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Die Erfahrungsmedizin bietet bei Kopfschmerzen hilfreiche Optionen.
Die S1-Basisleitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN) und Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. (DMKG) vom 19.12.2023 [2] nennt bei Spannungskopfschmerz als wirksame Interventionen: Mobilisationsübungen, Verfahren zur „Dehnung und Kräftigung der Nackenmuskulatur“, Weichteiltechniken und Manuelle Therapie. Eine Kombination mehrerer Verfahren sei wirksamer als Einzelinterventionen – ich kann diese Empfehlung bestätigen. Zusätzlich werden Ausdauer- und/oder Krafttraining empfohlen, Entspannungsverfahren, Stressmanagement und Training der emotionalen Kompetenzen.
Zur Behandlung des Akutschmerzes stehen Paracetamol, ASS und Ibuprofen zur Verfügung. Um medikamenteninduzierten Kopfschmerz zu vermeiden, sollten die genannten Präparate maximal an 10–15 Tagen eines Monats eingesetzt werden. Alternativ kann 10 %iges Pfefferminzöl auf Stirn und Schläfe als wirksame Therapie versucht werden. Akupunktur oder Triggerpunktinjektionen können im Akutfall helfen, aufgrund der „heterogenen Datenlage“ werden sie aber nicht explizit empfohlen.
„Das war’s?“, könnte man fragen. Gibt es aus dem Bereich der Erfahrungsmedizin evtl. noch weitere Optionen, etwa durch ausleitende Verfahren? Davon soll dieser Artikel schwerpunktmäßig handeln.
Ist „Ausleitung“ noch zeitgemäß?
Wie der Name schon sagt, streben ausleitende Verfahren an, den Organismus von etwas Überschüssigem zu befreien. Vor gut 2000 Jahren dominierte in der Medizin die sog. „Säftelehre“. Damals ging man von 4 maßgeblichen Flüssigkeiten im menschlichen Körper aus: Blut, Schleim sowie gelbe und schwarze Galle. Waren diese Säfte in einem ausgeglichenen Zustand, sprach man von Eukrasie. Im Falle einer fehlerhaften Säftemischung komme es zur Dyskrasie. Ziel des Therapeuten musste es dann sein, die Eukrasie durch antidyskratische Verfahren wiederherzustellen. Dazu standen und stehen auch heute noch eine ganze Reihe von Verfahren zur Verfügung:
- „Purgation“: Ableitung über den Darm, z.B. durch Abführmittel und Einläufe
- diaphoretische Verfahren: Ableitung über die Haut durch Schwitzverfahren
- Ableitung über das Blut, etwa durch Aderlässe, Schröpfen, Blutegel
Ehedem kannte die Medizin noch eine ganze Reihe weiterer Ausleitverfahren, wie das Brechverfahren, „emmenagoge Verfahren“ zwecks Anregung der Regelblutung, das Erzeugen künstlicher Hautgeschwüre („Fontanelle“) oder Hautrötungsverfahren wie das blasenziehende Pflaster (Cantharidenpflaster), Baunscheidtverfahren (mit einem Schnepper werden kleine Hautstichel gesetzt, in die hautreizendes Öl eingerieben wird, einst u. a. das heute obsolete Krotonöl) [1].
Einige dieser Verfahren werden heute nur noch selten eingesetzt, z.T. weil erforderliche Substanzen nicht oder nur noch schwer erhältlich sind (z.B. „Emplastum cantharidis“) oder die Verfahren aus medizinjuristischen Gründen „heikel“ oder obsolet erscheinen (z.B. Fontanelle).
Das Denken der Humoralpathologie (Pathologie der Säfte) repräsentierte über 2000 Jahre die „Schulmedizin“, die auch an den Universitäten gelehrt wurde. Erst mit den Entdeckungen der Zellstrukturen (Zellularpathologie), v.a. durch Rudolf Virchow, wurde humoralpathologisches Denken durch die ab Mitte des 19. Jahrhunderts dominierende Solidarpathologie abgelöst.
Nun mag das gesamte Vokabular zum Thema Ausleiten dem heutigen Mediziner sowieso suspekt erscheinen, und die Frage könnte aufkommen, was solch anachronistisches Denken in der modernen evidenzbasierten Medizin überhaupt zu suchen hat. Die Antwort lautet: Die Konzepte der Ausleitung müssen modern weitergedacht und mit zeitgemäßen Begrifflichkeiten versehen werden. Aus „Schlacken“ müssen beispielsweise „ausleitungspflichtige Stoffwechselendprodukte“ werden, die man durchaus definieren kann, z.B. Substanzen aus der Arzneimittelverstoffwechselung oder Ammoniak, das v.a. durch reichlichen Genuss aromatischer Aminosäuren, aber auch aus Stoffwechselprozessen der Darmbakterien anfällt, über die Leber metabolisiert und über die Nieren ausgeschieden werden muss.
Moderne Konzepte der Humoralpathologie haben daher v.a. in der Behandlung typischer Zivilisationskrankheiten – zu denen durchaus auch Kopfschmerzen zu zählen sind – ihren Platz. Der Begriff „Ausleiten“ sollte zudem weiter interpretiert werden. Nicht nur die heute noch praktizierten erwähnten Verfahren gehören dazu, ich möchte durchaus auch regulatorische Verfahren wie die Akupunktur oder die Akupunktmassage nach Penzel (APM) miteinbeziehen. Und – ganz wichtig – in einigen Fällen, insbesondere bei asthenischer Konstellation, steht Ausleiten nicht primär auf der Agenda, sondern oft das Gegenteil: energetisches Zuleiten, was in der Praxis oft nicht bedacht wird!
Im Volksmund wird seit Jahren viel von „Übersäuerung“, „Verschlackung“ und dem Wunsch nach „Detox“ gesprochen. Die praktische Realerfahrung zeigt durchaus: Diese Dinge sind gerade heute in Zeiten der Über- und Fehlernährung in Kombination mit Bewegungsmangel relevant. Ausleitende Verfahren können oft dort noch nachhaltig helfen oder zumindest weiterhelfen, wo Patienten ansonsten immer nur den Satz hören: „Sie müssen damit leben.“
Ausleitung bei Kopfschmerzen – für wen und wie?
Der Begriff „Kopfschmerz“ soll sich dabei v.a. auf den verbreiteten Spannungskopfschmerz beziehen. Viele der nachfolgend aufgeführten Stichpunkte eignen sich aber auch für die Behandlung der Migräne. Welche Patienten bedürfen allgemein besonders der Ausleitung und im Speziellen bei Kopfschmerzen? Es sind v.a. die „Fülletypen“, etwa Pykniker und Athletiker nach der Kretschmer’schen Konstitutionslehre (Ernst Kretschmer, Psychiater und Psychotherapeut, 1888–1964).
Bei Kopfschmerzen besonders bewährt haben sich:
- Aderlass,
- Schröpfen,
- Heilfasten,
- „Basenkost“,
- Darmreinigung,
- Verfahren der Physiotherapie,
- Phytotherapie (etwa zur Anregung der Leber) und
- regulative Verfahren wie die Akupunktmassage nach Penzel (APM) oder auch
- Kombinationen verschiedener Verfahren.
Der Begriff „Ausleitung“ soll sich daher auf ausgewählte Verfahren konzentrieren und trotzdem etwas weiter als in der klassischen Humoralmedizin interpretiert werden [4][6].
Womit sich die klinische Medizin schwertut
Ein lehrreiches Beispiel: Eine 72-jährige Patientin litt seit Jahrzehnten an Verstopfung und Kopfschmerzen. Immer dann, wenn die Kopfschmerzen besonders hartnäckig auftraten, war auch die Verstopfung besonders intensiv. Abführmaßnahmen, oft durch Einnahme von Abführmitteln oder selbst applizierte Klistiere, brachten zumindest für einige Tage deutliche Linderung der Kopfschmerzen. Der Zusammenhang Darm/Kopfschmerz war für diese Patientin also evident, wurde aber von den behandelnden Ärzten konsequent abgelehnt: Darm und Kopfschmerz hätten nichts miteinander zu tun.
Abgesehen davon, dass die Empirie uns wie im vorliegenden Fall oft das glatte Gegenteil zeigt, gibt es auch anatomische Begründungen und Erklärungsmodelle für Zusammenhänge zwischen Darm und Kopf: Der das Intestinum versorgende Vagusnerv (Vagus = der „Herumschweifende“) erreicht im Bereich des Gehörgangs als einziger Stelle des Körpers das Hautniveau. Zudem versorgt er die vegetativen Äste des Trigeminusnervs, des 5. Hirnnerven. Gemäß TCM entspringen Gallenblasen-, Blasen- und Magenmeridian im Kopf- bzw. Gesichtsbereich, Dickdarm- und Dünndarmmeridian enden dort.
Tatsächlich bewährt sich in der Praxis v.a. bei Frontalkopfschmerz die Ausleitung über den Darm [1].
In früherer Zeit oft mit Drastika wie „Extraktum Aloes“ durchgeführt, können kurmäßig Einläufe oder kurzzeitig auch salinische Abführmittel (cave: akute chronisch-entzündliche Darmerkrankung [CED], Divertikulitis!) eingesetzt werden.
Aufwendiger, aber hauptsächlich in hartnäckigen Fällen und bei mehrfacher Durchführung effektiv, ist die Kolonhydrotherapie (CHT). Das seit den 1980er-Jahren in Deutschland bekannte Verfahren stellt eine technische Weiterentwicklung des früheren subaqualen Darmbades (Sudabad) dar, das in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts an hunderten Akutkliniken sowie den meisten Universitätskliniken durchgeführt wurde. Bei der technisch aufwendigeren CHT werden druckmanometerkontrollierte wiederholte Einläufe (oft mit modulierten Wassertemperaturen) in Kombination mit sanfter Bauchmassage durchgeführt. Patienten können den Abgang des Darminhalts durch ein beleuchtetes Sichtrohr am CHT-Gerät mitverfolgen (cave: Darm-OP in den letzten 6 Monaten, akute CED/Divertikulitis, höhergradige Herzinsuffizienz, indirekte Leistenhernie) [4].
Zeitlose Klassiker
Aderlass
Der Aderlass erlebte in den letzten Jahren eine gewisse Renaissance, nachdem er jahrzehntelang allein schon durch seine Begrifflichkeit obsolet schien. In der Praxis bewährt hat sich der Aderlass mit 250 ml Blutentnahme nach Bernhard Aschner. Technisch gibt es unterschiedliche Verfahren, ich habe gute Erfahrungen mit der Strausskanüle gemacht, die an ein Infusionssystem angeschlossen wird, bei dem zuvor der Bereich um den Spiegel abgeschnitten wurde. So kann das Blut frei in ein Auffanggefäß laufen, z.B. in ein mit etwas Wasser gefülltes Konservenglas. Strausskanülen sind optimal geschliffen und lassen sich durch die rutschfeste Griffplatte sehr gut führen. Einige Therapeuten verwenden auch Vakuumflaschen, die aus dem OP-Bereich bekannt sind. Leider sind Strausskanülen aufgrund Zertifizierungsfragen bis auf Weiteres nicht lieferbar. Alternativen mit gleichem Kaliber, die ich ausprobiert habe, empfand ich als unhandlich und „stumpf“.
Ein wichtiger Hinweisgeber zu Umfang und Häufigkeit des Aderlasses stellt der Hämatokritwert (Hk) dar, der in der modernen Medizin eher ein Schattendasein fristet, obgleich er regelmäßig schon beim „kleinen Blutbild“ mitbestimmt wird. Etliche Labore geben nach wie vor veraltete (zu hohe) Normbereiche mit Obergrenzen bis zu oder über 50 % an, bei denen Leistungssportler längst unter Dopingverdacht gestellt oder sogar einer „Schutzsperre“ unterzogen würden. Erhöhte Hk-Werte (vor allem bei Rauchern) legen allemal gelegentliche Aderlässe oder Blutspenden nahe. Aber auch normale Hk-Werte (bis maximal 45 %) stehen einem Aderlass nicht entgegen. Ein Transfusionsmediziner der Universität Göttingen sagte vor geraumer Zeit in einem Radiointerview: Der „gesunde Mensch“ könne 4- bis 6-mal pro Jahr zum Blutspenden gehen. Er helfe dadurch nicht nur anderen, sondern auch sich selbst, etwa durch günstige Einflüsse auf den Stoffwechsel (z.B. Cholesterin- und Blutdrucksenkung).
Dementsprechend wirkt der Aderlass hämatokritsenkend, klassisch antidyskratisch, antientzündlich, vegetativ ausgleichend und insbesondere im Kopf „druckentlastend“ und bei regelmäßiger Durchführung – z. B. 4- bis 6-mal jährlich – auch blutdrucksenkend. Technisch ist er leicht und rasch einsetzbar. Es gibt sogar medizinische Diagnosen, bei denen der Einsatz des Verfahrens zur klinischen Leitlinie gehört, z.B. Hämochromatose oder Polycythaemia vera. Kontraindikationen sind v.a. Anämie und ausgeprägte arterielle Hypotonie.
Schröpfen
Ein weiterer Klassiker der ausleitenden Verfahren ist das Schröpfen, das sowohl „blutig“ als auch „trocken“ angewendet werden kann. Blutiges Schröpfen ist eine klassisch-detonisierende, ausleitende Methode (ähnlich dem Aderlass), trockenes Schröpfen wirkt tonisierend, indem es beispielsweise über die Reflexzonen durch dortige Platzierung des Schröpfkopfes ein Organ (z.B. die Leber) anregt.
Speziell bei Nacken(kopf)schmerzen und wenn eine „Last im Nacken“ sitzt, bewährt sich das blutige Schröpfen. Dazu wird das Gewebe in erster Linie im Bereich des Trapezmuskels mit einer Blutlanzette „angestichelt“, anschließend werden Schröpfköpfe unter Erzeugung eines Vakuums aufgesetzt, wo sie i.d.R. bis zu 20 Minuten verbleiben.
Achtung: In vielen Fällen können dabei nicht nur (vorübergehende) zirkuläre Rötungen auftreten, sondern – je nach Hautbeschaffenheit – auch Lymphbläschen, die erst nach Tagen wieder allmählich verschwinden. Darauf sollten Patienten im Vorfeld hingewiesen werden. Die Verwendung des sog. Schröpfschneppers sehe ich kritisch, da es dabei zu nicht unerheblichen und dauerhaft sichtbaren Narbenbildungen kommen kann [4].
Hydrotherapie
Hydrotherapeutisch bewähren sich bei Kopfschmerzen (v.a. bei Neigung zu kalten Füßen, laut TMC Ausdruck einer Nieren-Yang-Schwäche) warme Fußbäder, z.B. mit entspannendem Lavendelzusatz. Bei Nackenkopfschmerzen hilft der Kneipp'sche Nackenguss, Wassertreten und Tautreten. Sinnvoll sind auch feuchtwarme Kompressen im Nacken.
Fasten und Diätetik
Klassische Ausleiteffekte aus dem Ernährungssektor bietet das Heilfasten mit Säften und Gemüsebrühen nach der Buchinger-Methode. Wie die moderne Grundlagenforschung zeigt [9][10], entsteht der schon früher postulierte „Entschlackungseffekt“ durch Anregung des Autophagieprozesses, eine Art genetisch gesteuertes Selbstreinigungs- und Selbstreparaturverfahren, das intrazellulär abläuft. Mit zunehmendem Alter lässt die Fähigkeit zur Autophagie nach – das Risiko für Krankheiten steigt. Für die schon vor Jahrzehnten entdeckte Autophagie erhielt der belgische Biochemiker Christian de Duve bereits 1974 den Nobelpreis. Heute bezeichnen wir die beim Fasten schon nach 13–16 Stunden auftretende Stoffwechselumstellung als „metabolic switch“: Statt Energiegewinnung aus der Kohlenhydratverbrennung verwertet der Körper verstärkt Ketonkörper, die bei Nahrungsentzug durch die aktivierte oxidative Fettsäureverbrennung entstehen. Durch verschiedene Signalproteine wird dabei die Autophagie stimuliert [5].
In der Praxis erleiden besonders Kopfschmerzpatienten nach 12–36 Stunden des Fastens oft noch einmal eine starke Kopfschmerzattacke. Dem kann wirksam entgegengearbeitet werden durch Kaffeekarenz schon 1 Woche vor Fastenbeginn, Umschalttage, ausreichendes Trinken (allerdings Verzicht auf „säuernde“ Früchtetees), Zufuhr basischer Mineralstoffe, Magnesium, moderate Bewegung an der frischen Luft und v.a. konsequente Darmreinigung durch salinische Abführmittel in Kombination mit Darmspülungen (z.B. erweiterte Einläufe oder Kolonhydrotherapie).
Nach dem Fasten sollten Kopfschmerzpatienten eine Ernährungsmodifikation hin zu einer mehr basenbetonten Ernährungsweise durchführen. Eine solche gemüselastige Kost – neuerdings auch als „antientzündliche Kost“ bezeichnet – reduziert tierische Nahrungsmittel, insbesondere rotes Fleisch, ferner Fertignahrungsmittel und auch den Getreideanteil. Nach Untersuchungen der PRAL-Werte in Bezug auf einzelne Nahrungsmittel (PRAL = „potential renal acid load“ = potenzielle Säurebelastung der Nieren) [8] werden nicht nur tierische Proteine, sondern auch Getreide „sauer“ verstoffwechselt. Gute Basenbildner sind hingegen v.a. Kalium- und Magnesiumcitrate – und -malate, die sich bevorzugt in Obst und Gemüse finden. Bei Getränken sollten Früchtetees vermieden werden, ebenso Kaffee, stattdessen sind „gelbe“ Teesorten (z.B. Fenchel, Melisse, Kamille) und Heilwässer mit hohem Bicarbonatgehalt zu bevorzugen (z.B. Gerolsteiner, Donat-Quelle).
Das Procedere des Fastens mit anschließender Kostumstellung mag sehr komplex klingen, erweist sich aber gerade bei Patientinnen und Patienten mit chronisch-rezidivierendem Kopfschmerzsyndrom als langfristig sehr effektiv. Nicht zuletzt mag dazu auch der stimmungsaufhellende, angstlösende und schmerzlindernde Effekt des Fastens beitragen.
Leber, Galle, Blase, Magen und TCM
Der Physiotherapeut Willy Penzel – Begründer der nach ihm benannten Akupunktmassage (APM) – beschrieb Schmerz als einen „Schrei nach fließender Energie“. Genau hier setzen regulative Verfahren aus der TCM an, auch die in Anlehnung an die TCM entwickelte APM. Ziel ist der energetische Ausgleich. In vielen Fällen deutet Spannungskopfschmerz auf einen „Fülleschmerz“ hin, weswegen häufig ableitende Behandlungen – vom Kopf in Richtung Unterleib und Füße (v.a. über Blasen- und Gallenblasenmeridian) – geeignet sind.
Auch die Akupunktur selbst kann bei Kopfschmerz weiterhelfen. Sowohl der am lateralen Augenrand beginnende Gallenmeridian als auch der innere Lebermeridian haben Beziehungen zu Migräne/Kopfschmerzen. Druck hinter dem Auge und Schmerzen im Schläfenbereich deuten auf ein energetisches Ungleichgewicht im Gallenmeridian hin. Das geht i.d.R. nicht mit einem strukturellen internistischen Befund im Leber-/Gallenbereich einher und kann eher im Sinne einer funktionellen Störung interpretiert werden. Typisch für Lebermigräne ist vielmehr ein Druck unter der Schädelkalotte. Bei helmförmig in der Schädelmitte vom Nacken in die Stirn ziehenden Schmerz ist der Blasenmeridian beteiligt. Ein Schmerzschwerpunkt im Gesicht korreliert mit dem Magenmeridian.
Laut TCM sind klassische Akupunkturpunkte bei Kopfschmerz Du 20, Ex Taiyang und Gb 20, Gb 21, Gb 34 [3]. Je nach Situation kommen weitere Punkte hinzu:
- bei Frontalkopfschmerz: Du 23, Ma 8, Ex Yintang, Di 4
- bei Parietalkopfschmerz: Du 21, Le 3, Ni 1 (letzterer bei vielen Patienten u. U. problematisch, da sehr schmerzhaft)
- Nackenkopfschmerz: Du 19, Bl 10, MP 3
Unterstützend ableitend können Phytotherapeutika, Komplex- oder homöopathische Einzelmittel eingesetzt werden. Sie enthalten für die Leberunterstützung meist die typischen Bitterstoffpflanzen wie Mariendistel, Artischocke, Curcuma, Löwenzahn, Engelswurz etc. Bekannte Präparate heißen z.B. Hepar-Hevert, Hepatodoron, Hepeel, Digestodoron, Infitract V, Phönix Silybum (cave: ggf. Korbblütlerallergie!).
Lymphe – das vergessene System
Das Lymphsystem ist nicht nur unerlässlich für den Abtransport von Stoffwechselendprodukten („lymphpflichtige Last“), sondern ebenfalls für das Abwehrsystem („Lymphozyten“). Aber auch bei Schmerzzuständen spielt es als Zeichen für einen (lokal) überlasteten Stoffwechsel eine Rolle. Dementsprechend eignen sich empirisch bei Spannungskopfschmerzen und Migräne manuelle Lymphdrainagen (MLD) im Kopfbereich. Sie werden von den Patienten als wohltuend empfunden, wirken entstauend und beruhigend.
Bei der manuellen Lymphdrainage wird mit sanften streichenden, schiebenden und vibrierenden Fingerbewegungen in Richtung des Lymphflusses gearbeitet, hin zu der Stelle, in der die Lymphe in die venöse Blutbahn zurückfließt, in diesem Fall zu dem als „Venenwinkel“ bezeichneten Zusammenfluss von Vena jugularis interna und Vena subclavia zur Vena brachiocephalica.
Zusätzlich zur Lymphunterstützung haben sich Komplexmittelhomöopathika bewährt (z.B. Lymphomyosot, Lymphdiaral-Basistropfen, Lymphaden-Hevert). Der Wirkeffekt benötigt einige Zeit, deswegen sollten sie wochen-, ggf. monatelang eingenommen werden. Dann entfalten sie aber i.d.R. einen entlastenden und unterstützenden Effekt, den viele Patienten mit der interessanten Formulierung beschreiben, sie fühlten sich „leichter“ und „freier“. Sinnvoll ist in vielen Fällen auch die kurmäßige Kombination über Wochen mit über die Nieren ausleitungsunterstützenden Präparaten. Klassische Pflanzen, die eine milde Diurese anregen, sind z.B. Hauhechel, Orthosiphonkraut oder Goldrute. Sie sind in zahlreichen Präparaten und Tees enthalten. Möglich ist auch der Einsatz von Einzelmittelhomöopathika wie Solidago D4 3 × 1 oder Kombinationspräparate wie Nierentropfen Cosmochema.
Schmerz als „Schrei der Seele“
Letztendlich sollte bei Schmerzsyndromen im Allgemeinen sowie bei Kopfschmerzsyndromen im Speziellen beachtet werden: Schmerz trägt immer auch eine subjektive Komponente in sich. Wie Wolf-Jürgen Maurer [7] schreibt, ist vor allem der chronische Schmerz ein stark psychisch geprägtes Phänomen, denn Schmerz werde im emotionalen Teil des Gehirns „verschaltet“ und erst dann bewusst wahrgenommen. Bei mehr als der Hälfte der chronischen Schmerzpatienten liegen vollständig oder teilweise psychische Ursachen zugrunde. Seelischer Schmerz werde in vielen Fällen symbolisch als körperlicher Schmerz dargestellt.
Emotionale Ausleitung wäre demnach ebenfalls Teil eines komplexen Ausleitungskonzepts. Dazu eignen sich – je nach individueller Neigung – z.B. moderater Sport, Aufenthalt in der Natur, Beschäftigung mit Tieren, Musik und Kunst, das gute Gespräch und für einige Zeit vielleicht auch Medienfasten. Und: jeden Tag mal 20 Minuten für sich selbst haben, ohne Telefonate und E-Mail-Kontakte, als Zeit zum „Runterkommen“ und Reflektieren der Ereignisse des Tages.
- Aschner B. Lehrbuch der Konstitutionstherapie. 8.. Aufl. Stuttgart: Hippokrates; 1986
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG). Hrsg. S1-Leitlinie „Diagnostik und Therapie des Kopfschmerzes vom Spannungstyp“. 030–077. Im Internet: Zugriff am 20. Juli 2024 unter: https://register.awmf.org/assets/guidelines/030–077l_S1_Diagnostik-Therapie-Kopfschmerz-Spannungstyp_2024–03.pdf
- Junying G. Selecting the right acupoints. Beijing: New World Press; 1995
- Matejka R. Ausleitende Therapieverfahren. 3.. Aufl. München: Elsevier; 2009
- Matejka R. Fasten heilt. Stuttgart: Trias; 2021
- Matejka R. Symptomatik, Befund (Ursache), Therapieprinzip. In: Kraft K, Stange R. Hrsg. Lehrbuch Naturheilverfahren. Stuttgart: Hippokrates; 2010: 518-532
- Maurer W-J. Schmerz als Schrei der Seele. Naturarzt 2019 12.
- Remer T, Manz F. Potential renal acid load of foods and its influence on urine pH. J Am Diet Assoc 1995; 95 (07) 791-797
- Longo VD, Mattson MP. Fasting: Molecular mechanisms and clinical applications. Cell Metab 2014; 19 (02) 181-192
- de Cabo R, Mattson MP. Effects of intermittent fasting on health, aging, and disease. N Engl J Med 2019; 381 (26) 2541-2551
Autor
Dr. med. Rainer Matejka ist Arzt für Allgemeinmedizin und war bis März 2024 Chefarzt der Malteser-Klinik von Weckbecker, Bad Brückenau. Er ist Vorsitzender der Ärztegesellschaft Heilfasten und Ernährung, Überlingen, sowie Dozent für biologische Medizin (Universität Mailand).
Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.