PsychokardiologieAngeborene Herzfehler: Die Seele leidet mit

Menschen mit angeborenem Herzfehler leiden oft auch unter psychischen Problemen wie Ängsten. Expert*innen mahnen: Hier gibt es Nachholbedarf in der Psychokardiologie. 

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Menschen mit angeborenem Herzfehler können neben den körperlichen Auswirkungen mit seelischen Belastungen und Ängsten konfrontiert sein.

Das Aktionsbündnis Angeborene Herzfehler (ABAHF) fordert daher den Ausbau fachgerechter psychokardiologischer Betreuungsangebote für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit angeborenem Herzfehler sowie deren Angehörige.

Jährlich kommen 8.700 Kinder mit einem angeborenen Herzfehler in Deutschland zur Welt. Über 95 % von ihnen erreichen heute Dank der Fortschritte in der Kinderherzchirurgie und Pädiatrischen Kardiologie das Erwachsenenalter. Sie bilden mit den schon heute in Deutschland lebenden über 350.000 Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler eine stetig wachsende Patientengruppe. Ein Großteil von ihnen benötigt lebenslang eine sorgfältige regelmäßige medizinische Nachsorge. 

Seelische Belastungen und Ängste

Für einen Menschen mit angeborenem Herzfehler kann der damit verbundene Eingriff traumatische Folgen haben. Und auch im weiteren Krankheitsverlauf können Menschen mit angeborenem Herzfehler neben den körperlichen Auswirkungen ihres Herzfehlers mit vielfältigen seelischen Belastungen und Ängsten konfrontiert sein: 

  • Mit der Angst vor dem eigenen operierten Herz in Belastungssituationen, etwa beim Toben oder beim Sport
  • Der Angst vor Ausgrenzung (sichtbare Narbe beim Schwimmen) 
  • Der Angst vor dem bevorstehenden Herz-Eingriff, einem neuen Implantat (Herzschrittmacher, Stent, implantierbarer Defi) oder einer Dauertherapie mit Gerinnungshemmern. 

Nicht nur die Eltern sind in ihrer Fürsorgefunktion mit den seelischen Problemen ihrer Kinder konfrontiert; auch die Angehörigen sind stets betroffen, wenn das erkrankte Familienmitglied erneut stationär behandelt oder gar einer neuen Operation unterzogen werden muss. 

Kein flächendeckendes Versorgungsangebot

Aufgrund der wachsenden Zahl der Kinder und Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler nimmt auch der Bedarf an einem fachgerechten psychokardiologischen Versorgungsangebot zu. „Leider sehen wir aber einen massiven Versorgungsengpass gerade im Bereich der Psychokardiologie mit Fokus auf angeborene Herzfehler – ein flächendeckendes Angebot gibt es bislang nicht“, warnt Prof. Hofer, Vorstandsmitglied der Deutschen Herzstiftung. „Für viele Kinder mit seelischen Problemen und Bedarf an psychokardiologischer Betreuung – ebenso für ihre Eltern – stellt dieser Engpass ein großes Problem dar. Das gilt natürlich auch für Erwachsene mit angeborenem Herzfehler.“

Betroffene können sich bei Bedarf für eine psychokardiologische Betreuung an Kliniken und Herzzentren wenden, die im Bereich der Erwachsenenkardiologie eine psychokardiologische Versorgung mit Fokus auf angeborene Herzfehler anbieten: 

Vereinzelt bestehen auch psychokardiologische Versorgungsangebote in Reha-Kliniken mit kardiologischer Reha.

Psychokardiologie: ein lebensbegleitendes Thema?

Dass es in Deutschland Nachholbedarf im Bereich Psychokardiologie für Menschen mit angeborenem Herzfehler gibt, sehen auch Experten auf diesem Gebiet. „In der deutschen Psychokardiologie sind Erwachsene mit angeborenem Herzfehler erst seit relativ kurzer Zeit ein Thema und zu Kindern und ihren Familien dürfte es nicht besser aussehen“, berichtet Prof. Dr. Christoph Herrmann-Lingen vom Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung. Der Experte für Psychokardiologie forscht derzeit an der Frage, inwiefern Psychokardiologie bei Patienten mit angeborenem Herzfehler, je nach Krankheitsverlauf und Komplexität des Herzfehlers, ein lebensbegleitendes Thema ist.

Wenn beispielsweise ein Erwachsener mit angeborenem Herzfehler vor mehr als 18 Jahren mit einem Ein-Kammer-Herz geboren wurde, hat er/sie unter Umständen mehrere Operationen in Kindheit und Jugend hinter sich. Aber auch die grundsätzlichen medizinischen Rahmenbedingungen haben sich rund um die Versorgung solcher Herzfehler verändert. Heute kommen herzkranke Kinder in aller Regel gemeinsam mit ihren Eltern in die Kliniken und haben dort auch deren stetigen Beistand. Erwachsene mit angeborenem Herzfehler, die in den 1980er oder 1990er Jahren operiert worden sind, waren zum Teil wochenlang völlig allein in der Klinik untergebracht. Auch können im Verlauf des weiteren Lebens Komplikationen wie Herzrhythmusstörungen hinzukommen, die zusätzlich zu versorgen sind. 

Ähnlich verhält es sich bei Patienten mit einer Transposition der großen Arterien. Neben medizinischen Versorgungsthemen kommen für viele dieser Patienten meistens weitere Themen hinzu, „die sie ein Leben lang begleiten, oft belasten und auch zu psychischen und psychosomatischen Problemen führen können“, so Prof. Herrmann-Lingen.

Seiner Einschätzung nach kommt die Mehrheit der Betroffenen „auf der Oberfläche“ gut mit der Erkrankung zurecht. „Aber in Schwellensituationen, etwa bei auftretenden somatischen Komplikationen, invasiven Behandlungen oder bei der Familiengründung, Schwangerschaft oder der Berufswahl, können psychische Belastungen entstehen, die eine psychokardiologische Unterstützung erfordern“, berichtet Prof. Herrmann-Lingen.

Psychokardiologie auch mit Fokus auf angeborene Herzfehler

Die Psychokardiologie verfolgt einen fächerübergreifenden Ansatz.

  • Die noch recht junge medizinische Disziplin befasst sich mit den Wechselwirkungen zwischen Herzerkrankungen und Psyche.
  • Sie behandelt sowohl psychische Beschwerden, die durch die Auseinandersetzung mit der Herzerkrankung entstehen, als auch Herzkrankheiten, die durch psychischen Stress ausgelöst oder gefördert wurden.

In den vergangenen 20 Jahren konnte das Behandlungsangebot der Psychokardiologie für Patient*innen mit erworbenen Herzkrankheiten in Deutschland deutlich ausgebaut werden. Inzwischen arbeiten viele kardiologische Akutkliniken eng mit psychosomatischen Diensten zusammen. Sie bieten zum Beispiel unterstützende Gespräche an und helfen bei der Anbahnung einer Psychotherapie.

„Wir setzen uns für eine stärkere Integration psychologischer Unterstützung für alle Menschen mit angeborenen Herzfehlern in die medizinische Versorgung ein. Nicht erst in späteren Lebensabschnitten, sondern vom Säugling beginnend über die Eltern, denn psychisch gesunde und ausgeglichene Eltern fördern die psychische Stabilität von Kindern mit angeborenem Herzfehler“, betont Kai Rüenbrink, Sprecher des ABAHF. „Wir fordern alle Entscheider im Gesundheitswesen dazu auf, gemeinsam mit uns und anderen Patientenorganisationen sowie den kardiologischen Fachgesellschaften Wege zu finden, um die psychische Gesundheit als wesentlichen Bestandteil der Behandlung auch für diese Patientengruppe zu etablieren“, betonen die im ABAHF vertretenen Patientenorganisationen einstimmig.

Quelle: Deutsche Herzstiftung