
Wer viel sitzt, profitiert von diesem Faszien-Programm!
Einseitige Bewegungsabläufe im Alltag, Rundrücken mit eingedrehten Schultern beim Sitzen, eingeschränkte Drehbeweglichkeit im Oberkörper, Rotation des Beckens gegenüber den Beinen, Ein- und Auswärtsdrehungen in den Fuß- oder Kniegelenken, Dysbalancen durch Sportarten wie Tennis … Alles gute Gründe, Ihre Spirallinien zu aktivieren und zu trainieren!
Die Spirallinien kurz erklärt
Das wohl bekannteste und meistzitierte myofasziale Konzept ist das myofasziale Leitbahnen-Modell von Myers, das dieser in jahrelanger Praxis als Therapeut entwickelte. Es unterscheidet 11 myofasziale Leitbahnen (»anatomy trains«), und zwar Spiral- und Laterallinien, oberflächliche Rücken- und Frontallinien, Armlinien, funktionelle Linien sowie die tiefen Frontallinien
Die Spirallinien winden sich wie eine Wendeltreppe durch unseren Körper. Sie bilden die strukturgebende Hülle für die weiteren myofaszialen Zuglinien. Entsprechend sind sie maßgeblich für die Aufrechterhaltung des Stütz- und Bewegungsapparates.
Die Spirallinien (SPL) ermöglichen Rotations- und Spiralbewegungen und leiten Zugkräfte von der oberen in die untere Körperhälfte und vice versa. Ihre Spiralform verleiht dem Haltungsapparat bei der Entstehung, Kompensation und Aufrechterhaltung von Rotationen und Lateralverschiebungen zudem Stabilität. Die SPL zu trainieren, empfiehlt sich als Einstieg, da bei diesem Programm eine erhöhte Körperstabilität und höhere Kräfte bei der Bewegung im Fokus stehen, jedoch ohne aus dem Körperlot zu geraten.
Die SPL entspringen auf der Körperrückseite links und rechts an den Schädelseiten und sind über den oberen Rücken mit den diagonal liegenden Schulterblättern verbunden. Von dort führen sie zur Körpervorderseite über den Brustkorb zur Hüfte, kreuzend auf Höhe des Bauchnabels (s. unten links). Ausgehend von der Hüfte verlaufen die Linien entlang der vorderen seitlichen Oberschenkelmuskulatur und der Schienbeine zur Innenseite des Fußgewölbes. Sie führen unter dem Fuß hindurch und die hinteren seitlichen Beinmuskeln bis zum Sitzbein hinauf. In den Rückenstrecker mündend, enden die SPL schließlich nahe dem Ursprung an den Schädelrückseiten (s. unten rechts).

Auf der Körpervorderseite kreuzen sich die Spirallinien auf der Höhe des Bauchnabels (links).
Die Spirallinien können andere Faszienlinien beeinflussen
Die SPL queren die anderen myofaszialen Zuglinien. Daher kommt es zu einer gegenseitigen Beeinflussung. Im ungünstigen Fall sind Fehlfunktionen die Folge, beispielsweise hervorgerufen durch dominant ausgeprägte Körperseiten. Diese können durch einseitige Bewegungsabläufe im Berufs- oder Sportalltag entstehen und führen zu Kompensationsbewegungen und asymmetrischen Haltungsmustern. Zwar kann der Körper Unterschiede innerhalb einer Toleranzgrenze ausgleichen. Sobald diese jedoch überschritten wird, greifen die körpereigenen Ausgleichsmechanismen nicht mehr und es treten Fehlfunktionen auf.
Die unteren SPL sind hauptsächlich an der Hüft-, Knie- und Fußstellung beteiligt und ermöglichen so eine exakte Spurführung beim Gehen, Rennen und Springen. Eine nicht exakte Spurführung führt zu kompensatorischen Haltungsmustern. So kann eine Ein- (Pronation) oder Auswärtsdrehung (Supination) in den Sprunggelenken entstehen mit Spätfolgen wie Arthrose.
Bei Kompensationsmustern im Oberkörper ist der obere Teil der SPL auf einer Körperseite durch sitzende Fehlhaltungen – meist Rundrücken mit eingedrehter Schulter – muskulär häufig verkürzt, beispielsweise von der linken hinteren Kopfseite über die rechte Schulter und die rechten Rippen bis zur linken Hüfte. Eine derartige Bewegungseinschränkung wirkt sich auf den gesamten Haltungsapparat aus und lässt sich leicht am körperlichen Erscheinungsbild ablesen, z. B. an einer Rotation der Rippen gegenüber dem Becken sowie einem zur Seite verschobenen Kopf. Ebenso kann es zu einer Verschiebung der Schultern nach vorne kommen.
Testen Sie Ihre Spirallinien
Durch einseitige Oberkörperrotationen wird die Verwringungsfähigkeit der Wirbelsäule überprüft. Durch Links- oder Rechtsdrehung wird die gegenüberliegende obere Spirallinie gedehnt, die andere bleibt stabil nach vorne ausgerichtet. Bewegungseinschränkungen werden so sichtbar.
Grundstellung: Stellen Sie sich aufrecht im hüftbreiten Stand vor einen Tisch. Richten Sie Hüfte und Becken zentral aus, indem Sie mit den Oberschenkeln die Tischkante berühren. Halten Sie diesen Kontakt
während der gesamten Übung aufrecht, um Ausweichbewegungen mit der Hüfte und dem Becken zu vermeiden. Verschränken Sie die Arme vor der Brust, Ihr Blick ist nach vorne gerichtet.
Ausführung:
- Wenn Sie die Grundstellung eingenommen haben, drehen Sie den Oberkörper langsam nach rechts. Der Kopf folgt der fließenden Drehbewegung. Sobald Sie ein Ziehen im Oberkörper verspüren, verharren Sie in dieser Position. Strecken Sie nun Ihre Arme seitlich auf Schulterhöhe aus.
- Schätzen Sie den erzielten Rotationswinkel mithilfe des rechten Armes ein. Nutzen Sie dazu das Bild des Ziffernblattes einer Uhr: Zeigt der Arm in Richtung 4, 5 oder 6 Uhr?
- Lösen Sie die Haltung behutsam auf. Vergleichen Sie das Ergebnis mit der unten links stehenden Prüfampel.
- Führen Sie den Test nun auf der Gegenseite durch. Achten Sie erneut darauf, dass die Rotationsbewegung langsam und gegen Ende nicht ruckartig ausgeführt wird. Verharren Sie in der Endposition.
- Schätzen Sie die Rotationsposition mithilfe Ihres linken Armes ein: Können Sie sich auf 8, 7 oder 6 Uhr aufdrehen?
- Lösen Sie die Haltung wiederum behutsam auf. Vergleichen Sie das Ergebnis mit der Prüfampel.

Links sehen Sie die Grundstellung. Drehen sich Ihre Arme nur auf 4 und 8 Uhr, sollten Sie die Übungen häufig (alle 2 Tage) durchführen (rechtest Bild).

Bei einem Rotationswinkel auf 5 und 7 Uhr (links) sollten Sie die Übungen immer mal wieder durchführen (1 mal die Woche). Können Sie beide Arme auf 6 Uhr rotieren, liegen keine Einschränkungen vor.
Prüfampel:
- Achtung! Falls Sie Ihre Arme nur auf ca. 4 Uhr (rechter Arm) bzw. 8 Uhr (linker Arm) positionieren können (Bild oben rechts), ist die Funktionalität Ihrer SPL deutlich eingeschränkt. Sie sollten diese mithilfe unserer Übungen gezielt verbessern.
- Vorsicht! Bei einem Rotationswinkel auf ca. 5 Uhr (rechter Arm) bzw. 7 Uhr (linker Arm) (Bild unten links) liegen leichte Bewegungseinschränkungen vor, die die Funktionalität Ihrer SPL beeinträchtigen. Führen Sie unser Programm immer wieder durch.
- Weiter so! Sie können Ihre Arme auf ca. 6 Uhr (rechter und linker Arm) rotieren (Bild unten rechts). Es liegen keine Einschränkungen der Funktionalität Ihrer SPL vor. Bauen Sie präventiv Übungen zur SPL in Ihren (Trainings-)Alltag ein.
Unsere Übungen sind teils sanft, teils dynamisch, jedoch sicher und gesundheitsfördernd, auch für zunächst unerfahrene Übende. Aus diesem Grunde haben wir den Programmen keinen Warnkatalog beigefügt. Unsere Programme sind selbstinstruktiv angelegt. Deshalb müssen wir auf Sie als mündige Übende setzen! Selbstverständlich gilt es, bei Einschränkungen, wie sie z. B. bei Beschwerden im unteren Rücken auftreten können, Vorsicht walten zu lassen. Insbesondere bei akuten Verletzungen sowie kürzlich durchgeführten Operationen ist Vorsicht angeraten. Wenn Sie Zweifel haben, fragen Sie eine Ärztin bzw. einen Arzt und klären Sie, ob und wie Sie trainieren können.
3 Faszienübungen für Vielsitzer
Beine pendeln & kicken
- Stellen Sie sich aufrecht und hüftbreit hin. Verlagern Sie Ihr Gewicht auf das linke Bein und lösen Sie das rechte Bein vom Boden. Schwingen Sie nun locker das rechte Bein möglichst gestreckt diagonal von rechts-hinten nach links-vorne.
- Kicken Sie immer dynamischer nach vorne. Die Arme schwingen gegengleich mit. Dabei atmen Sie gleichmäßig ein und aus. Dann die Übung mit dem anderen Bein ausführen.
Das bringt’s: Mobilisierung der Hüft- und Sprunggelenke und Förderung der Gleichgewichtsfähigkeit.
Rückkehr: Kehren Sie in den aufrechten Stand zurück und schütteln Sie die Beine aus.

Fangen Sie langsam an und kicken Sie immer dynamischer nach vorne. Die Arme schwingen gegengleich mit.

Tipp: Bei Gleichgewichtsproblemen benutzen Sie einen Stuhl zum Festhalten. Erweitern Sie die Bewegungsweite, indem Sie das Bein immer schwungvoller von hinten nach vorne »kicken«.
Gesäßmuskeln dehnen
- Legen Sie im Sitzen den rechten Knöchel auf Ihr linkes Knie, das rechte Knie zeigt nach außen. Beugen Sie den Oberkörper ausatmend mit geradem Rücken vor, bis es rechts im Gesäß zieht. Intensivieren Sie mit kleinen Wippbewegungen den Dehnreiz.
- Wippen Sie im Halbkreis mit dem Oberkörper und behalten Sie dabei die Dehnspannung bei. Gleichmäßig ein- und ausatmen. Dann folgt der Beinwechsel.
Das bringt’s: Dehnen der myofaszialen Anteile der Gesäßmuskulatur, die z. B. als Folge langer Sitztätigkeiten verkürzt sein können.
Rückkehr: Lösen Sie behutsam die Dehnung auf und spüren Sie nach.

Tipp: Mit kleinen Wippbewegungen beginnen. Wenn möglich den Oberkörper mehr nach vorne neigen und dann die Wippbewegungen ausführen.

Zuerst nur gerade nach vorne, dann im Halbkreis wippen.
Körper aufdrehen
- Sie beginnen im Stand. Führen Sie mit dem rechten Bein einen Ausfallschritt nach vorne aus. Das rechte Bein ist leicht gebeugt, das linke Bein ist gestreckt. Drehen Sie den Oberkörper nach rechts auf.
- Führen Sie den linken Arm nach vorne-oben und greifen Sie mit der anderen Hand hinter dem Rücken den Oberschenkel. Das Becken bleibt nach vorne ausgerichtet. Halten Sie die Position mehrere Atemzüge. Dann machen Sie die Übung zur anderen Seite.
Das bringt’s: Dehnung und Mobilisation der gesamten Spirallinien.
Rückkehr: Kehren Sie in den aufrechten Stand zurück und spüren Sie nach.

Drehen Sie den Oberkörper in Richtung des oberen Beins auf.

Tipp: Führen Sie mit der linken Hand kleine Wippbewegungen nach hinten-oben durch, um die Dehn- und Mobilisationseffekte zu
erhöhen.
Wer viel sitzt und sich zu wenig bewegt, leidet oft unter schmerzhaften Verspannungen im Rücken, Nacken oder Schultern und fühlt sich insgesamt steif und unbeweglich. Wenn Ihnen im Alltag oft die Zeit für mehr Bewegung fehlt, ist das Buch "Das einfachste Faszien-Übungsbuch aller Zeiten" genau das Richtige für Sie!
Autoren
Prof. Dr. Norbert Fessler ist Professor für Gesundheits- und Körperbildung an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Seit mehr als 30 Jahren beschäftigt er sich privat wie beruflich mit Entspannungstechniken. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zu körperbasierten Entspannungstechniken. 2010 hat er die Forschungsgruppe "Karlsruher EntspannungsTraining" mit der Akademie für Körperbildung, Stressbewältigung & Entspannung (ket; www.entspannung-ket.de) ins Leben gerufen.
Dr. Marcus Müller ist Diplom-Pädagoge und als Akademischer Oberrat am Institut für Bewegungserziehung und Sport der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe tätig. Er ist ausgebildeter Faszientrainer und hat schon zahlreiche Workshops geleitet. Er ist Mitglied der Forschungsgruppe "Karlsruher EntspannungsTraining" und kann als Functional Movement Screen Trainer auf fundierte Diagnostik- und Trainingserfahrungen sowie ein reiches Repertoire an spezifisch wirksamen Körperübungen zurückgreifen.