
Die Vitamin-D-Gabe im MS-Frühstadium über 2 Jahre führte in einer Studie zu einer geringeren Krankheitsaktivität.
Vitamin D in einer Dosierung von 100.000 IU alle 2 Wochen zeigte im Frühstadium einer Multiplen Sklerose (MS) einen Effekt, der mit einer Immuntherapie vergleichbar ist. So das Ergebnis einer französischen Studie.
Die Studie unterstreicht die Empfehlung, einen Vitamin-D-Mangel bei Menschen mit MS auszugleichen. Experten der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) warnen jedoch davor, Vitamin D in hohen Dosierungen ohne ärztliche Überwachung einzunehmen.
Studie: Vitamin D bei MS im Frühstadium
Eine aktuelle randomisierte, placebokontrollierte, multizentrische Studie aus Frankreich [1] überraschte mit einem positiven Ergebnis. Sie untersuchte die Wirkung von oralem Vitamin D3 (Cholecalciferol) in einer Dosierung von 100.000 IU alle 2 Wochen auf die Krankheitsaktivität bei Patient*innen mit sog. klinisch isoliertem Syndrom, dem mutmaßlich ersten Symptom einer MS.
Insgesamt 316 Personen mit klinisch isoliertem Syndrom (Alter zwischen 28-42 Jahren; 70 % weiblich) wurden randomisiert, 288 schlossen die Studie ab. Personen, deren Vitamin-D-Spiegel über 100 nmol/l lag, wurden aus Sicherheitsgründen nicht in die Studie aufgenommen.
Ergebnisse
- Die Vitamin-D-Gabe über 2 Jahre führte zu einer geringeren Krankheitsaktivität. Die Krankheitsaktivität wurde definiert durch das Auftreten von MS-Schüben und/oder neuen oder Kontrastmittel-aufnehmenden Läsionen im MRT.
- Krankheitsaktivität wurde bei 94 Betroffenen (60,3 %) in der Vitamin-D-Gruppe und bei 109 (74,1 %) in der Placebogruppe beobachtet (HR: 0,66 [95%CI, 0,50-0,87]; p = 0,004).
- Die mediane Dauer bis zum Auftreten von Krankheitsaktivität war in der Vitamin-D-Gruppe signifikant länger (432 vs. 224 Tage; p = 0,003).
- Ebenso wiesen die Ergebnisse der Bildgebung auf einen positiven Effekt der Vitamin-D-Gabe hin: Bei nur 89 der behandelten Patient*innen (57,1 %) gegenüber 96 der nicht-behandelten (65,3 %) zeigte sich MRT-Aktivität. Neue Läsionen traten bei 72 vs. 87 Patient*innen auf, Kontrastmittel-aufnehmende Läsionen bei 29 vs. 50.
In einer Subgruppenanalyse wurden aus der Studienpopulation gesondert 247 Personen ausgewertet. Diese erfüllten die McDonald-Diagnosekriterien für eine schubförmig remittierende Multiple Sklerose, hatten aber noch keine krankheitsmodifizierende Immuntherapien erhalten hatten. Bei ihnen konnten vergleichbare positive Effekte der Vitamin-D-Gabe beobachtet werden.
Kommentar
Prof. Peter Berlit von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie ordnet die Ergebnisse ein: „Dieser Befund könnte bedeuten, dass Vitamin D die Krankheitsprogression nicht nur beim klinisch isolierten Syndrom, sondern auch in der Frühphase der MS signifikant verlangsamen kann. Immerhin wurde in dieser Studie durch die Vitamingabe eine Schubratenreduktion erzielt wie unter einem Immuntherapeutikum. Daher muss dieser Therapieansatz weiter untersucht werden, möglicherweise auch in Kombination mit den etablierten krankheitsmodifizierenden Immuntherapien.“
Was empfiehlt die Leitlinie?
Die vor wenigen Tagen publizierte S3-Leitinie zur Diagnose und Therapie der MS, NMOSD und MOG-IgG-assoziierten Erkrankungen [2] empfiehlt derzeit die Vitamin-D-Supplementierung nur, wenn ein Mangel besteht. Bei Normalwerten könne aber die Gabe bis in den hochnormalen Bereich von 50-125 nmol/l erwogen werden. Die tägliche Dosis sollte 4000 IU nicht überschreiten.
Expert*innen raten von hochdosierter Vitamin-D-Einnahme in Eigenregie ab
"Es gibt Patient*innen, die sog. Ultra-Hochdosis-Therapien von bis zu 100.000 IU Vitamin D pro Tag einnehmen. Von solchen hohen Dosen raten wir ab, da sie zu schweren Folgekrankheiten wie Nierenversagen oder Herzrhythmusstörungen führen können. In dieser Studie wurden alle 14 Tage 100.000 IU verabreicht, was einer täglichen Dosis von gut 7000 IU entspricht. Und die Patient*innen wurden vorab sorgfältig ausgewählt. Menschen mit Vitamin-D-Spiegeln über 100 nmol/l durften nicht teilnehmen, ebenso wie jene, bei denen eine Hyperkalzämie bekannt war", erklärt Leitlinienautor Prof. Achim Berthele.
Er warnt ausdrücklich davor, Vitamin D in hoher Dosierung ohne ärztliche Verschreibung einzunehmen. „Leider ist es so, dass solche positiven Studienergebnisse oft dazu führen, dass Betroffene in Eigenregie und ohne ärztliche Begleitung das Vitamin als Nahrungsergänzungsmittel in hohen Dosierungen einnehmen – doch davon raten wir dringend ab.“
Berthele gibt auch zu bedenken, dass eine randomisierte, doppelblinde Studie aus Neuseeland und Australien 2023 [3] keinen Nutzen einer Vitamin-D-Supplementierung mit täglicher Dosis von bis zu 10.000 IU im Hinblick auf die Konversion von einem klinisch isolierten Syndrom zu einer MS ergeben hatte. „Die Datenlage im Hinblick auf die Wirkung ist also zu diesem Zeitpunkt noch heterogen."
Praktische Konsequenzen für MS-Patient*innen
Welche praktische Konsequenz sollten MS-Patient*innen nun aus der neuen Studie ziehen?
"Zum jetzigen Zeitpunkt würde ich niemandem, der auf eine krankheitsmodifizierende Immuntherapie eingestellt ist, dazu raten, diese wirksame Therapie abzubrechen und auf Vitamin D umzustellen. Eine Vitamin D-Substitution darf auch nicht den Beginn einer Immuntherapie mit dafür zugelassenen Medikamenten verzögern. Die Studie unterstreicht aber klar die Bedeutung einer Vitamin D-Bestimmung zum Krankheitsbeginn, denn Personen mit erniedrigten Vitamin-D-Spiegeln profitierten am deutlichsten. Ein Vitamin-D-Mangel sollte also ganz unabhängig von anderen therapeutischen Entscheidungen immer ausgeglichen werden."
Nach Ansicht des Experten bedarf es unbedingt weiterer Studien zum Stellenwert von Vitamin D, bevor Therapieregimes und Leitlinienempfehlungen verändert werden. „Es ist ein bisschen schade: Die Studie zeigt beeindruckende Ergebnisse, trifft aber unsere Behandlungsrealität nicht. Die Frage, ob Vitamin D eine 'klassische' Immuntherapie ersetzen kann, kann so nicht beantwortet werden. Wir brauchen mehr Daten zu den additiven Effekten einer Vitamin-D-Behandlung in der ganz frühen Phase der MS und zu einer möglichen Wirkung in der präsymptomatischen Phase der Erkrankung."
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie
- Thouvenot E et al. D-Lay MS Investigators. High-Dose Vitamin D in Clinically Isolated Syndrome Typical of Multiple Sclerosis: The D-Lay MS Randomized Clinical Trial. JAMA 2025; doi: 10.1001/jama.2025.1604
- Hemmer B et al. Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose, Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen und MOG-IgG-assoziierten Erkrankungen. S2k-Leitlinie 2024; www.dgn.org/leitlinien
- Butzkueven H et al. PREVANZ Investigators. Vitamin D did not reduce multiple sclerosis disease activity after a clinically isolated syndrome. Brain 2024; doi: 10.1093/brain/awad409