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Die TCM ist ein eigenständiges, vorwiegend auf klinischer Erfahrung basiertes Medizinsystem, das bei der Behandlung funktioneller Erkrankungen zunehmende Bedeutung erlangt.
Schlafstörungen gehören zu den häufigsten Erkrankungen in der industrialisierten Welt; 30–40 % der Erwachsenen sind in unterschiedlichem Schweregrad betroffen. Auch etwa 20 % der Kinder leiden unter dieser Störung, und die Prävalenz – bei Kindern im Besonderen – ist ansteigend. Erkrankungen aus diesem Formenkreis gehen mit einem deutlichen Krankheitsgefühl einher und sind subjektiv sehr belastend. Sie stellen einen der häufigsten Vorstellungsgründe in der ärztlichen Praxis dar. In Deutschland werden pro Jahr ca. 15 Millionen Einzelrezepte für schlafanstoßende/schlaffördernde Arzneimittel ausgestellt. Die schweren chronischen Formen und die schlafbezogenen Atmungsstörungen sind mit einer erheblichen Steigerung von Morbidität und Mortalität assoziiert.
Einteilung der Schlafstörungen nach den internationalen Klassifikationen ICD-10 und ICSD-3
ICD-10 ist die relevante Einteilung, ICSD-3 wird mit detaillierteren Einteilungen eher von Schlafmedizinern angewendet.
Häufigste Gruppen
Insomnie
ICD-10:
F51.0 Nicht organische Insomnie
ICSD-3:
Insomnie; chronische Insomnie
Einteilung nach Dauer und Schweregrad:
- akute Form:
- kurzer Zeitraum, meist erinnerbarer Auslöser (kann auch etwas Positives, Aufregendes sein)
- cave: Chronifizierungsgefahr
- chronische Form:
- Mindestdauer > 3 Monate an ≥ 3 Tagen der Woche
- unabhängig von Auslöser
- unbekannter Auslöser (Verselbstständigung, Fixierung auf Insomnie mit depressiver Überformung wie Gereiztheit, Unruhe, Konzentrationsstörungen)
- Beeinträchtigung der Tagesbefindlichkeit
- schwere chronische Form:
- mindestens ein gescheiterter Therapieversuch
- St.n. Aufenthalt in psychosomatischen Kliniken
- komorbide Form:
- mindestens eine andere Erkrankung, die die Schlafstörung verschlechtern kann oder durch die Schlafstörung potenziell verschlechtert wird
- z. B. Depression
- z. B. Schmerzsyndrome: hier Therapie der Schmerzen im Vordergrund
20 % der Insomniepatienten haben parallel eine schlafbezogene Atmungsstörung (cave: Verschlechterung durch Hypnotika möglich).
Schlafbezogene Atmungsstörungen
ICD-10:
G47.31 Obstruktives Schlafapnoe-Syndrom
G47.32 Schlafbezogene Hypoventilationsstörungen
Hypersomnien
ICD-10:
F51.1 Nicht organische Hypersomnie
F51.8 Schlafmangelsyndrom
Chronische Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen
ICD-10:
G47.2 Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus
F51.2 Schichtarbeit, Jet-Lag
Parasomnien
ICD-10:
F51.3 Schlafwandeln
F51.4 Pavor nocturnus
F51.8 Schlafbezogene Essstörung
F51.5 Albträume
G47.4 Schlafparalyse
Schlafbezogene Bewegungsstörungen
ICD-10:
G25.81 Restless-Legs-Syndrom
G25.80 Periodische Beinbewegungen im Schlaf
F45.8 Bruxismus
Schlafphasen
2 Gruppen und 4 Phasen
Gruppe 1: orthodoxer Schlaf/NREM-Schlaf
Phasen N1–N3:
- N1: Übergang zwischen Wachen und Schlafen (drowsiness)
- N2: stabiler Schlaf (superficial sleep)
- N3: Tiefschlaf (deep sleep)
Die Körpertemperatur und der Blutdruck sinken mit Zunahme der Schlafphasen ab. Träume treten hier selten auf. Der Tiefschlaf tritt vor allem in den ersten 4 Stunden des Nachtschlafs auf.
Gruppe 2: paradoxer Schlaf/REM-Schlaf
Paradox deshalb, weil im Gegensatz zu den Schlafphasen N1−N3 des orthodoxen Schlafes eine rege Betawellenaktivität (Frequenzen der Hirnströme im EEG) vorliegt, die sonst nur noch im Wachzustand gemessen werden kann, und gleichzeitig Blutdruck und Pulsfrequenz meist ansteigen. Diese Phase ist weiterhin durch eine rege Traumaktivität gekennzeichnet.
Normwerte für den Schlaf
(Abweichungen müssen für das Individuum nicht pathologisch sein.)
- Schlafdauer: 5–9 Stunden
- Schlaflatenz; Zeit bis zum Einschlafen: 1–20 Minuten
- Tiefschlafanteil: 20 %
- REM-Schlafanteil: 20 %
- Anzahl der nächtlichen Aufwachreaktionen: keine konkreten Angaben; oft mehr als 30 pro Nacht, meist nicht erinnerlich
Der durchschnittliche Erwachsene schläft 7–8 Stunden. Dabei durchläuft er mehrere Schlafzyklen (N1−N3 + REM), die jeweils 90−110 Minuten andauern. Der Anteil des REM-Schlafes an diesen Zyklen nimmt zum Ende der Nacht hin zu.
Die Schlafphasen N3 (Tiefschlaf) und REM werden als essenziell bezeichnet. Während in der Tiefschlafphase die körperliche Regeneration im Vordergrund steht, zeichnet sich der REM-Schlaf durch Abbauprozesse von Stoffwechselprodukten des Nervensystems (Neurotransmitter, z. B. GABA) aus. Sind diese Prozesse unzureichend, treten bei Problemen der N3-Phase vorwiegend somatische Symptome wie Wundheilungsstörungen und herabgesetzte Krankheitsabwehr auf. Ist der REM-Schlaf unphysiologisch, kommt es zur Einschränkung der Konzentrationsleistung, des Gedächtnisses, der Informationsbewältigung, des Stressmanagements und möglicherweise auch zur eingeschränkten Triebimpulskontrolle.
Komorbidität
Schlafstörungen gehen mit einer erheblichen Komorbidität einher. Häufig sind Konzentrationsstörungen mit erhöhter Unfallgefahr, ein erhöhtes kardiovaskuläres Risikoprofil mit höheren Prävalenzen für Diabetes, Übergewicht/Adipositas sowie Anorexie. Des Weiteren kann die Rekonvaleszenz verlängert sein (Wundheilungsstörungen) und durch einen reduzierten Anabolismus des Immunsystems kommt es zu gehäuften Infekten und Rezidiven (z. B. Herpes Zoster).
Auch ist die Prävalenz von Depressionen deutlich erhöht. Hier ist eine Trennung von Ursache und Wirkung nicht vollständig möglich („Henne-Ei-Prinzip“). Auch ist eine klare Abgrenzung zur Depression als primärem Krankheitsgeschehen oft schwierig: Bei Vorliegen einer Depression kommt es gehäuft zum Erwachen zwischen 3 und 4 Uhr, zu Momenten tiefer Verzweiflung und Verstimmung während dem Wachliegen sowie zu Suizidgedanken. Häufig bestehen Antriebs-, Lust- und Hoffnungslosigkeit. Die Stimmung ändert sich auch nach einer guten Nacht nicht. Im Gegensatz dazu treten bei einer primären Insomnie eher Ein- und Durchschlafstörungen auf. Generelle Ängste und Zukunftsängste sind typisch. Die Patienten schildern sich als erschöpft („Ich kann nicht mehr“) und sind stark auf Schlaf fokussiert. Ein „Insomniepatient“ fühlt sich nach einer guten Nacht wie ausgewechselt. Der Betroffene kann Dinge nennen, die er sofort tun würde, wenn er nur schlafen könnte. Er kann sich freuen, ist dazu aber zu müde.
Konventionelle Therapie
Den Schwerpunkt innerhalb der konventionellen westlichen Medizin stellen die Psychotherapie (vor allem die Verhaltenstherapie) und die Verordnung chemischer Substanzen dar. Bei schlafbezogenen Atemstörungen werden CPAP-Geräte eingesetzt.
Im Vordergrund der medikamentösen Therapie stehen Schlafmittel (Hypnotika) und Antidepressiva (AD). Beide Substanzgruppen können die physiologischen Hirnstromaktivitäten des N3- und des REM-Schlafes verändern und damit die Schlafarchitektur stören. Weiterhin haben sie die Tendenz, schlafbezogene Atmungsstörungen (Hypnotika und Antihistaminika) und die schlafbedingten Bewegungsstörungen (schlafanstoßende Antidepressiva) zu verstärken oder auszulösen. Hypnotika (eingeschränkt auch Antidepressiva) haben darüber hinaus ein erhebliches Abhängigkeitspotenzial bei gleichzeitig nachlassender Wirkung über die Zeit der Einnahme.
Schlafen ist abhängig von der Dosis zwar meist möglich, die Schlafqualität kann aber entscheidend herabgesetzt sein. Viele Patienten lehnen den Konsum solcher Substanzen generell ab bzw. entwickeln bedingt durch die Einnahme eine Unruhe bzw. Ängstlichkeit, die die meist vorhandene Unruhe (Hyperarousal) verstärkt und damit kontraproduktiv ist.
Schlafphysiologie in der TCM
Die Einteilung in Abschnitte mit Yang-Dominanz (Aktivität, Wachheit, Vigilanz, Tag, Sommer etc.) und in Zeiten, in denen das Yin die Führung übernimmt (Ruhe, Inaktivität, Nacht, Winter etc.), ist ein grundlegendes Ordnungsprinzip bzw. eine Normkonvention der TCM.
Der Schlaf wird dem Yin zugeordnet bzw. als Yin-Funktion gesehen. Für die Insomnie stellt die Defizienz des Yin (und Xue) und die mangelhafte Kommunikation/Verbindung von Yin und Yang im Bereich der Funktionskreise (Fk, zangfu) einen wichtigen Aspekt dar. Hiervon sind vor allem die o. cardialis (Fk Herz), o. renalis (Fk Niere) und o. hepaticus (Fk Leber) betroffen.
Damit die physische und psychische Entspannung und schließlich der Schlaf eintreten können, müssen sich die konstellierende Kraft (shen), die Geistseele (hun) und die Wehrenergie (weiqi), die sich tagsüber „außen“ befinden, nach „innen“ in tiefere Körperschichten bewegen und dort zur Ruhe kommen. Zu diesen „tieferen Ebenen“ gehören die Leitbahnen (jingmai), die Speicher- und Durchgangsfunktionskreise (zangfu) und das Xue („Blut“). Gelingt dieser „Verinnerlichungsprozess“ nicht, so geht man von Blockaden im Energiefluss aus („traffic jam“). Es kommt zu Einschlafstörungen.
Wenn die „Wege“ frei sind, das stoffliche Widerlager (Yin und Xue) aber keine Grundlage zum Verweilen bietet, so treten am wahrscheinlichsten Durchschlafstörungen auf. Sind die Prozesse im Körper insgesamt in der Dynamik gesteigert (z. B. bei Infektion, einer Entzündung, Alkoholkonsum bzw. durch quälende Sorgen und Ärger), ist der Schlaf insgesamt unruhig, der Patient wird sich viel bewegen, schwitzen und eher früh erwachen.
Ein geeignetes Bild ist ein Kernreaktor: Das Herunterfahren gelingt nicht, wenn der Mechanismus, der die Brennstäbe ins Kühlwasser absenkt, klemmt. Nicht, wenn das Kühlwasser einen zu niedrigen Pegel hat, und ebenso wenig, wenn die Spaltung und damit die Erhitzung zuvor übermäßig wurde.
Therapie nach TCM
Allgemeine Hinweise/Lebenspflege/Yang Shen:
Zeitpunkt des Zubettgehens
In der westlichen Medizin gibt es diesbezüglich keine Nachweise. Von einem „frühzeitigen“ Schlafengehen wird eher abgeraten, da dadurch der Schlafdruck gesenkt sein kann.
Die chinesische Medizin benennt Zeiten gesteigerter und verminderter Aktivität innerhalb der Funktionskreise. So kann es deutlich günstiger sein, während der „Fülle-Phase“ des Yin-Fk o. pericardialis (xinbao) bis 21 Uhr (MEZ 10 p. m.) zu Bett zu gehen, als in der folgenden Zeit der Yang-Funktionskreise o. tricalorii (sanjiao) und o. fellealis (dan), da sich vor allem letzterer sehr mit Aufgaben, Pflichten und Plänen beschäftigen muss (Sorgen des folgenden Tages) sowie mit erlebter Enttäuschung, Frust und Ärger (des vorangegangenen Tages) zu schaffen hat. Für diesen Funktionskreis ist es unterstützend, wenn der Schlaf zur „Fülle-Zeit“ bereits eingetreten ist und damit die Bewältigungsprozesse harmonischer, vielleicht auch unbewusster ablaufen können.
Aktivitäten
Körperliche Anstrengungen bis mehrere Stunden vor dem Zubettgehen sind häufig nachhaltig aktivierend. Besondere Vorsicht ist hier bei der Diagnose eines stofflichen Mangelzustands (depletio Yin und Xue) geboten. Es sollte hier darauf geachtet werden, dass es nicht zu relevantem Schweißverlust kommt, der eine weitere Minderung und damit Verschlimmerung nach sich ziehen kann.
Der Einschlafprozess ist nicht ausschließlich passiv. Deshalb sollte bei Vorliegen einer energetischen Erschöpfung des Yang Qi zu starke Trainingsintensität generell und am Abend im Speziellen vermieden werden. Schwimmen, vor allem in etwas kälterem Wasser, kann besonders aufwecken. Spaziergänge oder leichtes Ausdauertraining sind sehr ratsam.
Lichtquellen
Lichtquellen, vor allem mit hohen Blauanteilen, können sehr störend auf die Produktion des „Schlafhormons“ Melatonin wirken. Sensible Patienten sollten bereits viele Stunden vor der geplanten Nachtruhe solche Reize meiden (z. B. künstliches Licht, Handy- und Tablet-Displays, Fernseher).
Besonderes Augenmerk sollte auf Lichtquellen im Schlafzimmer, im Gang oder in der Toilette gelegt werden. Dabei ist bei nächtlichem Toilettengang ein Kompromiss bei der Lichtquantität einzugehen. Eine minderwertige Beleuchtung hat ein Ansteigen der Unfallgefahr zur Folge.
Ess- und Trinkgewohnheiten
Lebensmittel mit einem nach oben und außen gerichteten (elevativen) Wirkaspekt können der zum Schlaf notwendigen Absenkung entgegenstehen. Der abendliche Konsum von Minz- oder Lindenblütentee, Ingwer, Chili und Schokolade können eine erhebliche Ursache von Schlafstörungen sein. Hier ist die genaue Anamnese der Diätgewohnheiten obligat.
Gleiches gilt für phytotherapeutische Arzneimittel. Beispielsweise kann sich die grundsätzlich korrekte Verordnung einer Rezeptur mit Bestandteil Radix Bupleurum (chai hu) bei Stagnation Qi hepatici als kontraproduktiv erweisen, wenn eine solche Zusammenstellung am Abend eingenommen wird.
Alkohol hat einen entspannenden Charakter und wirkt in höheren Dosen schlaffördernd, wird aber in der Nacht abgebaut. Wenn der Blutalkoholspiegel während der Nacht absinkt, kommt die aktivierende Wirkung zur Entfaltung. Typisch sind gutes Einschlafen, dann aber frühes Erwachen mit Schweißen und reduzierter Erholung.
Abendliche Mahlzeiten, vor allem schwerverdauliche Lebensmittel, blockieren den Schlafvorgang, belasten die Stoffwechselorgane in der Nacht und können je nach Gewürz und Getränk deutlich aktivieren und aufheizen (s. o.).
Oft gleichen Patienten am Abend ihr Flüssigkeitsdefizit aus und trinken noch kurz vor der Nachtruhe größere Mengen Flüssigkeit. Die zunehmende Füllung der Harnblase kann ein zusätzlicher Störreiz sein und eine Weckreaktion nach sich ziehen.
Da das Shen eine in Quantität und Qualität ausreichende Behausung für die Nacht benötigt, kann es für Patienten mit Mangel an strukturellen Kräften (Xue und Yin) entscheidend sein, dieses Defizit durch bestimmte Nahrungsmittel auszugleichen (mögliche Indikation für Fleischkonsum). Hier sind aber eher das Frühstück und das Mittagessen zu betonen. Andererseits ist es in diesem Fall wichtig, den weiteren Verlust einzuschränken. Hier können der Verzicht auf regelmäßige Blutspenden, übermäßige sportliche Belastung mit hohem Schweißverlust und Saunagänge wichtig sein.
Umgebung
Die Körpertemperatur senkt sich im Laufe der Nacht ab, um dann in den frühen Morgenstunden wieder anzusteigen. Deshalb ist es vor allem für den Tiefschlaf wichtig, dass die Temperatur im Schlafzimmer nicht zu warm ist (individuell verschieden, eher nicht höher als 22 °C). Die Decke sollte groß genug sein und Bewegungen im Schlaf nicht verhindern (nicht eingespannt, nicht zu schwer). Sie sollte saugfähig sein, um den Schweiß aufzunehmen (Stauungsnässe und Verdunstungskälte können den Schlaf ebenfalls stören). Die Matratze sollte punktelastisch sein, da andernfalls gehäufte Umlagerungsbewegungen notwendig sind, welche die Schlafarchitektur beeinträchtigen können. Das Bett sollte breit genug sein. Hier wird 1 m empfohlen. Der Raum sollte keine künstlichen Lichtquellen enthalten, gut vom Außenlicht abgeschirmt und auch leise sein.
Pharmakotherapie nach TCM
Die Verordnung der Zusammenstellungen richtet sich streng nach vorangegangener Diagnostik und Einordnung in ein Pathologiemuster. Exemplarisch wird die Symptomatologie für eine häufige Konstellation vorgestellt:
Diagnose: Stagnation des Qi des Fk Leber (Qi hepatici)
Klinische Präsentation:
- thorakale und hypochondrische Fülle, Unbehagen, Schmerz
- alternierende Symptome, Hitze und Kälte im Wechsel, starke Stimmungsschwankungen, periodische Muster, in zeitlichen Abständen wiederkehrende Muster (PMS, Dysmenorrhö)
- betont Symptome am Rippenbogen oder an der Körperseite
- Sensitivität gegenüber Temperaturschwankungen
- Appetit, der leicht durch Emotionales beeinflusst werden kann
- Nackenverspannungen
- Besonderheiten im Schlaf: sehr abhängig von Gegebenheiten des Tages, angespannte Nackenmuskultur, Erwachen mit Zorn/Ärger
Beispielhafte Rezeptur:
Dekokt aus Weizen, Süßholzwurzel und Datteln (Ganmai Dazao Tang) mit Ergänzungen/Modifikationen.
Akupunktur
Die Auswahl und die Art der Stimulation richten sich streng nach vorangegangener Diagnostik und Einordnung in ein Pathologiemuster. Exemplarisch wird die Symptomatologie für häufige Konstellationen der blockierten Absenkung des Qi defensivum (weiqi) vorgestellt.
In der notwendigen „Verinnerlichung“ in den verschiedenen (Yang-)Funktionskreisen kann es einen „Stau“ geben, und es treten spezifische Symptome in der gestörten Einschlafphase oder beim ungewünschten nächtlichen Erwachen auf.
Grundmuster für die Absenkung des Qi defensivum (weiqi):
- 4 Punkte der Geistesschärfe (si shen cong)
- Ma12/S12 Grube über dem Schlüsselbein (quēpén)
Spezielle Therapie der Leitbahn, in der die Blockade der Qi-Absenkung dominant ist:
- Dünndarm-IT-Leitbahn:
- Dü1/IT1 Der kleine Moorsee (shàozé)
- Ma39/S39 Untere Enge des weiten Feldes (xiàjùxū)
- Symptome: trockener Mund, Durst in der Nacht, Enuresis
- Dreifach-Erwärmer-Trikalorische-Leitbahn:
- 3E1/T1 Große Straße am Passtor (guānchōng)
- Bl39/V39 Yang des Staugewässers (wěiyáng)
- Symptome: verklebte Augenlider, verstärkter Speichelfluss
- Dickdarm-IC-Leitbahn:
- Di1/IC1 Äußerstes Yang (shāngyáng)
- Ma37/S37 Obere Enge des weiten Feldes (shàngjùxū)
- Symptome: Hypertonie der Kaumuskulatur, Tinnitus, Zähneknirschen
- Blasen-Vesikale-Leitbahn:
- Bl40/V40 Mitte des Staugewässers (wěizhōng)
- Bl67/V67 Äußerstes Yin (zhǐyīn)
- Symptome: Wadenkrämpfe, Restless-Legs-Syndrom (RLS)
- Gallenblasen-Felleale-Leitbahn:
- Gb34/F34 Quelle am sonnenbeschienenen Grabhügel (yánglíngquán)
- Gb44/F44 Punkt, der ins Yin eindringen lässt (zúqiàoyīn):
- Symptome: Kopfjucken, Nackenverspannung, bitterer Mundgeschmack
- Magen-Stomachi-Leitbahn:
- Ma36/S36 Dritter Weiler am Fuß (zúsānlǐ)
- Ma45/S45 Die unterdrückte Heiterkeit (lìduì)
- Symptome: Hunger, Einschlafen nicht ohne unmittelbare Nahrungsaufnahme möglich
Ein Fall aus der Praxis
In meiner Praxis stellte sich ein 60-jähriger Mann vor, der über seit einigen Wochen anhaltende psychomotorische Unruhe, geistige Anspannung und Schlafstörungen klagte.
In der Anamnese fiel auf, dass er nur initial oder nach Erwachen wieder einschlafen könne, wenn er größere Mengen gegessen hätte. Weiterhin klagte er über Schmerzen im Bereich der Massetermuskulatur; seine Partnerin berichtete über die Beobachtung deutlicher Krepitationsgeräusche der Zähne (Bruxismus).
Da diese Symptomatik so gezielt auf eine Blockade in der Magen- (Stomachi) und Dickdarmleitbahn (Intestini crassii) sprach, wurde im Abstand von je 7 Tagen 3 × Akupunktur an folgenden Foramina durchgeführt:
- 4 Punkte der Geistesschärfe (si shen cong)
- Ma12/S12 Grube über dem Schlüsselbein (quēpén)
- Di1/IC1 Äußerstes Yang (shāngyáng)
- Ma37/S37 Obere Enge des weiten Feldes (shàngjùxū)
- Ma36/S36 Dritter Weiler am Fuß (zúsānlǐ)
- Ma45/S45 Die unterdrückte Heiterkeit (lìduì)
Bei der Kontrolluntersuchung 6 Wochen nach der Anamnese und Erstbehandlung hatten sich die Beschwerden so deutlich reduziert, dass die Therapie abgeschlossen werden konnte.
Autor
Dr. med. Alexander Simon
Facharzt für Allgemeinmedizin, Certified Physician of Chinese Medicine (CPC) bei der SMS, ICEAM Diploma for Canonical Chinese Medicine, Zusatzbezeichnung Akupunktur.
Interessenkonflikt: Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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