OnkologieKrebs verhindern statt behandeln: Nur eine Vision?

Primärprävention und Früherkennung zusammengenommen könnten die Krebssterblichkeit um bis zu 75 Prozent senken. Zu welchen Präventionsstrategien geforscht wird, berichteten Experten auf dem Krebskongress.

Hanteln, ein Glas Wasser auf einer Yogamatte
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Bewegung - eines der wichtigsten Instrumente in der Krebsprävention.

Experten schätzen, dass rund 40 Prozent aller Krebserkrankungen durch eine gesunde Lebensweise vermeidbar wären. Dieses enorme Potenzial wird derzeit nur unzureichend ausgeschöpft. Die Deutsche Krebshilfe und das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) setzen sich in strategischer Partnerschaft für die nachhaltige Stärkung der Krebsprävention ein – von der Forschung bis zur Umsetzung in der Praxis. Im Mittelpunkt steht der Aufbau eines Nationalen Krebspräventionszentrums in Heidelberg. Die ‚Cancer Prevention Graduate School‘ – ein Förderschwerpunktprogramm der Deutschen Krebshilfe – bildet junge Wissenschaftler zu Präventionsexperten aus und fördert den multidisziplinären Austausch. Auf dem Deutschen Krebskongress im November gaben Experten einen Überblick zu Aktivitäten und Forschungsprojekten.

Prävention: eines der wichtigsten Instrumente Krebs zu verhindern

Über eine halbe Million Menschen erkranken in Deutschland jedes Jahr neu an Krebs. Im Jahr 2030 wird es schätzungsweise über 625.000 neue Krebsfälle pro Jahr geben. Die Prävention ist einer der wichtigsten Instrumente, um das zu verhindern:

Primärprävention und Früherkennung (Sekundärprävention) zusammengenommen könnten die Krebssterblichkeit um bis zu 75 Prozent senken.

Rauchen, Alkohol, starkes Übergewicht, Bewegungsmangel, zu viele Sonnenbrände, Infektionen mit bestimmten Viren zählen zu den bekannten vermeidbaren Krebsrisikofaktoren. "Aber wir wissen bislang nur sehr wenig darüber, wie wir z.B. auch mit Medikamenten oder Impfstoffen in die molekularen Vorgänge der Krebsentstehung eingreifen können, um die bösartige Entwicklung im Keim zu ersticken. Es bedarf also Forschung – zur Krebsentstehung und auch, wie wir das Wissen in der Praxis umsetzen können“, sagt Prof. Michael Baumann vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. So entsteht mit finanzieller Unterstützung durch die Deutsche Krebshilfe das Nationale Krebspräventionszentrum in Heidelberg. Wissenschaftler unterschiedlicher Fachgebiete werden hier gemeinsam forschen. Zudem werden eine Präventionsambulanz und ein Informationszentrum für die Bevölkerung entstehen. Derzeit sind drei neue Professuren für die Krebsprävention ausgeschrieben, die am Nationalen Krebspräventionszentrum angesiedelt werden.

Angebunden an das Nationale Krebspräventionszentrum ist auch die Koordination der ‚Cancer Prevention Graduate School‘ – ein neues Förderschwerpunktprogramm der Deutschen Krebshilfe. Im Rahmen dieser Initiative fördert die Organisation 11 besonders innovative Forschungsvorhaben mit insgesamt 3 Millionen Euro, um die Krebsprävention in Deutschland nachhaltig zu stärken. „Alle Projekte adressieren mindestens zwei der drei Programm-Schwerpunkte: ‚Grundlagenforschung‘, ‚Public Health‘ und ‚Kommunikation‘. So vernetzt das Programm unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen, die für die Erforschung, aber auch die Umsetzung von Krebsprävention hochrelevant sind“, erklärt Gerd Nettekoven von der Deutschen Krebshilfe. Inhaltlich decken die geförderten Projekte das ganze Spektrum von der Primär- über die Sekundär- bis zur Tertiärprävention ab.

Leukämie bei Kindern: Ein vermeidbares Schicksal?

Dr. Ute Fischer vom Universitätsklinikum Düsseldorf beschäftigt sich mit der häufigsten Form der akuten lymphoblastischen Leukämie (ALL) im Kindesalter. Sie ist durch ein bestimmtes Gen charakterisiert, das bei etwa 5 Prozent der gesunden Neugeborenen zu einer symptomlosen Vorstufe der Leukämie führt. In etwa einem von 500 Fällen entwickelt sich jedoch tatsächlich eine Blutkrebs-Erkrankung.

„Wir wollen herausfinden, von welchen Faktoren es abhängt, ob sich eine klinische Leukämie entwickelt und inwiefern es möglich ist, beispielsweise durch Verbesserung des mütterlichen Lebensstils gegenzusteuern“, erklärt Fischer. Dafür werden die Forschenden Nabelschnurblutproben untersuchen. Gleichzeitig sammeln sie Daten unter anderem zum Lebensstil, zum sozioökonomischen Status, über krebserregende Substanzen im Umfeld und die Zusammensetzung der Bakterien im Darm der Mütter. „Wir werden alle Daten auswerten, um Risikofaktoren für die ALL im Kindesalter zu identifizieren. Darüber hinaus werden wir im Rahmen der Projektförderung auch neue Kommunikationsmittel testen, um Frauen über mögliche Maßnahmen zur Prävention von Leukämie im Kindesalter zu informieren.“

Eierstockkrebs: Gibt es Hoffnung auf Früherkennung?

Je früher eine Krebserkrankung entdeckt wird, desto besser kann sie behandelt, manchmal sogar geheilt werden. Eierstockkrebs wird aufgrund fehlender Symptome oftmals jedoch erst diagnostiziert, wenn er bereits gestreut hat. „Bisherige Marker haben sich für die Früherkennung des Ovarialkarzinoms als nicht zuverlässig erwiesen“, berichtet Dr. Renée Turzanski Fortner vom DKFZ in Heidelberg. Ihre Forschergruppe fahndet nach neuen Biomarkern für Eierstockkrebs im Blut. „Wir analysieren Blutproben, die bis zu 18 Monate vor der klinischen Diagnose gesammelt wurden, sowie Proben von nicht an Krebs Erkrankten. Wir wollen herausfinden, inwiefern sich Biomarker zwischen späteren Krebspatientinnen und gesunden Frauen unterscheiden.“ Im Visier haben die Forschenden vor allem microRNAs – kurze Ribonukleinsäuren, die eine wichtige Rolle bei der Genregulation spielen – und bestimmte Autoantikörper. „Bisherige erste Erkenntnisse sind vielversprechend, und wir sind gespannt auf die Ergebnisse unserer wissenschaftlichen Untersuchungen.“ Langfristiges Ziel ist es, Eierstockkrebs durch frühere Diagnosen besser behandeln zu können und damit die Überlebensraten der betroffenen Frauen zu steigern.

Krebspatienten und Bewegung: Was bringen „soziale Verschreibung“ und virtuelle Patienteninformationen?

Prävention spielt auch eine wichtige Rolle, wenn Menschen bereits an Krebs erkrankt sind. Bei der Tertiärprävention geht es darum, zum Beispiel die Überlebensraten zu verbessern und Rückfälle zu verhindern. Als wirksam haben sich u.a. körperliche und „soziale“ Aktivität erwiesen.

Aber wie können Krebspatienten motiviert werden, ihr Gesundheitsverhalten nachhaltig zu verbessern? Und welche Rolle spielen Angehörige dabei? Sie sind oft wichtige Berater für Betroffene, leiden aber selbst häufig unter der Belastung und mangelnder Unterstützung. In Regensburg untersucht Prof. Anne Herrmann-Johns in einer Studie die Wirksamkeit innovativer Kommunikationsstrategien. „Konkret beschäftigen wird uns mit individuellen Behandlungsplänen – sogenannten social prescriptions – und virtuellen Patienteninformationen,“ so Herrmann-Johns. Dafür werden die Studienpatienten über einen Zeitraum von 12 Monaten regelmäßig untersucht und befragt. „Wir bewerten zudem die Kosteneffektivität und analysieren, welche Faktoren das Bewegungsverhalten und die soziale Teilhabe beeinflussen. Schließlich geht es uns darum, wirksame und kosteneffektive Kommunikationsstrategien zu finden, die in der klinischen Praxis einfach anzuwenden sind und so möglichst viele verschiedene Patientengruppen und ihre Angehörigen erreichen.“

Quelle: Deutscher Krebskongress 2022