Anfang 2025 startet die Stadt Hannover das erste Modellprojekt zum Cannabisgebrauch in Deutschland. Medizinisch und wissenschaftlich begleitet wird das Vorhaben von der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).
Gegenstand des Modellprojekts ist die kontrollierte Abgabe von Cannabis in bis zu drei Verkaufsstellen im Stadtgebiet. Kooperationspartner bei dem Projekt sind die Stadt Frankfurt und die Sanity Group GmbH.
Rund 4000 Studienteilnehmer*innen
In Hannover werden voraussichtlich rund 4000 Menschen an der Studie teilnehmen. Untersucht werden die Auswirkungen des Modellprojekts auf das individuelle Konsumverhalten, aber auch den Gesundheits- und Jugendschutz sowie den illegalen Markt.
„Die Daten aus dieser Studie könnten künftig eine wichtige Grundlage für die Gestaltung einer zukunftsorientierten Drogenpolitik bilden“, erklärt die Cannabis-Expertin Prof. Kirsten Müller-Vahl von der MHH.
In Frankfurt startet das Modellprojekt parallel, dort wird es von der Frankfurt University of Applied Sciences wissenschaftlich begleitet.
Studie läuft über 5 Jahre
Das Modellprojekt läuft über 5 Jahre. Es soll volljährigen Studienteilnehmenden mit regelmäßigem Wohnsitz in der Stadt Hannover legalen Zugang zu Cannabisprodukten mit unterschiedlichem THC-Gehalt an bis zu 3 verschiedenen Verkaufsstellen ermöglichen.
Eine Studienteilnahme erfordert die regelmäßige Teilnahme an wissenschaftlichen Befragungen. Eine Weitergabe von gekauften Produkten an Dritte führt zu einem Studienausschluss. Darüber hinaus soll eine vergleichende Untersuchung mit Mitgliedern des Cannabis Social Club Hannover stattfinden.
Die Projektpartner haben das Ziel, wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Auswirkungen des "legalen Verkaufs auf Konsumhäufigkeit, die Veränderung bei der Auswahl des THC-Gehaltes der gekauften Produkte oder einem Wechsel auf Produkte mit geringerer Gesundheitsschädigung geben. Wir wollen uns damit von Vermutungen und ideologischen Debatten entfernen. Darüber hinaus können wir auf diese Weise in einen direkten Kontakt mit den Konsumierenden treten und sofern notwendig in Beratungsangebote überleiten“, erläuterte Sozialdezernentin Sylvia Bruns.
Wissenschaftliche Daten für zukünftige Entscheidungen
Die medizinische und wissenschaftliche Begleitung am Standort Hannover übernehmen Prof. Müller-Vahl und Dr. Thomas Peschel, Gründer der Diamorphinambulanz Patrida in Hannover. „Durch die wissenschaftliche Untersuchung der Auswirkungen eines regulierten und strukturierten Zugangs zu Cannabis lässt sich feststellen, ob Gesundheits- und Jugendschutz gestärkt, Konsumrisiken verringert und der illegale Markt zurückgedrängt werden können“, so Müller-Vahl zur Zielsetzung des Projekts.
„Langfristig können die Ergebnisse der Studie dabei unterstützen, sichere Rahmenbedingungen für Konsumierende zu schaffen und die öffentlichen Gesundheitsressourcen effektiver zu nutzen.“
Um sicherzustellen, dass ausschließlich Studienteilnehmende in den Verkaufsstellen Cannabisprodukte kaufen, erhalten alle Teilnehmenden einen pseudonymisierten Ausweis. Über diesen kann zweifelsfrei festgestellt werden, in welcher Verkaufsstelle welche Cannabismengen im aktuellen Monat gekauft wurden.
Ermöglicht wird dies durch einen QR-Code, der auf der Produktverpackung gedruckt ist und beim Verkauf eingescannt wird. So kann zum einen sichergestellt werden, dass sich die Abgabemenge auf die gesetzlich zulässige Menge beschränkt. Zum anderen kann bei einem Auffinden der Verpackung festgestellt werden, ob die mitführende Person auch tatsächlich selbst der Käufer oder die Käuferin des Produkts war.
Stichproben zu Cannabis-Qualität auf dem illegalen Markt
Die Sanity Group, Umsetzungspartner des Modellprojektes, betreibt bereits seit Ende 2023 2 Verkaufsstellen als Teil einer vergleichbaren Studie in der Schweiz. Sie hat kürzlich eine Stichprobenerhebung in 30 deutschen Städten zu Cannabis auf dem Schwarzmarkt durchgeführt – darunter auch Hannover.
Projektleiter Leonard Friedrich erläuterte: „Die Ergebnisse dieser Analysen untermauern deutlich, wie dringend der politische Handlungsbedarf wirklich ist. In Proben aus Hannover wurden beispielsweise Spuren von in der EU verbotenen Pestiziden sowie von Kokain gefunden. Mit Blick auf den Gesundheitsschutz als Ziel der Teil-Legalisierung von Cannabis sind wissenschaftliche Modellprojekte ein enorm wichtiger Schritt hin zu einem legalen Zugang zu sauberen, sicheren Produkten.“
Interaktion mit Konsumierenden – Safer-Use und Konsumkompetenz Workshops
Um in den Verkaufsstellen eine niederschwellige Interventionsmöglichkeit anzubieten, wird das Personal entsprechend geschult. Das Verkaufspersonal wird den Konsumierenden für Fragen aller Art zur Verfügung stehen. Zudem wirde es Menschen mit problematischem und riskantem Konsumverhalten aktiv ansprechen und auf Wunsch weitere Beratungsangebote und Hilfen aufzeigen.
Durch die niederschwellige Ansprache in den Verkaufsstellen soll frühzeitig auf ein potenziell schädliches Konsummuster hingewiesen werden, um der Entstehung einer Abhängigkeit vorzubeugen. Die zentral verwendete Software, die unter anderem die Verkaufsmengen dokumentiert, ermöglicht eine individuelle Datenauswertung des Konsummusters.
Um die Studienteilnehmenden bereits von Anfang an für einen bewussten und kontrollierten Cannabiskonsum zu sensibilisieren, ist die Durchführung von „Safer-Use und Konsumkompetenz”-Workshops geplant. Die Beratungs- und Präventionsangebote sollen darüber hinaus weiter ausgebaut werden. Dabei soll ein besonderer Fokus auf Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen liegen.
Quelle: Tina Götting/Medizinische Hochschule Hannover