AllergieAllergien mit Ayurveda behandeln

Im Ayurveda steht bei Allergien die Stärkung des agni im Vordergrund. Therapeutisch werden Ernährungsberatung, Bewegung, ausleitende Therapien, Phytotherapeutika sowie Ölmassagen eingesetzt.

Frau liegt auf dem Bauch auf Massageliege, ayurvedische Ölmassage
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Ayurvedische Ölmassagen als Teil des Pancakarma-Konzepts wirken beruhigend und stärkend auf Psyche und Körper.

Inhalt

Was ist Ayurveda?

Einordnung allergischer Erkrankungen im Ayurveda

Ayurvedische Therapie

Literatur

Im Zuge der rasanten Entwicklung der Immunologie in den vergangenen 100 Jahren hat sich das medizinische Verständnis für Allergien präzisiert und differenziert. Heutzutage verstehen wir darunter allgemein formuliert eine unangemessene Überreaktion des Immunsystems auf einen äußeren Stoff (Allergen), der im Allgemeinen eine solche Reaktion nicht auslöst. Ein modern definierter Krankheitsbegriff findet sich nicht in direkter Entsprechung in einer traditionellen medizinischen Wissenschaft wie dem Ayurveda wieder.

Da man aber andererseits in der klinischen Praxis des Ayurveda in Deutschland immer wieder beobachtet, dass allergische Krankheitsbilder sich durch eine angemessene ayurvedische Therapie gut lindern lassen, seien hier einige Überlegungen zur ayurvedischen Betrachtung von Allergien vorgestellt, auf deren Grundlage das individuelle therapeutische Vorgehen geplant wird.

Was ist Āyurveda?

Ayurveda ist eine systematische medizinische Wissenschaft, die in eigentümlicher Kontinuität jahrhundertealtes Wissen stetig um neue Erkenntnisse ergänzt und erweitert. Moderne ayurvedische Autoren (vgl. etwa [10] [12][13]) verwenden für Allergie oft den neu geprägten Sanskrit-Begriff Anūrjatā (wörtlich etwa: „Schwäche der Abwehrkraft“) und beschreiben damit hauptsächlich eine Fehlfunktion des Immunsystems. Dieser Neologismus in der Fachterminologie des Ayurveda ist jedoch sowohl in Bezug auf die Epistemologie des Ayurveda als auch im Hinblick auf die ayurvedische Praxis unbefriedigend.

Einordnung allergischer Erkrankungen im Ayurveda

Für die therapeutische Praxis und auch aus theoretischer ayurvedischer Sicht ist es sinnvoller, zunächst von der allgemeinen Symptomatik auszugehen und dann den Versuch zu unternehmen, diese ayurvedisch einzuordnen.

Individuelle Unzuträglichkeiten und Zuträglichkeiten

Das Phänomen, dass manche Menschen auf alltäglich anzutreffende Stoffe mit einer Über- oder Fehlreaktion des Organismus antworten, ist in der traditionellen ayurvedischen Krankheitslehre durchaus bekannt. Gemeinhin erklärt man diese Symptomatik damit, dass das spezifische – aus heutiger Sicht sogenannte – Allergen für den jeweiligen Menschen „unzuträglich“, (Sanskrit: asatmyaasātmya), ist.

Das Phänomen der individuellen „Unzuträglichkeit“ (asatmyataasātmyatā) ebenso wie das Gegenteil, nämlich die sog. individuelle „Zuträglichkeit“ (satmyatasātmyatā), werden im Ayurveda differenziert beschrieben und klassifiziert. Selbstverständlich wird man nicht alle Formen der so beschriebenen Asātmyatā aus moderner Sicht als allergische Reaktionen verstehen. Umgekehrt betrachtet kann man aber viele heute als allergisch bezeichnete Reaktionen aus ayurvedischer Sicht unter diesem Begriff subsumieren.

Unzuträgliche Nahrungsmittel

Eine weitere Beobachtung aus der klassischen ayurvedischen Krankheitslehre stützt ein solches Verständnis von Asātmyatā: In der traditionellen ayurvedischen Krankheitslehre [7] wird nämlich in einer klassischen Beschreibung der sog. Visarpa-Erkrankung auch der Genuss von unzuträglichen Nahrungsmitteln als ätiologischer Faktor genannt. Nun ähnelt Visarpa nach seiner klassischen Beschreibung sehr stark dem modernen Krankheitsbild der Urtikaria, die u.a. ja auch Symptom einer Allergie vom Soforttyp sein kann.

Dieser direkte Bezug zwischen ayurvedischer „Unzuträglichkeit“ und einer aus moderner Sicht allergisch bedingten Erkrankung, zeigt, dass es offensichtlich durchaus sinnvoll sein kann, allergene Reize als asātmya zu beschreiben.

Agni-Schwäche

Ein weiterer Aspekt zur ayurvedischen Einordnung von Allergien ergibt sich aus dem traditionell beschriebenen Phänomen, dass manche Menschen auf den Genuss von frischer Milch mit Durchfall reagieren. Diese Symptomatik wird im Ayurveda so erklärt, dass eine Schwäche des sog. Agni besteht.

Mit Agni bezeichnet man in diesem Zusammenhang die „Verdauungskraft“ des Menschen im weitesten Sinne. Ein geschwächter Agni kann nach ayurvedischer Anschauung dazu führen, dass sich „unverdaute Stoffwechselprodukte“ (Ama) im Organismus ansammeln. Unter den Symptomen einer solchen Belastung mit „unverdauten Stoffwechselprodukten“ und dann u.a. auch vermehrter Schleimsekretion findet sich etwa auch eine Symptomatik, die wir heutzutage als allergische Rhinitis verstehen können.

Insofern kann man manche allergischen Reaktionen, insbesondere den sog. Heuschnupfen, auch gut als Symptomatik einer Agni-Schwäche betrachten. Aber hier, wie schon in Bezug auf das Konzept der Unzuträglichkeit, gilt, dass Begriff und Konzept der „Stoffwechselkraft“ (Agni) im Ayurveda weiter gefasst sind als bei der Erklärung allergischer Reaktionen notwendig.

Viele allergische Reaktionen gehen also mit einer Agni-Schwäche einher, aber eine Agni-Schwäche ist nicht nur Ursache für allergische Reaktionen.

Individuelle Faktoren

Darüber hinaus wird die jeweils individuelle klinische Ausprägung allergischer Reaktionen nach ayurvedischer Auffassung durch eine Vielzahl von individuellen Faktoren beeinflusst.

Zuallererst ist hier die Grundkonstitution (Prakriti) eines Menschen zu nennen [4]. Diese Grundkonstitution eines Menschen, die zwar angeboren ist, deren Merkmale sich aber erst im Laufe des Lebens ausprägen, bestimmt individuelle Krankheitsdiathesen, aber auch die individuelle Krankheitsreaktion. 

Allgemein formuliert neigen

  • Menschen mit vata-dominierter Konstitution bei einer Allergie eher zu allergischer Rhinitis,
  • Menschen mit pitta-dominierter Konstitution eher zur Konjunktivitis und
  • Menschen mit kapha-bedingter Konstitution eher zu Ödembildung.

Selbstverständlich sind hier alle möglichen Mischformen möglich. Zudem sind nach āyurvedischer Anschauung Körper und Psyche stets so eng miteinander verbunden, dass eine stetige wechselseitige Beeinflussung stattfindet. Das bedeutet, dass allergische Reaktionen des Körpers stets auch die Psyche affizieren und umgekehrt, die psychische Verfassung auch die Ausprägung von allergischen Reaktionen beeinflusst (für eine diesbezügliche Beobachtung aus moderner Sicht vgl. [15]).

Bei der āyurvedischen Diagnosestellung sind deshalb über die genaue Einschätzung der individuellen Krankheitserscheinungen und des Krankheitsverlaufs hinaus stets auch die individuelle Konstitution und die psychische Verfassung zu betrachten [4].

In der klinischen Praxis des Ayurveda in Deutschland zeigt sich, dass eine Behandlung, die auf dieser Grundlage und insbesondere auch unter Berücksichtigung von „Stoffwechselkraft“ (Agni) und „Zuträglichkeit“ (Sātmyatā) erfolgt, häufig zu einer signifikanten Linderung allergischer Beschwerden führt.

Ayurvedische Therapie

Für die ayurvedische Behandlung allergischer Erkrankungen muss man zunächst bedenken, dass dem Ayurveda ein umfassendes Verständnis von Therapie zugrunde liegt. Nicht nur Arzneimittel und intensive Behandlungsverfahren wie die Pancakarma-Therapie machen die Behandlung einer Krankheit aus, sondern die Therapie beginnt mit dezidierten Empfehlungen für Ernährung und allgemeine Lebensführung.

Allergene meiden

In einer alten Sentenz [7] wird der Arzt zudem dazu angehalten, neben krankheitsbesänftigenden und ausleitenden Therapien zuallererst die auslösende Ursache einer Krankheit auszuschalten. Im Kontext allergischer Erkrankungen wäre hier also zunächst eine Allergenkarenz zu empfehlen, soweit dies praktisch möglich ist.

Stärkung der Verdauungskraft

Auf der Grundlage des oben skizzierten ayurvedischen Verständnisses von allergischen Erkrankungen ist dann, falls notwendig, eine Stärkung der Verdauungskraft (Agni) ein wichtiges therapeutisches Ziel.

Zu diesem Zweck gibt es zunächst ausführliche Ernährungsempfehlungen. Dabei gilt der Grundsatz, dass die Nahrung für den Menschen gut und leicht verdaulich sein muss. Durch zu schweres Essen, durch Essen zu spät am Abend, in schlechter Stimmung oder ohne dass man Hunger hat wird die Verdauungskraft oft überfordert und es entstehen Symptome einer Agni-Schwäche.

Auch regelmäßige körperliche Bewegung hilft, die Verdauungskraft zu stärken, ebenso wie eine ausgeglichene Gemütslage. Deshalb sind sowohl der Rat zu regelmäßiger Bewegung je nach individueller Belastbarkeit als auch die Förderung einer ausgeglichenen Gemütslage aus ayurvedischer Sicht essenzielle Bestandteile der Empfehlungen für Patienten, die unter Allergien leiden.

Bei all diesen Empfehlungen gilt aber zudem noch, dass sie stets auf das Individuum mit seiner einzigartigen Konstitution zugeschnitten werden müssen. Ein therapeutisches Vorgehen, das die individuelle Konstitution berücksichtigt, scheint gerade auch bei allergischen Erkrankungen sinnvoll und erfolgversprechend zu sein [8].

Gewürze und Pflanzenarzneien

Im nächsten Schritt können dann auch Gewürze und pflanzliche Arzneien eingesetzt werden, um den Agni zu stärken. Gerade im Zusammenhang mit allergischen Erkrankungen muss man allerdings immer bedenken, dass jedes noch so harmlose Kraut oder Gewürz potenziell allergen wirken kann. Selbst der im Ayurveda praktisch universal eingesetzte Ingwer kann wohl, im Übermaß genossen, unerwünschte immunologische Phänomene hervorrufen, wie eine kürzlich publizierte Kasuistik nahelegt [2].

Im Übrigen ist aber gerade Ingwer eine Arznei, die nach ayurvedischer Anschauung die Verdauungskraft stärkt, ebenso wie z.B. Knoblauch und schwarzer Pfeffer in rechtem Maße verwendet werden.

Pancakarma-Therapie

Spezifische allergische Erkrankungen müssen dann allerdings nach ihrer systematischen Klassifikation, ob es sich etwa um eine Haut- oder Atemwegserkrankung handelt, therapiert werden (für allergische Atemwegserkrankungen siehe [5]).

Die klinische Erfahrung mit Ayurveda in Deutschland zeigt zudem, dass die fachgerechte, individuell geplante Durchführung einer Pancakarma-Therapie [3] bei der großen Mehrheit der Patient*innen eine deutliche Linderung der allergischen Symptomatik bewirkt.

Das Therapiekonzept des Pancakarma umfasst:

  • ausleitende Therapieverfahren, z. B. einen Abführtag
  • spezifische therapeutische Maßnahmen zur Regulation und Stärkung des Organismus, z. B. Darmeinläufe aus Ölen oder Kräuterabkochungen
  • Ölmassagen, die außerdem beruhigend und stärkend auf Psyche und Körper wirken.

Damit dient Pancakarma ebenso wie andere therapeutische Ansätze des Ayurveda primär dem Ziel, dass der Organismus sich wieder selbst reguliert und nicht durch Überreaktionen des Immunsystems den Menschen krank sein lässt.

Ananda Samir Chopra war von 1996–2009 und ist seit 2011 leitender Arzt der Ayurveda-Klinik Kassel. Zusätzlich arbeitete er wissenschaftlich im Bereich der Medizingeschichte mit einem Schwerpunkt auf Geschichte und Gegenwart des Āyurveda.  Von 2009–2011 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Exzellenzcluster „Asien und Europa im Globalen Kontext“ der Universität Heidelberg in einem Projekt zur modernen Geschichte des Āyurveda.

Dr. med. Ananda Samir Chopra
Ayurveda-Klinik Kassel
Wigandstr. 1
34131 Kassel – Bad Wilhelmshöhe
www.ayurveda-klinik.de

[1] Bhakti C, Rajagopala M, Shah AK. et al. A clinical evaluation of Haridra Khanda & Pippalyadi Taila Nasya on pratishyaya (allergic rhinitis). Ayu 2009; 30 (2): 188–193
[2] Burdenski J. Von den Vorzügen gesunder Ernährung oder Anämiediagnostik für Hobby-Detektive. Hessisches Ärzteblatt 2017; 78 (9): 510
[3] Chopra AS. Pañcakarma-Therapie im Āyurveda. Eine gute Therapie für Gesunde und Kranke. Erfahrungsheilkunde 2012; 61 (01) 10-16
[4] Chopra AS. Diagnose im Āyurveda. In: Ranade S, Hosius C, Heckmann J. Hrsg Ayurveda Basislehrbuch. München, Jena: Urban & Fischer; 2003: 97-125
[5] Chopra AS. Atemwegserkrankungen. In: Ranade S, Hosius C, Heckmann J, Hrsg. Ayurveda Basislehrbuch. München, Jena: Urban & Fischer; 2003: 218–232
[6] Huber B. 100 Jahre Allergie: Clemens von Pirquet – sein Allergiebegriff und das ihm zugrunde liegende Krankheitsverständnis. Wiener klinische Wochenschrift 2006; 118 (19/20) 573–579
[7] Trikamji J. The Charakasaṃhitā by Agniveśa evised by Charaka and Dridhabala with the Āyurveda-Dīpikā commentary of Chakrapānidatta. 3. Aufl. Bombay: Nirṇaya Sāgar Press; 1941
[8] Joshi KS, Nesari TM, Dedge AP et al. Dosha phenotype specific Ayurveda intervention ameliorates asthma symptoms through cytokine modulations: results of whole system clinical trial. J Ethnopharmacol 2017; 197: 110–117. DOI: 10.1016/j.jep.2016.07.071
[9] Modha NJ, Shukla VD, Baghel MS. Clinical study of anurjata janita pratishyaya (allergic rhinitis) & comparative assessment of Nasya Karma. Ayu 2009; 30 (1) 47–54
[10] Ranade S. Kayachikitsa (A Text Book of Medicine). The Chaukhamba Ayurvijnan Studies 35. Delhi: Chaukhamba Sanskrit Pratishthan; 2001
[11] Seema C, Saban BJ. Ayurvedic line of treatment of allergic Rrinitis (Vatakaphaja Pratishaya). International Journal of Ayurvedic and Herbal Medicine 2014; 4 (4): 1527–1531
[12] Siṃha R. Kāyacikitsā. 2 Vols. Dillī: Caukhambā Saṃskṛta Pratiṣṭhāna (Vrajajīvana Āyurvijñāna Granthamālā 21); 1994 –2001
[13] Śukla V. Kāya-cikitsā (Bhāratīya cikitsā kendriya pariṣad, naī dillī dvārā svīkṛta pāṭhyakramānusāra). 4 Vols. Vārāṇasī: Caukhambā Surabhāratī Prakāśana. (Caukhambā Āyurvijñāna Granthamālā 30): 1993 –1995
[14] KS, Kumari ON. Evaluation of the efficacy of Mustadi Yog in the management of respiratory allergic disorders (RADs) in children. Int J Res Ayurveda Pharm 2015; 6 (06) 696–701
[15] Trikojat K, Luksch H, Rösen-Wolff A et al. „Allergic mood” – Depressive and anxiety symptoms in patients with seasonal allergic rhinitis (SAR) and their association to inflammatory, endocrine, and allergic markers. Brain Behav Immun 2017; 65: 202–209. DOI: 10.1016/j.bbi.2017.05.005