von Anna K. Koch und Jost Langhorst
Inhalt
Einschätzung der European Medicines Agency
Wirksamkeit von Mariendistel bei Hepatitis C
Mariendistelextrakt in Kombination mit Lebensstilmodifikation bei Hepatitis B
Mariendistel ist das am häufigsten angewandte Phytotherapeutikum bei Lebererkrankungen. Ein Survey bei Patienten mit Lebererkrankungen zeigte, dass 39 % der Befragten innerhalb eines Monats eine Form von komplementärer und/oder alternativer Medizin anwenden [1]. Unter den pflanzlichen Medikamenten sind Mariendistel (Silybum marianum; [2]), Knoblauch, Ginseng, Ginkgo, Echinacea, Grüner Tee und Johanniskraut die am häufigsten verwendeten.
Die meisten dieser genannten pflanzlichen Mittel werden auch von Personen mit anderen Beschwerden zur Therapie unterschiedlicher Erkrankungen gerne genutzt. Mariendistel allerdings ist speziell bei Lebererkrankungen gefragt. Mit 12 % war sie das pflanzliche Mittel, das von Personen mit Lebererkrankungen am häufigsten genutzt wurde. Wie bei den meisten komplementären Therapieverfahren war auch hier der Anteil an Frauen unter den Anwendern höher.
Einschätzung der European Medicines Agency
Innerhalb der Mariendistelfrüchte-Monografie des Ausschusses für pflanzliche Arzneimittel (Committee on Herbal Medicinal Products, HMPC) der Europäischen Zulassungsbehörde EMA (European Medicines Agency) wird Mariendistel unter „traditional use“ geführt. Das bedeutet, dass Mariendistel länger als 30 Jahre und davon mindestens 15 Jahre in der EU verwendet wird.
Wirksamkeit von Mariendistel
Mariendistelfrüchte mit dem Wirkstoffkomplex Silymarin und dem darin enthaltenen Hauptwirkstoff Silibinin sind gut untersuchte pflanzliche Präparate [2]. Die Mariendistel wird seit Jahrhunderten zur Therapie von Gelbsucht und Lebererkrankungen eingesetzt. Innerhalb ihrer aktiven Inhaltsstoffe ist Silibinin die Komponente mit der größten biologischen Aktivität. Präklinische Untersuchungen haben hier einige der pharmakologischen Wirkmechanismen aufgeklärt:
Silibinin hat eine antioxidative und antifibrotische Wirkung und besitzt zudem entzündungshemmende Eigenschaften beispielsweise durch eine Reduktion der TNF-Freisetzung aus T-Zellen.
In klinischen Studien konnte vor allem die unterstützende Wirksamkeit bei toxischen Leberschäden etwa durch Alkohol und Knollenblätterpilzvergiftung gezeigt werden. Laut EMA reicht die klinische Datenlage allerdings nicht aus, um die Mariendistel statt des „traditional use“ als „well-established use“ zu klassifizieren.
Da die Wirkstoffe der Pflanze unter anderem schwer wasserlöslich sind, wird zu therapeutischen Zwecken standardisiertes Mariendistelextrakt eingesetzt.
Wirksamkeit von Mariendistel bei Hepatitis C
Abseits der Behandlung toxischer Leberschäden ist die Wirksamkeit von Mariendistel weniger gut belegt. Innerhalb einer Metaanalyse wurde die Wirksamkeit und Sicherheit von Silymarin bei chronisch Hepatitis-C-Virus-infizierten Patienten untersucht [3]. Die Schlussfolgerung war, dass Silymarin bei chronisch HCV-infizierten Patienten gut verträglich ist. Allerdings konnten keine signifikanten Effekte von oralem Silymarin auf Lanin-Aminotransferase und Hepatitis C-Virus RNA gezeigt werden. Eine Schlussfolgerung der Metaanalyse lautet, dass vor allem die intravenöse Verabreichung von Silymarin weiter untersucht werden soll.
Mariendistelextrakt in Kombination mit Lebensstilmodifikation bei Hepatitis B
Eine kürzlich in Scientific Reports publizierte Studie untersuchte die Prävalenz der hepatischen Steatose in der Allgemeinbevölkerung und bei Patienten mit chronischer Hepatitis B sowie die Wirkung von Silibinin-Kapseln in Kombination mit therapeutischen Lebensstiländerungen (TLC) im Vergleich zu TLC allein auf die hepatische Steatose bei Patienten mit chronischer Hepatitis B [4].
Bei Patienten, die Silibinin-Kapseln in Kombination mit TLC erhielten, zeigte sich im Rahmen einer transienten Elastographie nach 6 Monaten positivere Effekte als bei Patienten, die ausschließlich TLC erhielten.
Fazit
- Seit Jahrhunderten wird Mariendistel zur Therapie von Gelbsucht und Lebererkrankungen eingesetzt, von der EMA wird es unter „traditional use“ geführt.
- Die aktive Hauptkomponente, das Silibinin, hat eine antioxidative und antifibrotische Wirkung und besitzt entzündungshemmende Eigenschaften.
- Eine Viruselimination bei chronischer Infektion oder die Heilung fortgeschrittener Lebererkrankungen durch Mariendistel sind als unrealistisch und unseriös abzulehnen.
- Bei toxischen Leberschäden zum Beispiel durch Alkohol und Knollenblätterpilzvergiftung ist die unterstützende Wirksamkeit gut belegt, für die Behandlung von Hepatitis B und C gibt es nicht ausreichend Nachweise. Zumindest bei Hepatitis B scheint aber eine ergänzende Wirksamkeit in Kombination mit Lebensstiländerungen denkbar.
- Weitere klinische Studien vor allem zur intravenösen Verabreichung von Silymarin sind nötig, um eine potenzielle Wirksamkeit auch bei chronisch viralen Lebererkrankungen aufzudecken.
Literatur
[1] Strader DB, Bacon BR, Lindsay KL et al. Use of complementary and alternative medicine in patients with liver disease. The American Journal of Gastroenterology 2002; 97(9): 2391–2397
[2] Saller R, Brignoli R, Melzer J et al. An updated systematic review with metaanalysis for the clinical evidence of silymarin. Complementary Medicine Research 2008; 15(1): 9–20
[3] Yang Z, Zhuang L, Lu Y et al. Effects and tolerance of silymarin (milk thistle) in chronic hepatitis C virus infection patients: A meta-analysis of randomized controlled trials. BioMed Research International 2014; 2014: 941085
[4] Lv D-D, Wang Y-J, Wang M-L et al. Effect of silibinin capsules combined with lifestyle modification on hepatic steatosis in patients with chronic hepatitis B. Scientific Reports 2021; 11(1): 655
Autor*innen
Dr. rer. nat. Anna K. Koch ist promovierte Psychologin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsabteilung der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin am Evangelischen Krankenhaus Essen-Steele sowie der Klinik für Integrative Medizin und der Sozialstiftung Bamberg.
Prof. Dr. med. Jost Langhorst ist Chefarzt der Klinik für Integrative Medizin und Naturheilkunde am Klinikum am Bruderwald, Sozialstiftung Bamberg. Zudem hält er den Stiftungslehrstuhl für Integrative Medizin, Schwerpunkt Translationale Gastroenterologie der Universität Duisburg-Essen am Klinikum am Bruderwald in Bamberg inne.