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Das Mikrobiom beeinflusst maßgeblich die Alterung und Lebensspanne eines Menschen.
Das menschliche Mikrobiom umfasst die Gesamtheit der Mikroorganismen, die auf und in unserem Körper leben. Es hat in den letzten Jahrzehnten zunehmend wissenschaftliche Aufmerksamkeit erlangt. Diese Gemeinschaft von Bakterien, Viren, Pilzen und anderen Mikroben lebt hauptsächlich im Darm, aber auch auf der Haut, im Mund und in anderen Körperregionen.
Was mittlerweile vielen von uns bekannt ist: Diese Gemeinschaft spielt eine zentrale Rolle für unsere Gesundheit. So weisen neuere Forschungen eindeutig darauf hin, dass wir Menschen ohne das Mikrobiom nicht leben könnten, dass es nicht nur unsere Verdauung, Immunabwehr und psychische Gesundheit beeinflusst, sondern maßgeblich mit dem Alterungsprozess verknüpft ist.
Das Mikrobiom und seine Funktion
Das menschliche Mikrobiom besteht aus Billionen von Mikroorganismen, die in einem symbiotischen Verhältnis mit unserem Körper leben. Wissenschaftler schätzen allein die Gesamtzahl der Bakterien in einem 70 kg schweren Mann auf etwa 38 Billionen. Das entspricht in etwa 0,2-0,3 kg seines Gesamtgewichtes und liegt damit um etwa einem Drittel über der Zahl seiner Körperzellen von etwa 30 Billionen.
Zählt man Viren, Pilze und andere Mikroorganismen hinzu, kommt man auf ein Verhältnis von zwischen 2:1 bis 10:1, also einem deutlichen Überwiegen mikrobiotischer Zellen gegenüber unseren menschlichen [1].
Der überwiegende Teil dieser Mikroben befindet sich im Darm, hier vor allem im Dickdarm, wo sie eine komplexe Gemeinschaft bilden. Typische Bakterien sind Lactobacillus, Bifidobacterium und Bacteroides, aber es finden sich auch andere Bakterienarten, wie auch Viren und Pilze.
Funktionen des Mikrobioms
Unser Mikrobiom ist so individuell wie ein Fingerabdruck. Es ändert sich jedoch im Laufe des Lebens. Es wird geprägt durch die eigene Genetik sowie Faktoren wie Ernährung, Lebensstil und Umwelt. Seine wichtigsten Funktionen sind:
- Verdauung und Stoffwechsel: Mikroben helfen maßgeblich bei der Verdauung, gerade bei den schwer bis unverdaulichen Nahrungsbestandteilen. Dazu gehören Ballaststoffe bzw. Nahrungsfasern. Diese langkettigen Kohlenhydrate kommen vor allem in pflanzlichen Lebensmitteln vor. Sie sind für uns Menschen weitgehend unverdaulich, dafür aber im Dickdarm vom Mikrobiom verdaut. Bei dieser Verstoffwechslung entstehen kurzkettige Fettsäuren (SCFA), die eine wichtige Energiequelle für unsere Darmzellen sind.
- Immunregulation: Das Mikrobiom spielt eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung und Regulation des Immunsystems. Es trainiert das Immunsystem, zwischen harmlosen und schädlichen Substanzen zu unterscheiden.
- Schutz vor Krankheitserregern: Durch die Besetzung von ökologischen Nischen im menschlichen Körper verhindern nützliche Mikroben das Wachstum von Krankheitserregern.
- Produktion von Vitaminen und Neurotransmittern: Einige Mikroben stellen Vitamine her (z.B. die Vitamine K und B). Das Mikrobiom produziert zudem sogenannte Neurotransmitter wie Serotonin, das die Stimmung und Leistungsfähigkeit des Gehirns positiv beeinflusst.
Das Mikrobiom verändert sich im Laufe des Lebens
Das Mikrobiom ist keine dauerhaft unveränderliche Größe. Es passt sich vielmehr den Lebensgewohnheiten und -bedingungen an und verändert sich im Laufe des Lebens.
- Vor der Geburt ist das ungeborene Kind im Prinzip steril, besitzt also kein Mikrobiom. Das ändert sich schlagartig bei der Geburt: Das Mikrobiom eines Neugeborenen wird stark durch die Art der Geburt (vaginal oder per Kaiserschnitt) und die Ernährung (Muttermilch oder Formelmilch) beeinflusst. Per Kaiserschnitt geborene Kinder haben beispielsweise Darmbakterien, die eher den Mikroben der mütterlichen Haut denn denen der Scheidenflora ähneln. Das führt dazu, dass diese Kinder viel häufiger unter Übergewicht, Nahrungsunverträglichkeiten, Diabetes mellitus, Asthma und Allergien leiden als vaginal geborene Kinder [2]. Gleiches trifft auf Kinder zu, die mit Formel- statt mit Muttermilch ernährt wurden. Das Mikrobiom von gestillten Kindern weist deutliche Unterschiede auf, die zu einer Vielzahl an Gesundheitsvorteilen führt wie niedrigere Allergiequote, verbessertes Immunsystem oder bessere Verdauungsfunktion [3].
- Im Verlauf der frühen Kindheit entwickelt sich das Mikrobiom schnell weiter und stabilisiert sich weitestgehend zwischen dem 3. und 4. Lebensjahr.
- Dennoch entwickelt sich das Mikrobiom weiter, um im späten Jugend- und frühen Erwachsenenalter seine höchste Diversität zu erreichen. Dieses Niveau hält im (gesunden) Erwachsenenalter über viele Jahrzehnte.
Bei Krankheiten und Veränderungen des Lebensstils kann sich das Mikrobiom zum Teil dramatisch verändern. Das macht sich zum Beispiel auf längeren Reisen, einer Krankheit oder Einnahme von Antibiotika bemerkbar durch verändertes Darmverhalten und Gesundheitsgefühl.
Im fortgeschrittenen Alter tritt jedoch eine Änderung ein und die Vielfalt der Mikroben nimmt ab. Diese Veränderungen sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich und von einer Reihe an Faktoren abhängig. Kommt es bei manchen Menschen bereits mit 60 Jahren zu Veränderungen des Mikrobioms ist das bei anderen erst mit 90 oder 100 Jahren der Fall. Dabei kommt es oftmals zu einer sogenannte Dysbiose - einem Ungleichgewicht der mikrobiellen Gemeinschaft. Das wiederum wird mit verschiedenen altersbedingten Krankheiten in Verbindung gebracht.
Wie beeinflusst das Mikrobiom die Alterung?
Das Mikrobiom beeinflusst die Alterung über eine Vielzahl an Wegen. Fünf davon gelten als besonders bedeutsam [4]:
Chronische Entzündungen bzw. Inflammaging
Die Dysbiose ist durch eine Abnahme der nützlichen Mikroben wie Bifidobakterien oder Laktobazillen und eine Zunahme potenziell entzündungsfördernder Bakterien gekennzeichnet. Diese Veränderungen können die Darmbarriere schwächen. Das wird auch als "Leaky Gut" bezeichnet und bedeutet, dass der Darm durchlässiger wird. Auf diese Weise können bakterielle Bestandteile wie Lipopolysaccharide in den Blutkreislauf gelangen und eine zwar auf niedrigem Niveau ablaufende, aber dauerhaft bestehende Entzündungsreaktion auslösen. Diese als Inflammaging bezeichnete Reaktion steht mit Krankheiten wie Gelenkbeschwerden, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Alzheimer-Demenz in Verbindung.
Immunsystem und Immunseneszenz
Das Immunsystem verliert im Laufe des Lebens an Effizienz, ein Phänomen, das als Immunseneszenz bezeichnet wird. Das Mikrobiom spielt eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung einer ausgewogenen Immunantwort: Eine Dysbiose kann die Immunseneszenz beschleunigen, indem sie die Fähigkeit des Immunsystems, auf Infektionen zu reagieren, schwächt und gleichzeitig chronische Entzündungen fördert.
Produktion von kurzkettigen Fettsäuren (SCFAs)
Kurzkettige Fettsäuren wie Butyrat, Acetat und Propionat sind Stoffwechselprodukte von Darmmikroben, die entzündungshemmende Eigenschaften besitzen. Damit tragen sie nicht nur zur Gesundheit des Darmes, sondern des gesamten Körpers bei. Mit zunehmendem Alter nimmt die Produktion von SCFAs oft ab, was die Entzündungsneigung im Körper verstärkt und so die Krankheitsanfälligkeit erhöht. Eine Vielzahl an wissenschaftlichen Untersuchungen ergab, dass ein Rückgang von Butyrat-produzierenden Bakterien wie Faecalibacterium prausnitzii mit einem erhöhten Risiko für altersbedingte Krankheiten wie Schlaganfällen, Herzinfarkten, der Entwicklung von Diabetes oder neurologischen Erkrankungen verbunden ist [5].
Gehirngesundheit durch die Darm-Hirn-Achse
Die Darm-Hirn-Achse erlaubt die Kommunikation zwischen Darm und Gehirn und wird unter anderem durch das Mikrobiom vermittelt. So stellen Mikroben Neurotransmitter und andere Moleküle her, die die Gehirnfunktion beeinflussen. Das hilft auch zu verstehen, warum gutes, gesundes Essen tatsächlich glücklich und eine schlechte Ernährung depressiv machen kann: Die Bakterien bzw. die von ihnen hergestellten Stoffe lassen uns die Qualität unserer Nahrung direkt spüren. Eine Dysbiose führt über ähnliche Mechanismen nicht nur zur erhöhten Anfälligkeit von psychischen Erkrankungen wie Depression, Schwächegefühl und Angststörungen. Sie beeinträchtigt auch die Denkleistungsfähigkeit und erhöht das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson. Studien zeigen, dass ein gesundes Mikrobiom die Produktion von neuroprotektiven Substanzen wie Butyrat fördert, die die Gehirngesundheit unterstützen [6].
Stoffwechsel und Energiehaushalt
Das Mikrobiom beeinflusst den Stoffwechsel, indem es die Aufnahme von Nährstoffen reguliert und beispielsweise die Insulinempfindlichkeit moduliert. Eine Dysbiose kann zu Stoffwechselstörungen wie Insulinresistenz führen, die mit Typ-2-Diabetes und anderen altersbedingten Krankheiten assoziiert sind. Darüber hinaus beeinflusst das Mikrobiom die Energieproduktion in den Mitochondrien, was wiederum die Zellalterung beeinflussen kann.
Strategien für ein gesundes Mikrobiom und gesundes Altern
In der Wissenschaft ist seit längerem bekannt, dass das Mikrobiom maßgeblich Alterung und Lebensspanne eines Menschen beeinflusst. Forschungen an besonders langlebigen Menschen wie in den Blue Zones zeigen: Menschen aus Regionen mit einer hohen Zahl an Hundertjährigen besitzen oft ein vielfältigeres und ausgewogeneres Mikrobiom als ihre Altersgenossen aus Regionen mit einer kürzeren Lebensspanne [7]. All das deutet also darauf hin, dass ein gesundes und hoch-diversifiziertes Mikrobiom ein Schlüssel zu gesundem Altern sein könnte.
Was sind nun mögliche Strategien zur Förderung eines gesunden Mikrobiomes und einer gesunden Alterung? Die wichtigsten umfassen Ernährung, Lebensstil, Probiotika, Präbiotika und die Vermeidung von unnötigen Antibiotika:
4 Strategien für ein gesundes Mikrobiom
1) Ernährung
Die Ernährung ist wohl der wichtigste Faktor für die Zusammensetzung des Mikrobioms. Eine Ernährung, die reich an Ballaststoffen, pflanzlichen Lebensmitteln und fermentierten Produkten ist, fördert die Vielfalt und Gesundheit des Mikrobioms. Dazu gehören:
- Ballaststoffreiche Lebensmittel: Vollkornprodukte, Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte fördern die Produktion von SCFAs und unterstützen nützliche Bakterien wie Bifidobacterium und Lactobacillus.
- Fermentierte Lebensmittel wie Joghurt, Kefir, Sauerkraut, Kimchi und Kombucha enthalten lebende Mikroben, die das Mikrobiom bereichern können.
- Polyphenolreiche Lebensmittel: Polyphenole in Lebensmitteln wie dunkler Schokolade, Rotwein (in Maßen), Beeren und Nüssen wirken antioxidativ und fördern das Wachstum nützlicher Mikroben.
- Vermeidung von verarbeiteten Lebensmitteln: Zuckerreiche, stark verarbeitete Lebensmittel und künstliche Süßstoffe können das Mikrobiom negativ beeinflussen und sollten reduziert werden.
2) Probiotika und Präbiotika
- Probiotika sind lebende Mikroorganismen, die bei Einnahme in ausreichender Menge gesundheitliche Vorteile bieten. Probiotische Nahrungsergänzungsmittel oder Lebensmittel können helfen, die mikrobielle Balance wiederherzustellen, insbesondere nach Antibiotika-Behandlungen.
- Präbiotika hingegen sind unverdauliche Nahrungsbestandteile, die das Wachstum nützlicher Mikroben fördern, zum Beispiel Inulin, Fructooligosaccharide und Galactooligosaccharide. Sie kommen in Lebensmitteln wie Zwiebeln, Knoblauch, Bananen und Spargel vor.
3) Lebensstil
Dazu zählt ausreichende Bewegung, guter Schlaf und die Vermeidung von Stress.
- Regelmäßige körperliche Aktivität fördert die mikrobielle Vielfalt und die Produktion von SCFAs.
- Ausreichender und qualitativ hochwertiger Schlaf ist wichtig um die mikrobielle Balance im Darm aufrechtzuerhalten.
- Chronischer Stress kann zur Dysbiose führen. Techniken wie Meditation, Yoga oder Achtsamkeitsübungen können helfen, das Mikrobiom gesund zu halten.
4) Vermeidung von übermäßigem Antibiotika-Einsatz
Antibiotika können das Mikrobiom erheblich stören, indem sie schädliche als auch nützliche Bakterien abtöten. Ein übermäßiger oder unnötiger Einsatz von Antibiotika sollte vermieden werden. Nach einer Antibiotika-Behandlung sollten Pro- und Präbiotika sowie fermentierte Produkte in Betracht gezogen werden, um das Mikrobiom wiederherzustellen.
Die moderne Anti-Aging-Medizin hat mittlerweile erkannt, dass das Mikrobiom höchstindividuell ist. Sie setzt moderne Technologien wie die Sequenzierung des Mikrobioms ein, um dessen Zusammensetzung zu bestimmen und maßgeschneiderte Empfehlungen zu geben. Anti-Aging-Mediziner können dafür eine Anlaufstelle sein.
- Sender R, Fuchs S, Milo R. Revised Estimates for the Number of Human and Bacteria Cells in the Body. PLOS Biology 2016; https://doi.org/10.1371/journal.pbio.1002533
- Buffington P, Sebghati AM, Stewart KB et al. Consequences of a cesarean section on the neonatal gut microbiome and future outcomes: a qualitative analysis of the literature. Microbiota and Host 2023; https://doi.org/10.1530/mah-23-0006
- Inchingolo F, Inchingolo AM, Latini G et al. Difference in the Intestinal Microbiota between Breastfeed Infants and Infants Fed with Artificial Milk: A Systematic Review. Pathogens 2024; https://doi.org/10.3390/pathogens13070533
- Kanimozhi NV, Sukumar M. Aging through the lens of the gut microbiome: Challenges and therapeutic opportunities. Archives of Gerontology and Geriatrics Plus 2025; https://doi.org/10.1016/j.aggp.2025.100142
- Fernandes MF, de Oliveira S, Portovedo M et al. Effect of Short Chain Fatty Acids on Age-Related Disorders. Advances in Experimental Medicine and Biology 2020; https://doi.org/10.1007/978-3-030-42667-5_4
- Almeida C, Oliveira R, Soares R et al. Influence of gut microbiota dysbiosis on brain function. Porto Biomedical Journal 2020; https://doi.org/10.1097/j.pbj.0000000000000059
- Aliberti SM, Capunzo M, Funk RHW. Systems and Molecular Biology of Longevity and Preventive Medicine: Brain-Energy-Microbiome-Exposome Synergies in Blue Zones and the Cilento Case. International Journal of Molecular Sciences 2025; https://doi.org/10.3390/ijms26167887
Autor

Dr. med. Peter Niemann arbeitet als Geriater, Internist und Integrativmediziner vor allem in den USA. Der Autor einer Reihe von Gesundheitsratgebern bietet aber auch Beratungen zu Anti-Aging, Anti-Entzündung, Testosteronmangel und vielen anderen Themen an.


