Zirkadianer RhythmusSpätes Essen begünstigt Erkrankungen

Eine neue Zwillingsstudie zeigt: Frühes Essen beeinflusst günstig Insulinempfindlichkeit, BMI und Taillenumfang. Und: Essenszeitmuster scheinen auch genetisch bedingt zu sein.

Ein Teller mit Uhrenzifferblatt, darauf Hähnchenbrust, Kartoffelmus und Tomatensalat
K. Oborny/Thieme

Nicht nur was, auch wann wir essen beeinflusst Glukosestoffwechsel und Insulinempfindlichkeit.

Forschende haben in einer Zwillingskohorte untersucht, wie der Zeitpunkt des Essens den Glukosestoffwechsel beeinflusst und wie viel davon genetisch bedingt ist.

Das Wichtigste in Kürze

  • Wurden die Hauptkalorien früher im Tagesverlauf verzehrt, war die Insulinempfindlichkeit besser.
  • Proband*innen, die erst später am Tag ihr Hauptkalorien aufnahmen, wiesen eine schlechtere Insulinempfindlichkeit auf.
  • Die Spätesser hatten zudem einen höheren BMI und größeren Taillenumfang. 
  • Verschiedene Parameter des täglichen Essenszeitmusters werden bis zu 60 Prozent genetisch beeinflusst.

Macht spätes Essen krank?

Bisherige Studien zeigen, dass spätes oder nächtliches Essen mit einem erhöhten Risiko für Übergewicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbunden ist. Dennoch ist bislang wenig darüber bekannt, wie genau der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme im Zusammenspiel mit dem individuellen zirkadianen Rhythmus den Glukosestoffwechsel und das Diabetesrisiko beeinflusst. Zudem ist unklar, welche Mechanismen das individuelle Essverhalten bestimmen, da hierbei kulturelle, persönliche, physiologische und genetische Einflüsse zusammenwirken.

Prof. Olga Ramich und ihr Team haben untersucht, wie der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme im Tagesverlauf mit dem Glukosestoffwechsel und der Insulinempfindlichkeit zusammenhängt. Außerdem untersuchten die Forschenden, welchen Einfluss genetische und umweltbedingte Parameter auf individuelle Essgewohnheiten haben.

Zwillinge geben Aufschluss

Dafür nutzten die Wissenschaftler*innen Daten aus der NUtriGenomics Analysis in Twins (NUGAT)-Studie. Daran hatten 46 eineiige und zweieiige Zwillingspaare ohne Diabetes teilgenommen. Die Proband*innen führten 5 Tage lang Ernährungstagebuch über ihre Essenszeiten und -mengen.

Sie ermittelten den individuellen Schlaf-Wach-Rhythmus (Chronotyp) der Teilnehmenden und führten verschiedene Stoffwechseltests, wie einen Blutzuckerbelastungstest, durch. Darüber hinaus bestimmten sie das zirkadiane Timing des Essens, also wann jemand im Verlauf des Tages isst – und zwar in Bezug auf den individuellen biologischen Tagesrhythmus und nicht auf die Uhrzeit.

Früheres Essen fördert gesunden Stoffwechsel

Ein wichtiger Parameter, den die Wissenschaftler*innen ermittelten, war der zirkadiane kalorische Mittelpunkt (CCM) der Proband*innen. Dieser beschreibt jenen Zeitpunkt am Tag, zu dem rechnerisch die Hälfte der Tageskalorienmenge aufgenommen wurde. Ein späterer CCM bedeutet demnach, dass jemand hauptsächlich später am Tag isst - in Bezug auf den individuellen Chronotyp.

  • „Menschen, die ihre Hauptkalorien früher im Tagesverlauf zu sich nahmen, hatten eine bessere Insulinempfindlichkeit“, erklärt Prof. Olga Ramich.
  • „Auf der anderen Seite zeigten Proband*innen, die ihre Hauptkalorien erst spät am Tag aufnahmen, eine schlechtere Insulinempfindlichkeit, was mit einem höheren Risiko für Typ-2-Diabetes einhergeht.“
  • Darüber hinaus hatten sie einen höheren Body-Mass-Index und einen größeren Taillenumfang.

Gene beeinflussen, wann wir essen

Um den Einfluss der Gene auf die Essenszeiten zu untersuchen, verglichen die Forschenden das Essverhalten der eineiigen Zwillinge (100 Prozent identische Gene) mit dem der zweieiigen Zwillinge (ca. 50 Prozent identische Gene). Mit speziellen mathematischen Modellen konnten sie abschätzen, wie stark der Zeitpunkt des Essens auf Gene, gemeinsame Umwelt oder individuelle Erfahrungen zurückzuführen ist.

Die Studie belegt, dass verschiedene Parameter des täglichen Essenszeitmusters bis zu 60 Prozent genetisch beeinflusst werden.

Fazit: Personalisierte Ernährung braucht neue Ansätze

Eine Verlagerung der Hauptkalorienaufnahme auf frühere zirkadiane Zeiten könnte den Glukosestoffwechsel verbessern sowie vor Typ-2-Diabetes und Übergewicht schützen.

„Da die Essenszeiten jedoch teils erblich bedingt sind, dürfte es einigen Menschen schwerfallen, ihre Gewohnheiten zu ändern“, gibt Ramich zu bedenken. „Um die Wirksamkeit von Interventionen, die auf der Essenszeit basieren, besser zu verstehen, sind weitere Validierungsstudien und klinische Untersuchungen nötig.

Hintergrund: Stoffwechsel folgt zirkadianen Rhythmen

Unser Körper verarbeitet Nahrung je nach Tageszeit unterschiedlich. Viele Stoffwechselprozesse sind morgens aktiver als abends. Studien zeigen zwar, dass spätes Essen mit einem erhöhten Risiko für Übergewicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zusammenhängt.

Das zirkadiane System ist ein hierarchisch aufgebautes 24-Stunden-Zeitsteuerungssystem im Körper. Es reguliert das Verhalten und Stoffwechsel über eine zentrale Uhr im Gehirn und periphere Uhren in Organen, wie z.B. Leber oder Bauchspeicheldrüse. Dadurch verarbeitet unser Körper dieselbe Nahrung abhängig von der Tageszeit unterschiedlich. Das kann zu tageszeitlichen Schwankungen im Glukosestoffwechsel und der Hormonausschüttung nach einer Mahlzeit führen.

Die Nahrungsaufnahme selbst wirkt dabei als ein wichtiger Zeitgeber, der die inneren Uhren synchronisiert. Eine Entkopplung der Essenszeit vom natürlichen Hell-Dunkel-Rhythmus, wie z. B. bei Nachtarbeit, kann zu einer inneren Uhrstörung und negativen Stoffwechselveränderungen führen.

Zirkadianes Timing des Essens

Wann jemand im Tagesverlauf bezogen auf den individuellen biologischen Tagesrhythmus isst, wird als Abstand zwischen der Essenszeit und dem Mittelpunkt des Schlafs gemessen. Der Mittelpunkt des Schlafs beschreibt die Zeit, die genau in der Mitte zwischen Einschlafen und Aufwachen liegt. Er gilt als ein Maß für den Chronotyp – also ob jemand eher Frühaufsteher oder Nachtmensch ist.

Quelle: Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke