Auszüge aus HeilpflanzenTinktur oder Urtinktur aus Heilpflanzen - was ist der Unterschied?

Pflanzliche Tinkturen und Urtinkturen unterscheiden sich nicht nur in ihrer Herstellung. Auch ihre Wirkweise und Zusammensetzung können verschieden sein. 

Braunfläschchen inmitten von Schalen mit Blüten
chamillew/stock.adobe.com

Tinkturen und Urtinkturen unterscheiden sich wesentlich in den Herstellungsvorschriften.

Bei Tinkturen und Urtinkturen handelt es sich bis auf wenige Ausnahmen um alkoholische Auszüge aus Heilpflanzen. Als Extraktionsmittel bietet Alkohol (Ethanol) viele Vorteile: Zum einen sorgt Alkohol für eine Konservierung der meisten wichtigen Pflanzeninhaltsstoffe. Tinkturen und Urtinkturen sind damit in der Regel 2 bis 3 Jahre haltbar und wirksam. Zum anderen löst Alkohol viele fettlösliche Wirkstoffe aus den Pflanzen, die bei der Teeherstellung nur bedingt in Lösung gehen. So eignen sich alkoholische Auszüge beispielsweise besonders gut für Pflanzen, die reich an ätherischem Öl sind. Denn ätherisches Öl ist in Wasser nur schwer, in Alkohol jedoch gut löslich.

Urtinkturen und Tinkturen bestehen nie aus 100 %-igem Alkohol, wodurch sich immer auch ein Wasseranteil im Auszug befindet. Verwenden wir zum Beispiel 70 %-igen Ethanol bei der Herstellung, enthält die Flüssigkeit auch 30 % Wasser. Dieser Wasseranteil sorgt dafür, dass sich in Tinktur bzw. Urtinktur auch wasserlösliche Bestandteile einer Pflanze befinden.

Häufige Missverständnisse in der Tinktur- bzw. Urtinkturherstellung

  1. Unterschiedliches Ausgangsmaterial: Der Unterschied zwischen Tinktur und Urtinktur sei das verwendete Pflanzenmaterial, ist oft zu lesen. Für die Herstellung von Tinkturen würden getrocknete, für die Urtinkturen frische Pflanzenteile verwendet. Diese Aussage reicht für eine erste Einordnung, ist aber im Einzelfall nicht immer korrekt. Wie Du in diesem Beitrag sehen wirst, unterscheiden sich Tinkturen und Urtinktur wesentlich in den Herstellungsvorschriften.
  2. Urtinkturen sind keine homöopathischen Arzneimittel: Die Aussage, dass Tinkturen phytotherapeutische, Urtinkturen homöopathische Arzneimittel seien, ist nicht korrekt. Urtinkturen sind zwar Ausgangssubstanzen für Homöopathika, wirken selbst aber nicht homöopathisch [1]. Das homöopathische Wirkprinzip kommt nach dem Verständnis der homöopathischen Lehre erst zur Geltung, wenn die Ausgangssubstanz nach spezifischen Vorschriften rhythmisch verdünnt wurde (Potenzierung). Wird eine Urtinktur im Verhältnis 1:10 potenziert, erhalten wir die erste Dezimalverdünnung D1. In der D1 sind noch ausreichend pflanzliche Wirkstoffe vorhanden, sodass eine stoffliche Wirkung zu erwarten ist; aber auch ein homöopathisches Wirkprinzip ist denkbar [2]. Dies gilt jedoch nicht für alle Dezimalverdünnungen der Stufe D1. Ein Sonderfall sind unter diesem Aspekt einzelne Urtinkturen, die im Verhältnis 1:10 (1 Teil Pflanzenmaterial, 10 Teile Alkohol) aus getrockneten Ausgangssubstanzen hergestellt werden. Diese entsprechen laut Herstellern und Arzneibuch der ersten Potenzierungsstufe D1, obwohl noch kein Potenzierungsverfahren angewandt wurde. Aus diesem Grund ist meiner Meinung nach auch noch keine homöopathische Wirkung zu erwarten.
  3. Urtinkturen müssen keine Auszüge auf Alkoholbasis sein: Es gibt Firmen, die stellen haltbare wässrige Auszüge aus Pflanzen her und nennen diese auch Urtinkturen. In diesem Beitrag beziehe ich mich jedoch auf Urtinkturen auf Alkoholbasis.
  4. Für Urtinkturen und Tinkturen werden nicht immer die gleichen Pflanzenteile verwendet: Ein weiteres Missverständnis ist, dass Tinkturen und Urtinkturen stets die gleichen Pflanzenteile verwenden. Dies ist meistens korrekt, es gibt aber Ausnahmen. Für die Tinktur von Arnika (Arnica montana) werden beispielsweise die Blüten, für die Urtinktur in der Regel die Wurzeln der Pflanze verwendet. [3].

Wenn ich in diesem Beitrag von Herstellungsvorschriften schreibe, meine ich jene der offiziellen Arzneibücher. Die Herstellung gemäß diesen Vorschriften ist die Voraussetzung dafür, dass eine Tinktur oder Urtinktur als Arzneimittel vertrieben werden kann.

Stellst Du Tinkturen oder Urtinkturen nach einer anderen Vorschrift her, können diese dennoch sehr gut wirksam sein, auch wenn sie keine Arzneibuchqualität haben.

Wie Urtinkturen hergestellt werden

Die Urtinktur (Kurzzeichen: ø) wird auch Tinctura materna genannt. Sie wird nach den Vorschriften des Europäischen Arzneibuches (Pharmacopoeia Europaea = Ph. Eur.) hergestellt. Diese Vorschriften im Europäischen Arzneibuch sind meist allgemein gehalten. Die detaillierteren Angaben des Homöopathischen Arzneibuchs (HAB) ergänzen diese in Deutschland. Die Vorschriften im HAB sind sehr ausführlich. Dort werden über 60 verschiedene Verfahren beschrieben, die als Grundlage für die Herstellung homöopathischer und anthroposophischer Arzneimittel dienen.

Wie alkoholische Urtinkturen aus Heilpflanzen herzustellen sind, schreiben 5 Vorschriften vor. 4 davon widmen sich der Herstellung aus frischem, die Vorschrift 4a hingegen der aus getrocknetem Pflanzenmaterial. Welche Vorschrift und welcher Alkoholgehalt anzuwenden sind, hängt von der jeweiligen Heilpflanze ab. Für eine Urtinktur aus Gelbwurz (Curcuma longa) beispielsweise empfiehlt das HAB in Vorschrift 4a die Verwendung getrockneter Gelbwurz und einen Auszug in 62%-igem Ethanol. Für eine Urtinktur aus der Brennnessel (Urtica urens) empfiehlt das HAB-Vorschrift 2a die Verwendung von frischem Brennnesselkraut und einen Auszug in 52%-igem Ethanol.

Immer wenn eine Urtinktur nach der Vorschrift 4a des HAB hergestellt worden ist, wurde als Ausgangssubstanz trockenes Pflanzenmaterial verwendet. Daneben wird bei der Vorschrift 4a stets das Verhältnis 1:10 (Pflanzensubstanz zu Alkohol) gewählt. Bei anderen Vorschriften ist der Anteil der Pflanzensubstanz im Verhältnis zum Alkohol größer.

Tinkturen oder Urtinkturen kombinieren?

Wie bereits angedeutet, wirken Tinkturen und Urtinkturen wirkstoffbasiert, das heißt: Ihre Wirkung basiert auf den in ihnen enthaltenen pflanzlichen Wirkstoffen. Welcher Anteil des großen Spektrums an Wirkstoffen einer Pflanze in einem alkoholischen Auszug zu finden ist, bestimmt die Herstellungsvorschrift: Welcher Alkohol wurde verwendet, und wurde frisches oder getrocknetes Pflanzenmaterial verarbeitet?

In meiner Praxis habe ich vor allem Erfahrungen mit Tinkturen gesammelt. Einzelnen Untersuchungen zufolge findet sich in Tinkturen aus getrocknetem Material ein anderes Spektrum an Wirkstoffen als in Urtinkturen aus frischem Material [4]. Das kann daher kommen, dass sich einzelne Wirkstoffe erst beim Trocknen der Pflanze durch enzymatische Prozesse bilden. Andererseits gehen beim Trocknungsprozess auch flüchtige Bestandteile aus dem ätherischen Öl der Pflanze verloren. Ein Urtinktur aus der frischen Pflanze kann daher einen höheren Anteil an ätherischem Öl enthalten als die Tinktur.

Leider geht die Anzahl an Herstellern von Tinkturen zurück, das Angebot schwindet dadurch. Anders sieht es zum Glück noch bei den Urtinkturen aus. Da diese für den großen homöopathischen Markt benötigt werden, werden sie noch in entsprechend großer Menge produziert. Für mich als Phytotherapeuten bieten Urtinkturen somit eine Ergänzung zum Angebot an Tinkturen. Bisweilen kombiniere ich Tinktur und Urtinktur einer Pflanze, wenn sich die Inhaltsstoffspektren der beiden ergänzen.

Und zum Schluss

Ich hoffe, ich konnte die Unterschiede zwischen Tinktur und Urtinktur verständlich erklären. Ich habe mich dabei auf die fokussiert, die hinsichtlich der Herstellungsvorschriften der Arzneibücher relevant sind.

Für Deine Eigenherstellung zuhause sind diese Herstellungsvorschriften nur als eine Orientierung zu sehen. Für Dich kann weiterhin gelten: Für Urtinkturen sind frische Pflanzenteile, für Tinkturen getrocknetes Pflanzenmaterial verwendet worden.

Wichtiger Hinweis!

Wie jede Wissenschaft ist die Heilpflanzenkunde ständigen Entwicklungen unterworfen. Soweit in diesem Beitrag medizinische Sachverhalte, Anwendungen und Rezepturen beschrieben werden, handelt es sich naturgemäß um allgemeine Darstellungen, die eine individuelle Beratung, Diagnose und Behandlung durch eine Ärztin, einen Arzt oder eine/einen Apothekerin nicht ersetzen können. Jede/Jeder Nutzende ist für die etwaige Anwendung und vorherige sorgfältige Prüfung von Dosierungen, Applikationen oder sonstigen Angaben selbst verantwortlich. Autoren und Autorinnen und Verlag haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass diese Angaben bei ihrer Veröffentlichung dem aktuellen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung für Schäden oder andere Nachteile ist jedoch ausgeschlossen.

Für die meisten Heilpflanzen fehlen Studien zu Unbedenklichkeit bei der Anwendung in der Schwangerschaft und während der Stillzeit, sowie bei Säuglingen, (Klein-)Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren. Alle beschriebenen Anwendungen sollten daher, sofern nicht ausdrücklich im Beitrag anders beschrieben, bei diesen Personen und in diesen Lebensphasen nicht ohne ärztliche Zustimmung angewendet werden.

  1. Csupor D, Boros K, Hohmann J. Low potency homeopathic remedies and allopathic herbal medicines: is there an overlap? PLoS One 2013; 8: 74181. DOI: 10.1371
  2. Jütte R, Riley D. A review of the use and role of low potencies in homeopathy. Complementary therapies in medicine 2005; 13: 291–296. DOI: 10.1016
  3. Duthen S, Gadéa A, Trempat P et al. Comparison of the Phytochemical Variation of Non-Volatile Metabolites within Mother Tinctures of Arnica montana Prepared from Fresh and Dried Whole Plant Using UHPLC-HRMS Fingerprinting and Chemometric Analysis. Molecules 2022; 27: 2737. DOI: 10.3390
  4. Biber A, Franck-Karl G, Waimer F et al. Analytical characterisation of homoeopathic mother tinctures. Pharmeuropa scientific notes 2009; 1: 1–4

Heilpraktiker mit dem Therapieschwerpunkt Phytotherapie

Erfahren Sie mehr über den Autor