AdipositasAdipositas-Chirurgie: Besonderheiten für die Ernährungstherapie

Eine bariatrische Operation kann helfen, das Körpergewicht deutlich zu senken. Mit Ernährungstherapie kann erneuter Gewichtszunahme oder Mangelzuständen vorgebeugt werden. Welche Besonderheiten ergeben sich für die Ernährungstherapie?

Inhalt
Arzt steht neben einer Waage.
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Nach Ausschöpfen aller Maßnahmen zur Änderung der Ernährung und des Lebensstils bleibt vielen Menschen mit Adipositas letztlich nur ein bariatrischer Eingriff für eine deutliche und langfristige Gewichtsreduktion.

Hintergrund

Die Anzahl an Menschen mit Adipositas in Deutschland hat stark zugenommen. Aktuell sind etwa 24 % der Menschen adipös [1]. Als Basistherapie zur Behandlung von Menschen mit Übergewicht oder Adipositas gilt die multimodale Therapie mit den Bausteinen Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie. Neben der Gewichtsreduktion steht vor allem die langfristige Gewichtsstabilisierung im Vordergrund [2]. Sollte diese Therapie nicht zum Erfolg führen, kann eine Adipositas-Operation helfen. Ein adipositas-chirurgischer Eingriff bietet eine sehr effektive Maßnahme zur Therapie der Adipositas.

Chirurgische Therapie

Die chirurgische Therapie sollte dann erwogen werden, wenn eine extreme Adipositas besteht und die konservative Therapie nicht zum Therapieziel geführt hat [2]. Die S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) formuliert klar die Indikation für einen adipositas-chirurgischen Eingriff [3]:

  • bei Patienten mit einem BMI ≥ 40 kg/m2 ohne Begleiterkrankungen und ohne Kontraindikation nach Erschöpfung der konservativen Therapie.
  • bei Patienten mit einem BMI ≥ 35 kg/m2 mit einer oder mehreren adipositas-assoziierten Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2 oder nichtalkoholische Fettleber (NAFLD), wenn die konservative Therapie erschöpft ist.

Präoperative Ernährung

Im Rahmen der multimodalen Therapie kommen die Patienten zur Ernährungstherapie. Diese müssen sie für 6 Monate durchführen, was einige von ihnen eher als lästige Pflicht ansehen. Diese Vorbereitungszeit kann jedoch gut genutzt werden, um mit den Patienten ausführlich zu besprechen, welche neuen Essgewohnheiten nach der OP auf sie zukommen werden.

Merke

Die Veränderung der postoperativen Ernährungsgewohnheiten beginnt bereits präoperativ.

Folgende neue Gewohnheiten sollten die Patienten trainieren:

  • 3–4 Mahlzeiten pro Tag
  • mit Ruhe und langsam essen, gut kauen
  • auf Hunger- und Sättigungsgefühl achten
  • auf eine ausreichende Zufuhr von Protein achten
  • Essen und Trinken trennen (30 Minuten vor dem Essen und bis 30 Minuten nach dem Essen nichts trinken)
  • schluckweise trinken
  • keine zucker- und/oder kohlensäurehaltigen Getränke
  • regelmäßige Bewegung (im Rahmen der Möglichkeiten)
  • ggf. Supplemente regelmäßig einnehmen

Hinsichtlich der Vorbereitung auf die Operation gibt es keine bundesweit einheitlichen Empfehlungen, was bei Patienten zu gewissen Irritationen führen kann. Die DGAV empfiehlt zur Vorbereitung auf die Operation eine 14-tägige eiweißreiche, hypokalorische Diät [3]. Diese wird in vielen Adipositaszentren umgesetzt, teilweise auch als sogenannte „Flüssigphase“, d. h. die Mahlzeiten können aus einem selbstgemachten Milchmixgetränk, einer pürierten Gemüsesuppe oder einem Proteindrink bestehen.

Postoperative Ernährung

Im Krankenhaus erfolgt zunächst ein stufenweiser Kostaufbau, bestehend aus flüssig-weichen Speisen wie Naturjoghurt oder pürierter Gemüsesuppe. Es gibt bezüglich des Kostaufbaus ebenfalls keine bundesweit einheitlichen Empfehlungen. Angepasst an die Empfehlungen der ASMBS (American Society for Metabolic and Bariatric Surgery) wird folgender Kostaufbau empfohlen [4]:

  • Die erste Phase, in der weiterhin flüssig-breiige Speisen gegessen werden sollen, beginnt unmittelbar nach der Operation und sollte für 4 Wochen durchgeführt werden. Der Patient sollte zu Hause 4 kleine proteinreiche Mahlzeiten pro Tag essen. Zur Erhöhung der Proteinzufuhr kann ein Proteindrink als Mahlzeit eingesetzt werden.
  • Danach kann der Patient auf festeres Essen umstellen und verschiedene Lebensmittel ausprobieren.

Praxistipp

Zu Beginn ist es hilfreich, wenn der Patient nochmals ein Ernährungstagebuch führt, um eventuelle Unverträglichkeiten für sich herauszufinden und die Trinkmenge und die Proteinzufuhr im Blick zu haben.

Ernährungsempfehlungen nach der Operation:

  • mindestens 4 kleine Mahlzeiten pro Tag
  • Portionsgröße beachten (ca. 150 ml Volumen)
  • langsam essen, gut kauen und das Essen genießen
  • auf das Sättigungsgefühl achten
  • auf eine ausreichende Proteinzufuhr achten (60–80 g/Tag)
  • kleine Portionen an Kohlenhydraten essen
  • gute Fette verwenden
  • kleine Portionen Gemüse und Obst essen
  • Essen und Trinken trennen (30 Minuten vor dem Essen und bis 30 Minuten nach dem Essen nichts trinken)
  • zucker- und kohlensäurehaltige Getränke vermeiden
  • schluckweise trinken
  • Supplemente regelmäßig und lebenslang einnehmen
  • regelmäßige Bewegung

Merke

Eine adäquate Proteinzufuhr ist absolut notwendig.

Supplemente

Bereits präoperativ sind bei vielen Menschen Mangelerscheinungen an bestimmten Nährstoffen festzustellen, wie beispielsweise Vitamin D. Diese sollten im Vorfeld therapiert werden.

Postoperativ ist das Risiko von Mangelerscheinungen erhöht. Ursache hierfür sind die kleineren Portionen und die durch die Operation vorgenommenen anatomischen und physiologischen Veränderungen, wie die Verkleinerung des Magens und/oder die Duodenalexklusion. Je restriktiver das Verfahren, umso höher ist das Risiko, Mangelerscheinungen zu entwickeln.

Mikronährstoffmangel

Besonders kritische Mikronährstoffe in Bezug auf postoperative Mangelerscheinungen sind:

  • Vitamin B12
  • Vitamin D
  • Calcium
  • Eisen
  • Zink

Wichtig ist in diesem Zusammenhang die regelmäßige Blutuntersuchung bezüglich der wichtigsten Vitamine und Mineralstoffe. Damit können mögliche Mangelerscheinungen rechtzeitig entdeckt und behandelt werden.

Merke

Um Mangelerscheinungen vorzubeugen, müssen Patienten ein Leben lang Vitamine und Mineralstoffe supplementieren.

Mögliche Probleme nach der Operation

Trotz optimaler Vorbereitung können nach der Operation verschiedene ernährungsbedingte Probleme auftreten. In den ersten Tagen nach der Operation kann es zu einem leichten Druckgefühl nach dem Essen oder Trinken, einem leichten Ziehen oder auch zu Übelkeit kommen. Dies ist zu Beginn nicht ungewöhnlich, da die Patienten frisch operiert sind. Entwickeln Patienten hingegen Fieber, stärkere Schmerzen oder müssen sie sich häufig übergeben, so sollten sie sich unverzüglich mit ihrem Adipositaszentrum in Verbindung setzen.

Weitere Beschwerden, die sich im Laufe der Zeit entwickeln können:

  • Erbrechen
  • Obstipation
  • Laktoseintoleranz
  • Proteinmangel
  • Haarausfall
  • Mangelerscheinungen
  • Dumping-Syndrom
  • Gewichtsstillstand/-zunahme

Fallbeispiel

Anamnese

Eine 42-jährige Frau, in Vollzeit berufstätig, alleinlebend, 175 cm groß, hatte im Juni 2020 eine Magenbypass-Operation. Vor der Operation hatte sie ein Gewicht von 142 kg, was einem BMI von 46,4 kg/m2 entsprach und einen Diabetes mellitus Typ 2, der mit Insulin behandelt wurde. Sie konnte nach der Operation gut abnehmen, hat die Ernährungsempfehlungen gut umgesetzt und konnte auch unmittelbar nach der OP das Insulin absetzen. Im August 2020 hatte sie ihr tiefstes Gewicht von 96 kg (BMI 31,3 kg/m2) erreicht. Im Juli 2022 stellte sie sich zum jährlichen Termin in der Nachsorge vor. Sie hatte auf ein Gewicht von 105 kg (BMI 34,3 kg/m2) zugenommen. Die Blutzuckerwerte waren im Normbereich, sie nahm jedoch ihre Supplemente nicht mehr regelmäßig ein.

Ernährungsdiagnose

Gewichtswiederzunahme und Verdacht auf Mangelernährung. Die Patientin ist wieder in alte Verhaltensmuster gerutscht. Als Ursache nennt sie Stress bei der Arbeit.

Ernährungsintervention

Der Patientin wurde empfohlen, eine Ernährungstherapie durchzuführen. Dafür sollte sie zunächst für 2 Wochen ein Ernährungstagebuch schreiben und zum nächsten Termin aktuelle Laborwerte sowie ihre Supplemente mitbringen.

Nach 2 Wochen war der erste Termin in der ernährungstherapeutischen Sprechstunde. Sie brachte ihr Ernährungstagebuch und aktuelle Laborwerte mit ([Tab.1] und [Tab. 2]).

 

Wert

Normbereich

Ferritin

17 ng/ml

15–150 ng/ml

Albumin (Serum)

40,9 g/l

35–52 g/l

Vitamin B1

30,0 μg/l

15–70 μg/l

Vitamin B6

13,9 μg/l

8,7–27,2 μg/l

Vitamin B12

101 pg/ml

ab 200 pg/ml

Vitamin D

16 ng/ml

ab 30 ng/ml

Calcium

2,2 mmol/l

2,13–2,56 mmol/l

Laborwerte

Die Patientin hat Laborwerte bestimmen lassen. Die Vitamine B1 und B6 befinden sich im Normbereich, ebenso das Albumin im Serum. Somit liegt kein Proteinmangel bei der Patientin vor.

Das Speichereisen Ferritin ist zwar noch im Normbereich, die Patientin berichtet aber über Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Erschöpfung – also typische Anzeichen eines Eisenmangels. Dieser muss behandelt werden. Aufgrund der Duodenalexklusion ist die orale Behandlung des Eisenmangels nicht immer zielführend, besser ist eine Therapie mit Eiseninfusionen. Rücksprache diesbezüglich kann mit dem Adipositaszentrum gehalten werden. Wenn die Eisenspeicher aufgefüllt sind, können die empfohlenen Mengen von Eisen (45–60 mg/Tag) wieder eingenommen werden.

Vorsicht

Die orale Eisenaufnahme kann durch die Duodenalexklusion stark beeinträchtigt sein, weshalb Eiseninfusionen einen bestehenden Eisenmangel oft besser beheben.

Der Vitamin-D-Wert ist ebenfalls zu niedrig. Hier kann das Vitamin D zunächst höher dosiert gegeben werden, um den Spiegel anzuheben. Sobald die Werte im Normbereich sind, werden zur täglichen Einnahme 3000 IE empfohlen.

Die Inhalte der Beratung konzentrierten sich zunächst auf das Ernährungstagebuch. Mit der Patientin wurden nochmals die allgemeinen Ernährungsempfehlungen nach der OP besprochen: 4–5 Mahlzeiten, auf die Portionsgrößen achten, ausreichende Zufuhr von Protein (60–80 g/Tag), langsam essen und gut kauen, auf das Sättigungsgefühl achten, mehr Gemüse dazu, weniger Süßigkeiten und keine reinen Obstmahlzeiten, da diese den Blutzucker zu stark ansteigen lassen können. Bezüglich der Getränke wurde Folgendes besprochen: Essen und Trinken trennen, schluckweise trinken, keine zucker- und/oder kohlensäurehaltigen Getränke.

Monitoring und Evaluation

Es fanden noch 4 weitere Ernährungsberatungstermine statt. Die Patientin konnte im Zuge der Beratung die Häufigkeit der Mahlzeiten reduzieren und auf eine bessere Zusammensetzung achten. Sie isst nun nicht mehr nebenher am PC, sondern macht eine Pause und isst bewusst. Somit kann sie auch ihr Sättigungsgefühl besser wahrnehmen.

Bei den Getränken achtet sie wieder darauf, Essen und Trinken zu trennen und nichts mehr mit Kohlensäure zu trinken. Im Zuge der Beratung konnte sie ihr Gewicht auf 100 kg reduzieren. Zudem bewegt sie sich wieder mehr; sie macht 1-mal/Woche Nordic Walking.

Wir haben nochmals ausführlich über die Bedeutung der Supplemente und die regelmäßige Einnahme gesprochen. Sie hat nun ein Multivitaminpräparat, das gleichzeitig Vitamin D in ausreichender Menge enthält. Aktuell nimmt sie noch Vitamin D und Eisen separat, um den Mangel auszugleichen. Zudem erhält sie wieder monatlich ihre Vitamin-B12-Spritze. Die Laborwerte will sie zukünftig regelmäßig kontrollieren lassen.

Sie wird weiterhin die jährlichen Nachsorgetermine im Adipositaszentrum wahrnehmen und sich bei Bedarf zeitnah in der Ernährungstherapie vorstellen.

Kernaussagen

  • Eine bariatrische Operation ist ein effektives Hilfsmittel zur Therapie der Adipositas.
  • Es bedarf begleitend einer guten ernährungsberatenden Vorbereitung auf die OP.
  • Nach dem adipositas-chirurgischen Eingriff ist eine lebenslange Nachsorge in einem interdisziplinären Team notwendig, um möglichen ernährungsbedingten Konsequenzen und Mangelerscheinungen vorbeugen zu können.

Dr. Heike Raab
ist Oecotrophologin und Ernährungsberaterin VDOE. Seit über 25 Jahren ist sie in der klinischen und ambulanten Ernährungstherapie tätig. Ihr Schwerpunkt ist die Adipositastherapie, insbesondere die Beratung von Menschen mit Adipositas vor und nach dem adipositas-chirurgischen Eingriff.

Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

  1. 1 Robert Koch-Institut. Im Internet:. www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Themen/Uebergewicht_Adipositas/Uebergewicht_Adipositas_node.html Stand 07.02.2022
  2. 2 Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG), Deutsche-Diabetes-Gesellschaft (DDG), Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM). Interdisziplinäre S3-Leitlinie Adipositas – Prävention und Therapie 2014. AWMF-Nr. 050–001 Version 2.0, April 2014. (Leitlinie wird zurzeit überarbeitet). Im Internet:. www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/050–001.html Stand 07.02.2022
  3. 3 Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV). S3-Leitlinie Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen. Version 2.3 (Februar 2018). AWMF-Register Nr. 088–001. Im Internet:. www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/088–001l_S3_Chirurgie-Adipositas-metabolische-Erkrankugen_2018–02.pdf Stand 07.02.2022
  4. 4 American Association of Clinical Endocrinologists/American College of Endocrinology, The Obesity Society, American Society for Metabolic & Bariatric Surgery, Obesity Medicine Association and American Society of Anesthesiologists. Clinical Practice Guidelines for the perioperative nutrition, metabolic and nonsurgical support of patients undergoing bariatric procedures – 2019 update. Surg Obes Relat Dis 2020; 16: 175-247