Cortisol: Mythen und Fakten„Cortisol ist ein lebenswichtiges Hormon, das uns am Leben erhält“

Influencer warnen auf Social Media vor einem Cortisol-Überschuss und geben Tipps, den Cortisol-Spiegel zu senken. Warum dieser Trend gefährlich sein kann. 

3D-Modell eines Menschen mit den Drüsen, die Cortisol bilden (Hirnanhangsdrüse, Nebennieren)
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Das Stresshormon Cortisol wird in den Nebennieren gebildet.

Cortisol: Warum wir das Stresshormon brauchen

Cortisol ist ein lebenswichtiges Hormon, das in den beiden Nebennieren des Menschen nach Stimulation durch ACTH (adrenocorticotropes Hormon) aus der Hypophyse gebildet wird. Es unterliegt einer zirkadianen Rhythmik, d.h. tageszeitlichen Schwankungen. Zudem werden auf Stressreize hin zusätzliche Cortisol-Peaks ausgeschüttet.

Cortisol hat eine Vielzahl von Aufgaben im Organismus, die v.a. dazu dienen, dem Körper energiereiche Verbindungen zur Verfügung zu stellen. Dazu gehören:

  • Die Glukoseproduktion der Leber gefördert.
  • Der Fettstoffwechsel wird aktiviert.
  • Der Proteinumsatz wird gefördert (katabole Wirkung).

Es ist neben den Katecholaminen das wichtigste Stresshormon. Cortisol wird während einer Stresssituation vermehrt ausgeschüttet, der Blutdruck und die Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit steigen. Darüber hinaus greift es in eine Reihe anderer Stoffwechselvorgänge ein [1]. Zudem hat es auch eine dämpfende Wirkung auf das Immunsystem, weshalb es häufig in der Medizin benutzt wird, z.B. um Entzündungen zu hemmen.

Cortisol-Mangel und Cortisol-Überschuss

Ein Cortisol-Mangel durch eine Funktionsstörung der Nebennieren oder der Hypophyse stellt ein lebensbedrohliches Krankheitsbild dar. Das macht in der Regel eine lebenslange Cortisol-Ersatztherapie notwendig.

Bei einem Cushing-Syndrom handelt es sich hingegen um ein Krankheitsbild, das durch einen Überschuss an Cortisol gekennzeichnet ist. Die Ursache kann eine krankhafte Veränderung der Nebennieren oder der Hypophyse sein (meist Adenome). Am häufigsten ist dies jedoch Folge einer systemischen Cortison-Therapie wegen einer entzündlichen Erkrankung. Typische Anzeichen für ein Cushing-Syndrom können eine Stammfettsucht, ein sog. Vollmondgesicht oder etwa rötliche Streifen am Körper sein [2].

Warum die Internet-Trends gefährlich sein können

Das Internet hat in den letzten Monaten wiederholt den Begriff des sog. Cortisol Face geprägt. Damit warnen Influencer*innen vor einem Überschuss des körpereigenen Stresshormons Cortisol und erklären damit ein rundlicheres Gesicht. Ebenso soll demnach ein geringer Cortisolwert auch gegen Haarausfall oder vorzeitige Hautalterung helfen. Die Influencer*innen geben zudem Tipps, wie man den Cortisol-Spiegel senken und das rundliche Gesicht loswerden könne.

Die Endokrinologin Dr. Birgit Harbeck hat auf der Presskonferenz zum Endokrinologen-Kongress erklärt, warum die auf Instagram & Co. kursierenden Cortisol-Trends gefährlich sein können.

Dieser Trend ist gefährlich, weil er völlig verkennt, dass es sich bei Cortisol um ein lebensnotwendiges Hormon handelt. Es macht den Körper überhaupt erst leistungsfähig und wird bei allen Menschen in einer tageszeitlichen Rhythmik und bedarfsgerecht gebildet. Die alltägliche Stressbelastung ist naturgemäß mit normalen Schwankungen des Cortisol-Spiegels verbunden, die nicht mit den typischen Folgen einer krankhaften Mehrsekretion von Cortisol im Sinne eines Cushing-Syndroms einhergehen.

Das bedeutet: Nicht jedes rundlichere Gesicht ist auf einen erhöhten Cortisol-Spiegel oder das Cushing-Syndrom zurückzuführen.

Auch der Begriff der Cortisol-Entgiftung, die zur Bekämpfung von Müdigkeit über Bauchfett bis hin zu Konzentrationsstörungen eingesetzt wird, ist in diesem Zusammenhang häufiger in den sozialen Medien zu lesen. Ziel dabei ist es, den Cortisol-Spiegel auf natürlichem Weg zu senken. Empfehlungen wie Bewegung und Sport, Entspannung und Schlaf sowie eine gesunde Ernährung fördern grundsätzlich einen gesunden Lebensstil und sind daher zu begrüßen. Dies kann sich durch Verringerung von Stress auch positiv auf den Cortisol-Spiegel auswirken.

Eine „Entgiftung“ von diesem überlebenswichtigen Hormon ist jedoch natürlich nicht möglich und vor allem nicht geboten oder gar erwünscht.

Kommerzielle Hormontests für zu Hause, die auch für Speichel-Cortisol über das Internet beziehbar sind, können ungenau und irreführend sein. Bei Nichtbeachtung äußerer Bedingungen wie der Tageszeit oder schlechter Qualität der Testverfahren sind die erhaltenen Ergebnisse nicht ausreichend verwertbar. Die Fachgesellschaft hat hier dazu Stellung genommen.

Harbeck berichtet: Immer wieder stellen sich verunsicherte Patient*innen in der Praxis oder Ambulanz vor, die meinen, eine Störung des Cortisolstoffwechsels zu haben. Bei Verdacht auf eine hormonelle Ursache von Beschwerden sollte die Vorstellung in einer endokrinologischen Facharztpraxis erfolgen, um eine valide Messung inklusive Besprechung der Ergebnisse zu gewährleisten.

Ihr Fazit lautet: "Cortisol ist ein lebenswichtiges Hormon, das uns Menschen am Leben erhält."

Quelle: Pressekonferenz 68. Kongress für Endokrinologie/Ni

  1. Balasamy S et al. Cortisol: Biosensing and detextion strategies. Clin Chim Acta 2024; https://doi.org/10.1016/j.cca.2024.119888
  2. Kaiser H und Kley HK. Cortisontherapie: Corticoide in Klinik und Praxis. 11. Aufl. Stuttgart, New York: Thieme; 2002