Ein Entführungsfall in der Antike
Die griechische Mythologie ist voll aufregender Geschichten, sie handeln von Liebe, Verrat und Gewalt. Die Götter durchleben dabei dieselben Dramen wie die Menschen. Aus diesem Grund sind wir bis heute von der griechischen Mythologie so fasziniert. Wir leiden mit den Protagonisten und durchleben mit ihnen zusammen all die schönen und schrecklichen Schicksale.
Besonders hart traf das Schicksal die Göttin Demeter und ihre Tochter Persephone. Deren Vater war Zeus, der Göttervater, dessen Bruder wiederum Hades, der Herrscher über die Unterwelt und das Totenreich.
Hades konnte keine der Göttinnen dazu bewegen, gemeinsam mit ihm unter der Erde zu leben, und so entführte er schließlich seine Nichte Persephone. Demeter war verzweifelt und zwang Zeus dazu einzugreifen, indem sie, die Göttin der Fruchtbarkeit, die Pflanzen am Keimen und Gedeihen hinderte und so Hungersnöte über die Menschen brachte. Zeus und Hades gingen einen Handel ein: 4 Monate im Jahr sollte Persephone bei ihm in der Unterwelt leben, die verbleibenden 8 Monate bei ihrer Mutter.
Die Mysterien von Eleusis
Folgt man der griechischen Mythologie, ist dieser Handel der Ursprung der Jahreszeiten: Die 4-monatige Abwesenheit ihrer Tochter ließ die Göttin Demeter trauern, was die winterliche Vegetationspause nach sich zog. Mit ihrer anschließenden Freude über die Wiederkehr der Tochter kam der Frühling und brachte das Erblühen der Pflanzenwelt mit sich.
Auf Demeters Veranlassung hin feierten die Menschen mit den sogenannten Mysterien von Eleusis jedes Jahr die Rückkehr Persephones aus der Unterwelt – und damit den Frühlingsbeginn. Beinahe 2000 Jahre, von ca. 1500 vor Christus bis ins 4. Jahrhundert nach Christus, fanden im Demeter-Heiligtum in Eleusis bei Athen diese sagenumwobene Feste statt.
Die Mysterien von Eleusis umhüllt ein geheimnisvoller Schleier. Jenen, die an den Feierlichkeiten teilnahmen, war es bei Todesstrafe verboten darüber zu sprechen. Genauso verschwiegen waren auch die Priester, die den mehrtägigen Feiern beiwohnten. Es gab auch kleine Mysterien, die fanden zu Winterbeginn statt, die eigentlichen großen Mysterien feierte man zu Frühlingsbeginn. Sie waren keinem elitären Kreis vorbehalten, teilnehmen konnten Sklaven, Bürger Griechenlands und Menschen aus anderen Ländern, Frauen wie Männer.
Spielten psychedelische Substanzen eine Rolle?
Was wir heute durch Überlieferungen wissen: Die großen Mysterien im Frühjahr waren Feste der Ekstase, die den Teilnehmenden durch einen großen, kollektiven Rausch eine Ahnung vom ewigen Leben geben sollten. Moderne Hypothesen zufolge sollen psychedelische Substanzen involviert gewesen sein. Albert Hofmann (1906-2008), der Erfinder des halluzinogenen LSD (Lysergsäurediethylamid), mutmaßt, dass ein Pilz mit LSD-ähnlicher Wirkung eine Rolle spielte [1].
Der ungarische Philologe und Religionswissenschaftler Karol Kerény (1897-1973) schreibt in einem 1962 veröffentlichten Beitrag, dass die Polei-Minze (Mentha pulegium) involviert gewesen sein könnte [2]. Das in der Minze enthaltene ätherische Öl Pulegon kann zu Vergiftungssymptomen und Todesfällen führen. Ob die Pflanze Bestandteil der rauschenden Feste war, ist noch reine Spekulation.
Möglicherweise könnten auch psychedelische Pflanzen aus der Familie der Nachtschattengewächse eine Rolle gespielt haben, zum Beispiel Verteter aus den Gattungen der Stechäpfel (Datura), der Tollkirschen (Atropa), der Alraunen (Mandragora) oder der Bilsenkräuter (Hyoscyamus). Diese Pflanzen wurden in der Antike oftmals Wein beigemischt, was zu starken Rauschzuständen, aber auch gefährlichen Vergiftungen führte [1].
Ob psychedelische Substanzen bei den Festlichkeiten konsumiert wurden und wenn ja, welche dies gewesen sein könnten, das wird wohl noch lange Zeit ein Geheimnis bleiben.
Hinweis: Von der Einnahme oder Anwendung aller genannten Pflanzen ist auf Grund der Toxizität mit möglicher Todesfolge unbedingt abzusehen!
Lektionen für uns
Dass sich viele Menschen heute wieder für Mysterien von Eleusis interessieren, hängt mit dem steigenden Interesse an der Erweiterung des Bewusstseinszustandes in den letzten Jahrzehnten zusammen. Auch die Forschung interessierst sich dafür, das zeigen zum Beispiel Studien mit psychedelischen Substanzen [3].
Für uns sind meiner Meinung nach folgende Aspekte der Mysterien von Eleusis interessant:
- Ein Rausch kann heilsam sein. Das während eines Rauschzustandes erlebte Glücksgefühl kann Schmerzen und Ängste nehmen, neue und bereichernde Einsichten und Erlebnisse bieten und eine Auszeit vom gewöhnlichen Alltag bieten.
- ABER: Es geht auch ohne psychedelische Substanzen. Ob in Eleusis tatsächlich psychedelisch wirkende Substanzen involviert waren, ist bis heute nicht hinreichend belegt. Es ist auch denkbar, dass die tranceähnlichen Zustände durch gemeinsames Beten oder Singen erreicht wurden. Denn ein Rausch muss nicht durch psychedelische Substanzen induziert sein!
Für einen gesunden Rausch können auch Sport, Meditation, religiöse Praktiken, gemeinsames Singen, Tanzen, Lachen oder Wandern sorgen.
Auch Rohkakao ist sehr zu empfehlen, um ein rauschhaftes Erleben zu initiieren: „Rohkakao macht gute Laune“.
Und zum Schluss
Wer Pflanzen liebt, der erlebt den Frühlingsbeginn jedes Jahr besonders intensiv. Wir feiern dann ein Wiedersehen mit all den Pflanzen, die sich über den Winter zurückgezogen haben. Beinahe so wie Demeter mit ihrer Tochter.
Das bei Frühlingsbeginn erlebte intensive Glücksgefühl müssen auch unsere Vorfahren schon seit Jahrtausenden genossen haben. Und wahrscheinlich haben auch sie sich schon für Rauschzustände interessiert. Ein Rausch ist nicht nur eine intensive Erfahrung. Er kann auch heilsam sein.
Doch Vorsicht: Substanzen wie Alkohol oder andere Rauschzustände auslösende bergen Gefahren. Sie können zu unangenehmen Erlebnissen führen und die körperliche und seelische Gesundheit beeinträchtigen. Es gibt bessere und gesündere Wege.
Zurecht zweifelt die Wissenschaft daran, dass in Eleusis Rauschmittel zur Anwendung kamen.
- Wasson RG, Ruck CA, Hofmann A. Der Weg nach Eleusis: Das Geheimnis der Mysterien. Solothurn/CH: Nachtschatten; 2023
- Bizzotto, J. The hypothesis on the presence of entheogens in the Eleusinian Mysteries. Medicina Historica 2018: 85-93
- Simonsson O, Hendricks PS, Chambers R et al. Classic psychedelics, health behavior, and physical health. Ther Adv Psychopharmacol 2022; doi: 10.1177/20451253221135363
Wichtiger Hinweis!
Wie jede Wissenschaft ist die Heilpflanzenkunde ständigen Entwicklungen unterworfen. Soweit in diesem Beitrag medizinische Sachverhalte, Anwendungen und Rezepturen beschrieben werden, handelt es sich naturgemäß um allgemeine Darstellungen, die eine individuelle Beratung, Diagnose und Behandlung durch eine Ärztin, einen Arzt oder eine/einen Apothekerin nicht ersetzen können. Jede/Jeder Nutzende ist für die etwaige Anwendung und vorherige sorgfältige Prüfung von Dosierungen, Applikationen oder sonstigen Angaben selbst verantwortlich. Autoren und Autorinnen und Verlag haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass diese Angaben bei ihrer Veröffentlichung dem aktuellen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung für Schäden oder andere Nachteile ist jedoch ausgeschlossen.
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Sebastian Vigl
Heilpraktiker mit dem Therapieschwerpunkt Phytotherapie