Vor Giftpflanzen wird regelmäßig gewarnt, aber kaum vor Risiken des Verzehrs vermeintlich ungiftiger Pflanzen, die man in der Stadt oder auf Hundewiesen sammelt oder auch vor Inhaltsstoffen, die durchaus giftige oder medizinisch relevante oder bedenkliche Wirkungen haben oder die Wirkung von Medikamenten beeinflussen können.
Begriff Superfood
Die Kategorie „Superfood“ stammt nicht aus der wissenschaftlichen Begrifflichkeit, sondern aus dem Marketing. Unser Körper entschlackt schon seit Jahrtausenden ganz allein und ohne Mixer.
Der Arzt Gunter Frank berichtet, dass er häufig Menschen mit Verdauungsbeschwerden behandelt – darunter viele, die denken, sich besonders gesund ernährt zu haben. Er ist sich sicher, dass das am Mangel an ordentlich verarbeitetem und handwerklich korrekt hergestelltem Essen liegt. Im Verlauf der Evolution ist der Mensch nach dem Trial-and-error-Prinzip vorgegangen. Von den mehr als 300000 Pflanzenarten auf der Erde sind nur wenige Hundert auf unserem Speisezettel geblieben, und es hat auf diesem Weg auch Tote gegeben. Das Wissen wurde von Generation zu Generation weitergegeben und zum Glück auch verfeinert. Aber wir müssen die schlechten Erfahrungen nicht wiederholen.
In Pflanzen vorkommende Stoffe können Gelenke, Nieren oder Leber schädigen, die Blutbildung behindern, uns die Laune verderben, sich gegen Embryos oder die Befruchtung richten, zu Verdauungsbeschwerden führen und die Nährstoffaufnahme behindern.
- Möhrengrün wurde nicht umsonst nie mitgegessen – die enthaltenen Polyacetylene sind Lebergifte.
- Die meisten Gemüse und auch viele Obstsorten sind ohne Haut bekömmlicher.
- Traditionelle Rezepte mit rohen Bohnen (an der Adria, aus Zeiten der Malariabekämpfung) sollte man nicht mehr zubereiten.
- Beinwell und Borretsch, als gesund vermarktet, enthalten leberschädigende und krebserzeugende Pyrrolizidinalkaloide.
- Blüten, die heute so gern zum Verzieren oder sogar zum Verzehr verwendet werden, sind die Vorläufer der Samen – die Pflanze will sie behalten und wehrt sich daher mit besonders vielen Abwehrstoffen. Man sollte sie also sehr zurückhaltend verwenden.
- Viele Kräuter haben eine fruchtabtreibende Wirkung, insbesondere Petersilie. Diese wurde jahrhundertelang für die Familienplanung genutzt, und im Libanon heißt es noch heute: „Willst du Kinder haben, ess kein Tabouleh.“
Die traditionellen Rezepte sind die Quintessenz aus Verfügbarkeit der Zutaten und den passenden Zubereitungsarten. Diese sollten wir weder durch eine zu sehr technisierte Lebensmittelherstellung noch durch eine zu romantische Sichtweise über Bord werfen.
Jede Pflanze enthält Nährstoffe und andere Substanzen – mit positiven und auch giftigen Wirkungen für uns. Derartige Inhaltsstoffe haben die Pflanzen entwickelt, um sich gegen Fressfeinde zu wehren – Insekten und Wildtiere. Häufig sind das Bitterstoffe, die ja durchaus geschmacklich reizvoll und in der Wirkung appetitanregend sein können. Für Gesunde sind sie in geringen Mengen sicher unschädlich. Aber es sind eben häufig auch Gifte.
Alkaloide, die in mehreren Tausend Pflanzenarten vorkommen, wurden in asiatischen Naturheilmedikamenten, heimischen Kräutertees, Gewürz- und Salatmischungen und auch Honig nachgewiesen. In anderen Weltregionen führen sie zu Erkrankungen und sogar Todesfällen. Die strengen europäischen Kontrollen haben uns bisher davor bewahrt.
Saponine, die giftigen Inhaltsstoffe in Nachtschattengewächsen wie Tomaten und Kartoffeln und vielen anderen Pflanzen sind z. B. durch das Nichtverzehren grüner Teile dieser Gewächse zu vermeiden. Durch Züchtungen wurden nach und nach die Abwehrstoffe reduziert – dafür haben wir uns die Pestizide eingehandelt.
Beispiel Vollkorn und Ballaststoffe
Die Menschen haben relativ schnell gemerkt, dass Brot mit reduziertem Kleieanteil bekömmlicher ist, Kleie wurde an die Tiere verfüttert. Vollkornbrote wurden eigentlich wegen ihrer längeren Haltbarkeit für die Verpflegung eines marschierenden Heeres hergestellt.
Vollkorn kam in Wellen immer wieder: Im 19. Jahrhundert kam die Idee auf, sie seien gesünder, 1933 wurde eine Reichsvollkornkammer eingerichtet und die Deutschen angehalten, zur Stärkung und Ertüchtigung Vollkornprodukte zu essen. In den 1970er-Jahren kam Vollkorn in Zeiten der Ökobewegung wieder in Mode. Auch moderne wissenschaftliche Erkenntnisse sprechen dafür, dass Vollkorn geschmacklich interessant ist, bekömmlicher ist jedoch gut hergestelltes Weißbrot. Kleie ist in der Medizin unter der Bezeichnung Ballaststoff zu positiv besetzt, zu viele Vollkornprodukte führen bei vielen Menschen zu chronischer Darmreizung.
Beispiel Salbei
Es gibt Kochrezepte mit sehr vielen Salbeiblättern, die auch mitgegessen werden, z. B. Saltimbocca in Italien. In Mitteleuropa gibt es solche Traditionen nicht. Das liegt an den verschiedenen Salbei-Arten, die unterschiedliche Mengen des Nervengifts Thujon enthalten. Der bei uns angebaute Salbei ist Salvia officinalis, also Arzneisalbei. Spanischer (Salvia lavandulifolia) und griechischer (Salvia triloba) Salbei enthalten nur wenig Thujon. Deshalb stammen Rezepte, bei denen Salbei mitgegessen wird, aus dem Mittelmeerraum und sind für die dortigen Sorten gedacht. Salvia officinalis enthält mindestens 24 Substanzen aus verschiedenen chemischen Gruppen, deren medizinische Wirkungen vor allem das Nervensystem betreffen – als bewusstseinserweiternde Droge vor allem in den USA bekannt.
Wirkungen auf das Gedächtnis, Schutz vor Alzheimer, Blockierung der Vermehrung des HIV-1-Virus, Antikrebswirkung werden diskutiert. Da die Wirkungen aber auch normale Zellen betreffen, machen die Risiken durch den Inhaltsstoff Thujon und die schwierige Standardisierung der Extrakte weitere Forschungen nötig, vor allem auch zu Langzeitwirkungen. Für andere behauptete Wirkungen wie Stärkung des Immunsystems, Verhütung von Entzündungen und Krebs, antioxidative Wirkungen, Neutralisierung freier Radikale fehlt der wissenschaftliche Nachweis bzw. man müsste unrealistisch viel von der Pflanze essen.
Bei uns wird Salbei medizinisch vor allem wegen seiner antimikrobiellen Wirkung eingesetzt, als Tinktur, Tee oder Spülung. Bei innerer Anwendung fürchtet man giftige Nebenwirkungen. Drei bis vier Blätter im Kochrezept sind kein Problem, aber 20 Blätter oder mehr sollte man nicht zu sich nehmen, auch nicht als Tee.
Empfehlungen
Viele Gewürzpflanzen und Heilkräuter sind in kleinen Mengen wohlschmeckend und gesund, in größerer Menge aber giftig oder schädlich. Viele der ihnen nachgesagten positiven Wirkungen sind unbewiesen. Es ist also eher der Spaß am Sammeln und Zubereiten, am Geschmack und der Optik. Mit entsprechender Kenntnis (nur sammeln, was man kennt) und Zurückhaltung kann man das tun. Es gibt Nachholbedarf, nicht einmal akademische Ernährungsexperten kennen sich da aus, geschweige denn Köche. Die Kunst besteht darin, handwerklich kompetent zu handeln, nicht intuitives Wissen als alten Quatsch abzutun.