Kindheitstrauma"Die frühe Kindheit ist die prägendste Lebensphase"

Traumatisierte Kinder werden häufig zu misstrauischen Erwachsenen. Frühkindliche Traumata stören die Beziehungs- und die Wahrheitserfahrungen im Erwachsenenalter.

Kuscheltiere, Bär, Tiger in einem Kinderzimmer
K. Oborny/Thieme

Die ersten Lebensjahre prägen unser Vertrauen in andere Menschen und beeinflussen die psychische und körperliche Gesundheit bis ins Erwachsenenalter.

"Die frühe Kindheit ist die prägendste Lebensphase", berichtete Prof. Johannes Kruse auf der Presskonferenz zum diesjährigen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Was bedeuten traumatische Erfahrungen im Kindesalter für Erwachsene?

Ein Drittel der Deutschen hat belastende Kindheitserfahrungen

Die Kindheit zahlreicher Menschen wird durch sehr belastende Erfahrungen geprägt [1]. In einer aktuellen Erhebung fanden Forschende heraus:

  • In Deutschland berichten ca. 33 Prozent der Menschen beeinträchtigende belastende Kindheitserfahrungen [3].
  • Ca. 20 Prozent berichten über moderate bis schwere Missbrauchs- oder Vernachlässigungs-Erfahrungen [7].

Knapp 6 % der Befragten haben sexuelle und weitere 6 Prozent massive körperliche Missbrauchserfahrungen. Emotionale Vernachlässigung berichten 12 Prozent.

Dabei wurde ein Ost-/West-Gefälle festgestellt: Menschen, die in der ehemaligen DDR aufgewachsen sind, erlebten demnach seltener Missbrauch in ihrer Kindheit als Menschen aus der ehemaligen BRD.

Belastende Kindheitserfahrungen und psychische Störungen im Erwachsenenalter

Belastende Kindheitserfahrungen und die Entwicklung psychischer Störungen hängen eng zusammen. Diese Menschen erkranken im Erwachsenenalter häufiger psychisch, z.B. an Depression, Ängsten, somatischen Belastungsstörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen oder auch Persönlichkeitsstörungen. Bei einer Vorgeschichte mit belastenden Kindheitserfahrungen finden sich beispielsweise:

  • ein doppelt so hohes Risiko für depressive Störungen,
  • ein 2,7-fach erhöhtes Risiko für Angststörungen,
  • vermehrt chronische körperliche Erkrankungen.

So berichten Menschen mit belastenden Kindheitserfahrungen häufiger eine Erkrankung an Typ-2-Diabetes [5].

Demnach ziehen belastende Beziehungserfahrungen in der frühen Lebensphase eine erhöhte Vulnerabilität an psychischen und körperlichen Erkrankungen im Erwachsenenalter nach sich.

Menschen mit Missbrauchserfahrungen entwickeln eine erhöhte körperliche Sensibilität. Das schlägt sich z.B. in der Wahrnehmung von Stress nieder. Missbrauchserfahrungen verändern zudem das Selbstbild, die Wahrnehmung und Verbalisierung von Gefühlen, aber auch in welchem Maße man anderen Menschen vertrauen kann.

Vertrauen, Misstrauen, Leichtgläubigkeit

Was zunächst wie ein Widerspruch klingt, bestätigt sich in der Forschung: Misstrauen geht häufig mit Leichtgläubigkeit einher.

Misstrauen und Leichtgläubigkeit entwickeln sich vermehrt nach schweren frühkindlichen Belastungen. Durch die frühkindlichen Erfahrungen, in denen Vertrauenspersonen Schutz versprachen, der aber nicht erfolgt ist, sei es einfacher, einfache Lösungen zu akzeptieren als komplexe. Es gehe dabei besonders um Selbstschutz und darum, rasch Sicherheit zu bekommen. Das bedeute auch, Dinge zu glauben, ohne sie zu überprüfen.

Misstrauen in Informationen und Leichtgläubigkeit sind längst kein rein individuelles Problem mehr. So weisen erste Studien darauf hin, dass Menschen mit schweren frühkindlichen Traumatisierungen vermehrt Verschwörungstheorien in Zeiten der Covid-19-Pandemie anhingen [2] [3].

Haben Menschen Schwierigkeiten, Informationen und Menschen zu vertrauen, leidet nicht nur ihr persönliches Umfeld, sondern auch das soziale Gefüge insgesamt. Demnach nehmen Einsamkeit und Misstrauen zu, während der gesellschaftliche Zusammenhalt abnimmt. Das ist auch im Kontext aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen relevant. Es entsteht eine sich selbst verstärkende Spirale von Misstrauen und Einsamkeit. Die zunehmende Digitalisierung spielt dabei eine nicht unerhebliche Rolle.

Quelle: Kongress-Presskonferenz/Deutscher Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

  1. Ajilian Abbasi M et al. Child Maltreatment in the World: A Review Article. International Jour-nal of Pediatrics 2015; https://doi.org/10.22038/ijp.2015.3753
  2. Hettich N et al. Conspiracy endorsement and its associations with per-sonality functioning, anxiety, loneliness, and sociodemographic characteristics during the COVID-19 pandemic in a representative sample of the German population. PLOS ONE 2022; https://doi.org/10.1371/journal.pone.0263301
  3. Kampling H et al. To trust or not to trust in the thrall of the COVID-19 pandem-ic: Conspiracy endorsement and the role of adverse childhood experiences, epistemic trust, and personality functioning. Social Science & Medicine 2024; https://doi.org/10.1016/j.socscimed.2023.116526
  4. Kampling H et al. Somatic symptom disorder and the role of epistemic trust, personality functioning and child abuse: Results from a population-based representative German sample. Journal of Affective Disorders 2024; https://doi.org/10.1016/j.jad.2024.12.096
  5. Kruse J et al. Extrembelastungen in der Kindheit. Der Diabetologe 2017; https://doi.org/10.1007/s11428-017-0284-9
  6. Sethi D et al. European status report on preventing child maltreatment. World Health Organ-ization Regional Office for Europe, Denmark; 2018. http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0017/381140/wh12-ecm-rep-eng.pdf?ua=1
  7. Zara S et al. Associations of different types of child maltreatment and diabetes in adulthood - the mediating effect of personality functioning: Findings from a population-based representative German sample. Annals of Epidemiology 2023; https://doi.org/10.1016/j.annepidem.2022.12.004