LongevitySlow oder Fast Ager - Welche Rolle spielen die Gene?

Gene beeinflussen, wie und wie schnell wir altern. Aber in weit geringerem Ausmaß als oft angenommen. Einen Großteil haben wir durchaus selbst in der Hand.

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Frauenkopf: linke Hälfte jung, rechte Hälfte gealtert
K. Oborny/Thieme - Posed by Models.

Wissenschaftler gehen mittlerweile davon aus, dass 25% der Langlebigkeit und damit der Alterungsgeschwindigkeit genetisch vorherbestimmt ist.

Schon im antiken Griechenland beschäftigten sich eine Reihe an Dichtern und Denkern mit der Frage, warum wir altern. Aristoteles beispielsweise vermutete, dass Kälte und Trockenheit das Altern beschleunige. Diese Annahme basierte auf seiner Beobachtung, dass Leichen kalt und trocken seien. In gewisser Hinsicht gilt er damit als einer der frühesten Gerontobiologen, also Menschen, die sich mit dem Thema des Alterns auseinandersetzen.

Doch was damals noch ein relativ einfaches Beobachten weniger einzelner Interessierter war, ist heute zu einer weltweit vernetzten Wissenschaft vieler Tausender Forscher geworden. Dazu gehört auch ein Multimilliardenmarkt, eben das Gebiet der Gerontobiologie und des Anti-Aging.

Jeder Einzelne altert anders

Eine von der Wissenschaft mittlerweile zur Maxime erhobenen Feststellung ist: Jeder Einzelne hält nicht nur seine eigene Gesundheit in den Händen. Er entscheidet auch selbst darüber, in welcher Geschwindigkeit er oder sie altert. Mit anderen Worten: Jeder einzelne von uns bestimmt darüber, ob er oder sie langsam oder schnell altert, also sehr lange und gesund lebt oder eher zu früh und dann meist über viele Jahre vor dem Tod dahinsiechend verstirbt.

Eine mittelgroße Stadt im Süden Neuseelands erlangte schon früh in der Anti-Aging-Szene Berühmtheit. Die Stadt Dunedin hat eine der größten und am längsten laufenden Untersuchungen, die sich mit dem Thema Altern und Anti-Aging beschäftigt: Seit mehr als 50 Jahren läuft dort die „Multidisziplinäre Studie zu Gesundheit und Entwicklung in Dunedin“. In dieser Studie werden fast alle zwischen dem 1.4.1972 und dem 31.3.1973 geborenen Kinder über ihre Kindheit, junges und mittlerweile mittleres Erwachsenenalter hinaus bis heute wissenschaftlich begleitet.

Das Ziel ist die wissenschaftliche Entschlüsselung, wieso wir Menschen altern und welche Faktoren hierbei eine Rolle spielen. Eine der vielen Erkenntnisse für die Gerontobiologen ist, dass jeder einzelne von uns unterschiedlich altert:

  • So altern die „Slow Ager“ nur 0,4-0,5 biologische Jahre pro Kalenderjahr.
  • Während die „Fast Ager“ zum Teil mehr als 2 biologische Jahre in jedem Kalenderjahr älter werden.
  • Das bedeutet: Jemand, der 50 Jahre alt ist, kann einerseits 35 Jahre biologisch jung sein, andererseits aber auch 75 Jahre und damit kurz vor seinem Tod stehen [1].

Als wäre diese individuell unterschiedliche Alterungsgeschwindigkeit nicht schon beeindruckend genug, erwuchs aus dieser und anderen Anti-Aging-Studien die Erkenntnis, dass sich diese Geschwindigkeit auf beinahe jeden Aspekt des individuellen Lebens auswirkt. Hierzu gehört beispielsweise, ob man eher jugendlich oder gealtert aussieht, inwieweit man sich trotz seines Alters topfit oder gebrechlich fühlt und ob man eher voller Lebensglück oder unter Depressionen leidet – die Slow Ager sind gesünder, glücklicher und sehen jünger aus, stehen auf der Sonnenseite des Lebens sozusagen.

Slow Ager, Fast Ager und Genetik

Die Wissenschaftler entdeckten im Rahmen all dieser Forschungen jedoch auch: Es gibt ganz bestimmte Familien und damit Gene, die dafür sorgen, dass manche Menschen überdurchschnittlich lange leben können, also regelrechte Langlebigkeitsgene in sich tragen. Doch wie deckt sich diese Beobachtung mit derjenigen, dass jeder einzelne von uns selbstbestimmt seine Alterung beeinflussen kann? Mit anderen Worten, welchen Anteil haben Gene im Alterungsprozess, ob wir eher zu den Slow oder Fast Agern gehören?

Diese Frage wurde sukzessiv seit den 1970er-Jahren entschlüsselt. So entdeckten Gerontobiologen in verschiedenen Tierarten wie z.B. der Fruchtfliege Drosophila, aber auch der Wurmart Caenorhabditis elegans, dass es bei ihnen solche Individuen gibt, die entweder lange oder kurz leben, und dass diese dann Nachkommen haben, die ebenfalls zu der einen oder anderen Gruppe wie ihre Eltern gehören.

Forscher begannen zunächst mit der Züchtung von Gruppen lang- und kurzlebiger Tiere und verglichen diese miteinander. Sie konnten aber mangels technologischer Werkzeuge die dafür verantwortlichen Gene zwar vermuten, aber weder isolieren noch benennen [2]. Das änderte sich im Laufe der 1980er-Jahre.

Lebenszeitverlängernde Gene

Im Jahr 1988 konnten Forscher erstmalig ein spezielles Gen nachweisen und charakterisieren, das für ein deutlich längeres Leben sorgt. Sie nannten das gefundene Gen age-1 und stellten bei seinem Träger eine um 65% erhöhte durchschnittliche Lebenserwartung fest. Dieses Gen schien keine Nachteile (außer ggf. eine leichte Einschränkung der Fruchtbarkeit), dafür aber den Vorteil eines längeren Lebens mit sich zu bringen [3]. Das Gen reguliert bestimmte Stoffwechselvorgänge, bei dem das sog. Phosphatidylinositol 3-Kinase hergestellt wird. Das wiederum ist für die Reparatur des Genoms wichtig.

Nach dieser bahnbrechenden Entdeckung wurden weitere Gene gefunden wie beispielsweise daf-2 und daf-16. Beide wirken sich ebenfalls über Stoffwechselvorgänge antialternd und damit lebenszeitverlängernd aus. Ihr Wirkmechanismus findet über die Hormone Insulin und IGF-1 (welches die englische Abkürzung für insulin-ähnlicher Wachstumsfaktor 1 ist) statt. Auch hier wirken sich die Gene so aus, dass von außen verursachte Schäden am Genom wie z.B. durch ultraviolettes Licht oder Sauerstoffverbindungen, die den sog. oxidativen Stress bedingen, schneller und effizienter behoben werden [4].

Lebenszeitverkürzende Gene

Seit den 1990er-Jahren haben sich immer mehr Forscher daran gemacht diese Gene aufzuspüren, die entweder für eine Verlängerung oder Verkürzung der Lebenszeit verantwortlich zeichnen. Hierfür wurden dann auch systematisch sog. progeroide Syndrome hinsichtlich ihrer genetischen Grundlage untersucht.

Wie der Name schon sagt, handelt es sich bei progeroiden Syndromen um – zum Glück sehr selten auftretende – Krankheiten. Bei diesen kommen Kinder zur Welt, die zum Teil 10-mal schneller altern als gleichaltrige gesunde Kinder. So treten bei den Betroffenen im Regelfall schon im Kindesalter solche Krankheiten und Beschwerden auf, die man sonst nur bei älteren Erwachsenen kennt: Sie kriegen Falten im Gesicht, haben mit 4 oder 5 Jahren schon ihre ersten grauen Haare und erleiden oft noch bevor sie erwachsen geworden sind Herzinfarkte oder Schlaganfälle. Ihre durchschnittliche Lebenserwartung ist massiv verkürzt und oft erreichen sie nicht einmal ihr 30. Lebensjahr. Manche versterben sogar noch vor der Pubertät, je nach Schweregrad der Krankheit.

Natürlich ist all das tragisch für die Betroffenen und ihre Familien. Doch für die Wissenschaftler haben diese progeroiden Krankheitsbilder Einsichten in die genetische Basis des Alterns ermöglicht. Denn anhand dieser äußerst seltenen Erkrankungen stellte sich oft ein einzelnes Gen als ursächlich heraus. Dieses war es, welches die Alterungsgeschwindigkeit um ein Vielfaches beschleunigte. Durch internationale und jahrzehntelange Arbeit haben Wissenschaftler mittlerweile die Ursachen des Werner-Syndroms, des Hutchinson-Gilford-Progerie-Syndroms, des Bloom- und das Cockayne-Syndroms, um nur einige der progeroiden Krankheiten zu nennen, großflächig entschlüsselt.

So liegt beispielsweise beim Werner-Syndrom ein Defekt im WRN-Gen bzw. RecQL2-Gen auf dem Chromosom 8 vor. Obwohl es mittlerweile mehr als 35 beschriebene Mutationen bei diesem Gen gibt, treten am Ende doch bei allen die gleiche Störung auf: Nämlich dass die DNS-Helikase, die wiederum für eine Reparatur von Schäden am Erbgut verantwortlich ist, nicht richtig funktioniert. Der Defekt im WRN-Gen führt zu Schäden am Erbgut wie DNS-Deletionen, Genmutationen und einer überschnellen Abnutzung und Verkürzung der Telomere, also die schützenden Ende des Genoms [5].

Mittlerweile haben Wissenschaftler neben der Forschung an diesen und anderen Krankheiten, wie auch an den unterschiedlichsten Tierarten weitere Abertausende an DNS-Untersuchungen im Rahmen von Anti-Aging- und Langlebigkeitsstudien machen können, wodurch umfangreiche Datenbanken entstanden sind. Bis heute hat man dadurch mehr als 300 die Alterung beeinflussende Gene beim Menschen gefunden. Zählt man die Genfunde bei anderen Tierarten hinzu, sind es weit mehr als 2200 Gene. Manche von ihnen beschleunigen die Alterung, andere verlangsamen sie [6].

Wirkmechanismen von Langlebigkeits-Genen

  • Der Wirkmechanismus ist bei diesen Anti-Aging-Genen am häufigsten einer, der für Aufrechterhaltung der Integrität der Zelle, vor allem des Erbguts, verantwortlich ist.
  • Bei einer weiteren Gruppe dieser Gene geht es hingegen darum, einen Ruhezustand mit minimalem Energieaufwand hervorzurufen, wie er normalerweise bei Nährstoffmangel und z.B. im Winterschlaf bei manchen Tierarten auftritt.

Es scheint so zu sein, dass verminderte Aktivität ein Lebewesen langsamer altern und länger leben lässt.

Das kann mit ein Grund sein, warum ausreichender und langer Schlaf, regelmäßiges Fasten, aber auch lange Meditationen so heilsam sein können und als Anti-Aging-Maßnahmen gelten.

In welchem Ausmaß beeinflussen Gene die Langlebigkeit?

Nun da geklärt ist, dass es Gene gibt, die ein Lebewesen zu einem Fast oder Slow Ager machen und man diese auch nachweisen kann, stellt sich eine weitere Frage: Welche Rolle spielen diese Gene beim Menschen und wie groß ist ihr Einfluss auf unsere Alterungsgeschwindigkeit? Um diese Frage beantworten zu können, haben Wissenschaftler mehrere Herangehensweisen entwickelt:

Erforschung langlebiger Familien

Die erste ist die Erforschung langlebiger Familien und der direkte Vergleich zu ihrem Umfeld. So verglich man beispielsweise in der Langlebigkeitsstudie aus Leiden die Familien von über 90-jährigen mit denen der holländischen Allgemeinbevölkerung. Hierbei stellte man mit statistischen Berechnungen fest, dass wohl 25-30% der Langlebigkeit von den Genen herrührt [7].

Vergleich mit eingeheirateten normallebigen Familienmitgliedern

Doch Wissenschaftler monierten, dass in solchen langlebigen Familien auch ein gesünderer, also auf Anti-Aging ausgerichteter Lebensstil für das beobachtete längere Lebensalter verantwortlich sein könnte. Deshalb wurden z.B. in einer anderen Untersuchung, dieses Mal aus dem Süden Italiens und erneut bei über 90-Jährigen, nicht nur die direkt miteinander blutsverwandten Familienmitglieder mit ihrem Umfeld verglichen, sondern auch die in die Familien hinein geheirateten „normallebigen“ Italiener.

Es zeigte sich, dass die mit diesen Familien verschwägerten Menschen ebenfalls länger leben, dieses aber nicht so stark ausgeprägt war wie bei den miteinander direkt verwandten langlebigen Italienern. Interessanterweise fanden sich unter den in die Familie hineingeheirateten Studienteilnehmern übrigens Geschlechtsunterschiede: Frauen lebten länger als die Männer, bei den Männern schien also der genetische Einfluss stärker als bei den Frauen. Die Forscher berechneten in dieser Studie den Einfluss der Gene bei knapp 28%, wobei der Wert bei Frauen niedriger war [8].

Vergleich von Zwillingspaaren

Eine dritte und in der Forschung besonders häufig angewandte Möglichkeit, um den Einfluss der Gene beurteilen zu können, besteht für Wissenschaftler darin, dass man Zwillingspaare miteinander vergleicht. Aus Dänemark, welches seit dem 19. Jahrhundert akribisch eine Reihe an Gesundheitsdaten seiner Bevölkerung festhält, gibt es beispielsweise eine Untersuchung an 2872 Zwillingspaare, die zwischen 1870 und 1900 geboren wurden.

Da es sich bei einem Teil dieser Zwillinge um zweieiige Zwillinge handelt, also jenen, die unterschiedliche Gene haben und sich eher wie Geschwister denn echte Kopien ähneln, kann man sie mit sog. eineiigen Zwillingen, also genetisch sich exakt gleichende Menschen vergleichen. Da bei Zwillingen das Umfeld im Regelfall sehr ähnlich ist, erlaubt ein Vergleich dieser beiden Zwillingsarten, welcher Anteil die Gene ausmachen, in diesem Fall hinsichtlich der Alterungsgeschwindigkeit.

In besagter Studie wurde dann auch die sog. Heritabilität der Langlebigkeit berechnet. Auch hier wurde ein Geschlechtsunterschied festgestellt: Bei Männern betrug der erbliche Anteil der Alterungsgeschwindigkeit 26%, bei den Frauen 23% [9]. Diese Werte decken sich mit Zahlen aus anderen Zwillingsstudien aus Finnland, Holland, Norwegen, Schweden, Frankreich und Italien.

Wissenschaftler gehen mittlerweile davon aus, dass 25% der Langlebigkeit und damit der Alterungsgeschwindigkeit genetisch vorherbestimmt ist [10].

Der Geschlechtsunterschied konnte bisher allerdings nicht erklärt werden.

Setzt man diesen Wert einmal in den Kontext anderer Heritabilitätsberechnungen, z.B. bei Krebsarten (ca. 25-40%), psychischen Erkrankungen wie Depression (30-50%) oder Angststörungen (30-60%), wird offensichtlich: Ein genetischer Einfluss von 25% ist als eher niedriger Wert anzusehen.

Mit anderen Worten spielen Gene zwar in sehr seltenen Fällen wie z.B. den progeroiden Syndromen eine sehr große Rolle. Aber beim überwiegenden Teil von uns Menschen, die nicht davon betroffen sind, nur eine untergeordnete und weniger wichtige Rolle.

Fazit

Zusammenfassend kann festgehalten werden:

  • Man kann sich zwar glücklich schätzen, wenn man aus einer langlebigen Familie stammt. Doch wer lange, gesund und glücklich leben will, muss echte Anti-Aging-Medizin betreiben und die vielen Anti-Aging-Maßnahmen, die mittlerweile bestens erforscht worden sind, umsetzen.
  • Man hat es selber in der Hand, ob man ein Slow oder Fast Ager ist und wie man quasi für immer jung bleiben kann.

Welche Maßnahmen das sind, mehr dazu lesen Sie in kommenden Artikeln.

  1. Elliott ML et al. Disparities in the Pace of Biological Aging among Midlife Adults of the Same Chronological Age Have Implications for Future Frailty Risk and Policy. Nature Aging 2021; https://doi.org/10.1038/s43587-021-00044-4
  2. Johnson TE. Aging can be genetically dissected into component processes using long-lived lines of Caenorhabditis elegans. Proceedings of the National Academy of Sciences 1987; https://doi.org/10.1073/pnas.84.11.3777
  3. Friedman DB, Johnson TE. A mutation in the age-1 gene in Caenorhabditis elegans lengthens life and reduces hermaphrodite fertility. Genetics 1988; https://doi.org/10.1093/genetics/118.1.75
  4. Hyun M, Lee J, Lee K et al. Longevity and resistance to stress correlate with DNA repair capacity in Caenorhabditis elegans. Nucleic Acids Research 2008; https://doi.org/10.1093/nar/gkm1161
  5. Carrero D, Soria-Valles C, López-Otín C. Hallmarks of progeroid syndromes: lessons from mice and reprogrammed cells. Disease Models & Mechanisms 2016; https://doi.org/10.1242/dmm.024711
  6. Tacutu R, Thornton D, Johnson E et al. Human Ageing Genomic Resources: new and updated databases. Nucleic Acids Research 2017; https://doi.org/10.1093/nar/gkx1042
  7. Schoenmaker M, De Craen AJM, De Meijer PHEM et al. Evidence of genetic enrichment for exceptional survival using a family approach: the Leiden Longevity Study. European Journal of Human Genetics 2005; https://doi.org/10.1038/sj.ejhg.5201508
  8. Montesanto A, Latorre V, Giordano M et al. The genetic component of human longevity: analysis of the survival advantage of parents and siblings of Italian nonagenarians. European Journal of Human Genetics 2011; https://doi.org/10.1038/ejhg.2011.40
  9. Herskind AM, McGue M, Holm NV et al. The heritability of human longevity: A population-based study of 2872 Danish twin pairs born 1870–1900. Human Genetics 1996; https://doi.org/10.1007/bf02185763
  10. Skytthe A, Pedersen NL, Kaprio J et al. Longevity Studies in GenomEUTWin. Twin Research 2003; https://doi.org/10.1375/twin.6.5.448

Dr. med. Peter Niemann arbeitet als Geriater, Internist und Integrativmediziner vor allem in den USA. Der Autor einer Reihe von Gesundheitsratgebern bietet aber auch Beratungen zu Anti-Aging, Anti-Entzündung, Testosteronmangel und vielen anderen Themen an.

www.drpeterniemann.de

peterniemann@hotmail.de