HeilpflanzenporträtLiguster – eine (un)bekannte vergessene Arzneipflanze?

Der Ligustrum vulgare L. gehört zu den vergessenen Arzneipflanzen, dessen Blätter, historisch belegt, v. a. zur Entzündungshemmung im Mund- und Halsbereich genutzt wurden. Lernen Sie den Liguster neu kennen.

Gros plan sur des grappes de petites baies d'hiver de couleur noir bleuté sur des rameaux du troène commun (Ligustrum vulgare)
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Liguster, fruchtend. Über die Beeren ist weniger bekannt. Deutlich besser untersucht sind die Früchte von L. lucidum, die in der TCM verwendet werden.

Zu den beliebten Heckenpflanzen gehört in Deutschland der Gemeine Liguster, Ligustrum vulgare L., aus der Familie der Ölbaumgewächse. Auffällig durch seine stark duftenden Blüten im Frühjahr und den tintenblauen Früchten im Herbst, ist seine Verwendung als Arzneipflanze eher unbekannt bzw. Ligusterfrüchte werden als giftig angesehen. Das war nicht immer so und die nachfolgende kurze Darstellung des wechselvollen Schicksals einer (fast) vergessenen Heilpflanze kann exemplarisch für eine ganze Reihe weiterer Pflanzen gesehen werden.

Die weite Verbreitung des Ligusters innerhalb Deutschlands, aber auch Europas, wird durch eine Vielzahl von Synonyma bestätigt, wie z. B. Rainweide, Tintenbeerstrauch, Zaunriegel, Bein- oder Heckholz, Rheinbeerstrauch, Eisenbeerbaum, Hartreder, Hartriegel, Beinweide, Gimpelbeerstaude oder Kehlholz. Der Gattungsname wird vom lat. ligare = binden, abgeleitet und verweist auf die langen, biegsamen Zweige, die zur Herstellung von Flechtwerk genutzt wurden. Das harte Holz („beinhart“) diente auch zur Herstellung von Holznägeln [1].

Geschichte vom Liguster

Schaut man in aktuelle Nachschlagewerke zu Arzneidrogen, so findet man den Liguster nicht oder seine Verwendung nur mit Verweis auf historische Quellen, wie die mittelalterlichen Kräuterbücher. Dort ist der Liguster bei Leonhart Fuchs (1543) als Beinhöltzlin mit Abbildungen aufgeführt, die typische Kennzeichen des Ligusters aufweisen. Hieronymus Bock (1550) nennt die Pflanze Beinhültzen. Beide Autoren beschreiben die Verwendung von Zubereitungen aus den Blättern, Blüten, Früchten und Wurzeln gegen Mundfäule, Entzündungen der Haut sowie zur Wundbehandlung. L. Fuchs beschreibt ihren Einsatz zusätzlich bei Gicht, Erfrierungen und Auflagen aus „zerstoßenen Blättern heilen den Brand“ [2], [3]. Verweist Fuchs 1543 darauf, dass diese Pflanze den Apothekern nicht bekannt sei, schreibt Bock sieben Jahre später das Gegenteil.

Sucht man nach noch früheren Belegen für eine arzneiliche Verwendung der Pflanze, so muss man sicher die Materia medica des Dioskurides (1. Jahrhundert n. Chr.) heranziehen, auf die sich viele mittelalterliche Kräuterbuch-Autoren ebenfalls beziehen. Dort wird die Anwendung der Blätter gegen Entzündungen im Mund- und Rachenraum sowie ein Dekokt der Blätter gegen Verbrennungen und Kopfschmerzen erwähnt [4], was mit der Beschreibung in den mittelalterlichen Kräuterbüchern übereinstimmt. Ob es sich aber dabei tatsächlich um den Liguster gehandelt hat, wird seit langer Zeit kontrovers diskutiert. Grund ist u. a. eine offensichtliche Fehlinformation durch Plinius (23–79 n. Chr. ), der „Cypros“ (Henna, Lawsonia inermis L.), bei Dioskurides „Copher“, mit dem in Italien vorkommenden Liguster (syn. Rainweide) (Ligustrum vulgare L.) identifizierte, wobei er sich selbst nicht ganz sicher war, denn er schreibt „… Einige sagen, dies sei derselbe Baum, welcher in Italien Rainweide genannt wird“ [5]. Bezieht man, wie Plinius schreibt, die Anwendung der Droge als Mittel zur Rotfärbung der Haare ein [6], so dürfte die Verwechslung mit Henna bei Plinius offensichtlich sein, die auch von anderen Autoren aufgrund einer kritischen Textanalyse so gesehen wird [7]. Ob diese Verwechslung der Grund für das „Vergessen“ des Ligusters als Quelle von Arzneidrogen war, kann man heute nicht sicher beantworten. Trotzdem ist die historische Verwendung der Ligusterblätter mit den angegebenen Indikationen ethnomedizinisch in einigen südeuropäischen Gebieten bis heute belegt [4]. Darauf weist auch die Verwendung der Blätter in Mundwässern gegen Mund- und Halsgeschwüre hin, worauf sich die volkstümliche Bezeichnung der Pflanze als Faulholz, Bräunholz oder Mundholz beziehen soll [1]. Auch in der Veterinärphytotherapie gibt es Hinweise für den Einsatz der Ligusterblätter bis in neuere Zeit bei Entzündungen der Ohren und bei Stomatitis [8].

Phytochemie vom Liguster

Zur Klärung der Frage nach Wirkung und Wirksamkeit dieser historischen Droge ist zunächst eine phytochemische Bestandsaufnahme notwendig.

Blattextrakte enthalten ein breites Spektrum an phenolischen Verbindungen, wie Flavonoide und deren Glykoside, u. a. Apigenin, Luteolin, Apigenin-7-O-rutinosid, Apigenin-7-O-glucosid, Apigenin-5-O-glucosid, Ligustroflavon [4]. Auch Secoiridoide und Phenylpropanoide, wie Oleacein, Oleuropein und Echinacosid wurden in relevanten Konzentrationen in Blattextrakten nachgewiesen [9]. Besonders der hohe Gehalt an Oleuropein und Hydroxytyrosol [Abb. 2] machen die Ligusterblätter zu einer interessanten Quelle für diesen pharmakologisch interessanten Naturstoff [10], vergleichbar mit Olivenblättern [11], die im Europäischen Arzneibuch als Oleae folium – Olivenblätter, Ph. Eur. monografiert sind. In der Rinde wurde Syringin nachgewiesen, das man früher zum Gelbfärben von Wolle nutzte [1].

Pharmakologische Effekte von Ligusterblätter-Inhaltsstoffen

Untersuchungen, die sich mit den pharmakologischen Effekten von Drogen beschäftigen, die von Ligustrum vulgare L. stammen, sind in der Literatur kaum zu finden. Eine Teezubereitung aus Ligusterblättern hemmte die Aktivität unterschiedlicher Lipoxygenasen, die darin enthaltenen Naturstoffe Oleuropein und Echinacosid waren ebenfalls aktiv, der Tee zeigte aber stärkere Hemmeffekte als die Reinstoffe [12]. Mit diesem Ergebnis, das auf entzündungshemmende Wirkungen verweist, und den vielfältig in der Literatur zu findenden anti-inflammatorischen Effekten von Oleuropein, das u. a. ein aktiver Hemmer von NF-κB in humanen Neutrophilen ist [13], lassen sich die Indikationen aus den mittelalterlichen Kräuterbüchern durchaus in Übereinstimmung bringen. Das gilt auch für die Hemmung der Komplementaktivität durch Ligusterblätter-Extrakte, die ebenso auf entzündungshemmende Effekte [4], [9] und auf eine wichtige Rolle bei der Wundheilung [14] verweist. Betrachtet man die Wirkungen der Ligusterblätter unter dem Aspekt der Wirkungen seiner Inhaltsstoffe und stellt dabei Oleuropein und sein Abbauprodukt Hydroxytyrosol in den Mittelpunkt, so stützen diese die genannten historischen Indikationen.

Eine Vielzahl von experimentellen Untersuchungen zeigten die Wirkung von Oleuropein als antioxidativer Naturstoff, der die mit Entzündung und Gewebsschädigung verbundenen molekularen Targets (u. a. iNOS, NO, TNF-α, IL-8 und MMP-2, MMP-9, VCAM-1, ICAM-1, MAPK, NF-κB, Nrf2 / HO-1) moduliert und im Endergebnis den menschlichen Organismus vor oxidativem Stress schützt. In klinischen Studien konnte daher gezeigt werden, dass dieses Secoiridoid u. a. für eine Reduktion der Infarktgröße, Senkung des Cholesterol- und Triglyzerid-Spiegels verantwortlich ist [15]. Viele pharmakologische Wirkungen, die mit der Anwendung von Olivenöl und Olivenblättern assoziiert werden, können auf den Gehalt an Oleuropein und das Hydroxytyrosol zurückgeführt werden. Neben der Entzündungshemmung gehören dazu auch antimikrobielle und antivirale Aktivitäten sowie v. a. auch eine Wirksamkeit bei metabolischem Syndrom sowie gegen Darmtumoren [16]. Oleuropein besitzt in tierexperimentellen Untersuchungen eine kardioprotektive Wirkung [17], die mit einer Hemmwirkung gegenüber Bluthochdruck-assoziierten Enzymen im Herz-Kreislauf-System begründbar sind [18]. Humane Interventionsstudien unter Verwendung von Olivenblätter-Zubereitungen zeigten, dass neben einer Senkung des Blutdrucks auch der Blutglukose-Spiegel und die Lipid-Peroxidationsmarker verbessert wurden [9], [19].

In der TCM wird die Droge Ligustri lucidi fructus von Ligustrum lucidum Aiton verwendet, deren Inhaltsstoffspektrum sich von Ligustrum-vulgare-Blättern unterscheidet und deren klassische Verwendung auf die Stärkung von Muskeln und Knochen sowie die Tonisierung von Niere und Leber gerichtet ist. Neue experimentelle pharmakologische Untersuchungen verweisen auf antioxidative, entzündungshemmende, immunmodulatorische, antidiabetische und tumorhemmende Effekte [20].

Hypothese

Wenn in den Olivenblättern ein verwandtes Spektrum an Inhaltsstoffen wie in den Ligusterblättern enthalten ist, sollten diese auch ein verwandtes Wirkungsspektrum aufweisen. Bezieht man dies auf die historisch belegte ethnomedizinische Verwendung von Ligusterblättern, dann besitzen die Indikationen, die mit entzündungshemmenden Effekten verbunden sind, eine reale pharmakologische Grundlage. Es wäre also durchaus angemessen, Ligusterblätter unter diesen Gesichtspunkten noch einmal wissenschaftlich zu untersuchen – als quasi Olivenblätter-Ersatz für im Vergleich zur warmen Mittelmeerregion (noch) kühlen Deutschland oder Nordeuropa.

Toxikologie vom Liguster

Liguster ist entgegen einer landläufigen Meinung nicht giftig und daher auch nicht auf der offiziellen Liste der Giftpflanzen Deutschlands verzeichnet [21]. Hinweise über Vergiftungen, besonders mit den Früchten, gehen v. a. auf historische Fallberichte aus der Veterinärmedizin und wenige humantoxikologische Befunde zurück [22], die aber keine experimental-toxikologische Bestätigung erfahren haben. Es existieren auch Hinweise darauf, dass die Beeren früher in der Volksmedizin als Abführmittel genutzt wurden und bei höherer Dosierung auch Leibschmerzen und Krämpfe auslösen können [1]. Der äußerliche Kontakt mit Ligusterblättern, z. B. beim Heckenschneiden, kann Hautreizungen („Ligusterdermatitis“) auslösen [23], weitere nachprüfbare schädliche Effekte werden nicht berichtet.

Prof. Dr. Dr. h. c. Matthias F. Melzig
Pharmazeut
Professor an der Freien Universität Berlin

Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  1. Hegi G. Ligustrum . In: Hegi G. Illustrierte Flora von Mitteleuropa. Bd. V, Teil 3. Berlin, Hamburg: Verlag Paul Parey; 1975: 1944-1949
  2. Fuchs L. Von Beinhöltzlin. In: Fuchs L. New Kreüterbuch. Basel 1543. Köln: Taschen-Verlag; 2001. Cap. CLXXXII
  3. Bock H. Beinhültzen. In: Bock H. Teutsche Speißkammer. Straßburg: Wendel Rihel; 1550: 787-789
  4. Pieroni A, Pachaly P. An ethnopharmacological study on common privet (Ligustrum vulgare) and phillyrea (Phillyrea latifolia). Fitoterapia 2000; 71 (Suppl. 1): S89-S94
  5. Möller L, Vogel M. Hrsg. Die Naturgeschichte des Caius Plinius Secundus Bd. 3. Wiesbaden: marixverlag; 2007: 638
  6. Möller L, Vogel M. Hrsg. Die Naturgeschichte des Caius Plinius Secundus Bd. 4.. Wiesbaden: marixverlag; 2007: 154
  7. Stückrath K. Bibelgärten. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht; 2012: 349
  8. Wynn SG, Fougere B. Veterinary Herbal Medicine. St. Louis, Miss., USA: Mosby Elsevier; 2007: 386
  9. Czerwinska ME, Ziarek M, Bazylko A. et al. Quantitative determination of secoiridoids and phenylpropanoids in different extracts of Ligustrum vulgare L. leaves by a validated HPTLC – photodensitometry method. Phytochem Anal 2015; 26: 253-260
  10. Gießel JM, Zaar A, Schäfer R. et al. Facile access to oleuropein and hydroxytyrosol from Ligustrum vulgare—A plant material growing all over Eurasia. Mediterr J Chem 2018; 7: 217-222
  11. Czerwińska ME, Duszak K, Parzonko A, Kiss AK. Chemical composition and UVA-protecting activity of extracts from Ligustrum vulgare and Olea europaea leaves. Acta Biol Cracov Bot 2016; 58 (2): 45-55
  12. Mucaji P, Zahradnikova A, Bezakova L. et al. HPLC Determination of antilipoxygenase activity of a water infusion of Ligustrum vulgare L. leaves and some of its constituents. Molecules 2011; 16: 8198-8208
  13. Woźniak M, Michalak B, Wyszomierska J. et al. Effects of phytochemically characterized extracts from Syringa vulgaris and isolated secoiridoids on mediators of inflammation in a human neutrophil model. Front Pharmacol 2018; 9: 349
  14. Cazander G, Jukema GN, Nibbering PH. Complement activation and inhibition in wound healing. Clin Dev Immunol 2012; 2012: 534291
  15. Castejón ML, Montoya T, Alarcón-de-la-Lastra C. et al. Potential protective role exerted by secoiridoids from Olea europaea L. in cancer, cardiovascular, neurodegenerative, aging-related, and immunoinflammatory diseases. Antioxidants (Basel) 2020; 9: 149
  16. Omar SH. Oleuropein in olive and its pharmacological effects. Sci Pharm 2010; 78: 133-154
  17. Nekooeian AA, Khalili A, Khosravi MB. Oleuropein offers cardioprotection in rats with simultaneous type 2 diabetes and renal hypertension. Indian J Pharmacol 2014; 46: 398-403
  18. Kiss AK, Mańk M, Melzig MF. Dual inhibition of metallopeptidases ACE and NEP by extracts, and iridoids from Ligustrum vulgare L. J Ethnopharmacol 2008; 120: 220-225
  19. Saibandith B, Spencer JPE, Rowland IR, Commane DM. Olive polyphenols and the metabolic syndrome. Molecules 2017; 22: 1082
  20. He F, Chen L, Liu Q, Wang X. et al. Preparative separation of phenylethanoids and secoiridoid glycosides from Ligustri lucidi fructus by high-speed counter-current chromatography coupled with ultrahigh pressure extraction. Molecules 2018; 23: 3353
  21. Bundesanzeiger vom 06.05.2000, Jahrgang 52, Nr. 86, S. 8517
  22. Wagstaff DJ. International Poisonous Plants Checklist. Boca Raton Fl USA: CRC Press; 2008: 235
  23. Teuscher E, Lindequist U. Biogene Gifte. 3.. Aufl. Stuttgart: WVG; 2010: 696