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Bunte Vielfalt: Es lohnt, den eigenen Zuckerkonsum einmal abzuschätzen und ggf. weniger zuckerhaltige Alternativen zu bevorzugen.
Zucker einzuordnen zwischen Skandalisierung und Verharmlosung, das ist das Ziel der beiden Ernährungswissenschaftlerinnen Dr. Brigitte Bäuerlein und Irmingard Dexheimer. Sie haben Studien ausgewertet, um herauszufinden, ob uns Zucker süchtig oder krank macht, bewerten Zuckeralternativen und klären über die Mechanismen des Zuckermarktes auf. Hier nun ein Überblick über den Inhalt ihres Buches „Der Zuckerkompass“ [1].
Zucker – seine Moleküle bestehen aus C, H und O in unterschiedlicher Anzahl und Bindungsform (Einfachzucker wie Glukose oder Fruktose, Doppelzucker wie Saccharose, unser Haushaltszucker). Es gibt ihn braun oder weiß, als Würfel, Hut, feinen Puder oder rieselnde Kristalle. Er wird aus Zuckerrohr oder Zuckerrüben hergestellt. Zucker ist auf der ganzen Welt beliebt. Jeder Deutsche verzehrt pro Tag 93 Gramm (Kuba 197, USA 90, Schweiz 134).
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung und die WHO empfehlen 50 Gramm als Obergrenze. Diese Menge ist schnell erreicht, z. B. in einem halben Liter Softdrink.
Süßigkeiten, Fruchtsäfte und Limonaden sind die Hauptquellen für „freie“ Zucker. Hinzu kommen die mehr oder weniger „verdeckten“ Zucker in fast drei Viertel aller abgepackten Nahrungsmittel – über 70 verschiedene Zuckerbegriffe von Sirup und Honig über Dextrose, Inulin oder Maltose bis hin zu Glukosesirup, Süßmolkepulver und Malzextrakt. Jeder Deutsche verbraucht ca. 34 Kilogramm Zucker pro Jahr, mehr als das Fünffache verglichen mit 1874.
Der Mensch braucht Zucker
In der Natur ist Traubenzucker (Glukose) die wichtigste Energiequelle; auch der Mensch nutzt ihn. Das Gehirn verbraucht 6 Gramm pro Stunde. Die Evolution hat dazu geführt, dass wir heute noch Süßes als gute Lebensmittel ansehen. Kinder reagieren übrigens um 40% weniger empfindlich auf Zucker, d. h., sie bevorzugen eine intensivere Süße.
Zucker verbessert das Mundgefühl, rundet den Geschmack ab, lockert den Teig, konserviert und ist die Basis der alkoholischen Gärung.
Die beiden Einfachzucker Glukose und Fruktose gehen im Körper getrennte Wege: Glukose ist blutzuckerwirksam (auch Mehrfachzucker aus Glukose, wie Stärke). Fruktose steigert den Blutzucker kaum, führt aber bei zu hohem Konsum zu einer Fettleber, weil die Leber die Fruktose, die der Darm nicht abzubauen vermag, verwerten muss und sie bei zu hohen Konzentrationen in Fett umwandelt. Zuviel Glukose im Blut wird auch in Fruktose umgewandelt und steigert den Effekt.
Die Verwertung der Nährstoffe, auch des Zuckers, und die Blutzucker- und Blutfettwerte sind von sehr vielen Faktoren abhängig, wie z. B. dem Reifegrad von Obst, der Anwesenheit von Fett und Ballaststoffen, dem Verarbeitungsgrad der Lebensmittel, von Sport, Esspausen etc.
Darm-Hirn-Achse
Unser Körper ist sozusagen von Kopf bis Fuß auf Süßes eingestellt – Süßrezeptoren finden sich nicht nur auf der Zunge, sondern auch in Magen, Bauchspeicheldrüse, Gehirn, Herz, Blase, Niere, Epithel des Nasen-Atem-Trakts, Sperma, Körperfettgewebe und eben auch in Dünn- und Dickdarm.
Neben dem Signalweg von den Sinneszellen im Mund zum Gehirn hat man mittlerweile auch einen zweiten entdeckt – vom Darm zum Gehirn. Diese Achse funktioniert nur für Zucker, nicht für Süßstoff (anders als vom Mund). Möglicherweise spielt dabei der Fibroblastenwachstumsfaktor FGF21 eine Rolle und könnte als Zielstruktur neuer Medikamente bei der Therapie schwer Übergewichtiger helfen.
Auch das Mikrobiom im Darm spielt eine Rolle, weil es Stoffe produziert, die dann mit dem Gehirn kommunizieren. Sogar ein Einfluss auf Depressionen über die Darm-Hirn-Achse (über den Konsum ungünstiger Lebensmittel oder mangelnde Zufuhr wichtiger Nährstoffe) wird diskutiert.
Macht Zucker süchtig?
Die Meinungen hierzu sind geteilt. Unstrittig ist, dass Zucker unser Belohnungssystem im Gehirn anregt – und offenbar können Belohnungssignale unser Sättigungsgefühl überlagern. Besonders „wirkungsvoll“ sind Kombinationen aus Zucker und Fett. Möglicherweise stammt dies aus der Evolution – Muttermilch enthält reichlich Fett und Kohlenhydrate, und kalorienreiche Nahrung war damals ein Überlebensvorteil.
Die Diagnose Zuckersucht ist umstritten. Befürworter verweisen auf Kontrollverlust über den Konsum, Einnahme trotz bekannter negativer Konsequenzen, wiederholt fehlgeschlagene Versuche, davon loszukommen. Kritiker bemängeln, dass noch nicht geklärt ist, ob die Kohlenhydrate (oder Fette) schuld sind, vielleicht sind es auch bestimmte Lebensmittelzusatzstoffe oder Gewürze. Außerdem können auch einige unverarbeitete Lebensmittel den Blutzuckerspiegel erhöhen. Vor allem aber unterscheidet sich krankhafter Substanzkonsum von „normalem“ Essen. Beim Essen gibt es kein Verlangen nach einer bestimmten Substanz wie Zucker oder Fett.
Zuckerentzug/-verzicht bedeutet für den Körper keinen besonderen Stress; unser Körper kann Zucker aus Stärke, Fett oder Proteinen herstellen. Auch das Gehirn, das viel Glukose braucht, ist stets ausreichend damit versorgt. Aber die Psyche rebelliert bei Zuckerentzug: Es kommt u. a. zu Hungerattacken, Süßlust und Konzentrationsschwierigkeiten. Belohnt wird eine Zuckerreduktion meistens mit verbesserten Blutwerten, Gewichtsabnahme etc., und der Geschmackssinn wird feiner. Allerdings gibt es dazu bisher wenige Untersuchungen.
Praxistipp Mythos Traubenzucker als Powerbooster
Die Legende vom Traubenzucker als Powerbooster hat sich mittlerweile erledigt – Studien zeigen, dass Zucker die Wachsamkeit innerhalb der ersten Stunde nach Verzehr verringert und innerhalb der nächsten halben Stunde müde macht.
Macht uns Zucker krank?
Studien weisen darauf hin, dass Adipositas häufig mit hohem Zuckerkonsum einhergeht. Ein großes, internationales Forschungsvorhaben zeigt, dass das Ernährungs- und Bewegungsverhalten der Mutter in der Schwangerschaft sowie des Kindes in den ersten beiden Lebensjahren die Gewichtsentwicklung und damit die Gesundheit ein Leben lang beeinflusst. Kinderärzte empfehlen, die Zuckerzufuhr im Säuglingsalter und in der frühen Kindheit stark zu begrenzen, im ersten Jahr idealerweise ganz zu streichen. Möglicherweise verschlechtert ein früher Zuckerkonsum langfristig die Gedächtnisfunktion (Tab. 1).

Tab. 1 Empfohlene Zuckergrenze: nicht mehr als 10% der Tagesenergie.
Minderjährige sollen maximal 10% der täglichen Energiezufuhr durch Zucker aufnehmen, Erwachsene nicht mehr als 50 g Zucker pro Tag.
Jüngere Reviews stützen die These, dass auch beim Zucker die Dosis das Gift macht. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) versucht gegenwärtig, die obere Zufuhrmenge aus Studien abzuleiten. Untersuchungen haben gezeigt, dass sich weniger Zucker aber nur dann positiv auswirkt, wenn gleichzeitig insgesamt weniger gegessen wird, also kein Ausgleich durch Energie aus anderen Nährstoffen stattfindet.
Die Studienbeweise, dass Zucker in flüssiger Form negative gesundheitliche Auswirkungen haben, sind deutlich solider und umfangreicher und besser im Vergleich zur Beweislage zu Zucker in festen Lebensmitteln. Süßigkeiten sind insgesamt noch nicht so gut untersucht.
Neben anderen Einflussfaktoren (Bluthochdruck, Rauchen, Depression, Schlaflosigkeit, Umweltfaktoren) zeigen viele Studien, dass ein übermäßiger Zuckerkonsum, vor allem über zuckrige Erfrischungsgetränke, das Risiko für Typ-2-Diabetes erhöht.
Praxistipp
Alle Zucker verarbeitet der Stoffwechsel in gleicher Weise. Rein biochemisch betrachtet ist die Unterscheidung von freiem und zugesetztem Zucker eher bedeutungslos und sogar irreführend. Trotzdem ist es unbedingt besser, Zucker in Form von Obst zu essen, da dieses gleichzeitig durch die enthaltenen Vitamine, Mineralstoffe, Ballaststoffe und weitere Antioxidanzien sogar vor den Krankheiten schützt, die ein Zuviel an Fruchtzucker mitverursachen kann.
Die Leber wird eigentlich vom Darm beschützt, denn Fruktose wird hauptsächlich in der Schleimhaut des Dünndarms verstoffwechselt. Große Mengen Fruktose aus Getränken, Süßwaren und Fertigprodukten bringen jedoch das Fass buchstäblich zum Überlaufen, und damit gelangen Fruktosemoleküle direkt in Leber und Dickdarm. Hier kurbelt Fruktose Enzyme an, die letztlich die Fettbildung in der Leber befördern. Auch zu viel Glukose im Blut wird in Fruktose umgebaut und schadet schließlich der Leber.
Die nicht alkoholisch bedingte Fettleber tritt bei jedem 4. Erwachsenen in Europa auf, sogar Kinder und Jugendliche sind schon betroffen. Menschen mit Fettleber haben öfter gleichzeitig einen Prädiabetes. Da die schädlichen Effekte von Fruktose eng mit einem Ungleichgewicht zwischen Energieaufnahme und Energieabgabe zusammenhängen, lässt sich durch ausreichende körperliche Bewegung einiges kompensieren.
Beispiele
Zuckerreiche Fertigprodukte
- Apfelsaft (100%, aus Konzentrat): 100 g in 1 Liter
- Apfel-Rotkohl: 11 g pro 100 g
- Balsamico-Creme: 50 g pro 100 g
- Barbecue-Sauce: 18–36 g pro 100 g
- Cerealien, gezuckert: durchschnittlich 8 g pro 50 g
- Chutney: 43–65 g pro 100 g
- Colagetränk: 20 g pro Glas (200 ml)
- Cookies: 33–39 g pro 100 g
- Dosenmandarinen, leicht gezuckert: 14 g pro 100 g
- Eiersalat: 5 g pro 100 g
- Eistee: 12 g pro Glas (200 ml)
- Essiggurken: 8–12 g pro 100 g
- Fruchtgummi: 41–63 g pro 100 g
- Fruchtjoghurt: 15–20 g pro Becher (150 g)
- Heringssalat: 6 g pro 100 g
- Joghurtdressing: 8 g pro 50 g
Wenig bis kein Zucker
- Nüsse, Samen und Kerne (Mandeln, Chiasamen, Sonnenblumenkerne…)
- Fisch, Fleisch und Eier (unverarbeitet und ohne fertige Marinaden)
- naturbelassene Milchprodukte wie Käse
- Öle und Fette (Butter, Kokosöl, Olivenöl…)
- frische oder getrocknete Kräuter (Schnittlauch, Petersilie, Basilikum…)
- Mineralwasser, ungesüßter Kaffee oder Tee
Es gibt plausible Mechanismen und Forschungsergebnisse, die die Aussage stützen, dass zu viel Zucker die Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen direkt und indirekt fördert. Weitere groß angelegte Studien auf diesem Gebiet wären wünschenswert. Große Mengen Zucker sind anscheinend auch bei Depressionen ein Risiko. Möglicherweise spielt zu viel Fruktose über den Stoffwechsel auch eine Rolle bei Demenzerkrankungen.
Ein ausführliches Kapitel widmet sich dem Thema Zucker in Wirtschaft und Politik. Dort geht es u. a. um Werbeverbot, Schockfotos, Zuckersteuer, Zuckerreduktion und Kennzeichnung. Weitere Kapitel beschäftigen sich mit Zuckeralternativen von Agavendicksaft bis Zuckerrübensirup, mit Süßstoffen und Zuckeralkoholen.
Weniger Zucker – aber wie?
Laut einer Umfrage verfolgen 62% der Verbraucher bewusst und aktiv das Ziel, weniger Zucker zu sich zu nehmen. Ein Bewusstsein für den eigenen Zuckerkonsum kann man z. B. entwickeln, indem man eine Weile aufschreibt, was man isst. Anschließend kann man die Anzahl der zuckerreichen Lebensmittel auf dem Speiseplan reduzieren oder verdünnen und das dann beibehalten.
- Vergleichsweise einfach ist es, die Süßigkeitenschale im Pausenraum oder die Gummibärchen auf dem Schreibtisch zu entfernen.
- Bei häufig eingekauften Lebensmitteln kann man die Zutatenliste genauer anschauen, Obstkonserven durch Tiefkühlfrüchte ohne Zuckerzusatz oder frische Früchte ersetzen.
- Das beliebte Frühstücksmüsli enthält häufig sehr viel Zucker, hier kann man zuckerärmere Varianten finden oder selbst mischen.
- Naturjoghurt kann Fruchtjoghurt verdünnen (oder ersetzen, mit einem kleinen Löffel Marmelade); es gibt auch Marmeladen mit weniger Zucker.
- Ein pikantes Frühstück mit Käse und Rührei ist auch sehr lecker.
- Durch den Einsatz von Gewürzen kann man die Süßschwelle senken.
- Es ist immer besser, z. B. Schokolade nach einer Mahlzeit zu essen – man ist dann mit viel weniger zufrieden, als wenn man sie bei Hunger isst.
Praxistipp
Bei der Reduktion der Zuckermengen ist es in jedem Fall wichtig, die ganze Familie einzubeziehen und insbesondere die Kinder zu motivieren. Für kleinere Kinder kann man auch ein Spiel daraus machen.
Limonaden und Colagetränke leisten einen erheblichen Beitrag zur täglichen Kalorien- und Zuckeraufnahme, gerade bei Kindern und Jugendlichen. 100 ml enthalten im Mittel 6 g, manche bis 15 g. Sie sättigen so gut wie gar nicht und liefern schnell viel Zucker. Um den Zuckerverbrauch langsam zu senken, kann man zunächst mit Wasser verdünnen, bunte Gläser nutzen, mit Fruchtspießchen garnieren. Stark verarbeitete Lebensmittel verleiten dazu, viele Kilokalorien zu essen und zuzunehmen, selbst wenn die Menüs die gleichen Mengen an Kalorien, Zucker, Ballaststoffen, Fett und Kohlenhydraten aufweisen wie solche aus weniger stark verarbeiteten Zutaten.
Autorin
Dr. Sabine Wenzel
Literatur
- Bäuerlein B, Dexheimer I. Der Zuckerkompass. So gefährlich ist Zucker wirklich. Die neuesten Erkenntnisse aus der Wissenschaft. Stuttgart: TRIAS im Thieme-Verlag; 2022. ISBN 978-3-432-11360-9