelschwächen bei Kindern und zum Herzversagen, eine der häufigsten Todesursachen in westlichen Industrienationen“, erklärt Prof. Jörg Höhfeld von der Uni Bonn.
Erkenntnisse für Training und Rehabilitation
An der Studie waren Sportphysiologen der Deutschen Sporthochschule Köln und der Universität Hildesheim beteiligt. Der Hildesheimer Professor Sebastian Gehlert betont die Bedeutung der Befunde: "Wir wissen nun, welche Trainingsintensität für eine Aktivierung des BAG3-Systems nötig ist. Das hilft uns, Trainingsprogramme für Spitzensportler zu optimieren und den Muskelaufbau bei Patienten im Zuge der Rehabilitation zu verbessern." Gehlert nutzt diese Erkenntnisse auch bei der Betreuung von Mitgliedern des deutschen Olympiateams.
BAG3 auch in Nervenzellen notwendig
Das BAG3-System ist nicht nur in der Muskulatur aktiv. Mutationen in BAG3 können auch zu einer Nervenerkrankung führen, die nach ihren Entdeckern als Charcot-Marie-Tooth-Syndrom bezeichnet wird. Dabei kommt es zu einem Absterben von Nervenfasern in Armen und Beinen. Betroffene können in der Folge Hände und Füße nicht mehr bewegen. Anhand von Zellen, die von Erkrankten stammen, zeigt das Forschungsteam nun, dass es bei bestimmten Formen des Syndroms zu einer fehlerhaften Regulation des BAG3-Entsorgungssystems kommt.
Die Befunde belegen die weitreichende Bedeutung des BAG3-Systems für die Gewebeerhaltung.
Unerwartete Regulation weist Weg für Therapien
Eine Überraschung erlebten die Forschenden, als sie die Aktvierung von BAG3 genauer untersuchten. „Viele Proteine werden in der Zelle durch die Anheftung von Phosphatgruppen, die sogenannte Phosphorylierung, aktiviert. Bei BAG3 ist der Vorgang jedoch umgekehrt“, so Höhfeld.
„In der ruhenden Muskulatur ist BAG3 phosphoryliert und die Phosphatgruppen werden bei der Aktivierung entfernt.“ Damit rücken die Phosphatasen – Enzyme, die die Phosphatgruppen entfernen – in den Mittelpunkt des Interesses.
"Die Identifizierung der beteiligten Phosphatasen ist ein wichtiger Schritt", erläutert Prof. Maja Köhn von der Uni Freiburg. "Es erlaubt uns dann Wirkstoffe zu entwickeln, die auf die Aktivierung von BAG3 im Körper Einfluss nehmen könnten." Damit böten sich gegebenenfalls neue Möglichkeiten zur Behandlung von Muskelschwächen, Herzversagen und Nervenerkrankungen.
Auch für die Raumfahrt oder immobile Intensivpatient*innen bedeutsam
Die gewonnenen Erkenntnisse seien auch für die Raumfahrt oder für immobilisierte und beatmete Intensivpatient*innen relevant. Höhfeld erklärt: "BAG3 wird unter mechanischer Kraft aktiviert. Aber was passiert, wenn die mechanische Stimulierung ausbleibt? Zum Beispiel bei Astronaut*innen unter Schwerelosigkeit oder bei immobilisierten und beatmeten Intensivpatient*innen?“
Die ausbleibende mechanische Stimulierung führt in diesen Fällen zu einem schnellen Verlust der Muskulatur. Höhfeld geht davon aus, dass die fehlende Aktivierung von BAG3 dabei den Muskelverlust vorantreibt. Auch in diesen Fällen könnten Medikamente hilfreich sei, um BAG3 zu aktivieren.
Um dies zu klären, bereitet Höhfelds Team unter anderem Experimente an Bord der internationalen Raumstation ISS vor. Die Forschungen zu BAG3 könnten von eines Tages dazu beitragen, den Mars zu erreichen.
Quelle: Universität Bonn