PalliativmedizinVitaminversorgung in der Palliativmedizin

Vitaminmangelsymptome bleiben im Symptomenkomplex Schwerstkranker möglicherweise oft unerkannt. Welche therapeutische Aufmerksamkeit sollte Vitaminmangelzuständen zukommen?

4 Hände mit Tabletten, Mandarinen, Spritzen und Nüssen.
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Häufig sind Beschwerden im Palliativbereich wie Schmerzen, Schwäche, Müdigkeit und Depression auch gleichzeitig bekannte Mangelsymptome bestimmter Vitamine.

von Claudia Vollbracht, Iris Friesecke

Bei der Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen sollten vor allem die Wünsche und Bedürfnisse des Betroffenen im Vordergrund stehen. Dies setzt natürlich deren Einbindung voraus und damit nicht nur Zeit, sondern auch qualifizierte Fachkräfte, die über das erforderliche Fachwissen, notwendige Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie eine reflektierte Haltung verfügen. So fordert es die Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland und weist auf die forschungsbasierte Erweiterung des Wissens und ein evidenzbasiertes Handeln hin [1].

Lebensqualität am Lebensende – Ziele lange noch nicht erreicht

Ein wichtiges Ziel der Palliativmedizin ist insbesondere die Linderung von Schmerzen und anderen belastenden Symptomen sowie die Verbesserung der Lebensqualität [2].

Die Behandlung und Versorgung in der letzten Lebenszeit von Menschen mit einer als nicht heilbar eingestuften Erkrankung wurde 2016 im Editorial der Fachzeitschrift JAMA ausführlich dargestellt und diskutiert [3]. Demzufolge haben sich Beschwerden von Kranken im letzten Lebensjahr mitnichten verbessert. Schmerzen, Depressionen und Phasen von Verwirrtheit bzw. Desorientierung nahmen sogar zu. Hier bestehen noch große Anforderungen an die palliative Versorgung, deren Fokus die Qualität der verbleibenden Lebenszeit sein sollte. Eine wesentliche Forderung ist die Etablierung einer guten palliativen Versorgung auch außerhalb von Palliativstationen und Hospizen. Neben der häuslichen Pflege betrifft dies insbesondere Intensivstationen und die routinemäßige Krankenhausversorgung. Bei der stationären Behandlung stehen oftmals die lebenszeitverlängernden Maßnahmen im Fokus – auch wenn diese stark zu Lasten der Lebensqualität gehen.

Vitaminversorgungslage im Palliativbereich kaum bekannt

Ein Therapiebereich, der sich intensiv mit gesundheitsbezogener Lebensqualität beschäftigt, ist die Vitaminforschung. Die Vermutung liegt nahe, dass Patienten im Palliativbereich aufgrund einer reduzierten Nahrungsaufnahme und verstärkten, entzündungsbedingten metabolischen Stoffwechselveränderungen eine verminderte Vitaminaufnahme bzw. einen erhöhten metabolischen Verbrauch haben. Das kann zu einer Unterversorgung mit lebensnotwendigen Mikronährstoffen führen.

Studien zu Vitaminmangelzuständen im Palliativbereich liegen kaum vor und wenn, dann betreffen sie fast ausschließlich onkologische Patienten. Während zur Versorgung mit Vitamin B6 keine Studien vorliegen, sieht die Studienlage zu Vitamin C und D vergleichsweise gut aus. Ein Mangel an Vitamin C und D ist bei Patienten mit fortgeschrittenen Tumoren gut belegt [4], [5], [6], [7], [8].

Interessant sind mehrere Beobachtungsstudien, die eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität – insbesondere eine Reduktion von Fatigue und Schmerzen – nach Vitamin-C-Infusionen beobachten [9], [10]. In Fallberichten wird auch eine Schmerzreduktion und ein geringerer Analgetikabedarf nach Vitamin-D-Supplementierung beobachtet [9], [10], [11].

Folsäure- und Vitamin-B1-Spiegel sind im Palliativbereich nur marginal untersucht [12], [13].

Interessant ist die Studienlage bezüglich Vitamin B12. Hohe B12-Werte ohne Substitution werden häufig bei kritisch Kranken gemessen [14] und sind mit einer höheren Mortalität verbunden [15]. Bei palliativen Krebserkrankten ist die Kombination von erhöhten Serumspiegeln von B12 und C-reaktivem Protein (CRP) mit einer verkürzten Überlebenszeit verbunden und gilt mittlerweile als prognostischer Faktor [16]. Trotz erhöhter Serum-B12-Spiegel kann jedoch ein funktioneller Mangel des Vitamins vorliegen, der mit einer eingeschränkten zellulären Bioverfügbarkeit der aktiven B12-Formen zusammenhängt [17].

Vitaminmangelsymptome bleiben möglicherweise unerkannt

Bei einer Unterversorgung mit bestimmten Vitaminen kommt es zu unspezifischen Mangelsymptomen, die mit häufigen Beschwerden von Palliativpatienten wie Schmerzen, Schwäche, Müdigkeit, Appetitmangel und Depressivität übereinstimmen. Diese unspezifischen Symptome bestehen häufig schon bei subklinischen Mangelzuständen, bevor ein klinischer Mangel zu charakteristischen Symptomen führt. Es ist möglich, dass diese unspezifischen Vitaminmangelsymptome im Symptomenkomplex von Palliativpatienten unerkannt bleiben, weil sie fälschlicherweise allein auf die Grunderkrankung, den zunehmenden Entzündungszustand und die psychische Belastung durch die unheilbare Erkrankung zurückgeführt werden.

Vitamin C und D: Die vorklinischen Anzeichen eines Vitamin-C-Mangels sind: allgemeine Müdigkeit, Leistungsschwäche, Beeinträchtigung des seelischen Wohlbefindens, verlangsamte Rekonvaleszenz, Infektanfälligkeit und schlechte Wundheilung.

Ganz ähnlich sind die unspezifischen Symptome eines Vitamin-D-Mangels gelagert, zu denen eine erhöhte Infektanfälligkeit, depressive Verstimmung, Müdigkeit, Schwäche und Schlafstörungen gehören. Unspezifische Glieder- und Gelenkschmerzen können nicht nur Folge eines Vitamin-C-Mangels sein, für den sie explizit aufgeführt werden, sondern auch mit defizitären Vitamin-D-Werten zusammenhängen. Ein Vitamin-D-Mangel kann vor allem unspezifische Schmerzen im unteren Rücken, Rippen, Becken, unteren Extremitäten und der Muskulatur verursachen [18].

Ein interessanter Ansatz ist hier die Empfehlung neuseeländischer Wissenschaftler, Vitamin-C-Infusionen als sichere Begleittherapie bei orthopädischen, tumor- und infektionsbedingten Schmerzen einzusetzen [19].

B-Vitamine: Die Vitamine B6, B12 und Folsäure sind am Methionin-Homocystein-Stoffwechsel beteiligt. Bei diesem Stoffwechselweg werden Methylgruppen für die Biosynthese von DNA, Neurotransmittern, Myelin und Carnitin bereitgestellt. Ein Mangel an diesen B-Vitaminen führt zwangsläufig zu einer Einschränkung dieser Biosyntheseschritte mit Funktionsstörungen der Darmschleimhaut, des Bluts, des Nerven- und Energiestoffwechsels. Gleichzeitig kommt es zu erhöhten Homocysteinspiegeln im Blut, die gefäß- und neurotoxisch sind.

Vitamin B1 ist vor allem für den Kohlenhydratstoffwechsel und die Energiegewinnung essenziell. Insbesondere Nerven- und Muskelzellen, die Kohlenhydrate als hauptsächliche Energiequelle verwenden, benötigen B1, dem hierdurch eine hohe Bedeutung für Kondition und Gedächtnis zukommt. Auch in die Reizleitung des zentralen und peripheren Nervensystems und in den Stoffwechsel von Neurotransmittern (z. B. Acetylcholin-Freisetzung) ist Vitamin B1 involviert. Demzufolge drückt sich ein Mangel vor allem durch Gewichtsverlust, Konzentrationsschwäche und Müdigkeit aus.

Vitamine an der Synthese zahlreicher Botenstoffe beteiligt

Bei Depressionen, Angst- und Unruhezuständen ist ein Mangel an Botenstoffen charakteristisch. Für die Bildung der Neurotransmitter Serotonin, Dopamin, Noradrenalin und Endorphin sind die Vitamine C, B6, B9 (Folsäure) und B12 notwendig. Endorphine sind nicht nur bei Schmerzen wichtig, sondern auch entscheidend für die Stresstoleranz. Noradrenalin ist nicht nur durchblutungsfördernd, sondern auch für Wachheit und Aufmerksamkeit zuständig. Bei Parkinson beobachtet man einen Dopaminmangel im Zentralnervensystem. Da es die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden kann, wird auf gehirngängige Vorstufen (L-Dopa) zurückgegriffen. Aus ganzheitlicher Sicht sollte darauf geachtet werden, dass kein Mangel dieser lebenswichtigen Vitamine besteht und sie in optimaler Weise für die Synthese der Botenstoffe zur Verfügung stehen [Abb. 1].

Querschnittsstudie: Vitaminmangel auf Palliativstation

Aufgrund der unzureichenden Studienlage wurde die Vitaminversorgung von Palliativpatienten im Rahmen einer Masterarbeit des Studiengangs Naturheilverfahren und komplementäre Medizin der Carl Remigius Hochschule Idstein untersucht [20].

Dazu wurden der Vitaminstatus, Homocystein, C-reaktives Protein (CRP) und die Beschwerden bei 31 Palliativpatienten nach stationärer Aufnahme bestimmt. 64,5 % der Untersuchten waren Männer; das Durchschnittsalter betrug 73,23 ± 11,54 Jahre; die häufigste Grunderkrankung waren Tumoren (77,4 %). 9,7 % der Patienten nahmen unmittelbar vor bzw. bei Krankenhauseinweisung Vitamine ein. 32,3 % der Patienten wiesen beim Screening auf Mangelernährung (Nutritional Risk Screening, NRS) ein Ernährungsrisiko auf (NRS ≥ 3). Der Entzündungsmarker CRP lag nur bei 4 Patienten im Normbereich (< 5 mg/l). Der Karnofsky-Index lag gemäß den Studieneinschlusskriterien bei ≥ 30 % und im median bei 50 %.

Der Anteil an nicht-onkologischen Patienten auf der Palliativstation, an der die Masterarbeit stattfand, ist im Vergleich zum deutschen Durchschnitt hoch [21]. Ein wesentlicher Grund für den generell geringen Anteil nicht-onkologischer Patienten im Palliativbereich ist die schlecht abzuschätzende Prognose anderer Erkrankungen. Palliativmediziner fordern allerdings, den Beginn palliativmedizinischer Maßnahmen nicht an Diagnose oder Prognose festzumachen, sondern an den Bedürfnissen der Betroffenen, und nicht-onkologische Patienten früher palliativ zu behandeln. Denn das ureigenste Anliegen der Palliativmedizin ist ein Lindern des Leidens, und dies ist unabhängig von der Prognose.

Die Patienten im untersuchten Kollektiv litten am meisten unter Anspannung, gefolgt von Angst, Schmerzen, Luftnot, Müdigkeit und Appetitmangel. Das Symptom Verstopfung wurde von den meisten als leicht eingestuft; Depressivität und Verwirrtheit/Desorientiertheit traten eher vereinzelt auf.

Nahezu alle Untersuchten (93,5 %) wiesen defizitäre Vitamin-D-Spiegel auf. Knapp die Hälfte hatte defizitäre Vitamin-B6- (48 %) und Vitamin-C-Spiegel (45 %).

Ein Viertel (26 %) der Patienten wies eine Unterversorgung mit B1 auf. Der Vitamin-B12-Spiegel war bei 13 % erniedrigt und bei 23 % ohne Supplementierung zu hoch [Abb. 2].

Umsetzung der Erkenntnisse in der Praxis – Fallbericht M. Parkinson

Seit Abschluss der Masterarbeit zur Vitaminversorgungslage auf Palliativstation im Sommer 2016 werden Vitaminblutkonzentrationen auf Station vermehrt bestimmt und therapeutisch berücksichtigt. Im Folgenden stellen wir einen multimorbiden, nicht-onkologischen Patienten vor, der eine frühe palliativmedizinische Versorgung bekam („early integration“), weil sein Allgemeinzustand ausgesprochen schlecht war und er jegliche Behandlung ablehnte. Diese Fallsituation ist auch für den niedergelassenen Bereich interessant.

Anamnese: Damals 60-jährige Patient wurde 2018 stationär wegen zunehmender Luftnot auch in Ruhe sowie progredienter Schmerzen im rechten Knie und in der linken Hüfte stationär aufgenommen. Anamnestisch bestand seit Jahren ein Morbus Parkinson mit typischen Beschwerden, medikamentös mit einer Kombinationstherapie aus Levodopa, Benserazid, Ropinirol und Rasaligin eingestellt, zusätzlich versorgt mittels tiefer Hirnstimulation seit einigen Jahren.

Weitere Diagnosen waren eine arterielle Hypertonie, eine chronische Niereninsuffizienz St. 2, Vorhofflimmern und Z. n. Lungenarterienembolie, Adipositas per magna sowie ein beginnendes metabolisches Syndrom.

Subjektiv war der Patient am meisten durch die Luftnot, die ausgeprägten Bewegungsstörungen durch den M. Parkinson sowie die starken Schmerzen der großen Gelenke beeinträchtigt. Auffällig war zudem eine deutliche Antriebsstörung sowie ein depressiver Symptomenkomplex.

Vitamindiagnostik: Im Rahmen der Diagnostik wurden auch die Vitaminspiegel bestimmt, allerdings in einem anderen Labor, sodass sich die Normwerte teilweise zu denen in [Abb. 2] unterscheiden. Es zeigten sich leicht defizitäre 25-OH-Vitamin-D-Spiegel von 24,5 nmol/l (< 25 defizient, 25–75 insuffizient, 75,1–250 suffizient). Der Serum-Folsäurespiegel mit 19,4 nmol/l (Norm: 10,5–42) ebenso wie der Vitamin-B6-Wert mit 42,2 nmol/l (Norm: 16–79) befanden sich im unteren Grenzwertbereich; Vitamin B1 (128 nmol/l; Norm: 66–200) und Vitamin B12 (252 pmol/l; Norm: 141–489) waren normwertig. Das Holo-Transcobalamin (HTC) war jedoch mit 58 pmol/l grenzwertig niedrig (< 40 HTC – > B12-Mangel wahrscheinlich, 40–60 HTC Graubereich, > 60 – > B12-Mangel unwahrscheinlich) und damit trotz normaler Vitamin-B12 Werte hinweisend auf eine Mangelsituation.

Therapie Es erfolgte eine orale Substitution der Vitamine mittels eines Vitamin-B-Komplex-Präparats 1 × tägl. p. o. (Vitamine B1, B2, B3, B5, B6, B7, B9 und B12) und zusätzlich während des stationären Aufenthalts hochdosiert Folsäure (B9) 5 mg/d. Vitamin D wurde für 10 Tage in einer Dosierung von 20 000 IE/d substituiert und dann auf 4000 IE/d als Dauergabe umgestellt. Da ein Vitamin-C-Mangel bei Morbus Parkinson und Depression häufig ist und Fallberichte positive Effekte von intravenösem Vitamin C auf Bewegungsstörungen berichten [22], erhielt der Patient während des stationären Aufenthalts insgesamt 4 Infusionen mit je 7,5 g Vitamin C.

Was ist bereits über das Thema bekannt?

  • Häufig sind die Symptome von Betroffenen, die eine Palliativversorgung benötigen, die gleichen wie die Symptome eines Vitaminmangels (z. B. Schmerzen, Schwäche, Müdigkeit, Depression).

  • Die Vitaminversorgung bei Patienten auf Palliativstationen ist bislang nur bei Krebspatienten und hier für einzelne Vitamine (hauptsächlich Vitamin C und D) untersucht.

  • Die Einnahme von Vitaminsupplementen bei Betroffenen, die eine Palliativversorgung benötigen, ist nicht untersucht.

Was die Masterarbeit hinzufügte

  • Alle Patienten in dieser Studiengruppe (75 % Krebs- und 25 % Nichtkrebspatienten) wiesen unterdurchschnittliche Konzentrationen von mindestens einem Vitamin auf, 68 % hatten gleichzeitig einen Mangel an mehreren Vitaminen.

  • Alle Patienten ohne Vitamin-D-Supplementierung wiesen defizitäre Vitamin-D-Spiegel auf.

  • Ein Vitamin-B6- und Vitamin-C-Mangel betraf jeweils fast die Hälfte der Untersuchten, ein Viertel der Patienten hatte defizitäre Vitamin-B1- und 13 % defizitäre Vitamin-B12-Konzentrationen.

  • Weniger als 10 % der Patienten nahmen Vitaminpräparate ein. Das ist weitaus weniger als während einer akuten onkologischen Behandlung.

Auswirkungen auf Praxis, Theorie oder Politik

Da Patienten in der Palliativmedizin ein hohes Risiko für schwere Vitaminmangelerscheinungen haben, sind eine Labordiagnostik und gezielte Vitaminergänzung gerechtfertigt. Wünschenswert ist eine klinische Studie, die die Auswirkungen einer gezielten Vitaminergänzung auf die Symptombelastung und die gesundheitsbezogene Lebensqualität untersuchen.

Zusätzlich erfolgte eine Ernährungsumstellung auf drei eher eiweißreiche Mahlzeiten pro Tag und regelmäßige Physiotherapieeinheiten (Kraft- und Ausdauerübungen).

Verlauf Bereits während des insgesamt nur 8-tägigen stationären Aufenthalts zeigte sich eine deutliche klinische Besserung. Die Schmerzen der großen Gelenke ließen nach; die Numerische Rating-Skala (NRS, 0–10) lag initial bei 8–9 und bei Entlassung bei 2–3; eine analgetische Medikation mit Novaminsulfon konnte bedarfsorientiert verabreicht werden. Die Blutdruckmedikation konnte reduziert werden (Valsartan 160 mg initial auf 80 mg bei Entlassung), die Einnahme des bis dato regelmäßig genommenen PPI (Pantoprazol) wurde ebenfalls reduziert. Der Antrieb des Patienten besserte sich deutlich und auch die depressive Symptomatik nahm ab. Eine Gewichtsabnahme war während des stationären Aufenthalts nicht zu verzeichnen.

Insgesamt war der Patient jedoch motiviert, den begonnenen Weg weiter zu verfolgen. Zusätzlich zu den begonnenen Maßnahmen empfahlen wir ambulant auch die Einnahme von Coenzym Q10, Omega-3-Fettsäuren, Vitamin E und Selen.

Nach einem Jahr hatte der Patient 12 kg an Gewicht verloren, die Schmerzeinstellung war weiterhin stabil, die Blutdruckmedikation konnte weiter reduziert werden, ein PPI war nicht mehr erforderlich. Im Juni 2019 erfolgte eine erneute Kontrolle der Vitaminkonzentrationen. Die Vitamin-D-Spiegel lagen bei 123 nmol/l und damit in einem suffizienten Bereich. Trotz der fortgeführten hochdosierten Vitamin-D-Therapie lagen die Blutwerte nicht oberhalb des Normbereiches.

Insgesamt zeigte sich ein deutlich besseres Allgemeinbefinden und eine bessere Mobilität. Der Patient konnte eigene Ziele formulieren, wirkte weniger depressiv und hatte insgesamt deutlich mehr Lebensqualität und Hoffnung für ein weiteres maximal selbstbestimmtes Leben ohne wesentliche Anhängigkeiten.

Diskussion Abgesehen von den defizitären Vitamin-D-Konzentrationen, die in unseren Breiten in den Wintermonaten nicht verwunderlich sind, zeigte der Patient keine gravierenden klinischen Vitaminmangelzustände. Trotzdem war die Vitaminsubstitution in Kombination mit einer Ernährungsumstellung und Bewegung mit einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität, insbesondere der Schmerzen und Depression, verbunden. Die Festsetzung von Normbereichen für Vitamine orientiert sich an der durchschnittlichen Versorgung in der Bevölkerung. Diese ist aufgrund einer häufigen obst- und gemüsearmen Ernährung und der Abnahme des Vitamingehalts der Lebensmittel eher defizitär. Eine bevölkerungsweite Unterversorgung mit Vitaminen kann dadurch zu Normwerten führen, die physiologisch zu niedrig sind. Vitamine sind essenzielle Kofaktoren für Stoffwechselfunktionen – höhere Spiegel sind deshalb mit einer Verbesserung zahlreicher physiologischer Stoffwechselwege verbunden. Deshalb fordern viele Wissenschaftler, anstatt der Mangelbereiche präventivmedizinische Optimalbereiche zu definieren. Diese optimale Vitaminversorgung war sicherlich eine der wichtigen Maßnahmen, die dazu führten, dass sich das Gesamtbefinden des Patienten so gravierend besserte und er zunächst aus der palliativmedizinischen Betreuung entlassen werden konnte.

Welche therapeutische Aufmerksamkeit sollte Vitaminmangelzuständen zukommen?

Evidenzbasierte Medizin ist der gewissenhafte, ausdrückliche und angemessene Gebrauch der gegenwärtig besten vorhandenen Daten aus der Gesundheitsforschung, um bei Behandlung und Versorgung von konkreten Patienten Entscheidungen zu treffen. Sie beinhaltet die Integration individueller klinischer Expertise mit der bestmöglichen externen Evidenz aus klinischer Forschung und der Präferenz des Patienten [23], [24]. Gemäß der Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland sollen kontinuierlich neue Erkenntnisse zur Palliativversorgung aus Forschung und Praxis gewonnen, transparent gemacht und im Versorgungsalltag umgesetzt werden. Dabei ist ein internationaler Austausch an Forschungsergebnissen wichtig.

Das Manuskript der Masterarbeit wurde als erstes bei der hochrangigen Fachzeitschrift „Palliative Medicine“ eingereicht, die sich der Verbesserung des Wissens und der klinischen Praxis in der Palliativmedizin bei Betroffenen mit weit fortgeschrittener Krankheit widmet und einen multidisziplinären Ansatz widerspiegelt, der das Markenzeichen einer effektiven Palliativmedizin ist. Das Manuskript wurde mit dem Kommentar: “More importantly, this might create unnecessary attention in targeted vitamin supplementation on PC populations” abgelehnt. Sehr bedauerlich, denn die Bewertung, ob Aufmerksamkeit für einen therapeutischen Ansatz unnötig ist oder nicht, kann nur durch evidenzbasierte Fakten beantwortet werden und nicht durch Ignorieren derselbigen.

Die Symptome eines Vitaminmangels und die entsprechende Behandlung sind sehr gut untersucht. Dem Problem der Multimedikation bzw. Polypharmazie im Palliativbereich wird zu Recht aktuell mehr Aufmerksamkeit geschenkt, weil diese oft mit einer höheren Symptombelastung und einer geringeren Lebensqualität verbunden ist [25]. Dies betrifft aber nicht die Substitution mit Vitaminen, die sehr gut vertragen werden und zudem kostengünstig sind. Der Einfluss einer Behandlung von Vitaminmangelzuständen auf die Lebensqualität von Patienten in der Palliativversorgung muss in klinischen Studien weiter untersucht werden. Solange sollte gelten, dass ein Vitaminmangelzustand eine therapierelevante Diagnose darstellt, und dies gilt natürlich auch – oder sollte man sagen: erst recht – für den Palliativbereich.

Dr. rer. hum. Claudia Vollbracht
Dipl.-Humanbiologin und verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Vitaminforschung.

Dr. Iris Friesecke
Fachärztin für Strahlentherapie mit den Zusatzqualifikationen Palliativmedizin und Psychoonkologie sowie M.Sc. Naturheilkunde und Komplementäre Medizin.

[1] Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e. V.. Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland. 2020 https://www.charta-zur-betreuung-sterbender.de/die-charta.html Stand: 3.4.2020

[2] Müller-Busch C, Weihrauch B, Hoppe JD. Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland. 2010 https://www.dgpalliativmedizin.de/images/stories/Charta-08–09–2010%20Erste%20Auflage.pdf Stand: 8.9.2010

[3] Gawande A. Quantity and quality of life: Duties of care in life-limiting illness. JAMA 2016; 315 (03) 267-269

[4] Dev R, Del Fabbro E, Schwartz GG. et al. Preliminary report: Vitamin D deficiency in advanced cancer patients with symptoms of fatigue or anorexia. Oncologist 2011; 16 (11) 1637-1641

[5] Dev R, Hui D, Del Fabbro E. et al. Association between hypogonadism, symptom burden, and survival in male patients with advanced cancer. Cancer 2014; 120 (10) 1586-1593

[6] Haas M, Kern C, Kruger S. et al. Assessing novel prognostic serum biomarkers in advanced pancreatic cancer: The role of CYFRA 21–1, serum amyloid A, haptoglobin, and 25-OH vitamin D3. Tumour Biol 2015; 36 (04) 2631-2640

[7] Carr AC, Cook J. Intravenous vitamin C for cancer therapy – Identifying the current gaps in our knowledge. Front Physiol 2018; 9: 1182

[8] Mayland CR, Bennett MI, Allan K. Vitamin C deficiency in cancer patients. Palliat Med 2005; 19 (01) 17-20

[9] Carr AC, Vissers MC, Cook JS. The effect of intravenous vitamin C on cancer- and chemotherapy-related fatigue and quality of life. Front Oncol 2014; 4: 283

[10] Carr AC, Vissers MC, Cook J. Parenteral vitamin C for palliative care of terminal cancer patients. N Z Med J 2014; 127 (1396): 84-86

[11] Whitehurst JL, Reid CM. Vitamin D deficiency as a cause of chronic pain in the palliative medicine clinic: Two case reports. Palliat Med 2014; 28 (01) 87-89

[12] Dunn A, Carter J, Carter H. Anemia at the end of life: Prevalence, significance, and causes in patients receiving palliative care. J Pain Symptom Manage 2003; 26 (06) 1132-1139

[13] Barbato M, Rodriguez PJ. Thiamine deficiency in patients admitted to a palliative care unit. Palliat Med 1994; 8 (04) 320-324

[14] Andres E, Serraj K, Zhu J. et al. The pathophysiology of elevated vitamin B12 in clinical practice. QJM 2013; 106 (06) 505-515

[15] Sviri S, Khalaila R, Daher S. et al. Increased vitamin B12 levels are associated with mortality in critically ill medical patients. Clin Nutr 2012; 31 (01) 53-59

[16] Kelly L, White S, Stone PC. The B12/CRP index as a simple prognostic indicator in patients with advanced cancer: A confirmatory study. Ann Oncol 2007; 18 (08) 1395-1399

[17] Vollbracht C, McGregor G, Kraft K. Supraphysiological vitamin B12 serum concentrations without supplementation – The pitfalls of interpretation. Qjm. 2019 doi: 10.1093/qjmed/hcz164

[18] Pearce SH, Cheetham TD. Diagnosis and management of vitamin D deficiency. BMJ 2010; 340: b5664

[19] Carr AC, McCall C. The role of vitamin C in the treatment of pain: New insights. J Transl Med 2017; 15 (01) 77

[20] Vollbracht C, Gündling P, Kraft K. et al. Blood concentrations of vitamins B1, B6, B12, C and D and folate in palliative care patients: Results of a cross-sectional study. JIMR 2019; 47 (12) 6192-6205

[21] Nicht-onkologische Patienten haben das Nachsehen. Ärzte Zeitung 2014https://www.aerztezeitung.de/Politik/Nicht-onkologische-Patienten-haben-das-Nachsehen-238966.html Stand: 28.4.2014

[22] Quiroga MJ, Carroll DW, Brown TM. Ascorbate- and zinc-responsive parkinsonism. Ann Pharmacother 2014; 48 (11) 1515-1520

[23] Sackett DL, Rosenberg WM, Gray JA. et al. Evidence based medicine: What it is and what it isn‘t. BMJ 1996; 312 (7023): 71-72

[24] von Wichert P. Evidenzbasierte Medizin (EbM) – Begriff entideologisieren. Dtsch Ärztebl 2005; 102 (22) A1569-A1570

[25] Schenker Y, Park SY, Jeong K. et al. Associations between polypharmacy, symptom burden, and quality of life in patients with advanced, life-limiting illness. J Gen Intern Med 2019; 34 (04) 559-566