Amyotrophe LateralskleroseHoffnungsschimmer für genetisch bedingte ALS

Eine Fallserie deutet darauf hin, dass ein genetisch bedingter ALS-Typ erfolgreich mit Antisense-Oligonukleotiden behandelt werden könnte.

Zerbor/stock.adobe.com

Für ALS existiert bislang keine kurative Therapie.

Noch ist es zu früh, um von einem Durchbruch zu sprechen. Aber: Eine Forscher-initiierte, multizentrische Fallserie deutet darauf hin, dass ein bestimmter, genetisch bedingter Typ der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) erfolgreich mit Antisense-Oligonukleotiden behandelt werden könnte.

Ein früher Therapiebeginn scheint dabei für den Erfolg entscheidend sein. Klinische Studien zu dieser genexpressionsmodulierenden Therapie müssen nun zügig folgen.

Therapieoption für genetisch bedingte ALS?

Bis zu 15 % der ALS-Fälle sind genetisch bedingt, bei den restlichen 85 % ist bislang aber keine eindeutige Ursache nachweisbar.

Jetzt gibt es berechtigte Hoffnung, dass nun für eine Gruppe der Betroffenen mit genetischer ALS eine wirksame Therapie zur Verfügung stehen könnte. Es handelt sich um die Patient*innen, bei denen die Erkrankung auf eine Mutation im sog. FUS-Gen zurückzuführen ist, das bei der DNA-Reparatur und dem RNA-Metabolismus beteiligt ist. Diese Mutationen gehen mit einer sehr aggressiven Erkrankungsform einher, die oft bereits in jüngeren Jahren auftritt. Die Mutationen auf dem FUS-Gen führen zu einer „Gain-of-Function“-Toxizität. Infolge derer kommt es zu einer Bildung unlöslicher Proteinaggregate, die wiederum den Neuronenuntergang verursachen.

Therapie mit Antisense-Oligonukleotiden vielversprechend

Wie wirkt die Therapie mit Antisense-Oligonukleotiden (ASOs)? Beim DNA-Ableseprozess wird im Zellkern immer zunächst Messenger-RNA (mRNA) gebildet, die sozusagen als Matrize für die Proteinsynthese dient. Bei dem Therapieansatz mit sog. Antisense-Oligonukleotiden wird diese Matritze und durch synthetisch hergestellte spiegelbildliche mRNA-Bausteine (Antisense-Oligonukleotide) spezifisch gehemmt. Das mutante FUS-Gen wird durch das ASO Jacifusen praktisch stillgelegt („gene silencing“). Die Therapie greift somit an der Krankheitsursache an.

Fallserie gibt Grund zur Hoffnung

Eine aktuelle Fallserie gibt nun Anlass zur Hoffnung, dass Jacifusen den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen kann: 12 Patient*innen (median 26 Jahre alt, 58 % weiblich) wurden in ein Studienprogramm an 5 Standorten (4 Krankenhäuser in den USA und eines in der Schweiz) aufgenommen. Alle hatten eine FUS-Variante und wiesen klinische Anzeichen einer beginnenden Motoneuronerkrankung oder elektrophysiologische Anomalien auf, sofern keine ALS diagnostiziert wurde. Die Beatmung über Tracheostoma war ein Ausschlusskriterium.

Die Studienteilnehmenden erhielten über einen Zeitraum von 2,8 – 33,9 Monaten Jacifusen. Da ASOs die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren können, wird das Medikament intrathekal (d.h. in den Liquorraum) injiziert. Die Dosis wurde mit dem Vorliegen neuer Sicherheitsdaten im Studienverlauf hochtitriert – von anfangs 20 mg bis 120 mg. Die Teilnehmer*innen, die zuletzt in die Studie aufgenommen wurden, erhielten von Beginn an monatlich eine Dosis von 120 mg.

Die Sicherheit wurde anhand der „Common Terminology Criteria for Adverse Events“, Version 4.0, und anhand von Standardmessungen der Liquorflüssigkeit (CSF) bewertet. Die Konzentration der Neurofilament-Leichtkette (NfL) im Liquor wurde als Biomarker für axonale Schädigung und Neurodegeneration verwendet, und der „ALS Functional Rating Scale-Revised“ (ALSFRS-R) Score wurde als Gesamtmaß für die motorische Funktion herangezogen.

Im Studienverlauf kam es zu 2 Todesfällen, die nach Ansicht der Studienautor*innen aber nicht mit dem Prüfpräparat in Zusammenhang standen. An postmortalem ZNS-Gewebe wurden biochemische Analysen und immunhistochemische Färbungen durchgeführt, um die FUS-Proteinexpression zu quantifizieren und die Belastung durch die FUS-Pathologie zu bewerten.

Die NfL-Konzentration im Liquor wurde nach 6-monatiger Behandlung um bis zu 82,8 % gesenkt – und könnte, so die Expert*innen, als Surrogatmarker für die ALS-Progression herangezogen werden. Biochemische und immunhistochemische Analysen von ZNS-Gewebeproben von 4 Teilnehmern zeigten reduzierte FUS-Proteinspiegel und eine offensichtliche Abnahme der Belastung durch FUS-Pathologie.

Klinische Ergebnisse

Wie übersetzten sich die Laborbefunde in klinische Ergebnisse?

  • Bei den meisten Teilnehmenden kam es nach Beginn der Behandlung mit Jacifusen zwar weiterhin zu einer funktionellen Verschlechterung (gemessen anhand des ALSFRS-R).
  • Bei einer Teilnehmerin wurde nach 10 Monaten eine objektive funktionelle Erholung dokumentiert. Sie war mit 16 Jahren die jüngste Patientin in der Fallserie und erhielt die Therapie früh im Krankheitsverlauf
  • Ein weiterer Patient war zu Studienbeginn asymptomatisch und blieb es über 3 Jahre, wobei auch eine Verbesserung der elektromyografischen Anomalien dokumentiert wurde.

Aufgrund dieser Ergebnisse und der relativ guten Verträglichkeit, sollen nun Phase-2- und -3-Studien aufgelegt werden.

Kommentar

Prof. Tim Hagenacker von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie ordnet die Ergebnisse ein: "Je genauer wir die Patient*innen genetisch charakterisieren und selektieren, desto mehr Aussicht auf Erfolg besteht. Auch scheint der Zeitpunkt der Therapieinitiierung Einfluss auf das Therapieergebnis zu nehmen. Perspektivisch wird eine Früherkennung von Patient*innen mit hohem genetischen Risiko entscheidend sein, derzeit wird bereits an Bluttests auf ALS gearbeitet."

Prof. Peter Berlit ergänzt: "In jedem Fall stellt die aktuelle Fallserie einen Meilenstein dar und zeigt, dass eine Gentherapie bei ausgewählten Patient*innen wirksam sein kann. Weitere Studien müssen nun klären, welche Betroffenen besonders von der Therapie profitieren, um die Behandlung weiter personalisieren zu können." Er verweist in dem Zusammenhang auf eine kürzlich publiziertes Konsensuspapier aus Deutschland [3], das eine neue Einteilung von Phänotypen der ALS vorgenommen hat.

Hintergrund: Amyothrophe Lateralsklerose

Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine fortschreitende Erkrankung des motorischen Nervensystems. Sie geht mit der Degeneration der motorischen Nervenbahnen (sog. erstes und zweites Motoneuron) einher.

Die Prävalenz in Deutschland beträgt ca. 3-8 von 100.000 Menschen. Die Inzidenz (Neuerkrankungsrate) liegt jährlich bei 2-3 pro 100.000.

Besorgniserregend ist: Die ALS-Neuerkrankungsrate scheint stetig anzusteigen. Sie erhöhte sich in Europa von 2,83 pro 100.000 Einwohner im Zeitraum 1995 bis 2004 auf 3,23 im Zeitraum 2005-2014 [1].

Klinisch kommt es zu Muskelschwund, Muskelschwäche und im Verlauf zu Lähmungen. Später ist auch die Muskulatur im Kopf-Hals-Bereich betroffen, wodurch Probleme beim Kauen, Schlucken und Sprechen entstehen. Wenn die Atemmuskulatur schwächer wird, drohen Lungenentzündungen und eine chronische Sauerstoffunterversorgung des Körpers.

Eine kurative Therapie gibt es bisher noch nicht; mit dem Medikament Riluzol wird in Sinne einer krankheitsmodifizierenden Therapie versucht, das Fortschreiten zu verlangsamen. In erster Linie ist die Behandlung aber symptomatisch, um Beschwerden (z.B. Muskelkrämpfe) zu lindern und Komplikationen vorzubeugen.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurologie

  1. Chiò A et al. Piemonte and Valle d’Aosta Register for ALS (PARALS). Secular Trends of Amyotrophic Lateral Sclerosis: The Piemonte and Valle d'Aosta Register. JAMA Neurol 2017; doi: 10.1001/jamaneurol.2017.1387
  2. Shneider NA et al. Antisense oligonucleotide jacifusen for FUS-ALS: an investigator-initiated, multicentre, open-label case series. Lancet 2025; doi: 10.1016/S0140-6736(25)00513-6
  3. Meyer T et al. Motor phenotypes of amyotrophic lateral sclerosis - a three-determinant anatomical classification based on the region of onset, propagation of motor symptoms, and the degree of upper and lower motor neuron dysfunction. Neurol Res Pract 2025; https://neurolrespract.biomedcentral.com/articles/10.1186/s42466-025-00389-w