WundheilungChronische Wunden: Was bringen Fischhaut, antibakterielle Schäume oder Vakuumtherapie?

Chronischen Wunden liegen oft komplexe Krankheitsbilder mit Gefäßerkrankungen zugrunde. Wann und ob neue innovative Verfahren sinnvoll sind, erklärt Gefäßexperte Dr. Thomas Karl. 

Verbandsrollen
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Chronische Wunden gehören in die Hand von Expert*innen, sagt der Gefäßmediziner Dr. Thomas Karl.

Jährlich befinden sich in Deutschland über eine Million Menschen mit chronischen Wunden in Behandlung. Krankheiten wie Diabetes mellitus oder Adipositas begünstigen deren Entstehung.

„In mehr als zwei Dritteln der Fälle liegt einer chronischen Wunde eine Erkrankung des venösen, arteriellen oder lymphatischen Gefäßsystems zugrunde, das wird häufig unterschätzt. Den Gefäßmediziner*innen kommt hier also eine entscheidende Rolle in der Behandlung zu“, sagt Dr. Thomas Karl vom Zentrum für Gefäß- und Endovascularchirurgie der SLK Kliniken Heilbronn.

Oft werde die ursächliche Erkrankung bei einer chronischen Wunden nicht erkannt, was das Leiden der Patient*innen verlängere. Wesentlich sei die Therapie der Grunderkrankungen, wie

  • eine Revaskularisation bei der Schaufensterkrankheit (periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK)),
  • eine Kompression bei dem Ulcus cruris venosum (UCV) oder
  • eine Druckentlastung beim diabetischen Fußsyndrom.

Die Wirksamkeit dieser Therapien beruht auf ausreichender wissenschaftlicher Evidenz.

Chronische Wunden häufig durch Erkrankungen der Blutgefäße verursacht

Aufgrund der demografischen Entwicklung und der steten Zunahme von Lifestyle-Erkrankungen, insbesondere dem Diabetes mellitus und der Adipositas, ist von einer steigenden Prävalenz auszugehen. Denn es sind überwiegend ältere Menschen von den Krankheiten betroffen, die die Entwicklung einer chronischen Wunde begünstigen.

In mehr als zwei Dritteln der Fälle liegt einer chronischen Wunde eine Erkrankung des venösen, arteriellen oder lymphatischen Gefäßsystems zugrunde, sodass Gefäßmedizinern eine entscheidende Rolle in der Behandlung dieser Patienten zukommt.

Lang dauernde, kostenintensive Behandlung

Chronische Wunden sind häufig mit einem langen, komplizierten und belastenden Krankheitsverlauf verbunden. Die Behandlung ist komplex, zeitaufwendig und erfordert einen hohen Pflege- und Medizinaufwand. Die jährlichen Kosten liegen durchschnittlich in einem fünfstelligen Bereich pro Patient. Bei rechtzeitiger Intervention und leitliniengerechter, koordinierter Versorgung wären sie zu weiten Teilen vermeidbar. Bereits heute stellen die finanziellen Aufwendungen für die Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden mit circa 8 Milliarden Euro die höchsten singulären Gesundheitsausgaben in Deutschland dar. Trotz der immensen finanziellen Anstrengungen sind diese Patienten oftmals unterversorgt.

Fehlende oder verzögerte Ursachenbehandlung

Ganz wesentlich für die hohe Zahl an nicht heilenden Wunden und die hohen Kosten ist der Umstand, dass die zugrunde liegende Ursache oftmals gar nicht oder erst nach monate- oder jahrelangen Behandlungsversuchen geklärt und viel zu spät behandelt wird. Für die Behandlung der Grunderkrankungen durch Revaskularisation (pAVK), Kompression (UCV) und Druckentlastung (diabetisches Fußsyndrom) gibt es eine starke Empfehlung, die auf einer sehr guten wissenschaftlichen Evidenz beruht.

Fischhaut, Kaltplasma, Wachstumsfaktoren

Neue innovative Methoden zur Lokaltherapie wie Fischhaut, Kaltplasma, Wachstumsfaktoren oder Hämoglobinspray werden häufig zur Unterstützung der Wundheilung eingesetzt, so Thomas Karl. „Die Wirksamkeit hinsichtlich einer beschleunigten Wundheilung ist bei den meisten jedoch nicht bewiesen.“

Bislang gebe es kaum belastbare Studienergebnisse, die einen klaren Nutzen belegen. Ein Problem liege auch darin, dass chronische Wunden komplexe Krankheitsbilder sind und Studien schwierig. Deshalb müssten Empfehlung bis dato offen bleiben. Thomas Karl betont:

Neue innovative Verfahren wie Fischhaut, Kaltplasma & Co. gehören in die Hand von Experten im Rahmen von Studien.

Für einen Großteil der auf dem Markt befindlichen Produkte gibt es keinen innerhalb von randomisierten kontrollierten Studien (RCTs) erbrachten Wirksamkeitsnachweis.

Neben der Kausaltherapie stellt die an die verschiedenen Phasen der Wundheilung angepasste Lokaltherapie die zweite Säule der Behandlung chronischer Wunden dar. Die wissenschaftliche Datenbasis für die lokale Wundbehandlung ist überwiegend unzureichend. Trotz fehlendem Nachweis für Wirksamkeit oder Überlegenheit gegenüber einer anderen Wundauflage ist eine Vielzahl von „modernen“ Wundprodukten zur Lokaltherapie chronischer Wunden unentbehrlich. Dazu gehören z.B.: Alginate, Wundgele, PU- Schaumverbände, Wundgazen oder Unterdruckverbände.

Wundauflagen dienen dabei nicht nur der eigentlichen Funktion, eine Wunde zu bedecken, vor äußeren Einflüssen zu schützen und Wundsekret aufzunehmen. Sie unterstützen verzögert ablaufende Wundheilungsprozesse, regulieren den Feuchtigkeitsspiegel, verringern Wundgeruch, binden Krankheitserreger oder wirken antiinfektiös. Qualitativ hochwertige, randomisierte, multizentrische Studien mit einer ausreichenden Patientenzahl liegen für die überwiegende Zahl an zugelassenen Wundprodukten nicht vor, sodass sich auch die vorhandenen Leitlinien, unter anderem auch die vor Kurzem überarbeitete, aber noch nicht publizierte S3-Leitlinie zur Lokaltherapie chronischer Wunden, mit klaren Empfehlungen zurückhalten müssen.

Zu den Produkten, für die keine RCTs vorliegen oder keine signifikante Überlegenheit hinsichtlich des Endpunktes Wundheilung kongruent nachgewiesen werden konnte, gehören u.a.:

  • keratinhaltige Wundauflagen
  • Hämoglobinspray
  • Wachstumsfaktoren
  • naturheilkundliche Verfahren
  • plättchen- und thrombozytenreiches Plasma
  • silberhaltige Wundauflagen
  • polihexanid-, biguanid- oder octenidinhaltige Wundauflagen
  • Kryotherapie
  • Fischhaut
  • Kaltplasma

Das Fehlen von Evidenz bedeutet allerdings nicht automatisch, dass Produkte unwirksam sind. Es fehlt bislang jedoch ein (statistisch) ausreichender Beweis, der in einer vergleichenden Interventionsstudie nachgewiesen werden konnte.

Der Gesetzgeber hat durch die am 30.06.2023 in Kraft getretene Arzneimittel-Richtlinie die Erstattungsfähigkeit von Produkten zur Wundbehandlung neu geregelt. Produkte, die über die ursprüngliche Bestimmung eines Verbandsstoffes hinausgehende Eigenschaften haben, sind teilweise von der Erstattungsfähigkeit ausgeschlossen. Inwieweit dies Auswirkungen auf die Qualität der Versorgung haben wird, bleibt abzuwarten.

Anwendung von Lokaltherapeutika ohne ausreichenden Nutzennachweis

Bei sogenannten „Hard-to-Heal“-Wunden, die auch nach Ausschöpfen etablierter Mittel und Methoden sowie einer adäquaten Kausaltherapie keine Heilungstendenz zeigen, kann der Einsatz nicht evaluierter Verfahren erwogen werden. So zum Beispiel Wundbehandlung mit Kaltplasma, Bakteriophagen oder mit Fischhaut. Dies sollte aber dem begründeten Einzelfall vorbehalten bleiben oder im Rahmen von Studien erfolgen, um den potenziellen Nutzen auch zukünftig sichtbar zu machen.

Fischhaut

Die Idee, die Haut des Atlantischen Kabeljaus oder Dorschs medizinisch zu nutzen, stammt von einer isländischen Firma. Die Fischhaut wird so aufbereitet, dass nur die zellfreie Stützstruktur bestehen bleibt. Erste Erfahrungen zeigen, dass sich damit in manchen Fällen auch hartnäckige Wunden verschließen. Ob dies tatsächlich der Fischhaut zu verdanken ist oder der Tatsache, dass diese Patienten in einer spezialisierten Einrichtung behandelt wurden oder die Wunde über den gleichen Zeitraum letztlich auch mit einem anderen Verfahren abgeheilt wäre, bleibt bis dato unklar. Die Ergebnisse einer großen internationalen Multicenterstudie liegen noch nicht vor. Insofern kann über den tatsächlichen Nutzen noch keine abschließende Aussage getroffen werden.

Bakteriophagen

Bakteriophagen werden seit über 100 Jahren klinisch eingesetzt, die verfügbaren Daten zur Wirksamkeit sind begrenzt. Die wenigen Publikationen zum Einsatz von Bakteriophagen sind qualitativ minderwertige Fallserien ohne Kontrollgruppe. Sie deuten aber darauf hin, dass die Behandlung bei bestimmten Wunden wirksam sein kann. Gewerbliche Produkte sind in vielen Ländern, unter anderem auch in Deutschland, nur sehr begrenzt oder gar nicht verfügbar.

Vakuumtherapie

Der Einsatz der seit über 20 Jahren weltweit etablierten Unterdruck- oder Vakuumtherapie ist sowohl bei akuten, traumatischen und auch chronischen Wunden nicht mehr wegzudenken. Viele der über 6000 publizierten Studien haben trotz teilweise geringer Studienqualität die Sicherheit und Wirksamkeit bei der Wundheilung belegt. Die Kosten der Therapie werden sowohl im stationären als auch ambulanten Bereich zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherungen erstattet.

Therapie der ursächlichen Gefäßerkrankung entscheidend

Entscheidend für den Behandlungserfolg – den vollständigen und rezidivfreien Wundverschluss – ist und bleibt die frühzeitige und suffiziente Therapie der Ursache.

Um eine oftmals zugrunde liegende Gefäßerkrankung auszuschließen, sollte jede chronische Wunde spätestens nach 6 Wochen einem Gefäßchirurgen vorgestellt werden.

Quelle: Pressekonferenz Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin

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