
70 % aller Menschen klagen im Laufe ihres Lebens über Schulterschmerzen. Doch gerade das Schultergelenk kann gut durch ein gezieltes Training vor Verletzungen oder Überlastungen geschützt werden.
Da sich die Menschen in der heutigen Zeit immer weniger bewegen, wird auch die Schulter weniger mobilisiert und in der Folge fehlen Sehnen, Bändern und Gelenkknorpel häufig die Kapazitäten für eine anstehende oder unvorhergesehene Belastung. Dies hängt natürlich auch vom Alter und den individuellen Lebensumständen ab, aber mit den hier vorgestellten Übungen kann man die Schulter erfolgreich trainieren.
Was man vor dem Schultertraining wissen sollte
Viele Verletzungen im Bereich von Muskeln und Sehnen sind – neben Unfällen – auf falsche Belastungsweisen zurückzuführen.
Muskelsehnen reagieren sehr empfindlich, sobald es zu einer Abweichung der gewohnten Belastungen kommt, und passen sich nur sehr langsam an, wenn sie stärker beansprucht werden. Einen Muskel kann man schnell trainieren, damit er kräftiger wird, aber eine Muskelsehne muss nach einer längeren Pause wieder über Wochen an die Kraft- und Zugverhältnisse gewöhnt werden.
Erst mit entsprechenden Dehnreizen unter Muskelanspannung (Kontraktion) werden diejenigen Sehnenzellen angesprochen, die am Auf- oder Abbau des Sehnengewebes (Kollagensynthese) mitwirken. In einem langsamen Prozess vernetzt sich dabei das Gewebe neu und der Sehnenquerschnitt verändert sich entsprechend.
Um die Kollagensynthese optimal anzusprechen, ist es wichtig, beim Aufbautraining darauf zu achten, die Kontraktionsphase des Muskels über einige Sekunden zu halten. Neben den Muskeln und Sehnen benötigen auch die übrigen Gelenkstrukturen ausreichend Zeit, sich stufenweise an die geplante Belastung zu gewöhnen. Regelmäßige moderate Bewegung regt die Bildung von Schmierstoffen – sogenannten Proteoglykanen – an, die Bänder, Muskelfasern und Sehnen geschmeidig halten.
Durch diese Schmierstoffe kann das Gelenk reibungsfreier gleiten. Durch eine regelmäßige dynamische Belastung wird zudem der Gelenkknorpel ernährt und gestärkt, der in Ruhephasen und Sportpausen allmählich erweicht und in der Folge bei zu schnellen Belastungsanstiegen verletzungsanfälliger ist.
Der Schlüssel für eine erfolgreiche Kräftigung des Schultergelenks liegt daher in der Kontinuität. Führen Sie also in der Rehabilitation die Übungen konsequent aus und bleiben Sie geduldig.
Allgemeines zu den Übungen
Bei der Schulter handelt es sich um ein komplexes Gelenk. Eine Schulter sollte immer in alle Richtungen und im Rahmen der Möglichkeiten bewegt und gekräftigt werden.
Am Beginn stehen Übungen, die einzeln und schrittweise durchgeführt werden sollten, um z. B. die Beweglichkeit zum Anziehen einer Jacke zu verbessern. Später kommen Übungen hinzu, die mehrere Aspekte der Beweglichkeit gleichzeitig abdecken und komplexer gestaltet sind.
Merke
Wenn Sie bei der Ausübung der Übungen unsicher sind, halten Sie immer Rücksprache mit Ihrem physiotherapeutischen oder ärztlichen Ansprechpartner, insbesondere wenn Sie Bewegungen in bestimmte Richtungen vorerst nur eingeschränkt ausführen dürfen bzw. wenn Verletzungen vorliegen.
3 Übungen für die Schulter (mit Video)
Staubsauger im Sitzen – Aktivierung der zentrierenden Muskeln
Ziel Mit dieser Übung werden die Rotatoren aktiviert, die den Oberarm in der Pfanne zentrieren.
Ausgangsposition Setzen Sie sich seitlich an einen Tisch und legen Sie Ihren Arm darauf ab, sodass Ihr Ellenbogen unterhalb der Brust abgespreizt wird. Ziehen Sie Ihre Schulterblätter nach unten (1).
Ausführung Stellen Sie sich vor, man greift Ihren Oberarm im Achselbereich und möchte ihn seitlich aus dem Gelenk herausziehen. Sie halten dagegen, indem Sie den Gelenkkopf zurück in die Gelenkpfanne »einsaugen«. Versuchen Sie sich vorzustellen, den Oberarmkopf in der Gelenkpfanne zu halten und immer wieder in Richtung Ihres Brustkorbs zu ziehen. Den Zentrierungsimpuls
erkennt man in der hinterlegten Videosequenz (s. unten)sehr gut.
Variante Stellen Sie den Ellenbogen locker auf dem auf dem Tisch auf (2). Heben Sie den Unterarm ab und führen Sie eine Wischbewegung aus, indem Sie ihn Richtung Bauchnabel und wieder zurück nach außen bewegen, aber nur so weit, dass Sie keine Schmerzen empfinden (3).
Wie oft? Grundübung: ca. 12 ×, den Zentrierungsimpuls 3–5 Sekunden betonen; Variante: 60 Sekunden
Grundübung und Variante: jeweils 2–4 Durchgänge

Der Unterarm liegt auf dem Tisch, die Schulterblätter sind unten.

Variante: Heben Sie den Unterarm ab und führen Sie eine Wischbewegung aus.

Variante: Bewegen Sie den Unterarm nur so weit, dass Sie keine Schmerzen empfinden.
Übungsvideo: Staubsauger im Sitzen
Aktivierung des M. serratus anterior in Rückenlage
Hilfsmittel leichtes bis mittelschweres Gewicht
Ziel Die Übung dient der Aktivierung der kleinen Stabilisatoren am Oberarmkopf. Durch das Herausschieben des Schulterblatts wird der vordere Sägemuskel (M. serratus anterior) aktiviert, der das Schulterblatt am Brustkorb führt und fixiert. Führen Sie sie zunächst ohne Gewicht aus und nehmen Sie es erst dazu, wenn Sie sich sicher fühlen.
Ausgangsposition Legen Sie sich auf den Rücken, positionieren Sie Ihren zu beübenden Arm gestreckt wie eine Säule direkt über dem Schultergelenk. Zum Erlernen der Bewegung benötigen Sie noch kein Gewicht, mit mehr Übungssicherheit können Sie die Ausführung wie auf den Abbildungen gezeigt mit Gewicht durchführen.
Ausführung Heben Sie den betroffenen Arm nach oben und ballen Sie die Hand zu einer Faust (1). Schieben Sie sie nun über das Schulterblatt senkrecht nach oben zur Decke. Der Arm sollte während der gesamten Übung wie eine gerade Säule auf der zu bewegenden Schulter stehen bleiben (2). Wenn Sie dabei Schmerzen haben oder unsicher sind, stützen Sie den betroffenen Arm mit dem anderen ab.
Wie oft? 3 Durchgänge, 12 × wiederholen

Der Arm sollte wie ein Säule über der Schulter stehen.

Schieben Sie das Schulterblatt gerade zur Decke.
Übungsvideo: Aktivierung des M. serratus anterior in Rückenlage
Schneeengel in Bauchlage – Aktivierung der Schulterblattmuskeln
Hilfsmittel Handtuch
Ziel Mit dieser Übung wird das koordinierte Zusammenspiel zwischen dem Schulterblatt und dem Oberarm trainiert, dabei werden sowohl die Rotatoren als auch die Schulterblattmuskeln beansprucht Zudem sensibilisiert sie für die Wahrnehmung der Rückenmuskulatur allgemein.
Ausgangsposition Legen Sie sich auf den Bauch und stützen Sie Ihre Stirn auf einem gefalteten Handtuch ab, sodass Sie bequem liegen. Legen Sie die Arme seitlich neben dem Körper ab (1).
Ausführung Ziehen Sie zunächst Ihre Schulterblätter so weit wie möglich nach hinten unten und stellen Sie sich vor, Sie wollten einen Bleistift zwischen ihnen festhalten (2). Halten Sie diese Position 2 Sekunden und lassen Sie die Schulterblätter dann wieder locker. Achten Sie darauf, dass Kopf und Brust dabei nicht angehoben werden. Wiederholen Sie dies als kleines Aufwärmprogramm 20 × und entwickeln Sie dabei ein Spannungsgefühl für Ihre Rückenmuskeln, das in der Endposition entsteht, und speichern Sie sich dieses gedanklich ein. Heben Sie nun die Arme etwas an, ohne dabei die Spannung zwischen den Schulterblättern zu lösen. Dabei dürfen die Hände nicht über die Höhe des Körpers gehoben werden. Drehen Sie die Ellenbeuge und Daumennach außen in Richtung Decke, sodass sich die Schultern weiter öffnen. Spreizen Sie die Arme bis zur Höhe des Brustkorbs seitlich ab (3). Das Anspannungsgefühl zwischen den Schulterblättern darf hierbei nicht verloren gehen oder nachlassen – das Schulterblatt bleibt hinten unten. Führen Sie die Arme im Anschluss wieder zurück, ohne die Spannung zwischen den Schulterblättern zu lösen (4).
Wie oft? 3–6 Durchgänge, 6–8 × wiederholen

Zum Aufwärmen ziehen Sie Ihre Schulterblätter so weit wie möglich nach hinten unten.

Bei der Vorwärtsbewegung der Arme bleiben die Hände in der Nähe des Bodens.
Übungsvideo: Schneeengel in Bauchlage
Wichtige Prinzipien für Ihr Trainingsprogramm
- Bewegungen immer schmerzfrei ausführen
Es ist wichtig, dass Sie bei der Ausübung der Übungen keine Schmerzen empfinden. Sie sollten sich dabei sicher fühlen und nicht das Gefühl haben, dass sich etwas verschlechtert oder Ihre Schulter gereizt wird. Suchen Sie bei starken Schmerzen oder unerklärlichen Beschwerden Ihren Arzt oder Ihre Ärztin auf. Holen Sie sich Hilfe, wenn Sie Ihre Beschwerden mit unseren Übungen nicht in den Griff bekommen. Das Vertrauen in Ihre Schulter soll permanent steigen – orientieren Sie sich an dem Stufensystem und steigern Sie nach und nach den Schwierigkeitsgrad. - Qualität vor Quantität
Lesen Sie zunächst immer aufmerksam die Beschreibung einer Übung durch und achten Sie darauf, dass Sie sie sorgfältig und korrekt durchführen. Wichtig sind auch die beschriebenen Feinheiten – achten Sie darauf, bei Übungen im Stehen und Sitzen den Oberkörper möglichst aufrecht zu halten und das Schulterblatt nicht zum Ohr hoch zu ziehen (das gilt auch für die Übungen im Liegen). Seien Sie geduldig mit sich. Häufig gelingt eine Beweglichkeitsübung bei den ersten Versuchen nicht wie gewünscht. Dasselbe gilt für das Kontraktionsgefühl der adressierten Muskeln und die Körperwahrnehmung hinsichtlich der Bewegungsabläufe. Betonen Sie bei jeder Übung unbedingt die Kontraktionsphase durch eine kurze Haltepause am Ende jeder dynamischen Wiederholung. Achten Sie bei jeder Ausführung auf ein gleichmäßiges, langsames und kontrolliertes Tempo und auf eine ruhige, gleichmäßige Atmung. - Steigerungen
Richten Sie Ihr Trainingsprogramm auf 2–6 Monate aus. Im Verlauf dieser Zeit müssen Sie jedoch nicht jedes Mal die Anzahl der Ausführungen oder der Übungen steigern. Studien haben gezeigt, dass eine Verbesserung der Bewegungsangst oder der Schmerzwahrnehmung zu Beginn viel mehr zum Erfolg einer Reha beiträgt, als ein genau festgelegter Plan oder eine spezielle Trainingssteuerung. Der Fokus der Übungen liegt auf der Wiederherstellung der Funktionalität – dem Zusammenspiel der Muskeln und Gelenkpartner. Grundsätzlich gilt, dass es sich eher lohnt, jeden zweiten Tag einen mäßigen Belastungsreiz zu setzen, anstatt die eigenen körperlichen Möglichkeiten oder das eigene Vertrauen in diese zu überfordern. Jede Übung verfügt über eine Wiederholungsempfehlung. Diese setzt sich aus einer Anzahl an Durchgängen und einem Spektrum an Wiederholungen zusammen. Die Empfehlungen sollten schrittweise ausgebaut werden; hierbei ist es wichtig, erst die Anzahl der Übungssätze auszuschöpfen, bevor das Wiederholungsspektrum oder die Übungsintensität gesteigert wird. Diese kann im Verlauf über ein höheres Zusatzgewicht, einen stärkeren Bandwiderstand oder eine höhere Wiederholungszahl gesteigert werden. Neben der Intensitätssteigerung ist es wichtig, sich neben den »Wohlfühlübungen« auch immer wieder an Übungen mit einem höheren Schwierigkeitsgrad zu versuchen. - Anpassungen
Probieren Sie aus, wie Sie sich nach dem Training fühlen. Als Faustregel reichen zwei Beweglichkeitsübungen und zwei bis vier Aktivierungsübungen pro Trainingseinheit aus. Empfinden Sie eine Übung als zu schwierig, gehen Sie eine Stufe zurück und probieren Sie es mit einer leichteren Version. Insbesondere wenn Sie früher schon einmal mit Schulterschmerzen zu tun hatten, ist es wichtig, ein Feingefühl für die mögliche Übungsintensität und die passenden Schwierigkeitsstufen zum richtigen Zeitpunkt zu entwickeln. Sie sollten sich bei der Übungsauswahl auch immer die Frage stellen, wie weit Sie hinsichtlich der Übungskomplexität für Ihre Ansprüche im Alltag oder beim Sport kommen müssen. Bleiben Sie bei Ihrer Zielsetzung in einem realistischen Rahmen und konzentrieren Sie sich auf die Übungsmöglichkeiten, die für den Moment gut für Sie funktionieren.
Schulterprobleme können langwierig und schmerzhaft sein. Die Experten vom Deutschen Gelenkzentrum in Heidelberg kennen das aus ihrer Sprechstunde. Denn Beschwerden am Schultergelenk können viele Ursachen haben z.B. Kalkschulter, Arthrose oder Verletzungsfolgen. In dem Buch "Experten-Sprechstunde Schulter" klären die Schulter-Experten kompetent über Ihre Erkrankung und alle Therapieoptionen auf.
Autoren
Prof. Dr. med. Marc Schnetzke ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie und Spezielle Unfallchirurgie. Inspiriert durch einen Aufenthalt im Jahr 2013 im Deutschen Gelenkzentrum hat sich Prof. Schnetzke auf Erkrankungen des Schulter- und Ellenbogengelenkes spezialisiert und ist seit 2020 Partner im Deutschen Gelenkzentrum Heidelberg.
Dr. med. Sven Lichtenberg ist Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie am Deutschen Gelenkzentrum in Heidelberg. An der Seite des inzwischen ausgeschiedenen Praxispartners Prof. Peter Habermeyer hat sich Dr. Sven Lichtenberg zu einem der führenden Schulterspezialisten Deutschlands etabliert.
Prof. Dr. med. Markus Loew ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie und Spezielle Orthopädische Chirurgie. Bereits 1990 gründete Prof. Loew eine der ersten Schulterambulanzen Deutschlands an der Orthopädischen Universitätsklink Heidelberg. Von 2004 bis 2010 war Prof. Loew Präsident der Deutschen Vereinigung für Schulter- und Ellenbogenchirurgie.
Felix Stasch arbeitet als Physiotherapeut in eigener Praxis. Durch Erfahrungen aus dem Leistungssport und diverse eigene Verletzungen ist es für ihn eine Berufung geworden, Patienten effektiv bei ihrer Rehabilitation zu begleiten und dabei an allen Einflussfaktoren zu arbeiten.
Das Deutsche Gelenkzentrum in Heidelberg zählt zu den Top-Adressen in Deutschland und wurde vom Focus mehrfach im Bereich Schulterchirurgie ausgezeichnet.