KrebsNach der Krebserkrankung folgt das soziale Stigma

Junge von einer Krebserkrankung geheilte Erwachsene werden sozial benachteiligt, z.B. bei Versicherungen, Kreditvergabe oder Adoption. Was sich ändern muss.

Junge Frau, Krebspatientin sitzt am Fenster
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Verbände fordern, keine sozialen Benachteiligungen junger Erwachsener mit Krebs mehr zuzulassen.

Junge Menschen, die an Krebs erkrankt waren, erfahren vielfach Benachteiligungen. Auch wenn sie nach wissenschaftlichen Standards als geheilt gelten. 2 Verbände fordern die Umsetzung des Rechts auf Vergessenwerden.

Nach der Krebserkrankung folgt das soziale Stigma

Jungen Betroffenen werden beispielsweise Versicherungsabschlüsse, Kreditaufnahmen oder Verbeamtungen verwehrt. Auch beim Thema Adoption werden ehemals erkrankte junge Menschen benachteiligt.

In einem Satellitensymposiums während des Hauptstadtkongresses 2024 haben die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs (DSfjEmK) und die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) den Band Recht auf Vergessenwerden – Keine Benachteiligungen von jungen Erwachsenen mit Krebs mehr zulassen vorgestellt. Darin widmen sie sich den spezifischen Problemstellungen junger Erwachsener mit Krebs.

Umfrage unter Betroffenen zeigt Benachteiligungen

In einer Online-Umfrage unter jungen Patient*innen mit Krebserkrankungen wurden konkrete Benachteiligungen abgefragt.

  • Mit 40 Prozent gab die deutliche Mehrheit der Befragten Benachteiligungen im Bereich Versicherungen an. So beklagten die Betroffenen beispielsweise, dass der Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung nicht oder nur zu sehr schlechten Konditionen möglich sei.
  • Weiter wurden berufliche Benachteiligungen genannt. So waren z.B. trotz überstandener Heilungsbewährung keine Verbeamtungen möglich.
  • Ebenfalls wurden konkrete Benachteiligungen beim Abschluss von Krankenversicherungen, bei der Bewilligung von Krediten oder bei dem Wunsch nach einer Adoption angegeben.

Die beiden Verbände kritisieren die Ungleichbehandlung und fordern ein Recht auf Vergessenwerden. Das müsse in der Praxis bedeuten, dass Versicherungen oder Banken die Krebserkrankung nach einer gewissen Zeit der Heilungsbewährung nicht mehr berücksichtigen dürfen, so Prof. Inken Hilgendorf von der Uni Jena. Ähnliche Regelungen sollten auch bei Verbeamtung und Adoption geschaffen werden.

Hintergrund: Recht auf Vergessenwerden

Das Recht auf Vergessenwerden (international: right to be forgotten) bezieht sich im Kern darauf, dass digitale Informationen mit Personenbezug nicht dauerhaft gespeichert, sondern nach einer bestimmten Zeit gelöscht werden sollten.

Im Jahr 2023 wurde mit der EU-Verbraucherkreditrichtlinie erstmals eine gesetzliche Bestimmung geschaffen, nach der die EU-Mitgliedstaaten die Verwendung von Gesundheitsdaten in Bezug auf Krebserkrankungen nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht mehr zulassen dürfen, wenn Versicherungen im Zusammenhang mit Verbraucherkreditvereinbarungen abgeschlossen werden.

Deutschland hängt hinterher bei Umsetzung in nationales Recht

„Zwar ist der Rechtsrahmen für einen grundlegenden Schutz vor Diskriminierung und Benachteiligung über die EU-Verbraucherschutzrichtlinie hinaus durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und die UN-Behindertenkonvention gegeben, dennoch bestehen in Deutschland weiterhin gesetzliche Schlupflöcher“, so Prof. Andreas Hochhaus von der DGHO.

So darf beispielsweise eine Versicherungsgesellschaft nach dem Gendiagnostikgesetz vor und nach Vertragsabschluss Ergebnisse aus bereits durchgeführten genetischen Untersuchungen verlangen und mit Blick auf die Risikoberechnung verwenden. Dies gilt für Lebensversicherungen, Berufsunfähigkeitsversicherungen, Erwerbsunfähigkeitsversicherungen und Pflegerentenversicherungen, wenn eine Leistung von mehr als 300.000 Euro oder eine Jahresrente von mehr als 30.000 Euro vereinbart wird. 
„Unser Bestreben muss es daher sein, Krebsüberlebende vor Benachteiligungen und Diskriminierungen nach der sogenannten ‚Heilungsbewährung‘ zu schützen. Mit Blick auf die Umsetzung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union hinkt die Bundesrepublik Deutschland leider deutlich hinterher“, so Hochhaus weiter.

Gesundheitspolitische Schriftenreihe bietet Überblick

Nach „Krebs und Kinderwunsch“ sowie „Krebs und Armut“ greifen die DGHO und die DSfjEmK mit dem „Recht auf Vergessenwerden“ ein für junge Erwachsene mit Krebs zentrales Thema auf. Enthalten sind die Details der Umfrageergebnisse, eine juristische Einordnung, eine europäische Kontextualisierung und eine Ableitung von Forderungen.

Ziel sei, Laien- und Fachöffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren, den gesundheitspolitischen Diskurs anzustoßen und die bestehenden Benachteiligungen junger Erwachsener mit Krebs abzubauen, so Hilgendorf.

Alle 3 Bände können kostenfrei heruntergeladen werden unter: www.dgho.de 

Quelle: DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie