Interview30 Jahre Intervallfasten - Heilen mit Ernährungsmedizin

Basistherapie jeder Erkrankung sollte eine gesunde, überwiegend pflanzliche Ernährung im Rhythmus des Intervallfastens sein, kombiniert mit körperlichen Übungen. Schon das allein könnte vielen Patienten natürliche Heilung bringen. Ein Gespräch mit Dr. Petra Bracht.

Gabel, Möhre, Intervallfasten
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Die Ernährung ist für Dr. Petra Bracht einer der wichtigsten Ansatzpunkte in der Therapie. Sie empfiehlt ihren Patienten insbesondere das Intervallfasten.

Sie sind seit über 30 Jahren als Hausärztin tätig. Was sind Ihre wichtigsten Ansatzpunkte, wenn ein Patient zu Ihnen in die Praxis kommt?

Es sind ganz klar die Themen Ernährung und Bewegung. Mit meiner heutigen Erfahrung kann ich sagen, dass diese beiden Einflüsse fundamental zur Gesundheit der Menschen und der Aktivierung ihres inneren Arztes beitragen. Selbstverständlich erweitere ich diese Ernährungs- und Bewegungsmedizin wann immer es notwendig ist durch die üblichen ärztlichen Therapien und Vorgehensweisen. Interessanterweise braucht es oft aber gar nicht mehr als diese beiden Aspekte. Die Menschen gesunden bei deren Einsatz häufig von den meisten Krankheiten und durchaus auch von schweren Leiden.

Wie hat sich das bei Ihnen entwickelt, hatten Sie Vorbilder?

Auch wenn ich diese beiden Basistherapien am liebsten anwende, weil sie so effektiv sind, hat mich natürlich die Wissenschaft immer begleitet.

Einer meiner Lehrer ist seit 1991 Prof. Claus Leitzmann. Wer seine Forschungsarbeiten kennt, weiß, dass auch er sich nie zufriedengibt, mit dem noch verbesserbaren Ist-Zustand, sondern immer nach neuen, überzeugenderen Antworten sucht. Er hat die Gießener Rohkost-, die Vegetarier- und die Deutsche Vegan-Studie durchgeführt, lange bevor die Medien die Themen Vegetarismus und Veganismus entdeckt haben. Die Ergebnisse dieser drei Studien waren es, die mich bestärkt haben und mir Sicherheit gaben, auf dem richtigen Weg zu sein.

Aber auch Ärzte wie Maximilian Bircher-Benner, Werner Kollath und Max Gerson und ihre Erforschung der Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Lebensweise haben mich geprägt.

Und schließlich die Bereitschaft, das neu Erfahrene in die tägliche Arbeit mit Patienten einzubinden, haben mich immer wieder ermutigt, meinen Weg weiter zu gehen. Auch wenn dieser damals noch weit entfernt von der empfohlenen Vorgehensweise der Schulmedizin war.

Was hat bei Ihnen den Ausschlag gegeben, Medizin zu studieren?

Es gab ein prägendes Erlebnis, das mich noch immer begleitet. Als ich 14 Jahre alt war, wurde meine Pflegemutter krank. Ich erinnere mich, wie ich erschrak, als diese starke, lebensoffene Frau nach einem Besuch bei ihrer Hausärztin weinend am Küchentisch saß. Ihre Blutzuckerwerte lagen bei 400mg/dl, die übrigen Laborwerte waren nicht wesentlich besser und ein neu diagnostizierter „alter“ Myokardinfarkt kam hinzu. Sie war gerade 54 Jahre, aß weder übermäßig, noch mochte sie Alkohol oder Zigaretten. Es zog ihr den Boden unter den Füßen weg, dass sie scheinbar plötzlich so krank war. Die Hausärztin verordnete ihr, normalen Haushaltszucker durch Fruchtzucker zu ersetzen, viele kleine Mahlzeiten über den Tag verteilt zu sich zu nehmen und ihr Gewicht nach unten zu optimieren. Hinzu kamen zahlreiche Medikamente, mit deren Nebenwirkungen ihr Körper nicht zurechtkam. Ein weiterer Herzinfarkt und eine zunehmende Herzinsuffizienz führten zusätzlich zu einer schweren Depression. In der Notaufnahme eines Krankenhauses schickte sie der diensthabende Arzt mit den Worten, man könne nichts mehr für sie tun, nach Hause. Leider behielt er Recht. Diese Aussage trug natürlich nicht dazu bei, ihr noch etwas Hoffnung zu geben. Ab diesem Moment verlor sie jeden Lebensmut und sie starb 6 Jahre nach diesem ersten Hausarztbesuch.

Ich befand mich gerade im 1. Semester meines Studiums. Ihre Krankheiten waren der Grund warum ich mich entschloss, Medizin zu studieren, ich wollte ihr helfen.

Wie ging es für Sie weiter?

Trotz oder vielleicht auch wegen dieser für mich sehr schlimmen und prägenden Erfahung studierte ich weiter. Vor meinem praktischen Jahr ging ich für ein halbes Jahr nach Indien an die Universitätsklinik in Vellore. 
Schon damals realisierte ich, dass ich eigentlich nur gelernt hatte, Medikamente zu verschreiben. Ich bekam immer mehr das Gefühl, dass das nicht alles sein kann, auch weil dort Medikamente immer wieder fehlten. Ich beobachtete, dass Inder auf dem Land, die zu wenig zu essen hatten, für Milchpulver anstanden, während in der Umgebung die herrlichsten Früchte an den Bäumen hingen. Das alles machte keinen wirklichen Sinn, aber ich konnte es damals noch nicht zuordnen.

Nach meinem Aufenthalt in Indien schloss ich mein Studium ab. Nach der notwendigen Klinikzeit arbeitete ich bei einem Landarzt. Immer mehr verdichtete sich mein Gefühl, dass es noch mehr geben müsse, als nur Arzneimittel zu verordnen. Ich machte meine ersten vorsichtigen Schritte in zu naturheilkundlichen Heilweisen. Bevor ich mich in Frankfurt als Hausärztin niederließ, hospitierte ich bei verschiedenen naturheilkundlich, homöopathisch und mit Akupunktur arbeitenden Kollegen.

In meiner Praxis holte mich schnell der normale ärztliche Alltag ein: Maximal 10 Minuten pro Patient, volles Wartezimmer und nicht selten zusätzlich mehrere Hausbesuche, die ich am meisten mochte. Hier lernte ich meine Patienten und deren Leben nämlich am besten kennen, weil ausreichend Zeit dafür war. Trotzdem bestand meine Hauptbeschäftigung im Praxisalltag im Ausstellen von Rezepten gegen die üblichen Krankheiten. Manches Mal ging es den Patienten besser, manches Mal musste ich die Medikation erhöhen oder zusätzliche Medikamente verordnen.

Immer wieder stellte ich mir die Frage: Ist es wirklich das, weshalb ich Ärztin geworden bin?

Wann kamen Sie dann zu Ihrer jetzigen Arbeitsweise?

Ich war trotz allem Praxisstress immer noch auf der Suche, nach einer Vorgehensweise, die ursächlich heilen kann. Eines Tages fiel mir das Buch „Fit für’s Leben“ von den Diamonds in die Hände, das mein ärztliches Leben grundlegend änderte. Ich empfehle heute noch jedem Arzt oder Patienten es zu lesen. Der Inhalt ist verblüffend einfach: Iss von 12–20 Uhr, verwerte von 20–4 Uhr morgens und scheide von 4–12 Uhr aus. Zusammengefasst: Faste 16 Stunden, iss in den verbleibenden 8 Stunden vollwertige Pflanzenkost und Du wirst schlank, bleibst oder wirst wieder gesund.

Die meisten Mediziner damals und vermutlich auch noch heute nahmen es nicht ernst. Es war zu einfach und viel zu unwissenschaftlich. Obwohl ich noch keine Erfahrungen damit gemacht hatte, war mir intuitiv klar, dass es funktioniert. Mein Mann und ich testeten es selbst, obwohl wir nicht krank waren. Es war sehr spannend, dass wir uns schon nach kurzer Zeit noch viel wohler fühlten als zuvor. Für meinen Mann, der damals täglich 8–10 Stunden Sport machte, war das ein lebensverändernder Test, denn überraschenderweise nahm seine Leistungsfähigkeit noch einmal deutlich zu, obwohl er weniger aß. Bei uns selbst und vor allem auch bei meinen Patienten funktionierte die heute als Intervallfasten bezeichnete Ernährungsform hervorragend. Viele Jahre später hat die Wissenschaft dies bestätigt.

Wie haben Ihre Patienten auf das neue Vorgehen reagiert?

Natürlich war nicht jeder Patient mit meiner „neuen“ Vorgehensweise einverstanden, es ist eben einfacher eine Tablette zu schlucken im Glauben daran, wieder gesund zu werden. Doch wie viele von Ihnen wissen, können Symptome damit oft unterdrückt werden, aber Heilung im Sinne von auf natürliche Art und Weise wie genetisch vorgesehen wieder gesund werden, das ist es sicher nicht.

Wie sind Sie in der Praxis vorgegangen, hat es viel Überzeugungsarbeit gekostet?

Ich zählte schon immer zu den Menschen, die eigentlich nie frühstücken wollten und bin damit ganz und gar nicht allein. Etwa 70 Prozent meiner Patienten mögen es ebenso wenig, zwingen sich aber jeden Morgen mehr oder weniger dazu, weil es so gesund sein soll. Nun hatte ich eine mögliche Erklärung und einen guten Grund es lassen zu können. Aber alle, die ein vollwertiges Frühstück genießen möchten, können das Intervallfasten trotzdem praktizieren. Wichtig ist, dass möglichst viele Stunden Pause für den Magen eingehalten werden. Wenn das Frühstück etwas später ab 10 Uhr eingenommen wird und das Abendessen spätestens um 18 Uhr, dann ergibt sich auch eine Essenspause von 16 Stunden.

Ich habe meine Patienten immer wieder über diese Zusammenhänge aufgeklärt. Einige suchten sich einen anderen Hausarzt und andere, die das Buch auch gelesen hatten, wollten ärztlich begleitet werden.

Wie sieht die Ernährung konkret aus, die Sie empfehlen?

Ich empfehle meinen Patienten Intervallfasten mit Umstellung auf eine gesunde vegane Kost mit einem hohen Frischkostanteil. Zusätzlich beziehe ich seit vielen Jahren die Orthomolekularmedizin mit ein. Sie ist für mich die heute nötige Ergänzung zur Ernährungsmedizin. Allerdings gehe ich mit Ergänzungen eher zurückhaltend um. Meist genügt eine Grundversorgung plus Vitamin B12 und D3.

Und was empfehlen Sie bei der Bewegung?

Mein Mann und ich haben ein Bewegungsprogramm mit speziellen Übungen entwickelt sowie die Schmerztherapie nach Liebscher & Bracht. Wir erkannten, dass die Nicht-Nutzung von Gelenkwinkeln neben der Entstehung von Schmerzen ebenso negative Auswirkungen auf die Gesundheit hat wie eine qualitativ mangelhafte Ernährung.

Faszinierend für mich war nicht nur, dass die meisten Schmerzen auch auf natürliche Art behandelbar sind, sondern dass ein wahrer Gesundheitsturbo entsteht, wenn die körperlichen Übungen mit pflanzlicher Kost mit hohem Frischkostanteil kombiniert werden. Heute sind diese Zusammenhänge nachvollziehbar: Nur der in allen Gelenkwinkeln bewegte Mensch versorgt jeden Körperwinkel mit Nährstoffen und Sauerstoff. Kombiniert mit den Effekten des Intervallfastens bestehen gute Chancen gesund zu werden oder zu bleiben.

Autophagie

Als Autophagie wird ein zellulärer Prozess bezeichnet, bei dem krankhafte, nicht benötigte Zellbestandteile abgebaut werden. Der Japaner Yoshinori Ohsumi erhielt 2016 den Medizin-Nobelpreis für seine Erforschung der Grundlagen der Autophagie. Die Autophagie wird auch durch Fasten gefördert.

Bei welchen Erkrankungen sind Sie mit dem Ansatz des Intervallfastens besonders erfolgreich?

Es sind besonders chronische Krankheiten und die sog. Zivilisationskrankheiten: Neurodermitis, rheumatische Erkrankungen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die positiven Ergebnisse haben oft nicht nur meine Erwartungen, sondern mehr noch die meiner Patienten übertroffen. Sie spüren und verstehen durch die eigene Erfahrung, welchen unglaublichen Einfluss eine gesunde Nahrung hat und wie positiv der Körper darauf reagiert.

Ist Ihr Vorgehen in einer Kassenpraxis möglich?

Aus meiner Erfahrung ist es unter den heutigen Rahmenbedingungen nicht möglich. Ich arbeite nach diesem Prinzip seit vielen Jahren, habe nach 14 Jahren allerdings meine große Kassenarztpraxis in eine Privatpraxis umgewandelt. Mein damaliger Versuch als Kassenärztin Igelleistungen einzubauen, wurde mir nicht gestattet. Doch in zehn Minuten kann man keine heilende Medizin machen und erklären, warum und wie Lebensgewohnheiten verändert werden müssen. Eine Stunde Kontaktzeit ist für mich ein absolutes Muss. Ich wollte eine Medizin praktizieren, von der ich wusste, dass der Kranke die Chance auf wirkliche Heilung hat.

Wie sehen Sie den Stellenwert dieses Therapieansatzes heute im Vergleich zu damals?

Vor 25 Jahren war es noch viel schwerer, fleischlose Ernährung zu empfehlen und Tiermilch als ungesund einzustufen. Es lagen kaum wissenschaftliche Daten vor und meine Erfahrung als Ärztin war vielen Menschen einfach zu wenig. Es ist gut, dass das Thema Ernährung mittlerweile ein Thema der Massenmedien ist. Leider hat die Ernährung aber im Medizinstudium noch immer keinen besonderen Stellenwert.

Fundiertes Ernährungswissen muss auch in die Hand der Ärzte. Denn die Unsicherheit der Patienten ist groß und wird durch Ernährungslehren, die bis heute behaupten, tierische Eiweiße und Milch und 
deren Produkte sollten Hauptbestandteile in der Ernährung sein, noch größer. Es gibt mittlerweile mehr als genug wissenschaftliche Forschungsergebnisse, die klar belegen, dass eine weitaus überwiegende 
pflanzliche, frischkostbetonte Ernährung die geeignetste Kostform für den Menschen ist.

Das Interview (hier leicht gekürzt) ist erschienen in der zkm 5/2018.

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Dr. med. Petra Bracht ist Fachärztin für Allgemeinärztin mit Zusatzbezeichnung Naturheilverfahren. Seit über 30 Jahren arbeitet sie mit Ernährungsmedizin und Orthomolekularmedizin. Sie wendet seit vielen Jahren das Intervallfasten in Kombination mit körperlichen Übungen als Basistherapie an und erlebt mit ihrer Vorgehensweise immer wieder erstaunliche Erfolge bei ihren Patienten.

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