Sie forschen an der Berliner Charité zu Ernährung und Fasten. Warum ist Fasten für den Körper so gesund?
Die Antwort geht mit der Frage einher, was Ernährung an sich in unserem Körper auslöst. Fasten steht im Zusammenhang mit der Ernährung und ist nicht an sich gesund. Der menschliche Körper ist evolutionsgeschichtlich so geprägt, dass es begrenzte Zeiten gibt, in denen wir nichts zu uns nehmen. Diese Fastenphasen fördern die Aufrechterhaltung von Körperfunktionen.
Beim Fasten laufen Prozesse wie die Autophagie ab. Der Körper recycelt fehlerhafte Zellbestandteile wie z.B. falsch gefaltete Proteine und verwertet sie neu. Diese Prozesse finden bei permanenter Nahrungszufuhr nicht statt, die fehlerhaften Zellbestandteile verbleiben in den Zellen und können sich auf Dauer anhäufen.
Auch auf das Immunsystem wirkt Fasten positiv. Warum genau, ist noch nicht ausreichend geklärt. Es wurde beispielsweise festgestellt, dass bestimmte Immunzellen beim Fasten zurück ins Knochenmark wandern. Nach dem Fasten steigt ihre Zahl im Blut wieder an – mit offenbar verbesserter Funktionalität.
Im Gehirn werden beim Fasten die Stammzellregeneration und die neuronale Plastizität gefördert. Ein Grund dafür ist die Aktivierung des Brain-derived neurotrophic factor (BDNF) während des Fastens. Wird keine Nahrung zugeführt, sind wir oft wacher und können besser Zusammenhänge herstellen. Das ist evolutionär gesehen wichtig, um die nächste Nahrung zu finden.
Was passiert auf der psychischen oder spirituellen Ebene?
Das ist eine wunderschöne Frage, die in der Forschung oft zu kurz kommt. Die Erfahrung zeigt, dass Menschen beim Fasten oft feststellen, dass Essen auch bestimmte Bedürfnisse jenseits der reinen Nahrungszufuhr befriedigt. Zum Beispiel nach Ruhe, Entspannung, einer Pause oder Schlaf, Bewegung, Trost und Zuwendung. Oder einen spirituellen Hunger oder Durst, der nicht bewusst wird, wenn man ihn mit Essen dämpft.
Wir assoziieren Essen aus der Kindheit heraus mit Berührung, Ruhe und Zuwendung. Vielleicht haben wir auch deshalb in westlich geprägten Gesellschaften mit Fokus auf dem Materiellen das Problem des Übergewichts, weil Essen auf eine Art Wärme und Zuwendung gibt. Diese Dinge für sich selbst zu erkennen, auch darum geht es im Fasten.
Wie beeinflusst Fasten die Leber?
Fasten verbessert den Stoffwechsel. Es trainiert den Körper, andere Stoffwechselwege zu gehen, insbesondere bezogen auf die Leber.
Normalerweise wird der Glukosestoffwechselweg genutzt, d.h. aus dem Darm wird Glukose im Leberkreislauf angeflutet, in Speicher überführt oder direkt in den Körper weitergeleitet. Bleibt beim Fasten die Glukose aus, wird der Ketonkörperstoffwechsel in Gang gesetzt: Aus dem Fettgewebe werden Fettsäuren freigesetzt und in der Leber zu Ketonkörpern abgebaut. Das macht sich bisweilen am Mundgeruch bemerkbar: Die leicht flüchtigen Ketonkörper sind in der Ausatemluft als Acetongeruch wahrnehmbar.
Kann Fasten der Leber schaden, weil der Stress für die Leber zu groß ist?
In der Naturheilkunde arbeiten wir mit dem Prinzip der Hormesis. Das bedeutet, dass wir Reize setzen, die in der richtigen, meist geringen Dosis positive Wirkungen auf den Organismus haben. Der Körper wird dadurch trainiert, seine Adaptationsfähigkeit an Stressoren erhöht. In zu hohen Dosen können gesetzte Reize schaden, in moderaten Dosen therapeutische Wirkung entfalten und die Gesundheit stabilisieren.
Demnach ist Fasten natürlich nicht in jedem Fall gesund. Ist das System gerade nicht stabil, kann der gesetzte Reiz durch das Fasten eher kontraproduktiv sein. Liegt zum Beispiel eine fortgeschrittene Lebererkrankung vor, bei der die Leber in ihrer Regulationsfähigkeit schon deutlich eingeschränkt ist, sollte nicht gefastet werden.
Bei welchen Lebererkrankungen ist Fasten kontraindiziert?
Eine fortgeschrittene Leberinsuffizienz ist eine Kontraindikation für das Fasten. Alle Kontraindikationen sind in den Leitlinien zur Fastentherapie [1] aufgeführt.
Insgesamt sollte man sich die allgemeine Konstitution des Patienten anschauen und auf Basis des Gesamtbildes entscheiden. Bei deutlichem Untergewicht oder Mangelernährung ist Fasten natürlich auch nicht indiziert. Aber auch bei stark belasteten Patienten, die im Alltag vielleicht am Rande der Erschöpfung agieren, sollte die Stabilisierung der Situation Vorrang haben, bevor das Fasten in Erwägung gezogen wird.
Fasten hat bei einer nicht alkoholischen Fettlebererkrankung außerordentliches Potenzial.
Wie wirkt Fasten bei einer nicht alkoholischen Fettlebererkrankung?
An nicht alkoholischer Fettleber erkranken häufig übergewichtige Menschen. Fasten hat dafür außerordentliches Potenzial. Eine Studie hat gezeigt, dass der Fatty Liver Index durch Heilfasten signifikant zurückgegangen ist. Die Studie wurde in der Buchinger Klinik durchgeführt und die Patient*innen fasteten zwischen 4 und 8 Tagen [2].
In eigenen Untersuchungen haben wir im Ultraschall gesehen, dass die Fettdepots in der Leber bereits nach 5-6 Tagen abnahmen. Das war fast schon spektakulär, dass das in so kurzer Zeit möglich ist. In der Praxis kann es sein, dass die Leberwerte im Labor nach 6-10 Fastentagen steigen können und ggf. bis zu 4 bis 6 Wochen nach dem Fasten. Es zeigt die wahrscheinlich physiologische Reaktion der Leber auf das Fasten und weist darauf hin, dass die Leberfunktion womöglich schon beeinträchtigt war.
Dr. med. Daniela Koppold
Dr. med. Daniela Koppold ist Studienärztin am Immanuel Krankenhaus Berlin/Charité Hochschulambulanz für Naturheilkunde mit dem Schwerpunkt Fasten. Dazu zählen u.a. Fasten bei Chemotherapie, Fasten und ketogene Ernährung bei Multipler Sklerose, Dokumentation der Effekte von stationärem Heilfasten, Fasten bei rheumatoider Arthritis, Fasten bei Kinderwunsch. Zudem ist sie selbstständig tätig in der Ernährungs- und Fastenbranche, u.a. als Dozentin und Fastenkursleiterin.
Beim Buchinger Heilfasten wird über einen begrenzten Zeitraum keine feste Nahrung zugeführt. Was können Fastenformen wie Intervallfasten leisten, wenn wir bei der Fettleber bleiben?
Dazu gibt es bislang kaum Untersuchungen. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass es eine Dosis-Wirkungs-Beziehung beim Fasten gibt. Das heißt, man kann sicher nicht erwarten, dass 3 oder 4 Wochen Intervallfasten zum gleichen Ergebnis führen wie eine Woche Buchinger-Fasten. Der Reiz ist beim Intervallfasten viel geringer und damit auch die Reaktion des Körpers.
Aber: Intervallfasten behält man in der Regel für Monate oder Jahre bei. Ich nehme an, in diesen Zeiträumen führt es zu guten Effekten und möglicherweise zu ähnlichen Ergebnissen wie das Buchinger-Fasten. Es geht ja darum, diesen anderen Stoffwechselweg zu trainieren und das passiert, wenn man 14 oder 16 Stunden keine Kalorien zu sich nimmt.
Wir haben in der Praxis auch schon gesehen, dass selten beim Intervallfasten die Leber- oder die Blutfettwerte steigen können. Der Stoffwechsel ist individuell geprägt: Bei den allermeisten Menschen sinken die Blutfette während des Fastens, aber es gibt Ausnahmen. Das muss man natürlich im Auge behalten und das Intervallfasten dann ggf. verändern oder abbrechen.
Wäre es demnach empfehlenswert, initial zu fasten und anschließend die Ernährung umzustellen?
Fasten ist fast immer ein guter Einstieg in die Ernährungsumstellung. Man hat nach dem Fasten einen sensibleren Geschmackssinn und eine verbesserte Wahrnehmung auch dahingehend, was einem selbst guttut.
Aber grundsätzlich ist es eine individuelle Therapieentscheidung. Für manche ist ein längeres Fasten mit anschließender Ernährungsumstellung genau das Richtige. Für andere passt es vielleicht besser, mit Intervallfasten anzufangen oder erst einmal wahrzunehmen, welche Esspausen es überhaupt im Alltag gibt.
Untersuchungen aus den USA haben gezeigt, dass sehr viele Menschen 20 Stunden am Tag irgendeine Art von Kalorienaufnahme praktizieren bzw. Glukose im Blut haben. Dazu gehören reguläre Mahlzeiten, Snacks, nachts der Gang zum Kühlschrank oder was auch immer. Dann gibt es gar keine wirklichen Esspausen. Das ist das Schlimmste, was man seinem Stoffwechsel antun kann. Essenspausen sind die minimalste „Fastenvariante“, die unser Organismus zur Regeneration braucht.
So gesehen kann es schon ein Einstieg sein, Esspausen zwischen den Mahlzeiten einzulegen, auf Snacks zu verzichten und v.a. auf fruktosehaltige Getränke. Diese sind besonders schädlich für die Leber und fördern eine Fettleber, ganz gleich, ob man schlank ist oder nicht.
Und man sollte sich mit dem Intervallfasten nicht überfordern, es muss zum Alltag oder zur Familiensituation passen.
Esspausen sind die minimalste "Fastenvariante", die unser Organismus zur Regeneration braucht.
Was empfehlen Sie bei Fettleber, was gehört jeden Tag auf den Tisch und worauf sollte man besser verzichten?
Verzichten sollte man auf jeden Fall auf prozessierte, fruktosehaltige Speisen. Obst an sich ist gesund. Fruchtzucker wird jedoch oft anderen Lebensmitteln zugesetzt, z.B. in gesüßten Getränken oder Riegeln ist er ausgesprochen leberschädlich, da er in sehr hohen Konzentrationen zugesetzt wird.
Tierische Produkte, v.a. verarbeitete tierische Produkte, sind insgesamt nicht gesund, nicht nur für die Leber. Diese sollte man nur sparsam verzehren.
Ansonsten empfehle ich eine pflanzenbasierte Ernährung. Damit haben wir in unserer Abteilung sehr gute Erfahrungen gemacht. Gut untersucht ist die mediterrane Ernährung und sie beinhaltet einige Elemente, die man gut übernehmen kann: z.B. Wildkräuter, viel sonnengereiftes Obst und Gemüse. Aber die Menschen dort essen traditionell auch entspannter und meist miteinander.
Grundsätzlich ist Gemüse hervorragend für die Leber. Man sollte sich aber auch fragen, was gut in den Alltag passt und gut vertragen wird. Nicht jeder verträgt z.B. Rohkost gut. Dann kann man sich auch an ayurvedischen oder traditionellen chinesischen Kostformen orientieren, dort werden die Nahrungsmittel oft mehr gekocht.
Was ist mit Dingen wie Bitterstoffen oder Gewürzen?
In den traditionellen Ernährungsformen, die gut untersucht sind, werden sehr viele Kräuter verwendet. Frisch und getrocknet. Kräuter enthalten u.a. Bitterstoffe, die den Gallefluss anregen. Das ist sehr förderlich für die Verdauungsfunktion.
Auch andere Inhaltsstoffe von Kräutern sind Superfood-Komponenten: z.B. sekundäre Pflanzenstoffe, ätherische Öle, Spurenelemente. Gut untersucht ist Kurkuma, aber deshalb sind Basilikum, Thymian, Minze und andere Kräuter, die in unseren Breiten wachsen, nicht weniger gesund. Ideal wäre es, einen Kasten mit frischen Kräutern zu haben und davon zu jeder Mahlzeit reichlich dazuzugeben, ganz nach den eigenen Vorlieben.
Gibt es Daten, dass man durch Fasten und Ernährungsinterventionen eine Fettleber heilen kann?
Dazu gibt es keine direkten Daten. Es gibt die oben genannte Studie [2], in der sich gezeigt hat, dass der Fatty-Liver-Index sinkt. Das bedeutet eine bessere Leberfunktion.
Der Begriff heilbar ist in diesem Zusammenhang aber schwierig. Hat sich eine Fettleber einmal entwickelt, kann sie sich jederzeit wieder entwickeln, wenn die betreffende Person wieder die verursachenden Nahrungsmittel zu sich nimmt.
Aber es kann zu einer Remission kommen?
Ja. Bei den meisten Betroffenen entwickelt sich die Fettleber hauptsächlich über die Zufuhr von bestimmten Nahrungsmitteln oder Getränken. In den ersten Stadien lässt sich die Erkrankung rückgängig machen.
Man muss aber realistischerweise sagen, das Fasten kein Wunderheilmittel ist. Es hilft, die Reaktivität des Körpers und die eigenen Kräfte der Reorganisation zu stimulieren. Ist das noch möglich, kann sich das System regenerieren und seine Funktionsweise wieder aufnehmen. Ist es aber bereits so geschädigt, dass das nicht mehr möglich ist, kann vielleicht eine Besserung erreicht werden, aber kein Neustart.
Herzlichen Dank für das Interview!
Das Gespräch führte Anke Niklas.
Literatur
[1] Ärztegesellschaft Heilfasten und Ernährung. Leitlinien zur Fastentherapie. Forsch Komplementmed 2013; 20 (6): 434-443
[2] Drinda S, Grundler F, Neumann T et al. Effects of Periodic Fasting on Fatty Liver Index-A Prospective Observational Study. Nutrients 2019; 11 (11): 2601