MyopieKurzsichtigkeit bei Kindern: Sonnenlicht effektiver als Atropintropfen?

Kurzsichtigkeit vorzubeugen ist effektiver als sie zu behandeln: am wirksamsten mit Sonnenlicht. Atropintropfen haben bislang nicht die erhofften Effekte gezeigt.

Tollkirsche am Strauch
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Atropin ist ein Alkaloid, das in der Tollkirsche vorkommt und seit Langem medizinisch genutzt wird.

Als wichtige Ursache für Kurzsichtigkeit bei Kindern gilt v.a. die Tatsache, dass viele Kinder heute nur noch sehr wenig Zeit im Freien verbringen und daher nur selten dem Sonnenlicht ausgesetzt sind.

Noch hat die aus Asien bekannte Entwicklung hin zum „Regelfall Kurzsichtigkeit“ sich in Europa nicht im selben Ausmaß wiederholt: Während in südostasiatischen Metropolen bereits 80 bis 90 Prozent der jungen Menschen kurzsichtig sind, liegt dieser Anteil auf unserem Kontinent derzeit bei 30 bis 40 Prozent.

„Jeder zehnte davon, also rund fünf Prozent aller Menschen in diesem Alter, bekommt eine sogenannte hohe Myopie“, sagt Augenarzt Prof. Wolf Lagrèze vom Universitätsklinikum Freiburg. Das bedeutet eine Kurzsichtigkeit von mehr als -6 Dioptrien. Ab diesem Wert steigt das Risiko für langfristige Netzhautschäden an. „Als besonders kritisch gelten Werte ab -10 Dioptrien“, erläutert Lagrèze. „Dann liegt das Risiko für eine spätere Sehbehinderung durch Makuladegeneration oder Netzhautablösung bei über 50 Prozent.“

Widersprüchliche Ergebnisse zum Wirkstoff Atropin

Kurzsichtigkeit ist kein ausschließlich kosmetisches Problem. Um schweren Folgeschäden bis hin zu einem Sehverlust im Alter entgegenzuwirken, sind eine ganze Reihe unterschiedlicher Gegenmittel entwickelt und wissenschaftlich untersucht worden. Zu besonderer Bekanntheit gelangte vor einigen Jahren die Behandlung mit stark verdünnten Atropin-haltigen Augentropfen, die das Längenwachstum des Augapfels bremsen sollten.

„In Studien aus dem asiatischen Raum wurden damit gute Ergebnisse erzielt“, berichtet Lagrèze. Das habe zu einer weltweiten Anwendung der niedrig dosierten Atropin-Therapie geführt. „In Europa und den USA blieben vergleichbare Erfolge aber leider bisher aus.“ 

So ergab die irische MOSAIC-Studie, bei der eine Formulierung der Firma Nevakar verwendet wurde, dass eine 2-jährige Anwendung von 0,01 prozentigen Atropintropfen das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit im Vergleich zu Placebo nur um 0,1 Dioptrien verringerte.

Die amerikanisch-europäische CHAMP-Studie, die die gleiche Formulierung verwendete, verglich Placebo mit 0,01 prozentigem und 0,02 prozentigem Atropin. Ergebnis: Nach 3-jähriger Therapie war das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit in der 0,01 prozentigen Gruppe um 0,25 Dioptrien geringer als in der Placebogruppe. „Obwohl dieser Effekt statistisch signifikant war, erscheint es doch übertrieben, ihn als für die Betroffenen wirklich klinisch bedeutsam anzusehen“, erklärt Lagrèze.

Mit Spannung würden nun die Ergebnisse der deutschen AIM-Studie erwartet, die die Wirkung von 0,02 prozentigen Atropintropfen in der Formulierung eines deutschen Vertragsherstellers untersucht. 

Längerfristige Studien abwarten – und vorsichtig interpretieren

Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse wird die als Myopie-Boom bezeichnete Entwicklung jetzt differenzierter betrachtet. „Wir berücksichtigen regionale und ethnisch bedingte Unterschiede stärker“, betont der Freiburger Mediziner.

Aufgrund der ernüchternden Atropin-Erfahrungen werden auch neuartige Myopie-Behandlungsansätze heute vorsichtiger bewertet und hinsichtlich Sicherheit und Reproduzierbarkeit kritischer hinterfragt. „Das gilt für die neuartige Rotlicht-Therapie, bei der die Augen mit einem roten Laserlicht bestrahlt werden, aber auch für multifokale Optiken wie Multisegmentbrillengläser und spezielle Kontaktlinsen“, so Lagrèze. Diese seien zwar bereits weit verbreitet, müssten aber noch in längerfristigen Studien untersucht werden.

„Vorsicht bei der Interpretation möglicher Effekte ist auch deshalb angebracht, weil der Einfluss neuer Alltagstrends wie die zunehmende Smartphone-Nutzung auf die Augenentwicklung bislang noch nicht sicher abgeschätzt werden kann“, fügt der Experte hinzu.

Sonnenlicht – wirksames präventives Mittel

Weil die Kurzsichtigkeit eine so große Bevölkerungsgruppe betrifft, kann ihre Behandlung die Gesundheitssysteme erheblich belasten. „Um so erfreulicher ist es, dass wir mit dem Sonnenlicht über ein wirksames und sogar kostenloses präventives Mittel verfügen“, so Lagrèze. In umfangreichen – ebenfalls asiatischen – Studien ist bereits gut belegt, dass das Risiko für Kurzsichtigkeit mit zunehmender Sonnenlicht-Exposition abnimmt. Eine jüngst publizierte Studie gibt sogar Hinweise darauf, wie die optimale Dosierung aussehen sollte:

Wie viel Sonnenlicht zur Myopie-Prophylaxe?

Ein Aufenthalt im Freien sollte mindestens 15 Minuten am Stück dauern, damit das Sonnenlicht seine vorbeugende Wirkung entfalten kann.

Für einen messbaren Effekt reichen bereits 2000 Lux Tageslicht aus. Diese Lichtstärke werde sogar an einem bedeckten Wintertag erreicht, so Wolf Lagrèze.

Quelle: Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft

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