BauchbeschwerdenBauchschmerzen aus Sicht der Chinesischen Medizin

Bauchbeschwerden sind ein häufig beklagtes Symptom. In der TCM können Lösungen geboten werden, die zu einer suffizienten Beschwerdelinderung führen können.

Inhalt
Frau hält sich eine Wärmflasche auf den schmerzenden Bauch.
Pixel-Shot/stock.adobe.com

Bauchbeschwerden sind – nicht nur im Kindesalter – ein häufig beklagtes Symptom mit einer sehr weiten Diversität. Oftmals lassen sich diese nicht ausreichend durch klinische Untersuchungen und Labordiagnostik erklären, was Patienten in die Verzweiflung treiben kann. Daher wurden die Rom-Diagnosekriterien für funktionelle gastrointestinale Störungen (FGID) eingeführt [1]. In der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM), die eher Syndrome als Symptome betrachtet, können Lösungen geboten werden, die zu einer suffizienten Beschwerdelinderung führen können.

Allgemeine Grundlagen

Obwohl in der originären TCM die Anatomie und Physiologie der abdominalen Organe nicht genau erforscht werden konnten, galten und gelten die Organe Milz/Pankreas (Magen, Darm, Verdauung) und die Niere als die Lebensbasis nach der Geburt. Der Darm ist Teil des Immunsystems und fungiert zudem als Barriere zwischen außen und innen. Er befindet sich im mittleren der 3-Erwärmer. Funktionell halten sie alle Organe zusammen und nähren sie: Alles, was wir von außen aufnehmen (z. B. Nahrung, Leid), müssen wir „verdauen“; diese Kraft nennen die Chinesen „die Mitte“. Somit zählen Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts (GIT) zu den wichtigsten Themen der TCM. Daher ist eine starke Mitte essenziell für die Gesundheit und gilt als „Wurzel des nachgeburtlichen Qi“. Zudem erfolgt in der Mitte die „mentale Assimilation“: Eindrücke, Erlebnisse und Gedanken werden aufgenommen (Perzeption), verarbeitet und geklärt. Die Milz ist der „Sitz des klaren Denkens“ aus Sicht der TCM. Schulmedizinisch gesehen wird die Aktivität des GIT durch das vegetative Nervensystem (VNS) reguliert. Der Arzt Li Dong-Yuan verfasste bereits im 12. Jahrhundert eine Schrift zur „Schule der Mitte“. Neben der Darstellung von Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts behauptete er, dass durch die Stärkung der Mitte auch viele weitere Syndrome behandelbar seien [2].

Element Erde

Eines der 5 Elemente der TCM ist die Erde, das dem Funktionskreis Mitte zugeordnet wird. Sie darf weder ausgetrocknet noch zu feucht sein, damit sie sowohl aufnahmefähig als auch durchlässig bleibt. Sie ist der Vermittler zwischen allen anderen Elementen [3]. Folgende Entspre-chungen gehören zu diesem Element:

  • die Emotionen Empathie, Grübeln („das schlägt mir auf den Magen“), Mitgefühl und Sorge
  • die Farben Gelb und Orange
  • die Geschmacksrichtung süß
  • die Himmelsrichtung Mitte
  • die Jahreszeit Spätsommer (Erntezeit)
  • der klimatische Faktor Feuchtigkeit
  • die Körperorgane Muskeln und Bindegewebe (inklusive Faszien)
  • das Sinnesorgan Lippen/Mund
  • der stimmhafte Ausdruck Singen
  • das Thema Bindung/Stabilität
  • das Yang-Organ Magen
  • das Yin-Organ Milz

Dabei versorgt der Funktionskreis Magen den Körper mit Energie, während in der Milz die Lebensenergie Qi produziert wird. Ist die Mitte schwach, leiden die Betroffenen unter Müdigkeit, Konzentrationsverlust, eingeschränktem logischen Denken und mnestischen Störungen.

Die Mitte

Durch die Veränderung der Lebensumstände in der heutigen Zeit wirken mannigfaltige Einflüsse von außen und innen auf unsere Körper ein, sodass es zu einer mangelnden Verwurzelung und somit dem Verlust unserer Erdung kommen kann [4]. Bei einer Schwächung der Mitte kommt es zu Mangelerscheinungen bezüglich der Energie und der Wärme, wodurch auch alle anderen Organe unterversorgt und somit durch die Entstehung innerer Feuchtigkeit anfällig für pathogene Faktoren werden [5].

Kommt es zu einem Eindringen von pathogenen Faktoren, wie süßer Nahrung oder psychologischen Belastungen, zu denen Personen vom Typ Erde neigen, beeinflusst das die Gesundheit. Das Defizit an Wärme und Energie führt zu Konzentrationsmangel, Müdigkeit und allgemeiner Schwäche. Dieses wird v. a. durch falsche Ernährung (kalte Lebensmittel wie Rohkost und Milchprodukte reduzieren die Absorption der Essenz aus der Nahrung) sowie eine geistige Überanstrengung durch Grübeln und Sorgen gefördert, da diese Eindrücke auch „verdaut werden“ müssen – allerdings im Gehirn. Weitere Symptome sind Blähungen, Diarrhö bzw. weiche Stuhlkonsistenz, Zungenbelag und Zahnabdrücke am Zungenrand.

Negativ wirkt sich zudem ein Bewegungsmangel aus. In der aktuellen Situation, in der viele Menschen im Homeoffice arbeiten und daher viel am Computer sitzen müssen, kommt eine doppelte Belastung auf die Mitte zu: Das Gehirn wird in einer bisher nicht bekannten Stärke beansprucht, da die betroffenen Personen viel häufiger auf einen Bildschirm starren und den immensen schriftlichen Input bewältigen müssen (z. B. Textnachrichten, E-Mails). Dadurch wird die Schwierigkeit, sich auf einen Task zu fokussieren, deutlich erhöht. Zudem kommt es zu einem stärkeren Bewegungsmangel, was die Mitte zusätzlich schwächt. Durch die einseitige Haltung wird auch die Lunge nicht in der gewohnten Art und Weise belüftet, das Zwerchfell bewegt sich weniger, wodurch die Stimulation im Abdomen reduziert wird. Das bedeutet, dass der moderne Lebensstil häufig zu Störungen des GIT führt. Durch den Druck wird das Holz-Element, das für Fortschritt und Entwicklung verantwortlich ist, mit seinem dazugehörigen Organ Leber massiv in Anspruch genommen [6].

Besteht eine Schwäche der Mitte über längere Zeit, entwickelt sich aus der dazugehörigen Verschleimung das Yin-Feuer, was schulmedizinisch als „chronischer Entzündungsprozess“ übersetzt werden kann. Dieser kann als schwelende, unterschwellige Hitzequelle sehr hartnäckig und therapieresistent sein.

Symptome bei schwacher Mitte sind:

  • Blässe
  • Zellulitis, weiches, schlaffes Gewebe
  • Hämorrhoiden, Varikosis
  • geschwollene Zunge mit Zahneindrücken
  • kraftlose Stimme
  • Energielosigkeit, morgendliche Trägheit, (Tages-)Müdigkeit, Konzentrationsschwäche
  • Grübeln, Gedankenkreisen
  • Kopfschmerzen (dumpf drückend)
  • Vertigo
  • Verdauungsbeschwerden: Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall, häufige Defäkation, Veränderung der Konsistenz, Völlegefühl
  • Gewichtszunahme trotz kleiner Nahrungsmenge, Gewichtsprobleme
  • Heißhunger auf Süßes, Inappetenz
  • unverdaute Nahrungsbestandteile im Stuhl
  • Infektanfälligkeit
  • Kälteempfindlichkeit
  • Schweregefühl von Kopf/Gedanken, Körper

Schulmedizinische Krankheitsbilder

In der Schulmedizin werden folgende Krankheitsbilder diagnostiziert, die in die TCM übertragen zu einer schwachen Mitte gehören können:

  • Völlegefühl, Sodbrennen
  • (chronische) Gastritis, Ulcus duodeni, Ulcus ventriculi
  • (chronische) Diarrhö, Obstipation
  • Flatulenz, Meteorismus
  • Candidose des Darms
  • Reizmagen und -darm (Colon irritabile)
  • Colitis ulcerosa, Morbus Crohn
  • Unverträglichkeit von Nahrungsmitteln, Nahrungsmittelallergien

Physiologie

Die 5 Elemente und Wandlungsphasen (Wuxing)

In der TCM werden 5 Wandlungsphasen mit den dazugehörigen Elementen Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser beschrieben ([Abb. 1]), die zu einem kosmischen Umlauf vom Prinzip der Polarität Yin und Yang angetrieben werden. Dabei entspricht Feuer dem oberen Pol (Yang) und Wasser dem unteren (Yin), während die anderen 3 Übergänge repräsentieren. Dadurch wird eine gewisse Ordnung in der fließenden Erscheinungswelt geschaffen, weil eine Phase in die nächste durch das Hervorbringen übergeht. Aus Wasser erwachsen Pflanzen/Holz, das im Feuer verbrannt zu Asche/Erde wird, die in Metall übergeht, das verflüssigt in Wasser übergeht ([Abb. 2]). Dieses wird im Kreislauf der Jahreszeiten widergespiegelt (Wasser=Winter, Holz=Frühling, Feuer=Sommer, Erde=Spätsommer, Metall=Herbst) [7].

Organ versus Funktionskreis

Die einzelnen in der TCM benannten Organe haben in der Schulmedizin eine feste anatomische Gestalt mit der dazugehörigen physiologischen Funktion, wohingegen ihnen in der TCM neben der chinesischen Funktion eine psychosomatische Bedeutung zugesprochen wird. Daher empfiehlt es sich, von einem „Funktionskreis“ und nicht von einem Organ auszugehen, wenn die entsprechende Bezeichnung im Kontext der TCM verwendet wird.

Funktionskreise und Wandlungsphasen (Wu Xing)

Die 5 Funktionskreise werden durch jeweils 2 Organe, einem Yin-/Speicherorgan und einem Yang-/Hohl- bzw. Durchgangsorgan, repräsentiert ([Abb. 1]). Sie finden ihre Entsprechungen in den Wandlungsphasen und beinhalten

  • Holz: Leber/Gallenblase
  • Feuer: Herz/Dünndarm
  • Erde: Milz/Magen
  • Metall: Lunge/Dickdarm
  • Wasser: Niere/Blase
  • Die Funktionskreise gehen wie auch die Elemente und Wandlungsphasen ineinander über; „eine Mutter gebärt ihr Kind“, wie die TCM es darstellt. Zudem existiert eine Kontrollfunktion, in der jeder Funktionskreis den übernächsten kontrolliert ([Abb. 3]); im Sinne der TCM bedeutet dies: „Die Großmutter zügelt und lenkt das Enkelkind.“ Ist das Enkelkind aber mit krankhafter Energie gefüllt, lehnt es sich gegen die Großmutter auf und schwächt diese ([Abb. 4]). Demnach kann diese den Enkel dann nicht mehr kontrollieren.
  • Die 5-Elemente-Theorie erklärt als analoges Modell ganzheitlich die lebendigen Vorgänge im menschlichen Körper und kann somit sowohl diagnostisch als auch therapeutisch eingesetzt werden, da die Wandlungsphasen charakteristische Qualitäten beinhalten. Es handelt sich dabei um ein dynamisches Modell, sodass therapeutisch sowohl das geschwächte Element als auch das vorhergehende System behandelt werden sollten. Im Zentrum aller physiologischen Prozesse steht dabei die Funktion des GIT. Der Funktionskreis Milz-Magen/Erde fällt in diesem Zusammenhang etwas aus der Rolle, weil er in der Mitte der 4 anderen angeordnet ist und eine zentrale Aufgabe einnimmt.
  • Da die Wandlungsphasen zum einen physiologischen Einfluss aufeinander nehmen (Sheng- und Ke-Zyklus), können sie sich folgerichtig auch pathologisch zueinander verhalten (Cheng- und Wu-Zyklus). Kommt es zu einer negativen Beeinflussung der Harmonie der Wandlungsphasen, können Krankheiten entstehen:
  • Der Sheng-Zyklus wird auch als Hervorbringungszyklus oder Mutter-Kind-Zyklus bezeichnet. Eine Wandlungsphase bringt die nächste hervor, wobei die Mutter das Kind (also die folgende Phase) nährt und dahin übergeht ([Abb. 2]). Dies bedeutet, dass es bei einer Schwäche der Mutter zu einem Mangel in der folgenden Phase kommt bzw. ein schwaches Kind der Mutter die Energie raubt und sie dadurch schwächt (Cheng-Zyklus bzw. Erschöpfungszyklus). So wird die Erde durch Feuer genährt und nährt selbst Metall. Sie kann durch ein schwaches Feuer nicht ausreichend mit Energie versorgt werden bzw. wird der Energie entledigt, wenn Metall mehr Energie benötigt als Erde hervorbringen kann. Therapeutisch wird in der TCM die vorstehende Phase gestärkt: Bei schwachem Feuer mit Störung im Element Erde das Feuer bzw. bei hohem Energiebedarf des Metalls die Erde.
  • Der Ke-Zyklus, auch als Kontroll-Zyklus oder Großmutter-Zyklus bezeichnet ([Abb. 3]), stellt die Kontrolle eines Elements über ein anderes dar. Bezüglich der Störungen der Erde mit den Organentsprechungen Milz/Magen kann demnach durch Regulation der Aktivität von Leber/Gallenblase mit dem Element Holz das Element Erde reguliert werden. Beim Wu-Zyklus (Auflehnungszyklus) lehnt sich der Enkel gegen die Großmutter auf und schwächt diese ([Abb. 4]).

Pathologie

Angesichts des Elements Erde können Pathologien klinisch zugeordnet werden:

  • Pankreaserkrankungen gehen oft mit einem außergewöhnlichen Verlangen nach süßen Lebensmitteln einher.
  • Trophische Störungen sind an Veränderungen der Hautfarbe erkennbar (fahl, gelblich).
  • Störungen im Wasserhaushalt bzw. im Kreislauf machen sich durch ödematöse Verquellungen bemerkbar.
  • Eine Fehl- und/oder Mangelernährung macht auf sich durch Muskelatrophie, Kraftlosigkeit, Erschöpfung oder auch Bindegewebsschwäche aufmerksam.
  • Psychische Veränderungen, die mit Grübeln und Sorgen einhergehen, beeinträchtigen die Verdauung, wobei zu beachten ist, dass Verdauungsstörungen wiederum psychische Beeinträchtigungen nach sich ziehen können.

Rolle des Qi bei Störungen des GIT

Bei Störungen im GIT stehen der Aufbau und sorgsame Umgang mit dem Qi im Mittelpunkt [8]. Laut TCM wird dem Organismus mit Hilfe der Funktionskreise Milz, Lunge und Niere Qi zugeführt, die somit für die Integrität und Vitalität essenziell sind:

  • Milz: über die Umwandlung und Verdauung wird Qi aus der Nahrung gewonnen (Nahrungs-Qi: Gu-Qi).
  • Lunge: mit der Atmung wird neben Sauerstoff auch Qi aus der Atmosphäre aufgenommen (Atmungs-Qi: Qing-Qi).
  • Niere: Speichert das vererbte Qi (Yuan-Qi) – es nimmt somit im Laufe des Lebens ab und muss über Milz und Lunge mit Hilfe des Nieren-Yin und -Yang aufgefüllt werden.
  • Zudem spielen allerdings auch die Funktionskreise Leber und Herz eine Rolle.
  • Pathologien können einzeln oder gemeinsam auftreten:
  • Milz-Qi-Schwäche: Symptomatisch zeigen sich v. a. Schmerzen im gesamten Abdomen oder periumbilikal (Linderung durch Druck) mit Blähungen und ungeformtem Stuhl, begleitet von Abgeschlagenheit. Gelegentlich bestehen Ödeme. Der Puls ist i.d.R. schwach. Die Zunge ist eher blass mit Zahneindrücken. Alle Symptome werden sowohl durch physische als auch psychische Anstrengung verstärkt, da in diesen Fällen Qi verbraucht wird [9]. Die Milz-Qi-Schwäche entsteht v. a. bei Kindern konstitutionell bei Abmagerung und Gedeihstörungen oder in allen Altersgruppen durch ungeeignete Nahrungsmittel. Viele Patienten neigen zu einer Infektanfälligkeit, da nach TCM die Milz für die Immunabwehr verantwortlich ist. Bei weiblichen Personen kann es zu einer Abschwächung bzw. dem Ausbleiben der Menstruation kommen.
  • Leber-Qi-Stagnation (Element Holz): Die Patienten haben seitlich am Abdomen oder subkostal Schmerzen, die eher von einer Obstipation und einem Meteorismus begleitet sind. Häufig bestehen zusätzlich eine arterielle Hypertonie und ggf. stechende Kopfschmerzen, v. a. hinter dem Auge, mit vermehrtem Durst und Hungergefühl. Gefördert wird diese Symptomatik durch Ärger und Stress, die wiederum zu Hitze und Blutstase führen. Der Puls ist saitenförmig, die Zunge gerötet. Bei einer ausgeprägten Störung kommt es zur Pathologie „Leber greift den Magen an“, sodass Feuchtigkeit retiniert und Schleim gebildet wird.

Hitze im Funktionskreis Herz

Den Zusammenhang zwischen Herz und Dünndarm kennt jeder, der sich in einer emotionalen Stresssituation befunden hat: Es kommt zu einem verstärkten Stuhldrang, Tachykardie und einem komischen Gefühl im Bauch. Die Zunge zeigt eine gerötete Spitze.

Pathologie des Elements Erde

Menschen vom Erde-Typ sind eher ausgewogen, freundlich, friedfertig, großzügig, liebenswürdig und ruhig, begleitet von einem guten Umgangston mit klarem, geordnetem Denken und können praxisnah mit Logik überzeugen. Daher werden sie von ihren Mitmenschen sehr geschätzt.

Fülle

Durch den Einfluss „trüber Feuchtigkeit“ z. B. durch fettes, kaltes Essen in großen Mengen oder auch durch ausgiebiges Denken können sie in ein Yin-Ungleichgewicht geraten. Dann beginnen sie zu grübeln und sind von Sorgen geplagt, sodass sie keine Entscheidungen mehr zu treffen vermögen. Kommt es zu einem zusätzlichen Alkoholkonsum, sind die körperlichen Erscheinungen dieses Problems, die Trägheit, Diarrhö und mittelfristig Übergewicht umfassen, deutlich ausgeprägter. Hier eignen sich die Ernährung mit Reis oder auch Fastenwochen.

Leere

Die Leere fällt durch einen reduzierten Appetit mit schnell eintretendem Völlegefühl und Bauchschmerzen, gefolgt von einer Art Energielosigkeit auf und wird v. a. durch chronische Überarbeitung und/oder falsche Ernährung fazilitiert. Diesen Menschen wird Hirsebrei oder Porridge empfohlen.

Therapie

Störungen der Mitte können v. a. durch moderates körperliches Ausdauertraining und die Optimierung der Ernährung behandelt werden, aber auch weitere Optionen stehen zur Verfügung.

Ernährung

Verschiedene Nahrungsmittel mit ihrer Wirkung wurden schon im inneren Klassiker Huangdi Neijing Suwen, Kapitel 24/4 des gelben Fürsten, beschrieben [10]. Die ausgewogene Zusammensetzung der Nährstoffe einer Mahlzeit ist dabei ausschlaggebend: die 5 Getreidearten wirken nährend, die 5 Früchtearten unterstützen, die 5 Fleischarten fördern die Mehrung, während die 5 Gemüsearten ein Gericht vervollständigen. Rohe, kalte und feuchte Nahrungsmittel gehören zu den inneren pathogenen Faktoren, da sie eine große Herausforderung für die Transformation und Assimilation in der Milz darstellen. Auch die Berücksichtigung der Organuhr spielt eine wichtige Rolle, da die Organe zu bestimmten Zeiten unterschiedlich aktiv sind und die Nahrungsaufnahme zum falschen Zeitpunkt somit die Verwertung der Ingredienzien sowie die Organfunktion beeinträchtigen könnte. Zudem sollten „sapor“ (Geschmack) und „calor“ (Temperaturverhalten) eines Lebensmittels berücksichtigt werden. Dies kann therapeutisch genutzt werden.

Bei der Ernährung sollte Folgendes beachtet werden:

  • Frühstück immer warm/gekocht zu Zeiten entsprechend der Organuhr (Magen 07.00–09.00 Uhr und Milz 09.00–11.00 Uhr), Abendessen vor 19.00 Uhr ohne schwere Kost, nach 19.00 Uhr höchstens noch Gemüsesuppen; ein Abstand von 5 Stunden zwischen den Mahlzeiten ist optimal
  • mindestens 1 warme Mahlzeit pro Tag, besser sind 3
  • Brot nur getoastet verzehren, da es ansonsten befeuchtend wirkt und die Mitte schwächt
  • Salat und grünes Blattgemüse ist höchstens mittags in Kombination mit einer warmen Mahlzeit sinnvoll, am Abend auf Rohkost verzichten
  • vermieden werden sollten:
    • Tiefkühlkost, Lebensmittel aus der Mikrowelle, Fertigprodukte und Fast Food
    • Milchprodukte, denn sie fördern die Schleimproduktion, da sie kühlend wirken
    • Süßigkeiten im westlichen Sinn, da diese eine Trägheit und Feuchtigkeitsakkumulation hervorrufen, aber Lebensmittel entsprechend der Geschmacksrichtung süß laut TCM sind erlaubt
  • erlaubt sind warme und gekochte Nahrungsmittel:
    • Datteln, Fenchel, Karotten, Kirschen, Kohlsorten, Kürbis, Mais, Rosinen, Sellerie
    • Forelle, Karpfen, Hühnchen, Kalbfleisch
    • Gerste, Hafer
    • Hirse, Kichererbsen, Linsen, Kartoffeln, Süßkartoffeln, Pastinake, Reis
    • Honig, Süßholz
    • Ingwer(-tee), Kardamom, Kümmel
    • schwarzer Tee
  • Sehr einfach ist zudem der Einsatz von Rhabarber (als Stange oder Wurzel): Durch den Einsatz von Bitterstoffen werden sowohl die Regeneration der Schleimhaut als auch die Selbstreinigung des Darms stimuliert.
  • warmes Ingwerwasser: 5–6 Scheiben frischen Ingwer in eine Thermoskanne geben und mit 1 l kochendem Wasser übergießen (alternativ können auch Grüner oder notfalls Früchtetee eingesetzt werden). Dieses über den Tag verteilt trinken. Das warme Wasser hält den Darm beweglich und stimuliert ihn zur Tätigkeit.

Akupunkturpunkte

Punkte, die bei Störungen der Mitte eingesetzt werden können, umfassen:

  • 3E 5: klärt Hitze und befreit die Oberfläche, Vernetzungspunkt (Luo) und Schlüsselpunkt (Ba Mai Jiao Hui) des Yang Wei Mai
  • Bl 20: bei Druckgefühl im Oberbauch, Verdauungsstörungen
  • KG 12: Alarmpunkt des Magens und des mittleren 3-Erwärmers; bei Magenschmerzen, Blähungen, Erbrechen, Verdauungsstörungen
  • Ma 36 (ggf. Moxibustion): wichtigster Punkt der Magen-Leitbahn zur Stärkung der Verdauung, zur Stärkung der Mitte bei Blähungen und Bauchschmerzen, Durchfällen, Verstopfungen, nährt Qi, ggf. in Kombination mit Ma 25 (Alarmpunkt des Dickdarms, v. a. zur Reduktion von Fülle im Funktionskreis Magen)
  • Mi 6: stärkt Milz, Blut und Yin, vertreibt Feuchtigkeit aus dem unteren 3-Erwärmer, beruhigt den Geist
  • Mi 9, Mi 10: zur Stärkung der Mitte
  • Mi 15: entfernt Feuchtigkeit aus den Eingeweiden, daher v. a. bei chronischer Diarrhö einzusetzen
  • Pe 6: bei Magenschmerzen, Erbrechen, Palpationen, psychischen Störungen
  • Moxibustion: Dan Tian zur Stärkung der Mitte

Kräuter

Achtung

Der Einsatz von Kräutern erfordert eine genaue Anamnese und Diagnostik und sollte nur bei ausreichender Erfahrung entsprechend den erhobenen Befunde erfolgen [11].

Als Kräuter eignen sich:

  • Bai Zhu (Atractylodis macrocphala); stärkt Mitte und Qi, vertreibt innere Feuchtigkeit
  • Chang Zhu (Atractylodis lancea): vertreibt Feuchtigkeit in der Mitte und den Gelenken
  • Dang Sheng (Codonopsis): stärkt Mitte und Qi
  • Fu Ling (Poria): stärkt Mitte und Qi, vertreibt innere Feuchtigkeit
  • Huang Qi (Astragalus): stärkt Mitte und Qi
  • Zhi Shi (Aurantii fructus immaturus): vertreibt Feuchtigkeit in der Mitte, bewegt und reguliert Qi, löst Schleim

Die Verdauung kann durch folgende Rezepturen optimiert werden:

  • Fuzilizhong Tang
  • Guipi Wan
  • Jianpi Wan
  • Lizhong Wang
  • Wenpi Wan
  • Xiaojianzhong Tang

Lifestyle und Prävention

Neben einer Optimierung der Ernährung sollten Bewegung und Ruhe als Gegensätze den Alltag gestalten – ganz nach dem Motto „Wer rastet, der rostet“ und „Nach dem Essen sollst du ruh’n oder 1000 Schritte tun“. Moderates Ausdauertraining wird seit einigen Jahren propagiert, um die Alterung aufzuhalten, da durch Bewegung das muskuloskelettale System gestärkt und die Durchblutung verbessert werden. Ebenso profitieren das Atmungs-, Herz-Kreislauf- und das Verdauungssystem von Bewegung, sodass v. a. Qigong und Taiji Quan als tägliche körperliche Aktivität empfohlen werden.

Zeichen einer geistigen Schwäche beinhalten Appetitlosigkeit, Depressivität, Hörminderung, Gähnen, Konzentrationsstörungen, mnestische Störungen, Müdigkeit, Schläfrigkeit, Reizbarkeit, Schweregefühl der Extremitäten und Unruhe. Diese psychischen Veränderungen beeinträchtigen die Funktionskreise Herz, Leber, Milz und Niere, sodass auch banale emotionale Verstöße zu einer Disharmonie von Yin/Yang, Qi und Xue führen können.

Atemübungen

Grundsätzlich können Atemübungen die Darmtätigkeit beeinflussen, indem sie stressreduzierend wirken und durch die Zwerchfellatmung die Darmperistaltik angeregt wird.

Durch die Bewegung des Zwerchfells bei den achtsamen Übungen aus dem Qigong erfolgt eine Art Massage des Darms, was v. a. die Mitte ausgleicht. Sie sollten 1×morgens durchgeführt werden. Grundsätzlich sollten sowohl die Mutter (Feuer) als auch die Großmutter (Holz) der Erde mit in die Vorgehensweise eingeschlossen werden, da diese Elemente der Mitte vorangestellt sind. Die folgenden Übungen können eingesetzt werden.

Himmel und Erde verbinden

Ziel ist, sich gerade und aufrecht hinzustellen, sodass die übende Person „geerdet“ wird (mit den Füßen auf der Erde) und der Kopf in den Himmel ragt. Dabei soll sie in ihrer Mitte ruhen, also dem Dantien im Unterbauch, der unseren anatomischen und energetischen Mittelpunkt repräsentiert.

In die hüftbreite Qigong-Standposition begeben. Dann beide Arme nach vorne ausstrecken und mit der Exspiration seitlich an die Taille führen. Bei der Inspiration zunächst eine Hand seitlich bis auf Thoraxhöhe anheben und über die Mittellinie des Körpers wieder nach kaudal bewegen. Die andere Hand währenddessen langsam mit dem Handrücken lumbal auflegen. Bei der darauffolgenden Inspiration die ventrale Hand mit der Innenseite nach kranial Richtung Himmel führen, die dorsale Hand mit der Innenfläche nach kaudal drücken. Bei der Exspiration beide Hände senkrecht dem Torso nähern, bei der folgenden Inspiration wieder voneinander wegschieben, dann mit der Exspiration wieder dem Körper nähern. Diese Sequenz 5×in der gleichen Form wiederholen, dann die Arme für weitere 5 Zyklen in ihren Bewegungen tauschen.

Vollmond anschauen

Bei dieser Übung kommt es während der Rotation des Rumpfs zu dessen Kompression und somit neben der Bewegung der Energie aus der Mitte zusätzlich zu einer Reduktion des Angriffs von der Leber auf den Magen, da sich beide Organe etwa auf einer Höhe befinden.

In die hüftbreite Qigong-Standposition begeben, dann den Oberkörper nacheinander zu beiden Seiten nach hinten rotieren. Dazu den Arm zu der sich nach hinten drehenden Seite strecken und auf den imaginären Vollmond zeigen, den anderen Arm seitlich dem ventralen Thorax nähern. Dieses erfolgt während der Inspiration. Bei der Exspiration den Körper wieder in die Neutralstellung bringen, um diesen dann spiegelbildlich bei der nächsten Inspiration zur Gegenseite zu drehen. Die Füße sollten die gesamte Zeit fest am Boden verankert bleiben. Diese Übung 10×zu jeder Seite durchführen.

Dr. med. Kamayni Agarwal
hat nach ihrem Medizinstudium im In- und Ausland ihre Facharztausbildung im Bereich der Anästhesiologie absolviert. Sie hat in allen Bereichen der Anästhesiologie ihre Zusatzqualifikationen erworben, letztlich lag aber der Schwerpunkt auf der Schmerz- und Palliativmedizin. Dafür hat sie diverse Weiterbildungen absolviert und versorgt seit vielen Jahren Patienten aus sämtlichen Altersgruppen neben ihrer Lehrtätigkeit und der Autorenschaft.

Interessenkonflikt: Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  1. Drossman DA. Functional Gastrointestinal Disorders: History, Pathophysiology, Clinical Features and Rome IV. Gastroenterology 2016; 19: S0016-S5085 (16)00223-7
  2. Dong-Yuan L. Li Dong-Yuan’s Treatise on the Spleen & Stomach – A Translation of the Pi Wei Lun. Portland: Blue Poppy. 1993
  3. Maciocia G. The Foundations of Chinese Medicine: A Comprehensive Text. London: Churchill Livingstone; 2015
  4. Weidinger G. Die Heilung der Mitte: Die Kraft der Traditionellen Chinesischen Medizin. Steyr: Ennsthaler. 2019
  5. Lorenzen U, Noll A. Die Wandlungsphasen der traditionellen chinesischen Medizin. Die Wandlungsphase Erde. München: Müller & Steinicke; 2012
  6. Rabitti S, Giovanardi CM, Colussi D. Acupuncture and Related Therapies for the Treatment of Gastrointestinal Diseases. J Clin Gastroenterol 2021; 55: 207-217
  7. Hicks A, Hicks J, Mole P. Konstitutionelle Akupunktur nach den fünf Wandlungsphasen. München: Elsevier; 2008
  8. Dossett ML, Cohen EM, Cohen J. Integrative Medicine for Gastrointestinal Disease. Prim Care 2017; 44: 265-280
  9. Maciocia G. Diagnostik in der chinesischen Medizin. München: Elsevier; 2020
  10. Chang A. A Field Guide to the Huángdì Nèijing Sùwèn: A Clinical Introduction to the Yellow Emperor’s Internal Classic, Plain Questions (The Classics of Chinese Medicine in Clinical Practice). London: Singing Drago; 2021
  11. Scheid V, Ellis A. Handbuch Rezepturen der chinesischen Medizin. München: Elsevier; 2018