TinnitusBehandlung von chronischem Tinnitus mit chinesischer Medizin

Eine Tinnitusbehandlung ist erfahrungsgemäß zwar schwierig und nicht nach einem simplen Ursache-Wirkung-Schema durchzuführen. Doch die erzielten Erfolge haben gezeigt, dass der Versuch auf jeden Fall lohnt.

Akupunkturnadeln auf schwarzem Hintergrund
K. Oborny/Thieme

von Nina Klützke

Inhalt

Physiologie

Ätiologie und Pathogenese

Diagnostik

Akupunkturpunkte zur Behandlung von Ohrgeräuschen

Chinesische Arzneimittel mit spezifischer Wirkung bei Ohrgeräuschen

Krankheitsmuster und Therapie

Literatur

Zusammenfassung

Tinnitus kann bei verschiedenen Disharmoniemustern unterschiedlicher Funktionskreise auftreten. Nach gründlicher Musterzuordnung lässt sich eine Therapieempfehlung und Einschätzung der Prognose treffen. Füllemuster sprechen in der Regel gut auf Akupunktur und chinesische Arzneitherapie an. Eventuell in Kombination mit chinesischer Arzneitherapie.

Bei Leerezuständen ist die Prognose, insbesondere bei länger bestehendem Tinnitus, ungünstiger. Ein Behandlungsversuch sollte dennoch nicht unterbleiben, da sich zumindest eine Verbesserung durch unspezifische Akupunkturwirkungen, wie Schlafqualität, Energieniveau, Allgemeinbefinden, Stimmung u. ä., erreichen lassen, sodass, selbst bei gleichbleibendem Tinnitus, dessen Verarbeitung besser ist. Auch eine akute Dekompensation eines chronischen Tinnitus lässt sich häufig gut mit chinesischer Medizin abfangen.

Aus der Erfahrung ist eine Tinnitusbehandlung zwar schwierig und nicht nach einem simplen Ursache-Wirkung-Schema durchzuführen. Doch die erzielten Erfolge haben gezeigt, dass der Versuch auf jeden Fall lohnt.

Bei chronischem Tinnitus handelt es sich um eine akustische Sinneswahrnehmung, die ohne Reiz von außen auftritt und länger als 3 Monate besteht.

Obwohl aus Sicht der westlichen Medizin Tinnitus eine eigenständige Erkrankung ist, die mit und ohne Hörminderung auftreten kann, treten Ohrgeräusche fast immer mit einer, wenn auch geringen, Hörstörung auf. Tinnitus bei völliger Normakusis stellt die absolute Ausnahme dar. In der chinesischen Medizin stellen Ohrgeräusche und Schwerhörigkeit, respektive Taubheit, das gleiche Krankheitsbild dar [11] [17].

Physiologie

Der direkte Funktionskreisbezug des Ohres ist zur Niere herzustellen, welche sich in das Ohr öffnet. Es beeinflussen jedoch noch weitere Organe das Ohr und seine Funktion.

Insbesondere bei Füllezuständen dominiert der Funktionskreis Le/Gb seltener die Lunge.

Bei Leerezuständen sind häufiger Nierenpathologien, seltener Milz/Magen-Defizienzen zu finden.

Auch der Funktionskreis Herz beeinflusst das Ohr: Das Herz kontrolliert die Sinnesorgane, der Geist (Shen), der im Herzen wohnt, koordiniert die Sinne. Das Herz bringt Qi und Blut zu den Ohren, d.h. bei Blutmangel ist eine suffiziente Versorgung derselben, und somit die Funktion, nicht mehr gewährleistet.

Auch die physiologische Funktion von Yin und Yang spielen für die Sinnesorgane eine Rolle: Kann das klare Yang nicht zum Kopf aufsteigen ist ein normales Sehen, Hören, Riechen und Schmecken nicht möglich. Ähnliches gilt für das nach unten Führen des trüben Yin: Ist dieser Vorgang gestört, kann sich Schleim im Kopfbereich sammeln, der dann die Sinnesorgane blockiert [7] [13] [17].

Ätiologie und Pathogenese

Folgende Faktoren können Auslöser von Ohrgeräuschen sein:

  • Emotionale Anspannung kann eine Leber-Qi-Stagnation hervorrufen und auf längere Sicht zu aufsteigendem Leber-Yang oder Leber-Feuer führen.
  • Langfristige Überarbeitung, hohes Alter, übermäßige sexuelle Aktivität und häufige Geburten können die Nierenessenz schwächen, sodass die Versorgung der Ohren nicht mehr gewährleistet ist.
  • Falsche Ernährung, Alkohol, Tabak und häufige Antibiotikaeinnahme schwächen das Verdauungsfeuer der Milz, sodass Schleim-Feuchtigkeit entstehen kann.
  • Akute Lärmexposition, Knalltraumata, Schädel-Hirn-Traumata und HWS-Schleudertraumata können zu einer Blut-Stase führen. Eine langfristige Lärmexposition schädigt v.a. die Niere.
  • Durch Eindringen von akuter Wind-Hitze in die Lunge kann das Aufsteigen des klaren Yangs über die gekoppelte Dickdarmleitbahn gestört werden, z.B. bei einem akuten Infekt [17] [18].

Diagnostik

Zusätzlich zur TCM-Diagnostik ist es hilfreich, eine schulmedizinische Audiometrie mit Tinnitus-Matching durchzuführen: Zusätzlich zur Bestimmung der Hörschwelle wird dem Patienten ein Ton mit dem Audiometer angeboten, der weitgehend in Lautstärke und Frequenz dem Ohrgeräusch entspricht. Dies kann schon ein erster Hinweis auf die Art des Disharmoniemusters sein:

Tinnitus im Tieftonbereich mit Tieftonschwerhörigkeiten tritt meist bei Blockierungen im Bereich der oberen HWS und Störungen im stomatognathen System auf [11]. Hier findet sich häufig eine Leber-Pathologie, die gut über Mikrosysteme und Akupunktur zu behandeln ist.

Hochtontinnitus mit Störungen der Hörschwelle ebenda sind eher mit einer Nierendefizienz korreliert.

Ein mittelfrequenter Tinnitus, meist auch mit einer Hörstörung in diesem Bereich, kann eine Mischform der beiden oben genannten Disharmonien sein oder Hinweis auf eine Belastung mit Schleim-Feuchtigkeit. Westlich kann dies einem Morbus Menière oder einer Otosklerose entsprechen.

Leitbahnen, die das Ohr beeinflussen

Folgende Leitbahnen beeinflussen das Ohr (Abb. 1):

  • Die Dreierwärmerleitbahn läuft um das Ohr, wobei ein Ast das Ohr durchzieht.
  • Etwas weiter von der Concha entfernt verläuft die Gallenblasenleitbahn. Auch von hier wird ein Ast in das Ohr entsandt.
  • Die Dünndarmleitbahn endet am Tragus mit Dü 19 und tritt von dort ebenfalls ins Ohr ein.
  • Zuletzt sendet auch die Dickdarmnetzleitbahn einen Ast in das Ohr.

Darüber hinaus sind aus chinesischer Sicht die Funktionskreise Herz und Lunge an der Aufrechterhaltung der physiologischen Funktionen der Ohren beteiligt und erreichen die Ohren über die gekoppelte Leitbahn oder die Netzleitbahn [2] [17].

Akupunkturpunkte zur Behandlung von Ohrgeräuschen

Nahpunkte

  • 3 E 21 unterstützt die Ohren, klärt Hitze.
  • Dü 19 unterstützt die Ohren, beruhigt den Geist.
  • Gb 2 unterstützt die Ohren, beseitigt Wind, klärt Hitze.
  • 3 E 17 unterstützt die Ohren, eliminiert Wind, klärt Hitze.

Fernpunkte

  • 3 E 3 treibt äußere pathogene Faktoren aus und kann als Holz-Punkt helfen Leber-Feuer zu klären und Leber-Yang absteigen zu lassen.
  • Dü 2, 3 (nach Gleditsch) Mikrosystem im Bereich der klassischen Lokalisation von Dü 2, 3 mit besonderer Wirkung auf das stomatognathe System und die obere HWS. Des Weiteren vermag eine Nadelung dieses Areals psychische Blockaden zu lösen.
  • Bl 62 beseitigt inneren und äußeren Wind, beruhigt den Geist, wirkt auf den Nacken [2] [15] [16].

Chinesische Arzneimittel mit spezifischer Wirkung bei Tinnitus (Auswahl)

Cuscutae semen (Tu Si Zi)

Wirkung hauptsächlich auf die Niere, aber auch auf Leber und Milz, emporhebend, von der Temperatur her neutral, vom Geschmack scharf und süß, leicht emporhebend; auffüllend, Yang und Jing stützend, Qi-stützend und emporhebend.

Magnetitum (Ci Shi)

Vom Temperaturverhalten sehr kalt, stark absenkend, leicht scharf, sehr tief wirkend, wirkt auf Niere und Leber; stark Yang absenkend, krampflösend, beruhigend und ausgleichend, Qi absenkend und Yin ergänzend. Ähnlich wirkt auch Haematitum (Dai Zhe Shi), allerdings mehr auf Leber und Herz.

Lycii fructus (Gou Qi Zi)

Wirkung auf die Leber, weniger auf Niere und Lunge, von neutraler Temperatur, süß, leicht absenkend; in der Wirkung hauptsächlich Yin stützend und ergänzend, Jing stützend, den Kopf klärend.

Corni fructus (Shan Zhu Yu)

Leicht warm, von tiefer Wirkrichtung; hauptsächlicher Bezug zur Niere, aber auch zur Leber, vom Geschmack sauer; Wirkung: Jing stützend, Yin stützend und ergänzend, Urin zurückhaltend.

Chrysanthemi flos (Ju Hua)

Mit kalter Temperaturtendenz, leicht absenkend; vom Geschmack leicht süß und bitter, mit Bezug zum Leber- und gering auch zum Lungenfunktionskreis; wirkt bevorzugt auf den Kopf- sowie die Haut; die Oberfläche öffnend, Wind und Wind-Hitze ausleitend, den Leberfunktionskreis harmonisierend.

Bupleuri radix (Chai Hu)

Leicht kalt, Meldearznei für Leber-, Herz-, Gallenblasen- und Drei-Erwärmer-Leitbahn; bitter scharf und aromatisch, von der Wirkrichtung her emporhebend; in den Leitbahnen, speziell im Ohr wirkend; die Oberfläche lösend, Qi emporhebend, bewegend und regulierend, Yang emporhebend; Wind-Hitze und feuchte Hitze ausleitend.

Gentianae radix (Long Dan Cao)

Sehr kalte und bittere Arznei, mäßig absenkend, wirkt tief auf Leber und Gallenblase, sowie gering auf Blase und Magen; leitet feuchte Hitze und Glut aus, besänftigt inneren Wind, senkt Yang ab.

Astragali semen (Sha Yuan Ji Li)

Warm und emporhebend, süß; wirkt auf Leber und Niere; stützt Yang und Jing; stützt damit die Niere; harmonisiert die Leber, klärt den Kopf.

Angelicae sinensis radix (Dang Gui)

Warmes, mäßig scharfes und leicht süßes Arzneimittel, leicht emporhebend, im unteren Wärmebereich und den Leitbahnen wirkend, besonders auf Leber, mäßig auch auf Herz und Milz; ergänzt und bewegt Blut (Xue), leitet Feuchtigkeit bei Wind aus.

Ligustri lucidi fructus (Nü Zhen Zi)

Neutral, bis leicht kalt, leicht absenkend; leicht bitter und süß; wirkt im unteren Wärmebereich und im Kopf, stark auf Leber und Niere; stützt und ergänzt Yin, stützt Jing, leitet Hitze aus, klärt Kopf und Augen.

Viticis fructus (Man Jing Zi)

Leicht kaltes Arzneimittel, leicht absenkend; leicht scharf und bitter; wirkt auf die Leber, gering auch auf Lunge und Blase; leitet Wind aus und klärt Kopf und Augen.

Acori tatarinowii rhizoma (Chang Pu)

Mäßig warm, emporhebend; scharf und leicht aromatisches Arzneimittel; wirkt auf Herz- sowie gering auch auf Leber, Milz und Magen, hauptsächlich im Bereich des Kopfes und der Lunge; leitet Feuchtigkeit und feuchte Hitze aus, wandelt Schleim um und leitet ihn aus, öffnet die Sinne, bewegt und reguliert Qi.

Mastodi fossilium ossis (Long Gu)

Kühl, absenkend, süß; wirkt tief auf Herz, Leber und weniger auf Niere; senkt Yang ab; beruhigt, gleicht aus, harmonisiert den Leberfunktionskreis, besänftigt inneren Wind.

In ähnlicher Weise wirken auch diverse Muscheln, z.B. Ostreae concha (Mu Li), u.a. [8] [9] [19].

Krankheitsmuster

Im Wesentlichen lassen sich nach Deadman [2] 6 Krankheitsmuster unterscheiden:

aufsteigendes Leber-Yang oder Leber-Feuer

  • Nierendefizienz
  • Obstruktion der Ohren durch Schleim-Feuchtigkeit oder Schleim-Hitze
  • Angriff von pathogenem Wind
  • Milz-Magen-Qi-Leere
  • Blut-Stase

Aufsteigendes Leber-Yang oder Leber-Feuer

Eine Störung der physiologischen Funktion der Ohren durch aufsteigendes Leber-Yang oder -Feuer führt häufig zu plötzlich einsetzenden Beschwerden: Druck auf den Ohren, Wattegefühl, Gefühl unter einer Glocke zu sitzen, die oft auch mit Hörminderung im Tieftonbereich, manchmal von wechselnder Qualität, einhergehen. Kopfschmerzen und/oder Schwindel können die Symptomatik begleiten. Es handelt sich um eine Fülle-Störung.

Erfahrungsgemäß zeigt die Tonaudiometrie eine Tieftonschwerhörigkeit mit Tinnitus im Bereich des schlechtesten Hörens (Abb. 2).

Im Laufe der Behandlung verschwindet häufig das Geräusch, und die Hörschwelle bessert sich in der Regel bis zur Normakusis im Tieftonbereich.

Befunde und Therapieprinzip
  • Pulsbefund: saitenförmig, ggf. schnell, fein
  • Zunge: rot, evtl. mit verdünntem Belag, bei Feuer mit gelbem Belag
  • Tinnitusqualität: pfeifend, wechselnd, bei Feuer wie Brandung oder tiefer Glockenton
  • Therapieprinzip: die Leber harmonisieren, Yang absenken, Leber und Nieren auffüllen, das Leber-Feuer ableiten und die Leber klären
Akupunkturpunkte

Akupunktur bessert die Beschwerden in der Regel bereits nach wenigen Behandlungen; chinesische Phytotherapie kann ergänzend zur Behandlung des Disharmoniemusters eingesetzt werden.
Sinnvolle Akupunkturpunkte: Le 2, 3 E 17, Gb 2, 3 E 5, Gb 43, Gb 20, Gb 8 [13] [20].

Wichtige Akupunkturpunkte sind Dü 2 und 3 – beide wirken auf die Ohren und den Nacken und klären Wind-Hitze.

Mittels Very-Point-Technik werden im Areal um Dü 2 und 3 häufig noch weitere sensible Punkte detektiert, die durch ihre psychotrope Wirkung imponieren. Nach Nadelung derselben lösen sich oftmals tiefsitzende psychische Blockierungen.

Es wird eine ausgeprägte Entspannung der Muskulatur der oberen Halswirbelsäule und sowie des gesamten stomatognathen Systems erreicht [4] [6].

Auch der Ohrachsenpunkt in der Nähe von Gb 10 – der in dorsokranialer Verlängerung der durch die Incisura intertragica zu ziehenden Ohrachse, ca. 2–3 Querfinger von der Helixkante entfernt liegt – hat empirisch eine gute Wirkung auf Hörstörungen (Tieftonhörsturz) und Ohrgeräusche [6] (Abb. 3).

 

Hilfreiche Rezepturen

Bei aufsteigendem Leber-Yang empfiehlt sich Tian Ma Gou Teng Yin (Gastrodia-Uncaria-Brühe), welcher Magnetitum (Ci Shi) oder Acori tatarinowii rz (Shi Chang Pu) beigegeben wurde.

Bei Leber-Feuer bietet sich Long Dan Xie Gan Tang (Gentiana-Leber-Ableitungs-Abkochung) an. Auch hier kann Acori tatarinowii rz (Shi Chang Pu) ergänzt werden [1] [10] [18].

Prognose

Die Prognose ist hier, selbst bei länger bestehenden Beschwerden, durchaus günstig.

 

Nierendefizienz

Werden die Ohren nicht genügend von Qi, Essenz und Blut erreicht, können Hörstörungen und/oder Tinnitus auftreten. Typisch ist ein langsames Entstehen des Tinnitus, selten auch akut durch Verlust von Nieren-Essenz, z.B. nach einer Entbindung. Die Geräusche verschlechtern sich gegen Abend und lassen sich oftmals durch Verschließen des Gehörganges bessern, z.B. durch Auflegen der Hände (Leere-Muster).

Aus westlicher Sicht findet sich oftmals eine mehr oder weniger ausgeprägte Hochtonschwerhörigkeit mit Tinnitus im Bereich der schlechtesten Hörfrequenz (Abb. 4).

Befunde und Therapieprinzip
  • Pulsbefund: tief, leer
  • Zunge: unspezifisch
  • Tinnitusqualität: leise, pfeifend oder rauschend, sehr chronisch
  • Therapieprinzip: die Essenz nähren, Nieren-Yin oder -Yang stärken, ggf. auch Herz oder Leber harmonisieren
Rezepturen

Als Rezepturen bieten sich Er Long Zuo Ci Wan (Links wohltuende Taubheits-Pille), eine Modifikation von Liu Wei Di Huang Wan (Sechs-Geschmäcker-Rehmannia-Pille), welcher Magnetitum (Ci Shi), Acori Graminei rz (Shi Chang pu) sowie Schisandrae Chinensis frc (Wu Wei Zi) beigegeben wurde.

Bei stärkerer Defizienz der rechten Niere empfiehlt sich You Gui Wan (Rechts-Rückgabe-Pille), je nach Konstellation mit Modifikationen. Die Therapie sollte über einige Monate erfolgen und in regelmäßigen Abständen kontrolliert werden.

Akupunktur

Zur Unterstützung gut geeignete Akupunkturpunkte sind: Gb 2, Dü 19, 3 E 17, Ni 3, KG 4, Bl 23, Mi 6, He 6, Le 3, bei Nieren-Yang-Mangel auch Moxibustion, außer an He 6 und Le 3 [1] [10] [18].

Prognose

Eine kombinierte Behandlung mit chinesischen Kräutern und Akupunktur kann eine Besserung erbringen: Zwar lässt sich die Innenohrleistung meist nicht mehr verändern, aber die Ohrgeräusche werden als deutlich geringer oder gar nicht störend empfunden, bestenfalls verschwinden sie sogar.

Prognostisch handelt es sich hier um ein eher schwierig zu behandelndes Krankheitsbild. Vonseiten der westlichen Therapie bringen je nach Befund die Versorgung mit einem Noiser (Rauschgenerator) oder Hörgeräten sehr gute Ergebnisse, sodass dies eine weitere Therapieoption ist.

Obstruktion der Ohren durch Schleim-Feuchtigkeit oder Schleim-Hitze

Aus chinesischer Sicht blockiert der pathogene Faktor Schleim das klare Yang beim Aufsteigen sowie Erhellen der Sinnesöffnungen und das trübe Yin am Absteigen.

Es kann sich um ein akutes Krankheitsbild handeln oder einen längerfristigen, chronischen Prozess. Erwachsene klagen deutlich häufiger über Ohrgeräusche als Kinder.

Das bei Kindern häufige Mukotympanon geht in seltenen Fällen mit einem Tinnitus einher.

Bei Erwachsenen kann es sich um die Komplikation einer akuten Otitis media, also um einen Akutfall, handeln, der dringlich (am selben Tag!) in fachärztliche Behandlung gehört, denn die akute Entlastung des Ohrs durch eine Parazentese sowie die audiometrische Abklärung und ggf. Einleitung einer medikamentösen Therapie sind unabdingbar.

Bei persistierender Hörstörung oder Ohrgeräuschen kann hiernach eine Behandlung mit chinesischer Phytotherapie und/oder Akupunktur sinnvoll sein. Die Behandlung sollte so früh wie möglich erfolgen, da mit eingetretener, dauerhafter Hörverschlechterung keine Besserung der Innenohrleistung zu erwarten ist.

Befunde und Therapieprinzip
  • Pulsbefund: schlüpfrig, saitenförmig
  • Zunge: gelber, fetter Belag
  • Tinnitusqualität: Ohrgeräusche wie Brandung

Eine Entität dieser Kategorie ist die Menière’sche-Erkrankung: Hierbei treten für Minuten bis Stunden Drehschwindelattacken auf, wobei im Anfall auch Ohrgeräusche und eine (initial geringe) Hörstörung auftreten. Nach häufigeren Anfällen steigt die im Anfall schlechte Hörschwelle nicht wieder auf das Ausgangsniveau an, sondern es bleibt eine Innenohrschwerhörigkeit, meist im Mitteltonbereich, zurück.

Eine Akupunkturbehandlung bringt keinen durchschlagenden Erfolg, da es sich hierbei aus Sicht der TCM um eine Schleim-Erkrankung handelt. Somit steht im Vordergrund das Aufbrechen und Ausleiten von Schleim mittels Chinesischer Arzneitherapie.

Eine Behandlung sollte so früh wie möglich erfolgen, da mit eingetretener, dauerhafter Hörverschlechterung keine Besserung der Innenohrleistung zu erwarten ist.

Rezepturen

Gute Erfolge kann in diesem Falle eine Verabreichung von Ban Xia Bai Zhu Tian Ma Tang (Pinellia-Magnolia-Abkochung) bringen. Die Kaiserarzneien Pinellia ternata rz (Ban Xia) und Gastrodia elatae rz (Tian Ma) transformieren Schleim, trocknen Nässe und leiten rebellierendes Qi nach unten. Atractylodis macrocephalae rz (Bai Zhu) und Poria cocos sclerotium (Fu Ling) stärken die Milz und trocknen Nässe bzw. lassen diese abfließen, sodass Symptome und Wurzel der Erkrankung gleichermaßen behandelt werden.

Akupunktur

Für eine begleitende Akupunktur bietet sich zusätzlich zu den Punkten, die aufgrund des Disharmoniemusters des Patienten ausgewählt werden, Ma 40 als ausleitender Punkt an.

Angriff von pathogenem Wind

Dringt äußere Wind-Hitze in die Lunge ein, kann diese über die gekoppelte Dickdarmnetzleitbahn bis zu den Ohren vordringen und so Ohrgeräusche hervorbringen. Aus westlicher Sicht handelt es sich um eine akute Infektion der oberen Atemwege mit weiteren typischen Symptomen wie Kopfschmerzen, verstopfter oder laufender Nase, Frösteln und fiebrigem Gefühl. Obwohl es sich um einen akuten Tinnitus handelt, sei er der Vollständigkeit halber hier erwähnt.

Befunde und Therapieprinzip
  • Pulsbefund: schnell und oberflächlich schwimmend
  • Zunge: ggf. rot, mit dünnem Belag
  • Tinnitusqualität: Ohrgeräusche wie das Brausen von Wind
  • Therapeutisches Prinzip: die Oberfläche lösen und Wind-Hitze verteilen
Rezepturen

Als Rezeptur empfiehlt sich Yin Qiao San (Lonicera-Forsythia-Pulver) dem man Viticis frc (Man Jing Zi) oder wiederum Acori tatarinowii rz (Shi Chang Pu) beigibt. Da es sich um ein akutes Krankheitsbild handelt wird die Rezeptur lediglich für 3 Tage verschrieben [13] [18] [19] [20].

Akupunktur

An Akupunkturpunkten bieten sich 3 E 17, Dü 19, 3 E 9 und Di 4 an (unterstützen sich gegenseitig im Ausleiten von Wind-Hitze), ggf. Di 6 (löst die Oberfläche, beseitigt ebenfalls Wind-Hitze) [1] [10] [18].

Milz-Magen-Qi-Leere

Ohrgeräusche aufgrund einer Qi-Schwäche des mittleren Erwärmers sind in der Praxis eher selten. Sie sind von eher milder Natur und gehen mit den übrigen Beschwerden dieses Krankheitsbildes einher, wie z.B. Müdigkeit, verminderte Leistungsfähigkeit, leichtes spontanes Schwitzen, leichte Atemnot, Leere- oder Kältegefühl in den Ohren.

Typischerweise bessert sich der Tinnitus durch Ausruhen und Hinlegen und verschlimmert sich durch Belastung.

Befunde und Therapieprinzip
  • Pulsbefund: leer, kraftlos
  • Zunge: leicht blass, evtl. mit etwas weißem Belag
  • Tinnitusqualität: Ohrgeräusche wie das Zirpen von Grillen, niederfrequent
  • Pathomechanismus: ist das unvollständige Aufsteigen des Yangs, welches eine Voraussetzung für eine gute Ohrfunktion ist.
  • Therapeutisches Prinzip: die Mitte auffüllen und Qi mehren
Rezepturen

Als Rezeptur kommt Bu Zong Yi Qi Tang (Mitten-Auffüllungs-Qi-Mehrungs-Abkochung) infrage. Ggf. in Ergänzung mit Viticis frc (Man Jing Zi), Acori tatarinowii rz (Shi Chang Pu) und Puerariae rx (Ge Gen) [18] oder Corni officinalis frc (Shan Zhu Yu) oder Alipinae oxyphyllae frc (Yi Zhi Ren) [2].

Sollte ein stärkerer Blutmangel vorliegen kommt alternativ Gui Pi Tang (Milz-Rückgabe-Abkochung) infrage.

Akupunktur

An Akupunkturpunkten bieten sich Ren 6 (stärkt allgemein das Qi), Du 20 und 3 E 16 an (heben das klare Qi zum Kopf, 3 E 16 reguliert auf das Aufsteigen des klaren Yang und das Absteigen des trüben Yin zum/vom Kopf) [17].

Des Weiteren milz- und magenstärkende Punkte wie Ma 36, Mi 6. Ggf. Moxibustion.

Blut-Stase

Ohrgeräusche und Schwerhörigkeiten nach Trauma, gleich ob mechanisch (z.B. Schädel-Hirn-Trauma, HWS-Schleudertrauma), nach Kopfoperationen oder akustisch (Lärmschädigung) bedingt, verursachen eine Blut-Stase. Hierbei handelt es sich um lokale Fülle durch Stase.

Auch in diesem Fall sollte initial eine fachärztliche Abklärung erfolgen, um das Ausmaß der Schädigung festzustellen und ggf. Akutmaßnahmen (Abdeckung der Rundfenstermembran bei Ruptur derselben, Ausschluss von Frakturen o.ä.) einzuleiten.

Im Anschluss bietet sich eine komplementäre Behandlung mit Akupunktur und Chinesischer Arzneitherapie an.

Befunde und Therapieprinzip
  • Pulsbefund: saitenförmig, rau
  • Zunge: evtl livide, dünner Belag
  • Tinnitusqualität: sehr konstant
  • Therapeutisches Prinzip: die Blut-Stase aufheben, das Blut beleben, Qi ordnen und die Leitbahnen durchgängig machen
Rezepturen

Als Rezeptur bietet sich Tong Qiao Huo Xue Tang (Körperöffnungen durchgängig machende Blut-Belebungs-Abkochung) an. Allerdings sollte der ursprünglich verwendete Moschus durch Acori tatarinowii rz (Shi Chang Pu) ersetzt werden. Soll eine stärkere Wirkung erreicht werden kann auf synthetisch hergestelltes Moschus zurückgegriffen werden [13] [18] [19] [20].

Akupunktur

Sinnvoll ergänzt werden kann diese Therapie durch Di 11, 4; Le 3; Mi 6; Mi 10; Bl 18 (insbesondere bei Leber-Blut-Stase); 3 E 17; Gb 2; Pe 6 [1] [10] [18].

Nina T. Klützke ist als Fachärztin für HNO-Heilkunde in eigener Praxis niedergelassen. Medizinstudium in Homburg/ Saar, Berlin und Mainz. Ausbildung zur Fachärztin für HNO in Trier. Vollausbildung Akupunktur A- und B-Diplom; Meister der Akupunktur und Meister der Ostasiatischen Medizin (DÄGfA) ; Dozentin der DÄGfA. Feng Shui Consultant, Feng Shui Business Consultant; Tätigkeitsschwerpunkte sind komplementäre HNO-Heilkunde, Akupunktur und Chinesische Arzneitherapie, Chinesische Diatätik, Feng-Shui-Beratungen für Unternehmen und Privatpersonen.

Interessenkonflikte: Die Autorin erklärt, dass keine wirtschaftlichen oder persönlichen Verbindungen bestehen.

[1] Bensky D. Chinesische Arzneimittelrezepte und Behandlungsstrategien. Kötzting: Verlag für ganzheitliche Medizin; 1996
[2] Deadman P, Al-Khafaji M. A Manual of Acupuncture. England: Journal of Chinese Medicine Publications; 2007
[3] Feldmann H. Das Gutachten des HNO-Arztes. 6. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2006
[4] Gleditsch JM. MAPS – MikroAkuPunktSysteme. Stuttgart: Hippokrates; 2002
[5] Gleditsch JM. Mundakupunktur – Ein Schlüssel zum Verständnis regulativer Funktionssysteme. 8. Aufl. München, Jena: Urban & Fischer; 2005
[6] Gleditsch JM. Akupunktur in der HNO-Heilkunde. Stuttgart: Hippokrates; 1999
[7] Golenhofen M; Tinnitusbehandlung mit komplementärer Medizin. München, Jena: Urban & Fischer; 2008
[8] Greten HJ. Kursbuch Traditionelle Chinesische Medizin. Stuttgart: Thieme; 2007
[9] Hempen C-H. Leitfaden Chinesische Phytotherapie. München, Jena: Urban & Fischer; 2007
[10] Hempen C-H, Fischer T. Leitfaden Chinesische Rezepturen. München, Jena: Urban & Fischer; 2006
[11] Hesse G. Tinnitus. Stuttgart: Thieme; 2008
[12] Hülse M, Neuhuber W, Wolff H-D. Die obere Halswirbelsäule. Heidelberg: Springer; 2005
[13] Hoffmann M. Chinesische Medizin in der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. München, Jena: Urban & Fischer; 2011
[14] Klützke NT. Akupunktur bei funktionellen Störungen der Kopf-Hals-Muskulatur. 
[15] Lian Y-L, Chen C-Y, Hammes M et al. DÄGfA-Bildatlas der Akupunktur. Marburg: KVM Dr. Kolster; 2004
[16] Maciocia G. Grundlagen der chinesischen Medizin. München, Jena: Urban & Fischer; 2008
[17] Maciocia G. Praxis der chinesischen Medizin. München, Jena: Urban & Fischer; 2010
[18] Mücher J. Differentialdiagnose und Chinesische Arzneitherapie von Ohrgeräuschen. Selbstverlag; 2007
[19] Mücher J. Grundkurs Chinesische Arzneitherapie. Arzneimittellehre. DÄGfA-Skript; 2006
[20] Mücher J. Grundkurs Chinesische Arzneitherapie. Rezepturlehre. DÄGfA-Skript; 2006

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