
Robert Schmidt.
Die Therapiemöglichkeiten für Long/Post-Covid sind noch immer rar. Zugelassene Medikamente existieren schlichtweg nicht. In vielen Kliniken und Praxen werden neue Möglichkeiten erprobt.
Am Münchner Krankenhaus für Naturheilweisen (KfN) erhalten Patient*innen mit Long/Post-Covid eine naturheilkundliche Komplexbehandlung. In einer Beobachtungsstudie hat das Team um Chefarzt Robert Schmidt die möglichen Behandlungserfolge erhoben. Erste Ergebnisse liegen nun vor. Wir haben mit ihm über die Therapie und deren Erfolge gesprochen.
Welche Symptome sehen Sie bei Ihren Patient*innen häufig?
Alle Patient*innen beklagen eine erhebliche Erschöpfungssymptomatik mit Belastungsintoleranz und nicht erholsamen Schlaf. Sie schätzen ihr Energielevel in der Regel deutlich unter 50 % ein. Hinzu kommen meist ein sog. brainfog (Hirnnebel) sowie häufig ausgeprägte Störungen von Konzentrationen und Merkfähigkeit. Üblicherweise werden auch Kurzatmigkeit, Herzrasen und thorakahle Beklemmungsgefühle beklagt. Die Mehrzahl der Patient*innen leidet unter diffusen Weichteil-, Gelenk-und/oder Kopfschmerzen. Gelegentlich werden Schwindel und Koordinationsstörungen angegeben und immer wieder Verdauungsbeschwerden unterschiedlicher Art.
Typisch ist auch, dass trotz einer Vielzahl an Symptomen die routinemäßigen Standarduntersuchungen im Wesentlichen unauffällig sind.
Was beinhaltet die naturheilkundliche Komplexbehandlung am KfN?
Wir setzen die klassische Naturheilkunde nach Kneipp ein: Ihre 5 Säulen sind die Ordnungs-, Ernährungs-, Bewegungs-, Phyto- und Hydro-/Thermotherapie. Hinzu kommt die traditionelle europäische Medizin, also ausleitende Verfahren wie Schröpfen, Blutegeltherapie und Aderlass. Zudem verwenden wir die Neuraltherapie, die mikrobiologische Therapie sowie die Orthomolekularmedizin, also die Behandlung mit Vitaminen, Spurenelementen, gesunden Fetten, etc. Im Krankenhaus für Naturheilweisen nimmt zudem die homöopathische Begleitung der Patienten eine wichtige Rolle ein und wir verfügen über eine große Physikalische Abteilung, die unterschiedlichste Behandlungsformen, wie die reflektorische Atemtherapie, Reflexzonentherapien oder osteopathische Techniken anbietet.
Was sind die wichtigsten Ergebnisse Ihrer hausinternen Beobachtungsstudie?
Es konnte gezeigt werden, dass unsere naturheilkundliche Komplexbehandlung über 10 Tage regelmäßig zu einer signifikanten und auch anhaltenden Besserung des Symptomenkomplexes bei Long-/Post-Covid-Patient*innen führt.
Es geht zunächst einmal nicht um eine vollständige Beschwerdefreiheit, sondern um die Verbesserung der Vitalität von beispielsweise 30% auf 60% und eine merkliche Linderung möglichst aller Symptome. Die Patient*innen merken, dass sich ihr Zustand mit teilweise auch ganz einfachen Behandlungsansätzen, die vielfach auch nach Entlassung in Eigenregie fortgeführt werden können, entscheidend beeinflussen lässt.
Diese erfreulichen Behandlungsergebnisse zeigten sich auch noch 6 Monate nach Entlassung unter Alltagsbedingungen.
Es handelt sich also nicht nur um einen kurzfristigen Erholungseffekt durch den 10-tägigen Klinikaufenthalt, sondern um eine nachhaltige Gesundheitsverbesserung.
Sie setzen u.a. die Hyperthermie ein. Welchen Anteil hat sie am Therapieerfolg?
Unsere Beobachtungsstudie hat gezeigt, dass die moderate Ganzkörperhyperthermie der zentrale Baustein der multimodalen naturheilkundlichen Komplexbehandlung bei Post-Covid-Syndrom darstellt. In dem Patientenkollektiv mit moderater Ganzkörperhyperthermie verbesserten sich alle abgefragten Symptome. Bei 9 der abgefragten 14 Symptome zeigte sich eine eindeutige statistische Signifikanz.
Die Besserung ließ sich auch 6 Monate nach Entlassung noch beinahe ungemindert feststellen. In der Patient*innen-Gruppe ohne moderate Ganzkörperhyperthermie zeigte sich zwar in der überwiegenden Mehrheit weiterhin eine anhaltende und tendenziell positive Entwicklung der Symptome. Diese war allerdings nur noch bei Schlafstörungen mit eindeutiger Signifikanz.
Aufgrund dieser überzeugenden Studienergebnisse setzen wir die moderate Ganzkörperhyperthermie regelhaft bei unseren Post-Covid-Patient*innen ein. Während eines stationären Aufenthaltes von 10 Behandlungstagen erfolgen dabei üblicherweise 2 moderate Ganzkörperhyperthermien.
Wenn Sie es in Zahlen fassen, um wie viel Prozent können die Long/Post-Covid-Beschwerden gebessert werden?
Am einfachsten lässt diese Frage mit der Entwicklung der subjektiven Lebensqualität beantworten:
Die Patient*innen gaben vor Behandlungsbeginn auf einer Skala von 1 bis 10 im Durchschnitt eine 3,65 an. Nach 6 Monaten gaben die Patient*innen, die moderate Ganzkörperhyperthermie erhalten hatten, einen durchschnittlichen Wert von 5,14 an. Das entspricht einer Verbesserung der Lebensqualität um 14,9 %.
Vor Behandlungsbeginn war nur knapp jeder zehnte Patient voll arbeitsfähig, 6 Monate später immerhin wieder jeder vierte.
Dabei handelt es sich um ein Langzeitergebnis unter Alltagsbedingungen, erhoben 6 Monate nach einer einmaligen 10-tägigen naturheilkundlichen Komplexbehandlung. Vor Behandlungsbeginn war nur knapp jeder zehnte Patient voll arbeitsfähig, 6 Monate später immerhin wieder jeder vierte.
Sehr spannend wäre es, zu beobachten, ob sich durch mehr als 2 moderate Ganzkörperhyperthermien Behandlungserfolge noch weiter verbessern ließen.
Interview: Anke Niklas